Protocol of the Session on June 18, 2014

Doch warum bedarf es eines sächsischen Gedenktages? Wenn man die Begründung des Antrages liest, erfährt man leider nichts darüber – das ist unsere Kritik –, wie Sie, ich zitiere, „als gesamtgesellschaftliche Aufgabe das Schicksal der Heimatvertriebenen und Aussiedler im Bewusstsein halten wollen“.

Ich darf daran erinnern, und ich sage es als Tochter eines Vertriebenen, dass 70 Jahre nach Kriegsende fast nur noch Zeitzeugen aus dieser Zeit leben, die das Kriegsende als Kind erlebt haben.

Ihr Antrag – das ist ein weiterer Kritikpunkt – datiert auf den 4. Juni 2014, er ist also genau zwei Wochen alt. Dabei entsteht leider der Eindruck, dass CDU und FDP mit diesem sensiblen Thema Wahlkampf machen, sich an der DDR abarbeiten möchten und bei Menschen im rechtskonservativen Spektrum und Ewiggestrigen auf Stimmenfang gehen.

(Protest bei der CDU)

Ganz offensichtlich wollen Sie noch vor der Wahl Ihr politisches Profil schärfen – na klar, sonst würden Sie nicht so aufjaulen –, während Ihr Bundesinnenminister Thomas de Maizière gerade das Asylrecht auf Bundesebene verschärfen will. Dafür erhalten Sie von uns keine Unterstützung.

Ich sage für meine Fraktion, dass wir uns erinnern wollen und müssen. Wir müssen die nachfolgende Generation vor einem verantwortlichen Umgang mit der Vergangenheit sensibilisieren. Aber ich frage auch, ob das einfache Festlegen eines sächsischen Gedenktages für Flucht und Vertreibung der angemessene Umgang mit diesem Stück Geschichte ist. Gedenken kann man nicht beschließen, Gedenken muss gelebt werden.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wir können Flucht und Vertreibung nicht losgelöst von historischen Ereignissen betrachten, wir müssen Ursache und Wirkung benennen.

Ich darf daran erinnern, dass wir als LINKE vor genau vier Jahren, 2010, einen Gesetzentwurf in diesen Landtag mit der Forderung eingebracht haben, den 8. Mai als Tag der Befreiung, als Tag des Erinnerns und Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa in Sachsen einzuführen. Unser Vorschlag wurde damals von CDU und FDP abgelehnt, obwohl der 8. Mai in vielen Ländern, unter anderem in Frankreich und der Slowakei, Gedenktag ist.

Zurück zu Sachsen. Es gibt in der Kunst und der Literatur zahlreiche Ansätze, das Thema Vertreibung und Umsiedlung aufzuarbeiten. Wer einmal in Christa Wolfs Erinnerungen gelesen hat, weiß, wie schrecklich die Kriegsgeneration die Flucht erlebt hat. Christa Wolf wurde aus Schlesien vertrieben.

Wer den Roman „Landnahme“ von Christoph Hein kennt, der weiß, dass Flüchtlinge nicht willkommen waren, weder in Ost- noch in Westdeutschland.

Wie kann man nun das Thema Flucht und Vertreibung, geeignet im Sinne eines Gedenkens, verarbeiten? Ich empfehle Ihnen – da unterstützen wir die Rücküberweisung an den Aussschuss –, die politische Bildung für alle Generationen in Sachsen zu stärken. Wir haben die Institutionen dafür. Ich empfehle Ihnen aber vor allem, die internationale Jugendarbeit auszubauen, denn Gedenken muss gelebt werden, und es muss ein Austausch bilateral und multilateral stattfinden. Fördern Sie nicht nur verbal, sondern fördern Sie auch finanziell den bilateralen Austausch mit den Nachbarländern Polen und Tschechien, fördern Sie Jugendbegegnungen und Ferienfahrten! Dort haben wir ein Defizit. Sachsen gibt bundesweit das wenigste Geld dafür aus. Unterstützen Sie die Jugendverbände, unterstützen Sie die Schulen, die Kultureinrichtungen und die Sportvereine darin, einen Austausch mit Osteuropa zu suchen, anstatt wie gegenwärtig die internationale Jugendarbeit als Sparstrumpf zu betrachten!

(Beifall der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Ich komme zum Schluss. Das Thema Krieg, Flucht, Vertreibung ist ernst und angesichts weltweiter Kriege und Flüchtlingsströme ist es hochaktuell und verdient politische Aufmerksamkeit, keine Frage. Ihr Antrag jedoch ist so, wie er formuliert ist, zum gegenwärtigen Zeitpunkt unpassend und dem Thema unangemessen und deshalb wird die Fraktion DIE LINKE ihn ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Für die SPD-Fraktion als nächster Redner Herr Brangs. – Vorher gibt es noch eine Kurzintervention; Herr Gansel.

