Protocol of the Session on July 9, 2015

für ein freizügiges Europa ohne Grenzkontrollen

Drucksache 6/1981, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht am Rednerpult Herr Abg. Lippmann, dem ich hiermit das Wort erteile.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste an unserem Antrag will ich gleich vorwegnehmen. Die GRÜNEN – und ich hoffe, jeder in diesem Hohen Hause – stehen für ein freizügiges Europa und für eine gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit mit Polen und mit Tschechien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sachsen ist mit der Osterweiterung vom Rand in die Mitte der europäischen Gemeinschaft gerückt. Meine Damen und Herren, es ist ein Privileg – das sollten wir verstehen –, dass wir nun im Herzen Europas liegen. Der Ministerpräsident hat dies heute Morgen in seiner Regierungserklärung verdeutlicht – ich zitiere –: „Für uns Sachsen kann der Horizont nicht an der Grenze enden.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider haben Teile der CDU und auch der Innenminister das offensichtlich nicht gehört oder wussten es bis dato nicht; denn wir konnten Anfang Juni kurz nach dem G7Gipfel wieder einmal vernehmen, dass CDU-Politiker aus Sachsen die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zu unseren Nachbarländern forderten. Allen voran skurrilerweise der Europaabgeordnete Hermann Winkler, gefolgt von Bundestagesabgeordneten und auch Kollegen aus unseren Reihen.

Offensichtlich waren die Herren beeindruckt, in welchem Umfang die Polizei bei den kurzfristig eingeführten Grenzkontrollen rund um den G7-Gipfel vermeintlich Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufdecken konnten.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Dreher, AfD)

Die genauen Zahlen kennen wir im Detail bis heute nicht. Deswegen erhoffen wir uns mit unserem Antrag durchaus Klarheit. Zeitungsberichten zufolge sollen 900 Polizeibedienstete in zwei Wochen 34 000 Pkws und 110 000 Personen kontrolliert und dabei insgesamt 550 Straftaten aufgenommen haben.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Danke an unsere Polizei!)

Man hätte die Forderung nach Wiedereinführung von Grenzkontrollen als platte Wahlkreispolitik im grenznahen Raum oder politische Profilierungsnot ad acta legen können. Das hat der Innenminister nicht getan. Das nehme ich Ihnen wirklich übel.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Dreher, AfD)

Sie haben sich auf die Bühne eines Provinztheaters begeben und zusammen mit Bayern anschließend gefordert, dass Sachsen und Deutschland die Grenzen wieder stärker kontrollieren sollten und man sich für die Ausweitung der Ausnahmeregelung nach dem SchengenAbkommen einsetze. Sie haben sich an die Spitze dieses Theaters gestellt. Das war schlecht, Herr Minister.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben im Anschluss auch gesehen, von welchen zweifelhaften Lagern Sie für Ihre Forderung Unterstützung geheißen haben. Spätestens dann wäre mir die Sache peinlich gewesen.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Ihnen ist gar nichts peinlich!)

Und dann kam, wie es kommen musste: Der als Tiger gestartete Vorstoß Sachsens und Bayerns endete als Bettvorleger in der Innenministerkonferenz. Die Innenministerkonferenz sprach sich mehrheitlich gegen die Einführung einer bundesweiten Schleierfahndung aus.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Dreher, AfD)

Herr Ulbig, bemerkenswert fand ich in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass es sich bei den Fahndungstreffern anlässlich der wiedereingeführten Grenzkontrollen beim G7-Gipfel nicht selten um sogenannte Kontrolldelikte handelte. Ja, natürlich stellt die Polizei mehr Straftaten fest, wenn sie mehr kontrolliert. Das gilt

übrigens bei allen Straftaten, unabhängig von der Frage der Grenzkontrollen.

(Beifall bei der AfD)

Wenn man mehr kontrollieren möchte, dann braucht es mehr Personal, das kontrolliert. Damit kommen wir zum eigentlichen Kern des Problems in Sachsen.

Unser Antrag möchte drei Dinge bewirken: ein klares Bekenntnis zu einem freizügigen Europa. Wir erwarten, dass man sich hinter die europäische Idee stellt und nicht kleingeistig agiert und dass man zukünftig solche Ausritte in die Welt der Kleinstaaterei unterlassen möge. Zweitens, eine saubere Analyse des vermeintlichen Vorteils der Grenzkontrollen. Zahlen sind schnell in den Raum geworfen, aber was bedeuten sie? Sind es nicht vielleicht eher Mitnahmeeffekte? Wie verhalten sich die Zahlen zu den sonst im Freistaat im Vergleichszeitraum aufgeklärten Straftaten? Kann es sein, dass in Sachsen die Gesamtzahl der Straftaten im Zeitraum der Grenzkontrollen gar nicht so viel höher war als sonst? Bevor Sie das nicht analysiert, bevor Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, hätten Sie nicht in das Horn des kleinstaaterischen Populismus stoßen sollen. Und drittens erwarten wir in diesem Zusammenhang endlich die Analyse des 15-PunkteProgramms der Staatsregierung zur Kompensation des Wegfalls der Schengen-Grenzen.

