Sie sind auf den Diskurs eingegangen, den Kollege Hartmann gefordert hat, Kollege Scheel, und er reagiert jetzt auf Ihre Kurzintervention.
Ich will Ihnen einmal etwas ganz deutlich sagen, aus meiner Überzeugung: Wir können über Widerstandsrechte, Protest und Bedürfnisse nach Widerstand in unserer Geschichte weiland gute Gründe finden. Aber: Das, was wir jetzt erleben, ist, dass Menschen ihre Freiheit, die sie in diesem Land haben, völlig falsch kanalisieren. Ich kann verstehen, dass man an der einen oder andere Stelle meint, es anders haben zu wollen, und das in Form von Protesten, und da ist der Diskurs zum Beispiel über Sitzblockaden ein durchaus legitimer.
Aber: Wer mir hier den Eindruck vermittelt – und das lasse ich nicht zu –, dass in diesem Staat und dieser Gesellschaft solche Repressionen herrschen, dass man aus Verzweiflung zu Gewalt greifen und Eigentum angreifen muss, bei dem ist deutlich eine Grenze überschritten. Dass wir den Diskurs bezüglich gesellschaftlicher Akzeptanz benötigen, ist unbenommen. Aber wenn Sie sagen „Wir bemühen uns, mäßigend darauf einzuwirken“,
dann sage ich: Nein, eine klare Distanzierung ist vonnöten, denn es ist an der Stelle eine Grenze überschritten. Bei allem gesellschaftlichen Diskurs kann es doch nicht sein, dass Sie hier zumindest – den Eindruck haben Sie vermittelt – ein Verständnis dafür mitbringen, dass die Leute so reagieren, wie sie reagieren. Das kann ich wahrlich nicht nachvollziehen.
Nach dieser Serie von Kurzinterventionen und Reaktionen erinnere ich daran, dass wir uns mitten in der vierten Rederunde befinden, und ich frage Sie: Gibt es weiteren Redebedarf in dieser vierten Runde aus den Fraktionen heraus? – Die einbringenden – nicht. Die anderen – auch nicht.
Wir können also die Rederunden beenden und es kommt nun die Staatsregierung zum Zuge. Ich erteile Herrn Staatsminister Ulbig das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Dass in Leipzig amerikanische und englische Staatsbürger angegriffen werden, darüber kann man sein Unverständnis zum Ausdruck bringen und sagen: Dafür muss man sich schämen.
Deshalb möchte ich am Anfang nachdrücklich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Militante Ausschreitungen und linksextremistische Gewaltstraftaten haben weder etwas mit Subkultur noch mit alternativen Lebensformen zu tun, sondern müssen klar verurteilt und konsequent verfolgt werden.
Herr Stange, wenn das Erscheinen von Polizisten in Teilen unserer Gesellschaft schon als Provokation wahrgenommen wird, dann, muss man konstatieren, scheint etwas nicht in Ordnung zu sein.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns hier im Hohen Hause zu der Entwicklung in Leipzig positionieren; denn neben dem, was im Verfassungsschutzbericht beobachtet und beschrieben worden ist, haben wir eine neue Qualität seit Anfang dieses Jahres und wir müssen uns mit dieser Serie von gewalttätigen Ausschreitungen in Leipzig auseinandersetzen und entsprechende Aktivitäten entfalten.
Ich bin gestern Morgen in Leipzig gewesen und habe mit den Einsatzbeamten gesprochen, die vor Ort gewesen sind. Wenn lebenserfahrene Beamte – derjenige, der in jenem Auto saß, über das Christian Hartmann schon gesprochen hat – sagen: Herr Minister, wir sind viel gewohnt, aber das, was wir letzte Woche erleben mussten, hat alles, was wir bisher erlebt haben, überschritten, das ist eine neue Dimension und wir haben uns auch gefürchtet in den Autos, dann muss ich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: So geht es nicht! Deswegen muss es klar verurteilt werden! Wir müssen uns auch bei den Beamtinnen und Beamten bedanken, die dort ihren Buckel hingehalten und entsprechend sachgerecht agiert haben.
Deshalb ist es klar, Herr Pallas, dass der Freistaat Sachsen mit all seinen Behörden reagieren und dass dies gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort geschehen muss. Es soll deutlich werden, dass es keinen Keil geben kann, sondern dass diese Herausforderung gemeinsam angegangen wird. Wir müssen alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen.
Für den Freistaat Sachsen und für die polizeiliche Arbeit gilt: Die entsprechenden Konsequenzen sind gezogen worden: Die Ermittlungsarbeit der Beamten wird konzentriert verändert. Es ist eine Sonderkommission gebildet worden aus dem Operativen Abwehrzentrum und dem Staatsschutz der Polizeidirektion: also den erfahrenen Kollegen, die sich jetzt genau mit dem Thema auseinandersetzen, um dafür zu sorgen, dass Aufklärung betrieben wird, dass die Straftäter möglichst ermittelt, aus der Anonymität herausgezogen und einer gerechten Strafe zugeführt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Anzahl der Gewaltdelikte – hier im Konkreten die Anzahl der linksextremistischen Gewaltdelikte – macht deutlich, dass wir darauf wirklich konsequent reagieren müssen. Die Zahl, die Christian Hartmann schon genannt hat, zeigt, dass schon zum jetzigen Zeitpunkt in der Stadt Leipzig mehr linksextremistische Gewaltstraftaten verübt worden sind, als es im gesamten letzten Jahr der Fall gewesen ist. Deswegen müssen wir konsequent handeln.