Ja, sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen, um auf die geschichtsklit

ternden Bemerkungen von Frau Klepsch einzugehen. Hier ist wieder einmal Ursache und Wirkung in einem falschen Zusammenhang dargestellt worden; denn wenn Sie historisch ein bisschen Ahnung und nicht nur Theaterwissenschaft studiert hätten, wäre auch Ihnen bekannt, dass es die Pläne zur Vertreibung der Pommern, der Schlesier und Sudetendeutschen schon lange vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegeben hat und sogar schon lange vor dem 30. Januar 1933.

Vielleicht haben Sie auch schon einmal vom dem Prager Panslawisten-Kongress des Jahres 1848 gehört, als sich slawische Chauvinisten in Prag getroffen und bereits im Jahr 1848 die gewaltsame Westverschiebung der Ostdeutschen gefordert haben.

Ich möchte auch daran erinnern, dass zur Zeit der Weimarer Republik polnische Chauvinisten die Westverschiebung der Deutschen geplant haben und es dort sogar in polnischen Schulen Kartenmaterial gegeben hat, in dem allen Ernstes Berlin dem polnischen Machtbereich zugeordnet wurde.

Ich möchte des Weiteren daran erinnern, dass Eduard Beneš bereits vor Besetzung der Tschechoslowakei im britischen Exil die Pläne zur Vertreibung der Sudetendeutschen schriftlich niedergelegt hat.

Also, betreiben Sie hier keine Geschichtsklitterung. Die Pläne der gewaltsamen Westverschiebung und Vertreibung der historischen Ostdeutschen gab es schon lange, bevor Hitler überhaupt an die Macht gekommen ist. Das erst einmal zur ersten Klarstellung.

Die zweite Klarstellung in aller Kürze. Aus Sicht der NPD ist es eine bodenlose Sauerei, die gewaltsame und blutige Vertreibung von 15 Millionen Deutschen gleichzusetzen mit irgendwelchen globalen Wanderungsbewegungen und Migrationsströmen. Das, was nach 1945 geschehen ist, –

Herr Gansel, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ja, ich komme zum Ende.

war ein nationaler Solidaritätsakt, in dem gewaltsam vertriebene, um ihr Leben fürchtende Deutsche von einem Teil ihres Vaterlandes in den anderen Teil ihres Vaterlandes

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Und das Mittelmeer!)

flüchten mussten, und das hat nichts zu tun – –

Herr Gansel, Ihre Redezeit ist zu Ende.

(Das Mikrofon wird abgestellt – Jürgen Gansel, NPD: … mit der von Ihnen gewollten Aufnahme von fremdländischen Sozialschnorrern. – Beifall bei der NPD)

Frau Klepsch, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Nicht. Nun Herr Brangs für die SPDFraktion; Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es angemessen, dass wir uns mit diesem sensiblen Thema auseinandersetzen. Die Frage ist allerdings, wie wir das tun.

Mein Eindruck ist schon, nachdem ich auch die Zeitung der letzten Tage aufmerksam gelesen habe, dass jetzt – aus welchen Gründen auch immer – das Thema Feier- und Gedenktage bei der Koalition angekommen ist. Das bedauere ich schon ein wenig, weil das eine sehr undifferenzierte Herangehensweise ist bei einem sehr schwierigen Thema.

Ich habe mitbekommen, dass die FDP darüber nachdenkt, den Buß- und Bettag abzuschaffen und dafür den 17. Juni zum Feiertag zu machen. Jetzt haben wir die Auseinandersetzung über die Frage: Wollen wir einen Gedenktag im Sinne der Antragsteller?

Es ist zumindest die Frage erlaubt, ob hier der Versuch unternommen wird, eine bestimmte Wählerklientel – und ein besonders konservatives Milieu – zu bedienen, um sich entweder von der AfD abzugrenzen oder aber schon die ersten Brücken zu bauen, um mit der AfD in Sachsen das eine oder andere möglich zu machen. Das hat auch etwas mit dem Reizwort Heimatvertriebene zu tun.

Dazu hat jeder einen besonderen Zugang; einige meiner Vorredner haben ja schon etwas zu ihrer eigenen Biografie gesagt. Ich selbst könnte jetzt etwas über die Hugenotten darlegen – das will ich nicht tun; Herr Ulbig, das wäre interessant, aber das machen wir zwei vielleicht mal an anderer Stelle und dann erzähle ich Ihnen einmal, wo ich herkomme –; aber eigentlich geht es uns darum: Wir müssen uns überlegen, wie wir mit diesem Thema umgehen.

