Protocol of the Session on May 22, 2014

Auch uns ist klar, dass unter den Bedingungen des Wandels nicht alles so bleiben kann, wie es war. Aber als Reaktion einfach alle öffentlichen Leistungen und Angebote entsprechend dem Bevölkerungsrückgang nach und nach zusammenzustreichen, wie es die Strategie der Staatsregierung ist, kann keine adäquate Lösung für die Herausforderung des demografischen Wandels sein. Wir sind der festen Überzeugung: Für die Zukunft Sachsens ist die Entwicklung der ländlichen Regionen von entscheidender Bedeutung.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb bringen wir dieses Thema heute noch einmal auf die Tagesordnung. Wir wollten zunächst wissen, was die Staatsregierung in den letzten fünf Jahren überhaupt auf den Weg gebracht hat. Im Gegensatz zur schwarz-gelben Regierung wollen wir aber nicht über mögliche Lösungen reden, sondern sie auch umsetzen. Wir haben gute Ideen, wie wir den ländlichen Raum, die ländlichen Regionen stärken können.

Der größte Teil unseres Antrags beschäftigt sich mit der Frage, was in den letzten fünf Jahren eigentlich erreicht wurde. An sich eine Steilvorlage für die Regierung, an dieser Stelle ihre angeblichen Erfolge ausführlich darzustellen. Aber es ist wie im Fußball: Wir legen Ihnen den Ball auf den Elfmeterpunkt, und Sie schießen geradewegs am Tor vorbei. Denn die Antworten, die mit der Stellungnahme der Staatsregierung vorliegen, sind ziemlich dürftig. Wo wir konkrete Maßnahmen abfragen, erhalten wir als Antwort: Es wurden Konzepte geschrieben, Leitlinien erarbeitet, Kabinettsvorlagen erstellt. – Ja, vielen Dank.

Was haben denn die Menschen in den ländlichen Regionen davon, wenn die Staatsregierung die Ministerien anweist, Konzepte für die Kabinettssitzung zu schreiben? Noch nicht einmal die einfachsten und offensichtlichsten Dinge werden umgesetzt. Ich gebe Ihnen gern ein Beispiel. Erinnern Sie sich an den § 15a der Geschäftsordnung des Landtags? – Nein? Das dachte ich mir fast, aber ich helfe Ihnen gern weiter. Dort steht: Der Landtag wählt zu Beginn der Wahlperiode für deren Dauer aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Beauftragten für Generationengerechtigkeit und Demografie.“

(Stefan Brangs, SPD: Ja, und? Wo ist er?)

Haben Sie da etwas auf den Weg gebracht? – Offensichtlich nicht.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wie sehr Ihnen das Thema Demografie abseits der Konzeptpapiere und Kabinettsvorlagen wirklich am Herzen

liegt, möchte ich Ihnen gern an einigen weiteren Beispielen zeigen. Wir stellen uns immer wieder die Frage: Warum ziehen denn die Menschen aus den Dörfern weg? – Hauptsächlich, weil dort die Infrastruktur und damit die Lebensqualität immer mehr wegbricht. Diese Entwicklung wird von der Staatsregierung nicht etwa bekämpft, sondern im Gegenteil: auch noch befördert.

Nehmen wir wieder unser Lieblingsbeispiel, den ÖPNV: Die schwarz-gelbe Regierung hat in den letzten Jahren massiv die Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr zusammengestrichen. Dabei kommt das Geld für den ÖPNV fast ausschließlich vom Bund, in diesem Jahr mehr als 500 Millionen Euro allein aus den Regionalisierungsmitteln; wir haben oft darüber gesprochen. Von diesen Mitteln kommen aber nur weniger als 70 % bei den Aufgabenträgern für Bus- und Bahnlinien an. SchwarzGelb hat seit 2010 dem ÖPNV mehr als 130 Millionen Euro gekürzt. Die Folge: Es fahren immer weniger Busse und Züge im ländlichen Raum. In manchen Regionen wird sogar komplett der Schienenverkehr abgehängt.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel, das gar nicht so ländlich ist, und zwar die Stadt Zwenkau. Dort war ich in der vergangenen Woche zu einer Veranstaltung. Da hat man aufgrund der Einrichtung des City-Tunnels und neuer Verkehrsstrecken einfach einmal die Linie 100 gestrichen. Die Leute sind vorher zum Hauptbahnhof nach Leipzig circa 35 Minuten gefahren und brauchen jetzt zweieinhalb Stunden – und es gibt keine Alternative.

