Protocol of the Session on April 27, 2015

Gesetz zur Einführung eines Gedenktages zum

Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945

Drucksache 6/1094, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/1341, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Wir können wieder die allgemeine Aussprache nutzen. Es beginnt die Linksfraktion, danach folgen CDU, SPD, AfD, GRÜNE und Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Bitte, Herr Abg. Sodann.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir alle in diesem Hohen Haus sind uns einig darüber, dass der 8. Mai 1945 ein geschichtsträchtiger Tag war und eine befriedende Zäsur in der Geschichte bedeutete. Es war ein langer Weg für die Deutschen, um zu begreifen, dass der Tag der Niederlage ein Tag der Befreiung war. Viele aus dem gesamten Politikspektrum haben dieses auch erkannt und benannt.

So Richard von Weizsäcker, CDU, am 8. Mai 1985 mit den Worten: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“

Gerhard Schröder, SPD, am 8. Mai 2000: „Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist.“

Helmut Kohl, CDU, am 21. April 1985: „Der Tag des Zusammenbruchs der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde für die Deutschen ein Tag der Befreiung.“

Am 7. Mai 2007 erklären Renate Künast und Jürgen Trittin, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gemeinsam: „Der 8. Mai ist nicht nur der Tag der Befreiung, sondern auch ein Tag des Erinnerns“.

Dpa meldete heute, dass nach einer Umfrage des ForsaInstituts und der Körber-Stiftung 89 % der Bevölkerung den 8. Mai für einen Tag der Befreiung hält. Großartig! 70 Jahre, nachdem der Zweite Weltkrieg beendet worden ist, haben wir einen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung sowie den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar.

Meine Frage: Ist es nicht an der Zeit, einen Gedenktag zum Tag der Befreiung zu etablieren und damit auch derjenigen zu gedenken, die uns vom Nationalsozialismus befreit haben? Es geht uns mitnichten darum, einzelne Gedenktage gegeneinander auszuspielen, sie in Konkur

renz zueinander zu setzen. Wir meinen: Die Hölle braucht mehrere Gedenktage!

In absehbarer Zeit wird es niemanden mehr geben, der das Grauen und das Ende dieses Grauens erlebt hat und durch eigenes Berichten und Erzählen die Erinnerung für uns lebendig erhält. Spätestens dann werden die Erinnerungen verblassen, entfallen, verschwinden. Damit wird es möglich, der leider immer noch fruchtbaren Saat wieder Nahrung zu geben.

Erschrocken und entsetzt reagieren wir auf aufkeimende Ressentiments, offene Feindlichkeit und Gewalt verschiedenen Menschengruppen gegenüber. Wenn wir diesen Schrecken ernst nehmen und in verantwortliches Handeln umsetzen, dann müssen wir dem das Erinnern, das Mahnen, das Gedenken entgegensetzen. Der Geist ist schon wieder da. Es ist nicht nur der Schoß, aus dem das kroch. Wir wissen, dass die Früchte des 8. Mai stets gefährdet sind: Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Gleichgültigkeit – alle möglichen Ideologien zur Begründung sozialer Ungerechtigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur.

Wir wissen, die soziale Spaltung der Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Angst vor dem Abstieg Anpassungsdruck und Ausgrenzungsbereitschaft erhöhen. Wir erleben, dass Grundrechte immer weiter eingeschränkt werden. Wir sehen täglich, wie unbarmherzig unsere Gesellschaft Flüchtlingen gegenübertritt. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in Deutschland und in nahezu allen europäischen Ländern verlangt entschiedene Gegenwehr.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Alle alliierten Partner erinnern sich des Tages. Die UNO bittet ausdrücklich darum. Warum sperren wir uns? Besonders wir hätten allen Grund, den 8. Mai und damit das Kriegsende zugleich mit ungeheurer Erleichterung, mit überwältigender Freude und, ja, auch mit Scham zu ehren. Besonders wir haben das nötig, um unserer selbst willen, für die Zukunft als Mahnung und auch als Zeichen an diejenigen, die der Hölle entkommen sind, und an die, die sie und uns davon befreit haben.

Wir verstehen die Einwände und die Bedenken hinsichtlich der Begrifflichkeit in unserem Gesetzentwurf vom deutschen Faschismus zu reden, welche in den behandelnden Ausschüssen seitens der Fraktionen von SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geäußert wurden, und werden dahin gehend auch einen Änderungsantrag einbringen.

