Protocol of the Session on June 18, 2014

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die miteinreichende FDP-Fraktion spricht Herr Zastrow.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Landtag ja schon einige Male über das Thema Vertreibung, Flucht und Zwangsumsiedlung gesprochen, auch über das neu entstehende Zentrum für Vertreibung in Berlin. Ich bin deshalb sehr glücklich, dass wir heute in Sachsen etwas Konkretes tun können, was Sachsen betrifft und was wir als Sachsen machen können; denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus Sicht des Freistaates Sachsen etwas gutzumachen haben, was in anderen Bundesländern, den westlichen Bundesländern, schon getan worden ist.

Für uns – Frank Hirche hat es angedeutet – beginnt die Beschäftigung mit dem Thema Flucht und Vertreibung leider auch erst mit der Wiedervereinigung. Zuvor ist es kein Thema gewesen und hat man sich in Sachsen darum auch nicht gekümmert.

Deshalb bin ich sehr froh, dass wir heute ein Zeichen an diejenigen senden, die Sachsen sind, aber deren Heimat früher woanders gewesen ist und die von Flucht und Vertreibung betroffen waren, meine Damen und Herren. Es ist ein Zeichen – nicht mehr –, aber es sagt den Betroffenen, dass wir sie sehen, dass wir um sie wissen und dass wir dafür sorgen werden, deren Schicksal nicht zu vergessen.

Gemeinsam mit der finanziellen Unterstützung aus dem Landeshaushalt für die Heimatvertriebenen – wie schon angesprochen worden ist –, deren Aufstockung immer ein besonderes Anliegen der FDP war, ist der neue Gedenktag etwas mehr als ein Zeichen. Er ist nämlich auch ein Versprechen, uns um das Vermächtnis der Heimatvertriebenen und Aussiedler zu kümmern, eine Mahnung, dass so etwas nirgendwo auf der Welt wieder passiert, und eine Mahnung an die Jugend, wachsam zu sein und an das Schicksal der Vertriebenen zu erinnern.

Aber er ist auch ein Versprechen, die Erinnerung an die Geschichte der früheren, alten Heimat der Vertriebenen, an ihre Kultur, ihre Bräuche und ihre Bedeutung für die deutsche Geschichte wachzuhalten, junge Leute hier und dort für diese Geschichte zu interessieren und, solange es noch geht, die Jugend von heute mit der Erlebnisgeneration hier und dort zusammenzubringen.

Aber dieser Gedenktag ist auch ein Dank für die besondere Aufbauleistung, die die Menschen, die nach dem Krieg in Sachsen eine Heimat gefunden haben, für unseren Freistaat, für das neue Sachsen geleistet haben. Ihre eigentliche Heimat in Pommern, Schlesien, West- und Ostpreußen, im Baltikum, im Sudetenland und anderswo in Ost- oder Südosteuropa hatten sie – begleitet von unermesslichem Leid und hohen persönlichen Verlusten – verloren und waren trotzdem bereit, hier in Sachsen den Aufbau des Landes maßgeblich mit zu prägen und zu unterstützen.

Kaum einer weiß – das ist für mich einer der wesentlichen Gründe, warum ich für diesen Antrag und diesen Gedenktag so glühend gekämpft habe, und wenn wir eine Umfrage machen würden, würde es bestätigt werden –, dass insgesamt eine Million Flüchtlinge, Vertriebene nach dem Krieg eine Heimat in Sachsen gefunden haben. vier Millionen Einwohner haben wir. Jeder Vierte hat also Wurzeln, die in dieser Zeit ruhen, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Es ist fast vergessen, weil zu DDR-Zeiten niemand daran erinnert hat und weil, wie Frank Hirche es gesagt hat, damals diese Menschen sehr technokratisch und abschätzend einfach als Neubürger oder Umsiedler bezeichnet wurden. Wenn sie sich als Schlesier bezeichnet hätten, hätten sie sogar mit Bestrafung rechnen müssen. Nicht einmal eine Entschädigung hat es damals seitens der DDR gegeben. Das ist ein großer Unterschied zu dem, was beispielsweise in Westdeutschland passiert ist.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Herr Bandmann, da haben Sie recht. – Insgesamt ist es so, dass wir uns in Deutschland mit diesem Thema viel zu lange schwergetan haben, sicherlich aus nachvollziehbaren Gründen, sicherlich gleichermaßen in Ost und West, aber auch in Polen, Tschechien und anderen Ländern. Vielleicht ist es genau unser Privileg, vielleicht ist es das Privileg der jüngeren Generation, sich heute offener und viel unverkrampfter mit dem Thema Flucht und Vertrei

bung auseinanderzusetzen und an das Leid, das aus Flucht und Vertreibung entstanden ist, zu erinnern, aber auch über die schönen Erinnerungen vieler Vertriebener an ihre alte Heimat zu sprechen – übrigens in allen politischen Lagern, wie auch das berühmte Buch „Im Krebsgang“ von Günter Grass sehr eindrucksvoll zeigt.