Manche Regionen werden sogar komplett abgehängt. Ich denke nur an Mittelsachsen, Döbeln, Nossen und Roßwein. Dort wird bald überhaupt kein Zug mehr fahren. Wir dagegen möchten den ÖPNV ganz klar ausbauen. Wir wollen, dass die Sachsen, die auf den Dörfern wohnen, schnell und unkompliziert mit dem öffentlichen Nahverkehr von A nach B kommen können. Erst wenn es gute Verbindungen zwischen den Ballungszentren und den ländlichen Regionen gibt, ziehen die Menschen auch wieder in die Dörfer.

Zu dem Beispiel der Schulen und der Schülerbeförderung, auch das haben wir hier im Landtag mehrfach behandelt: Immer mehr Schulen wurden in den vergangenen Jahren geschlossen. Das war auch nicht alles zu verhindern, das sage ich nicht. Aber: Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das nicht nur längere Wege, sondern das bedeutet auch mehr Kosten für die Eltern, für die Landkreise, also für die Betroffenen.

Mit der Begründung, dass sich die Zahl der Jugendlichen verringert hat, wurden gerade in den ländlichen Regionen vorhandene Strukturen massiv reduziert und in manchen Kommunen sogar komplett abgebaut. Vor allem die Kürzungen von 2011 haben die Angebote der Jugend- und Sozialarbeit stark betroffen. Ein Teufelskreis wurde in Gang gesetzt. Schulschließungen bedeuten immer längere Schulwege. Das bedeutet immer höhere Kosten für Eltern und Schüler. Die Staatsregierung lobt sich derweil, weil sie 3 Millionen Euro Landesmittel in den Schülerverkehr investiert hat – lächerliche 3 Millionen Euro. Wir dagegen

sind der Meinung, dass der Besuch von Schule, Hort, Ganztagsangeboten und Praktika nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf.

Wir wollen deshalb eine für die Eltern beitragsfreie Schülerbeförderung – auch diese Anträge sind eingebracht. Dafür reichen eben keine 3 Millionen Euro; da muss man mehr Geld in die Hand nehmen. Erst wenn auch auf dem Land wieder Gerechtigkeit herrscht und der Schulbesuch nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ziehen Eltern mit ihren Kindern – vielleicht – wieder auf die Dörfer oder gar nicht erst weg.

Auch die Breitbandversorgung ist ein Programmpunkt, der schon seit mehreren Jahren auf der Tagesordnung steht. Jetzt haben wir Geld dafür im Haushalt eingestellt. Das stimmt, aber ich glaube, dass das Geld gerade an dieser Stelle allein nicht ausreichen wird. Dort braucht die kommunale Ebene massive Unterstützung.

Eine Geschichte will ich aber dennoch erzählen, nämlich die Mär von der Bürgerbeteiligung oder wie die Staatsregierung die Bürgerinnen und Bürger mitreden lässt – oder eben auch nicht. Im Oktober 2012 hat Minister Kupfer auf einer groß angekündigten Pressekonferenz die Leitlinien für die Entwicklung des ländlichen Raums vorgestellt und der versammelten Presse mitgeteilt, dass es nun eine Tour durch ganz Sachsen geben wird, bei der die Menschen mit der Regierung diese Leitlinien diskutieren und ihre eigenen Ideen einbringen können.

(Zuruf von der Staatsregierung: Das hat er gemacht!)

Genau, hat er gemacht. Im Februar 2014 war es dann so weit. Die Staatsregierung hat mit einer großen Veranstaltung in Limbach-Oberfrohna das Ende der Tour durch Sachsen gefeiert – aber nicht mit den Bürgern, sondern hauptsächlich mit Amtsträgern, Landräten, Abgeordneten der CDU.