Sachsen baut seit Jahren Personal bei der Polizei ab. Seit dem Jahr 2008 waren es circa 1 000 Stellen bei der Landespolizei. Im gleichen Zeitraum wurden auch bei den Behörden der Bundespolizei in Sachsen über 1 000 Stellen abgebaut.

Wir GRÜNEN reden uns seit Jahren den Mund fusselig, dass dieser Stellenabbau mit einem Rückgang des Fahndungsdrucks einhergeht. Wir haben deshalb bereits im Jahr 2013 gefordert, dass der Innenminister die für das Jahr 2013 angekündigten Evaluierungsergebnisse zu den 15 Punkten endlich vorlegt. Wir wurden damals vertröstet, dass die Evaluation wegen der Polizeireform auf das Jahr 2015 verschoben werde.

Nun schreiben wir augenscheinlich das Jahr 2015; ein Bericht liegt bis heute nicht vor. Soll die Evaluation wieder verschoben werden, diesmal mit der Begründung, dass sich dann wahrscheinlich die Polizeistrukturkommission mit dieser Frage beschäftigen soll? Das würde uns durchaus interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es würde uns auch interessieren, zu welchem Ergebnis die Evaluation kommt. Wie wirken sich Stellenabbau und Revierschließungen im grenznahen Raum wirklich aus? In welchem Umfang wird von der Möglichkeit anlassloser Personenkontrollen tatsächlich Gebrauch gemacht? Wie wurde der Fahndungsschleier im grenznahen Raum intensiviert?

Das alles sind Maßnahmen, die Sie im Jahr 2009 dem Landtag zu treffen versprochen haben. Lassen Sie uns zunächst über das Bestehende reden, bevor die Wiederein

führung von Grenzkontrollen oder die Ausweitung der Ausnahmen im Schengen-Abkommen eingefordert wird. Voraussetzung für all das ist aber – das haben wir GRÜNE immer wieder gefordert –, dass die Polizei personell besser ausgestattet wird.

Unsere Forderung an Sie, Herr Innenminister, und an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor allem von der CDU, ist: Bekennen Sie sich zu einem freizügigen Europa ohne Grenzkontrollen, anstatt sich in populistischen Forderungen – –

(Sebastian Wippel, AfD, steht am Mikrofon.)

Herr Lippmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Lippmann, ist Ihnen bekannt, dass die Grenzsicherung und nicht die allgemeine Kriminalitätsbekämpfung Aufgabe der Bundespolizei ist?

Das ist mir bewusst. Gleichwohl gibt es beim Aufgriff von Personen und bei der Feststellung von Straftaten Koinzidenzen, die, wenn sie nicht Aufgabe der Bundespolizei sind, auch durch die Landespolizei vorgenommen werden. Man differenziert beim Auffinden der Straftat nicht, welche Polizei die Personen festsetzt.

Ich konstatiere: Bekennen Sie sich zu einem freizügigen Europa ohne Grenzkontrollen, anstatt sich in einer populistischen Forderung nach Verschärfung der Grenzkontrollen zu ergehen. Hören Sie auf, Ihr Versagen in der Sicherheitspolitik auf dem Rücken der europäischen Idee auszutragen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich erteile nunmehr der CDU-Fraktion das Wort, danach den LINKEN, der SPD, der AfD und der Staatsregierung, sofern es gewünscht wird. Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Schiemann. Sie haben das Wort, Herr Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Freistaat Sachsen ist es immer darum gegangen, eine gute Nachbarschaft mit seinen Nachbarländern, der Tschechischen Republik und der Republik Polen, zu erfahren und auszubauen und bei Problemen schnell zu reagieren. Wenn es grenzüberschreitende Kriminalität gibt, dann gibt es kein Wegschauen. Dann gibt es nur ein Reagieren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der AfD)

Man hat Straftaten zu verfolgen, damit diese gute Nachbarschaft, die auch eine Partnerschaft zwischen unseren beiden Völkern ist, stark bleibt und nicht durch Nichthan

deln kapputt gemacht wird. Dabei werden die CDU- und die SPD-Fraktion nicht mitmachen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Zweiter Punkt. Wir haben eine nicht hinnehmbare Belastung. Als Dresdner kann ich meinen Vorrednern nur sagen: Die Spitzenwerte der gestohlenen Fahrzeuge liegen in Dresden. Statistisch gesehen sind es jeden Tag drei Fahrzeuge. Der eine Teil wird über die Tschechische Republik abgefahren, der andere Teil geht über die Republik Polen ins weitere Ausland. Wenn Sie das so hinnehmen, ist es schon ein wenig arrogant, diesen Antrag zu stellen.

(Zuruf)

Ich werde Ihnen das begründen: Ich nehme Sie mit in den Grenzraum und wir gehen gemeinsam zu einer Veranstaltung mit Bürgern, die Ihnen erklären werden, dass große Traktoren im Wert von 250 000 Euro gestohlen worden sind, außerdem en masse Fahrzeuge, Bagger, Hubgeräte. Wir schaffen es nicht, massiv Einhalt zu gebieten. Kommen Sie mit, ich werde Ihnen das erklären. Wir sind für ein Europa der Freiheit und des freien Zugangs zu den jeweiligen Nachbarländern. Aber wir bieten keine Freifahrt für kriminelle Strukturen. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der CDU)