Auch haben Sie recht, wenn Sie eine öffentliche Debatte über den Gedenktag vermissen. Auch wir tun dies. Gut, dann lassen Sie uns in diese Debatte einsteigen, aber in eine Debatte der Ehrlichkeit: ohne Ressentiments, ohne Revanchismen und ohne Klitterung. Betrachten wir einfach die geschichtlichen Ereignisse und Fakten, ohne Aufrechnung und Gleichsetzung, denn diese kann es nicht geben: Vergleichbarkeit gibt es nicht für Orte und für Taten, die nicht zu vergleichen sind.

(Beifall bei den LINKEN)

Eines möchte ich an dieser Stelle doch noch betonen: Wenn wir diesen Gesetzentwurf nicht immer wieder einbringen würden, gäbe es die Möglichkeit einer Debatte nicht; denn bisher hat keine andere Fraktion einen solchen Gesetzentwurf eingebracht. Vielleicht sollten Sie ehrlich sein und offen heraus sagen, ohne sich hinter Ausreden zu verstecken, dass Sie solch einen Tag des Gedenkens an den 8. Mai gar nicht wollen.

Auch lasse ich das Argument, viele Menschen wurden befreit, um sich dann gleich wieder in einer neuen Diktatur wiederzufinden, nicht gelten; denn nach dieser Logik müsste doch zumindest in den alten Bundesländern der 8. Mai als Gedenktag schon längst etabliert sein.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich habe in meiner ersten Rede darauf hingewiesen: Den 8. Mai würde es nicht geben ohne den 1. September 1939. Und dann gäbe es auch diesen Gesetzentwurf und diese Debatte nicht. Unsere Vorfahren sind verantwortlich für den Anfang und die Folgen, nicht für das Ende. Wir sind verantwortlich dafür, dass es den Anfang und die Folgen nie wieder geben kann, und dessen müssen wir uns bewusst sein. Deshalb müssen wir uns daran erinnern. Das Vergessen ist die Mutter der Verwahrlosung.

Es ist nun Ihre Aufgabe, sich zu befragen, nach Ihrem Gewissen Ihre Entscheidung zu treffen, und ich bitte Sie noch einmal: Folgen wir Mecklenburg-Vorpommern, folgen wir Ländern wie Frankreich, Tschechien, den Niederlanden, der Slowakei und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.

Erlauben Sie mir, mit einem Zitat von Elie Wiesel zu enden: „Als wir eines Tages von der Arbeit zurückkamen, sahen wir auf dem Appellplatz drei Galgen. Antreten. Ringsum die SS, mit drohenden Maschinenpistolen, die übliche Zeremonie. Drei gefesselte Todeskandidaten. Darunter ein Kind mit fein geschnittenen, schönen Gesichtszügen – der Engel mit den traurigen Augen, wie wir ihn nannten.

Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich. Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen war keine Kleinigkeit. Der Lagerchef verlas das Urteil. Alle Augen waren auf das Kind gerichtet. Es war aschfahl, aber fast ruhig, und biss sich auf die Lippen. Der Schatten des Galgens bedeckte es ganz.

Diesmal weigerte sich der Lagerkapo, als Henker zu dienen. Drei SS-Männer traten an seine Stelle.

Drei Verurteilte stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlinge eingeführt. ‚Es lebe die Freiheit‘, riefen die beiden Erwachsenen.

Das Kind schwieg. ‚Wo ist Gott, wo ist er?‘, fragte jemand hinter mir.

Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um. Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager. ‚Mützen ab!‘, brüllte der Lagerchef. Seine Stimme klang heiser. Wir weinten. ‚Mützen auf!‘

Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Aber der dritte Strick hing nicht reglos, der leichte Knabe lebte noch. Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Wir mussten ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorbeischritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen.

Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: ‚Wo ist Gott?‘ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: ‚Wo er ist? Dort – dort hängt er, am Galgen.‘“

Und davon wurden wir befreit.

Für die CDUFraktion Herr Abg. Fritzsche, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Natürlich wühlt einen dieses Zitat von Elie Wiesel auf; keine Frage.

Elie Wiesel ist Auschwitz-Überlebender, er wurde am 27. Januar 1945 in Auschwitz befreit – das sei gesagt, damit wir dieses Zitat richtig einordnen, wenn wir über den 8. Mai sprechen. Das ist Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes: Wir müssen den 8. Mai bewerten.