Wir haben etwas nachzuholen und viele tun es. Ich selbst habe es auch getan und bin schon sehr oft auf Spurensuche in der alten Heimat meines Vaters, in der Heimat meiner Großeltern gegangen, die in Pommern, Westpreußen und Ostpreußen liegt. Ich finde es sehr spannend zu schauen, was man dort findet und was dort entstanden ist. Man geht dorthin ohne irgendeinen Gedanken an Rache, Vergeltung oder Ähnliches. Man geht als junger Mensch dorthin, weil man sich einfach dafür interessiert und dort Kontakt zu den Schicksalen der Menschen bekommt. Wir alle dürfen nicht vergessen, dass zum Beispiel in der Gegend, aus der meine Vorfahren gekommen sind, heute auch Vertriebene leben, nämlich Menschen, die damals aus heutigen ukrainischen Gebieten vertrieben worden sind und die dieselben Sorgen mit sich tragen, die auch wir haben.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass junge Leute das tun und dieses Interesse entwickelt haben. Ich selbst habe in Breslau und Oppeln mit jungen Polen gesprochen, die unheimlich stark daran interessiert sind und genauso offen und unverkrampft, wie wir es hier sind, auf Spurensuche nach der früheren deutschen Geschichte in Niederschlesien gehen. Sie sagen auch: Wir wollen das pflegen, wir wollen das wiederbeleben, wie es sich heute für das moderne Europa gehört.

Wir leben in einem offenen Europa. Wir kennen heute keine Grenzen mehr, und wir kennen, zumindest die meisten von uns, in Europa auch keinen Revanchismus mehr. Deshalb, denke ich, ist es wichtig, dafür einen modernen Ansatz zu finden. Wir kennen keine Grenzen mehr, aber wir haben Neugier und Interesse.

Dies zu fördern soll auch Aufgabe dieses Gedenktages sein. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn Sie dem Antrag von CDU und FDP heute zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Frau Herrmann, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich möchte das Mittel der Kurzintervention nutzen. Ich frage mich angesichts der Rede von Herrn Zastrow, in der er ausgeführt hat, dass jeder Vierte Wurzeln hat, die in einer vertriebenen Familie liegen, wieso dieses Thema dann heute im Land nicht präsent ist. Ich denke, in den Familien wird darüber gesprochen. Herr Zastrow hat ausgeführt, dass er sich selbst auf Spurensuche begeben

hat und dass er das auch von vielen anderen weiß und vielen Menschen begegnet ist, die ebenfalls auf Spurensuche sind.

Ich frage mich, wenn dem so ist, wieso wir dann dazu einen Gedenktag brauchen. Ich hätte da einen viel besseren Vorschlag, nämlich die länderübergreifenden Freiwilligendienste zu stärken, die genau das können, nämlich das Zusammenkommen von jungen Menschen diesseits und jenseits der Grenze zu ermöglichen. Sich da mit einer Aufstockung hervorzutun, habe ich von der FDP bisher noch nicht gehört.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Herr Zastrow, Sie wollen auf die Kurzintervention antworten?

Die Frage wundert mich ja nun wirklich, denn ich glaube, dass jede Gesellschaft auch die Aufgabe hat, an besondere Ereignisse, besondere geschichtliche Aspekte zu erinnern. Wir gerade hier in Sachsen tun das an ganz vielen Stellen. Wir tun das beim Volkstrauertag, am 27. Januar, wir erinnern an das größte Unglück unseres Landes, nämlich den Zweiten Weltkrieg, die Verbrechen, die damals entstanden sind, an den 13. Februar immer wieder und immerfort, jedes Jahr. Wir erinnern an die friedliche Revolution. Ich selbst könnte mir, wie Sie in der Zeitung gelesen haben, auch vorstellen, wieder etwas stärker an den 17. Juni zu erinnern, der zumindest auch in meiner Biografie eine ganz wesentliche Rolle spielt – in welcher Form man das auch macht.