Noch ein Wort zum Thema Personal und Personalausstattung und dazu, wie die Situation zu diesem Zeitpunkt in Leipzig war. Herr Stange, zur Wahrheit gehört, dass neben den Beamten, die im Einsatz gewesen sind und die Sie angesprochen haben, auch drei Einsatzzüge in der Stadt Leipzig unterwegs waren und damit das, was Sie angesprochen haben, nicht den gesamten verfügungsfähigen Personalbesatz zu jenem Zeitpunkt dokumentiert und darstellt.
Sie können davon ausgehen, dass die Personalbemessung innerhalb der sächsischen Polizei auch immer belastungsorientiert erfolgt; das ist auch in den letzten Jahren so gewesen. Aus diesem Grund ist die Personalausstattung in der Polizeidirektion Leipzig auch aufgrund der Situation in den letzten Jahren so erfolgt, dass derzeit circa 30 % aller Polizeibeamten, die wir im Freistaat Sachsen haben, dieser Polizeidirektion zugeordnet sind und damit ent
sprechend reagiert worden ist. Und es wird weiter bedarfsorientiert reagiert werden, wenn es notwendig ist.
Wie Herr Pallas schon ausgeführt hat, geht es nicht darum, Schnellschüsse zu machen. Wenn wir über den Einsatz von geschlossenen Einheiten aus der Bereitschaftspolizei sprechen, dann wird das entsprechend der konkreten Situation und so, wie ich es beschrieben habe, erfolgen und möglich sein können.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich zum Abschluss deutlich machen: Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist wichtig. Es ist notwendig, eine klare Distanzierung zu Gewaltstraftaten vorzunehmen; es darf nicht relativiert werden. Das ist gerade für die Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort im Einsatz sind, wichtig – egal, ob sie als Kriminalpolizisten die Straftaten ermitteln oder in so einem Einsatzfall ganz konkret gegen Pflastersteine, Farbbeutel und Molotowcocktails ankämpfen müssen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen nicht nur die Menschen im Freistaat Sachsen, sondern auch alle Politiker ganz klar den Rücken stärken, sich davon distanzieren und nicht differenzieren.
Vor diesem Hintergrund erwarte ich, dass diese klare Positionierung von allen erfolgt, damit die Kolleginnen und Kollegen auch deutlich gestärkt ihren Einsatz leisten können.
Als Antragstellerin hat zunächst die einbringende Fraktion das Wort und für die GRÜNEN spricht Kollege Günther. Wolfram Günther, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich merke schon, es ist etwas schwierig, mit dieser 2. Aktuellen Debatte bei
Ihnen zu punkten. Ich würde mir in unser aller Interesse wünschen, dass es etwas mehr Aufmerksamkeit finden würde; denn es geht hier letztlich um unsere Lebensgrundlagen.
Es geht um etwas, das uns dauerhaft beschäftigt. Es ist auch aktuell, denn Ihnen allen ist erst vor wenigen Tagen, im Mai, der aktuelle Artenschutzreport des Bundesamtes für Naturschutz zugegangen mit einem dramatischen Resultat: Von den heimischen Arten – Tiere, Pflanzen, Pilze – ist knapp die Hälfte bereits ausgestorben oder in unterschiedlichem Maße im Bestand gefährdet. Knapp 10 % davon sind bereits ausgestorben. Das sind dramatische Zahlen.
Es gibt noch einen zweiten Anlass, warum wir uns im Rahmen einer Aktuellen Debatte darüber unterhalten sollten: Wir befinden uns genau in der Mitte der UNDekade der Biodiversität. Das Ziel ist, den Artenrückgang bis zum Jahr 2020 zu stoppen. Wir haben jetzt Halbzeit. Es sieht nicht so aus, als wären wir auf diesem Weg irgendwie vorangekommen.
Wenn man das auf Artengruppen herunterbricht: Ungefähr ein Drittel der Brutvogelarten in Sachsen und ein Viertel der Zugvögel sind in unterschiedlichem Maß stark gefährdet. Ich will es nicht auf alle anderen Arten herunterbrechen, aber es gibt bestimmte Tiere, die einmal Allerweltsarten waren. Ich weiß nicht, wie viele Gasthöfe „Zum Auerhahn“ es gibt.
Es gibt Brauereien, die das etikettieren. Die sind zwar nicht gerade aus Sachsen, aber jeder sieht das und denkt, das ist ein Allerweltstier. In Sachsen sind sie praktisch nicht mehr vorhanden. Wir können uns freuen, dass es in Randgebieten, in der Niederlausitz, ein paar Projekte gibt, wieder welche anzusiedeln. Ähnlich die Birkhühner, auch sie waren einmal weit verbreitet. Oder die Turteltauben: Seit den Achtzigerjahren sind die Bestände um 96 % zurückgegangen. Es ist also kaum noch etwas da. Der Feldhamster, ein Kulturfolger, ist einmal eine Massenart gewesen. Es gibt noch eine kleine Restpopulation um Eilenburg herum, die künstlich am Leben zu erhalten versucht wird.
Man kann das für alle weiteren Arten durchdeklinieren. Das Dramatische ist: Das sind die, bei denen es am augenscheinlichsten ist. Von denen hat man noch ein Bild vor Augen. Aber – das ist absoluter Konsens in der Forschung – wir Menschen sind Teil eines größeren Lebensraumzusammenhangs, zu dem Tier- und Pflanzenarten und Pilze gehören. Das sind unsere Lebensgrundlagen. Das ist ein so komplexes Gefüge, dass es kein Mensch bis ins Letzte hinein absehen kann, welche Folgen einzelne Verluste haben, auch für uns. Wir sägen hier wirklich an dem Ast, auf dem wir sitzen.