Ich bin der Auffassung, dass der Bundestag die richtigen Weichen gestellt hat: Der Bundestag hat beschlossen, dass man den 20. Juni um das Gedenken an Vertreibung erweitert, und die Bundesregierung aufgefordert, die UNO zu bitten, dass genau diese Erweiterung um das Thema Vertreibung mit aufgenommen wird für den weltweiten „Tag der Flüchtlinge“.

Dass es in Bayern oder in Hessen jetzt einen anderen Weg gibt, sollte die Antragsteller nicht dazu veranlassen, es genauso machen zu wollen. Man hätte eher auf die Bundesregierung und auf die Gespräche mit der UNO setzen sollen; das wäre dem Thema angemessener gewesen.

Außerdem wäre es richtig gewesen, eine Debatte zu einem solchen Thema vorher in den Ausschüssen zu führen, vielleicht sogar mit Partnern – mit der Landeszentrale für politische Bildung, mit dem Bund der Heimatvertriebenen, mit den Polen, den Tschechen oder der Slowakei –, um es auf breite Füße zu stellen, da es wirklich ein schwieriges Thema ist.

Aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, das Schicksal der Heimatvertriebenen zum Anlass zu nehmen, ausschließlich für diese Gruppe einen Gedenktag einzurichten. Es ist unstrittig, dass der Anteil der Heimatvertriebenen am Aufbau von Sachsen gewürdigt werden muss – und das tun wir auch ausdrücklich. Aber Flucht und Vertreibung – das ist die Wahrheit, ob man sie aus Sicht der Nazis im Parlament hören will oder nicht – ist leider mit der Geschichte der Menschheit eng verbunden.

(Jürgen Gansel, NPD: Haben Sie nicht zugehört? Vertreibungspläne gab es schon vorher!)

Dass die UNHCR von zurzeit 45 Millionen Flüchtlingen auf der Welt ausgeht, gehört leider auch dazu. Deshalb stehen die Heimatvertriebenen exemplarisch dafür – und hier kann ich die Begründung des Antrages nur zitieren –, dass Flucht, Vertreibung und Repressalien gegen nationale, ethische und religiöse Minderheiten vielerorts in der Welt noch politischer Alltag sind. Das ist eine richtige Analyse, und es ist auch richtig, dass wir als Deutsche eine besondere Verantwortung dafür haben und darauf hinweisen müssen; und wir müssen auf das Unrecht hinweisen, das in der Welt geschieht.

Aber die Frage ist, woher wir diese Verantwortung nehmen. Speist sich diese Verantwortung aus dem Schicksal der Heimatvertriebenen oder vielmehr aus den Opfern des Holocaust und der Vernichtung von sechs Millionen Juden und den Folgen der beiden Weltkriege?

Hinzu kommt die leidvolle Erfahrung, die wir mit der Nazizeit gemacht haben. Eine Folge dessen ist zum Beispiel, dass wir in Deutschland das Recht auf Asyl haben.

Deshalb wird die Begründung Ihres Antrages auch so problematisch. Sie sprechen von der „leidvollen Geschichte“. Mich würde interessieren, welche leidvolle Geschichte Sie damit meinen. Meinen Sie ausschließlich die leidvolle Geschichte der Heimatvertriebenen? Wenn ich den Antrag lese, befürchte ich das fast.

Wer immer nur darüber spricht, welches Schicksal Heimatvertriebene erlitten haben und welches Unrecht ihnen widerfahren ist, und das nicht in dem großen Zusammenhang zu dem Unrecht sieht, das ich gerade beschrieben habe – verursacht durch den Zweiten Weltkrieg und die Politik, die Deutschland ab 1933 betrieben hat –, der bringt die geschichtlichen Fakten nicht in den richtigen Kontext zueinander.

Deshalb haben wir mit unserem Änderungsantrag – um den ich hier noch einmal ausdrücklich werbe – versucht, mit zwei Worten genau dieses Thema zusammenzuführen. Mit unserem Änderungsantrag versuchen wir den Fokus des geplanten Gedenktages eben auf alle Menschen zu erweitern – und zwar alle Menschen, die geflohen sind, die vertrieben worden sind und die jetzt hier in Sachsen ihre Heimat gefunden haben. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und jeder dieser Menschen hatte Grund, seine Heimat zu verlassen. Aber auch sie haben großen Anteil am Gelingen unseres Freistaates und tragen

dazu bei, dass wir hier in Sachsen ein lebenswertes Leben haben.

(Jürgen Gansel, NPD: Unsinn!)

Dass Sie das sagen, ist eine Bestätigung dafür, dass Sie mit Ihrer Anschauung nicht in dieses Haus gehören! Sie gehören nicht in dieses Haus!