(Staatsminister Frank Kupfer: 700 Menschen waren wir!)

Wirklich vom demografischen Wandel betroffene Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaates hat man auf dieser Veranstaltung nur wenige gesehen. Aber das ist nur konsequent; denn wirklich mitreden haben sie ohnehin nie gedurft.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt überhaupt nicht!)

Das ist richtig, ich hatte auch keine Einladung.

Rund anderthalb Jahre nach der Vorstellung der Leitlinien für den ländlichen Raum und einer Vielzahl von Bürgerdialogen wurde dort die endgültige Version der Leitlinien vorgestellt. Man muss gar nicht weiter blättern, um zu erfahren, was die Staatsregierung unter Bürgerbeteiligung versteht.

Ich will ja nicht kleinlich sein, aber schauen Sie doch mal bitte auf die Seite 2 dieser Leitlinien. Dort finden Sie nämlich ein Datum, wann diese erarbeitet worden sind, also Endveranstaltung 2014 und Datum im Band:

09.10.2012. Das heißt, es gab keine einzige Änderung der Leitlinien. Hatten die Bürgerinnen und Bürger bei Ihnen überhaupt keine eigenen Ideen? Oder war es vielmehr so, dass die Staatsregierung vielleicht zugehört, aber keine einzige Anregung aufgenommen hat?

Wir haben auch in den letzten anderthalb Jahren mehr als 20 Veranstaltungen in den ländlichen Räumen durchgeführt. Wir haben mit Unterstützung des Umweltforschungszentrums ebenfalls eine Broschüre erarbeitet, und wir haben mit den Bürgerinnen und Bürgern in unseren Dörfern und in den kleinen Städten unsere Ideen vorgestellt und mit ihnen gemeinsam diskutiert. Unsere Broschüre liegt vor. Dort sind die Ideen unserer Bürger aufgenommen.

Ich denke, wir sollten Politik mit den Menschen machen und nicht über die Menschen und über die Köpfe der Menschen hinweg – sondern wir hören zu und lernen gern gemeinsam.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die CDU-Fraktion als nächster Redner Herr Tiefensee; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Ihren Bemerkungen bzw. Ihrem Antrag. Wenn in der Geschäftsordnung steht, dass wir einen weiteren Beauftragten installieren wollen, dann ist es Sache des Landtages und nicht der Regierung, diesen auch einzusetzen. Ich habe mich gerade noch einmal in meiner Fraktion vergewissert: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das jemals auch aus der Mitte der Abgeordneten noch einmal herangetragen worden wäre, und deswegen ist es eben nicht geschehen.

Zu dem Antrag muss zu Beginn hinterfragt werden – dabei beziehe ich mich auf den zweiten Teil –, ob ein weiteres zusätzliches Programm mit den geforderten Schwerpunkten Auswirkungen auf die Gestaltung des demografischen Wandels hat. Wir haben unsere Zweifel, zumal die Punkte – zusätzliche ehrenamtliche Ansprechpartner, Kümmerer in den Ortsteilen zu gewinnen, in denen es keine Ortschaftsräte gibt, um eine angebliche Lücke zu schließen, und ehrenamtliche Sozialkoordinatoren als Informationsdrehscheibe für soziale Aktivitäten und nachbarschaftliches Engagement koordinieren – bereits über die verschiedensten Vereine, die Feuerwehren und die Kirchen vor Ort umgesetzt werden.

Zum Punkt d). Die Kultur- und Kreativwirtschaft fördern, regionale Kulturmanager etablieren – das wird bereits hervorragend über die Möglichkeiten des Kulturraumgesetzes angeboten. Der Punkt c), regelmäßige Einwohnerfragestunden oder Versammlungen sowie neue Formen der Beteiligung einrichten, ist darüber hinaus ausdrücklich in der Gemeindeordnung geregelt. Im § 22 ist festgeschrieben, dass eine Einwohnerversammlung mindestens einmal im Jahr, ansonsten nach Bedarf, durchgeführt werden soll. Die Pflicht zur Einberufung besteht regelmä

ßig, wenn eine im Gesetz bestimmte Minderheit der Einwohner oder Bürger die Einberufung verlangt.