Hier an dieser einen Stelle, liebe Frau Herrmann, haben wir noch eine Bringschuld, eben weil es zu DDR-Zeiten nur im stillen Kämmerlein besprochen worden ist, weil man sich dazu nicht bekennen konnte und weil auch die Menschen damals nicht entschädigt worden sind. Mein Vater ist schon vor langer Zeit gestorben, aber gehört zu einer Generation, die niemals darüber sprechen konnte, woher sie eigentlich gekommen ist. Daran möchte ich nur erinnern. Diese Schuld einlösen wollen wir mit diesem kleinen Zeichen, diesem kleinen Gedenktag. Es gibt noch 250 000 Direktbetroffene, viele andere haben es auch in ihrer Familie. Ich denke, das ist ein Grund, dass wir es heute auch beschließen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE als nächste Rednerin Frau Klepsch, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenwärtig befinden sich laut UN-Flüchtlingshilfswerk weltweit 45 Millionen Menschen auf der Flucht, Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Krieg oder Naturkatastrophen

verlassen mussten. 15 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge.

Vor genau einem Jahr, am 13. Juni 2013, setzten im Rahmen einer Regierungserklärung zu 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz CDU und FDP im Bundestag durch, dass sich die Bundesregierung bei den Vereinten Nationen für die Erweiterung des Weltflüchtlingstages am 20. Juni um den Punkt Vertreibung einsetzen solle. Jetzt fordern CDU und FDP mit ihrem Antrag einen sächsischen Gedenktag für Heimatvertriebene, um an Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung zu erinnern. Sie folgen damit – das ist schon erwähnt worden – den Entscheidungen der Länder Bayern und Hessen, die ebenfalls eigene Gedenktage für Vertriebene eingeführt haben.

Warum tun sie das? – Weil sich nämlich Horst Seehofer und die CSU nicht mit einem bundesweiten Gedenktag für Vertriebene durchsetzen konnten. CDU und FDP wollen an Heimat und Verlust erinnern, jedoch nicht an die Ursachen dieser Vertreibung und Zwangsumsiedlung. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ist mit uns LINKEN nicht zu machen. Es gibt den geflügelten Satz: „Wer sich nicht erinnert, verliert die Orientierung.“

(Volker Bandmann, CDU: Wir haben ja die Leute nicht nur vertrieben, sondern Sklavenhandel mit ihnen getrieben!)

Vor 75 Jahren wurde von Deutschland der Zweite Weltkrieg entfacht, in dessen Folge – –

Sehr verehrter Herr Bandmann, wenn der Antrag zum Vertriebenengedenktag Sie wiederbelebt hat, freut uns das. Ich wünsche Ihnen viel Gesundheit.

(Lautstarker Protest bei der CDU)

Frau Klepsch, Sie sollten Ihre Wortwahl bedenken. Meine Damen und Herren!

Ich würde gerne ohne Zwischenrufe weiterreden.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie jetzt vielleicht noch eine Abkühlungsphase brauchen, können Sie gewiss sein, dass ich die Sitzung für 15 Minuten unterbreche.

Frau Klepsch, ich freue mich, dass Herr Bandmann heute wieder unter uns sitzt. Wenn Sie das anders sehen, ist das Ihre Privatmeinung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich verzichte an dieser Stelle ausdrücklich auf einen Ordnungsruf, der angebracht wäre.

(Iris Firmenich, CDU: Sie sollten sich schämen! – Weitere Zurufe)

Fahren Sie bitte jetzt in Ihrer Rede fort.

Vor 75 Jahren wurde von Deutschland der Zweite Weltkrieg entfacht, in dessen Folge etwa 15 Millionen Deutsche aus Osteuropa sowie Millionen Polen und Russen vertrieben wurden. Dass die Vertreibung von Millionen von Deutschen aber das Ergebnis eines von Nazi-Deutschland begonnenen Krieges war, darauf hat bereits Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor fast drei Jahrzehnten in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag hingewiesen. Richard von Weizsäcker sagte damals: „Während des Krieges hat das nationalsozialistische System viele Völker gequält und geschändet. Am Ende blieb nur noch ein Volk übrig, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden – das eigene, das deutsche Volk. Die anderen Völker wurden zunächst Opfer eines von Deutschland ausgehenden Krieges, bevor wir selbst zu Opfern unseres eigenen Krieges wurden.“

Doch warum bedarf es eines sächsischen Gedenktages? Wenn man die Begründung des Antrages liest, erfährt man leider nichts darüber – das ist unsere Kritik –, wie Sie, ich zitiere, „als gesamtgesellschaftliche Aufgabe das Schicksal der Heimatvertriebenen und Aussiedler im Bewusstsein halten wollen“.