Aus meiner Sicht hat Richard von Weizsäcker vieles dazu gesagt und es nahezu erschöpfend behandelt. Aber es ist auch zu empfehlen, diese Rede von Richard von Weizsäcker einmal in Gänze zu lesen und sich nicht immer nur bestimmte Teile herzunehmen und diese hier zu zitieren. Darauf werde ich im späteren Verlauf meiner Rede noch zu sprechen kommen.

Den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur Einführung eines Gedenktages zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945 haben wir sowohl im mitberatenden Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien als auch im federführenden Innenausschuss sehr ausführlich

diskutiert. Dabei ist deutlich geworden, dass nicht nur vonseiten der Koalition, sondern auch vonseiten der Opposition große Vorbehalte, Bedenken und deutliche Kritik gegenüber Inhalt und Form dieser Gesetzesinitiative bestehen.

Aus Sicht der CDU-Fraktion möchte ich auf einige wesentliche Punkte hinweisen. Sehr geehrter Herr Sodann, Sie haben Ihre Rede bereits dazu genutzt, einen Änderungsantrag einzubringen; denn ein nicht unwesentlicher Teil der Debatte hat sich tatsächlich um die verwendeten Begrifflichkeiten gedreht.

Es ist dennoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Begrifflichkeiten zwischen deutschem Faschismus und der darin verborgenen Abgrenzungsproblematik hin zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sowie der damit verbundenen Gefahr, die Singularität des Holocaust aus den Augen zu verlieren und ein gemeinsames Gedenken und Erinnern eher zu erschweren, in verschiedenen Kreisen natürlich noch nicht abschließend diskutiert wurden. Sie versuchen, dem mit einem hier ins Plenum eingebrachten Änderungsantrag entgegenzutreten. Ich denke, das wäre ein Punkt, der noch zu diskutieren ist. Allerdings habe ich das Gefühl, es wäre sinnvoller, auch innerhalb der LINKEN noch einmal über die Frage der verwendeten Begrifflichkeiten zu diskutieren.

Es ist grundsätzlich festzuhalten – und auch da greife ich auf die geführten Debatten zurück –, dass weite Teile Sachsen ihren Tag der Befreiung bereits in den letzten Apriltagen durch die US-Armee erlebten. Für viele dieser Tage gibt es heute im Freistaat eine Vielzahl kleiner, aber nicht minder wichtiger Erinnerungspunkte.

Der 8. Mai 1945 war zweifelsohne ein Tag der Befreiung. Jedoch ist eben auch festzustellen, dass er in der Folge für das Gebiet der ehemaligen DDR nicht den Weg in die demokratische Freiheit markierte, sondern in eine neue Form der Diktatur. Das große Leid, ausgelöst durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, wird durch diese Feststellung in keiner Weise relativiert.

Sie – ich habe bereits darauf hingewiesen – zitieren im Antrag recht ausführlich den verstorbenen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker und seine – ich denke, mit Fug und Recht – als historisch und wegweisend zu bezeichnende Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag.

Ich habe darauf hingewiesen, dass es lohnt, die Rede in Gänze zu lesen. Hier ist dies aus Zeitgründen nicht möglich, doch ein Zitat, auch um den von mir bereits benannten Punkt noch etwas zu untersetzen, möchte ich herausgreifen. Richard von Weizsäcker sagte: „Wir in der späteren Bundesrepublik Deutschland erhielten die kostbare Chance der Freiheit. Vielen Millionen Landsleuten bleibt sie bis heute versagt.“

Als dritten Punkt möchte ich anführen, dass mit der Proklamation am 3. Januar 1996 durch Bundespräsident Roman Herzog der 27. Januar zum nationalen Gedenktag

erklärt wurde. Dieser Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ermöglicht ein breites und gemeinsames Erinnern. Dieser Gedenktag hat sich etabliert, und mit vielfältigen Veranstaltungen in Deutschland und im Freistaat Sachsen erinnert er an alle Opfer dieser beispiellosen Diktatur. Ich denke, auch aus diesem Grund und wegen der bereits geschehenen Etablierung dieses Gedenktages sollten wir auf die Einführung eines weiteren Gedenktages, welcher dazu in Konkurrenz stehen könnte, verzichten.

Doch nun – damit komme ich auch langsam zum Ende meiner Rede – stellt man sich natürlich schon die Frage, was Sie auch mit dem Anstoß dieser Debatte bezwecken, was Ihre Beweggründe sind. Ich möchte mich eines Vehikels bedienen und einmal auf die Bundesebene schauen. Dort hat DIE LINKE einen ähnlichen Gesetzentwurf zum 17.03.2015 eingebracht, welcher bisher jedoch noch nicht behandelt wurde.