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach der Förderung von Einwohnerversammlungen weder sinnvoll noch notwendig. Aus meiner Gemeinde kann ich berichten – und ich weiß es auch aus anderen Gemeinden –, dass die Teilnahme an den Einwohnerfragestunden meist sehr gering ist, obwohl diese in vielen Gemeinden bei jeder Sitzung des Gemeinderates durchgeführt werden.

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Diejenigen, die immer wieder die Forderung nach mehr Bürgerentscheiden haben, sind dann selbst nicht bereit, einen ganzen Sonntag im Wahl- oder Abstimmlokal zu verbringen; es fällt den Gemeinden meist schwer, genügend Helfer zu finden.

Bei ihren Forderungen bezieht sich die Antragstellerin in ihren Vorstellungen auf die Aussagen des niederösterreichischen Landeshauptmanns Dr. Erwin Pröll, der auf dem Kongress „Ländlicher Raum – Vielfalt leben“, von dem wir eben gesprochen haben, das System der Förderung des ländlichen Raums in seinem Bundesland mit Namen „Soziale Dorferneuerung“ vorgestellt hatte.

Der Freistaat Sachsen geht aber einen anderen Weg. Mit der neuen Förderperiode wird es im Freistaat nur mehr LEADER-Regionen geben, die in einer noch größeren Selbstständigkeit als bisher über die Projekte in ihrem Zuständigkeitsbereich entscheiden werden. LEADER bedeutet, dass die lokalen Aktionsgruppen ihre LEADEREntwicklungsstrategien entsprechend den lokalen Erfordernissen erarbeiten und genehmigen lassen und infolge dessen umsetzen. Die LEADER-Entwicklungsstrategie muss den lokalen Bedürfnissen dienen und mit den staatlichen und regionalen Strategien im Einklang stehen. Dies erfolgt durch Berücksichtigung dieser Strategien in der Analyse des Entwicklungsbedarfes und -potenzials des Gebietes.

Die von der Antragstellerin geforderten Maßnahmen könnten damit in der LEADER-Entwicklungsstrategie enthalten sein, wenn der Bedarf vor Ort gesehen wird. Der Freistaat wird den Regionen jedoch nicht vorschreiben, welche dieser Maßnahmen aufgenommen werden darf und welche nicht.

Dagegen ist ein Markenkern der sächsischen Demografiepolitik das Landesprogramm Demografie. Um die aktive und zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit den Folgen des demografischen Wandels vor Ort zu ermöglichen, hat Sachsen im Jahr 2007 als erstes Bundesland ein landeseigenes Förderprogramm eingeführt. Mittlerweile wurden über 110 Projekte von Kommunen und Vereinen unterstützt. Die aktuelle Broschüre „Dem demografischen Wandel mit Ideen begegnen“ beinhaltet Praxisbeispiele und Modellprojekte aus dem Freistaat.

Einen Leitfaden für die Praxis bildet das von der Staatskanzlei herausgegebene Handbuch „Den demografischen Wandel gestalten“. Es handelt sich sozusagen um einen Werkzeugkasten Demografie. Das Handbuch enthält

Anregungen, Methoden und Instrumente, wie der demografische Wandel aktiv vor Ort gestaltet werden kann.

Ein neuer Beitrag in der aktiven Demografiepolitik ist die Auszeichnung und Förderung von Impulsregionen demografischer Wandel. Hierzu erfolgte 2013 ein Wettbewerb, an dem sächsische Landkreise und Kommunen teilnehmen konnten. Eine unabhängige Jury prämierte mit insgesamt 27 500 Euro vier Regionen bzw. Projekte. Im Rahmen der Förderrichtlinie des SMI zur Regionalentwicklung sollen nun nicht nur Konzepte, sondern auch gezielte Investitionen zur Bewältigung des demografischen Wandels gefördert werden.

Aus all dem geht hervor, dass kein zusätzliches Programm benötigt wird. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP und der Staatsregierung)

Es folgt Herr Stange für die Fraktion DIE LINKE. Bitte, Sie haben das Wort.