Protocol of the Session on May 21, 2014

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

2. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Sicherung wohnortnaher Schulstandorte

und Bildung im ländlichen Raum

(Sächsisches Schulstandortsicherungsgesetz – SächsSchulSichG)

Drucksache 5/12794, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/14349, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Sport

Die Fraktionen haben die Möglichkeit der Aussprache zu dem Gesetzentwurf in der Reihenfolge DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Wir beginnen mit der Aussprache zum Gesetzentwurf. Für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Falken. Bitte, Frau Falken, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schulschließungspolitik der Staatsregierung unter Verantwortung der CDU hat dazu geführt, dass seit dem Schuljahr 1992/1993 1 226 Schulen geschlossen worden sind. Das sind fast genau so viele, wie wir heute noch im Bestand haben.

Am 20. September 2013, unmittelbar vor der Bundestagswahl, überraschten uns die Staatsministerin Frau Kurth und der Staatsminister Herr Kupfer mit der Aussage: Es wird eine Wende zum Erhalt der Schulen im ländlichen Raum geben.

Eine ähnliche Aussage haben wir hier im Hohen Haus schon einmal gehört, nämlich 2007. Damals war es der Kultusminister der CDU, Herr Flath, der hier im Hohen Haus verkündet hat: Das Schulnetz ist stabil. Die demografische Katastrophe im Schulbereich ist überstanden. Die Sicherheit für die verbleibenden Schulen ist gewährleistet.

Danach wurden im Freistaat Sachsen für weitere zehn Grundschulen und elf Mittelschulen Mitwirkungsentzüge ausgesprochen, Klassen aufgelöst und Schulen geschlossen.

Wie sieht es nun mit den Zusagen von Frau Kurth und Herrn Kupfer aus? Kann man ihnen trauen? Oder haben

wir eine ähnliche Katastrophe wie damals bei Herrn Flath?

Ja, nach Anmeldezahlen konnten für das kommende Schuljahr 2014/2015 acht Grundschulen, 50 Mittelschulen und 15 Gymnasien die vorgegebenen Schülerzahlen nach Schulgesetz nicht erreichen.

Das Schulgesetz sieht an den Grundschulen 15 Schüler je Klasse, an den Mittelschulen pro Klassenstufe 40 Schüler und an den Gymnasien 60 Schüler pro Klassenstufe vor. Diese Festlegungen im Gesetz sind eindeutig überholt. Darüber sind wir uns sogar fraktionsübergreifend einig. Trotzdem haben im September weder die Staatsregierung noch die regierungstragenden Fraktionen einen Gesetzentwurf eingereicht, sondern ein Moratorium beschlossen.

Was ist nach diesem Moratorium und nach den Anmeldezahlen im Freistaat Sachsen für das kommende Schuljahr passiert? Hat die Kultusministerin keine Mitwirkungsentzüge ausgesprochen oder hat es vielleicht sogar zum kommenden Schuljahr schon solche Festlegungen gegeben? Ja, ganz klar, zum kommenden Schuljahr wird es eine Schließung einer Mittelschule geben, und an vier Grundschulen werden Klassen über den Mitwirkungsentzug aufgelöst und auf andere Schulen verteilt. Ist das jetzt verlässlich oder nicht?

Über die Schule, die geschlossen wird, will ich nicht weiter sprechen, da wir darüber hier im Parlament sehr lange diskutiert haben. Das ist die Mittelschule in Seifhennersdorf. Die Odyssee dieser Schule hat mit Anmeldezahlen von 38 Schülern begonnen – heute ein wunderschönes Ergebnis. Aber nun steht die Schließung dieser Schule endgültig bevor. Sie haben es geschafft, diese Schule kaputt zu machen. Die Eltern sind dabei, eine

Schule in freier Trägerschaft in Seifhennersdorf einzurichten.

An den Grundschulen – und das ist mindestens genauso schlimm – passiert Ähnliches. An der Grundschule in Oberlosa/Plauen wird die 1. Klasse im kommenden Schuljahr nicht eröffnet. An der Grundschule in Heidelsberg bei Aue wird eine 3. Klasse aufgelöst. An der Grundschule in Weßnig bei Torgau wird eine 3. Klasse aufgelöst. An der Grundschule in Mittelbach bei Chemnitz wird die 1. Klasse nicht eingerichtet. Das sind alles keine Klassen, die zukünftig mit fünf, sechs oder sieben Schülern unterrichtet werden müssten. Das sind alles Klassen, bei denen entweder 12 oder 13 Schüler in der Klasse waren oder als Anmeldezahlen vorliegen. Es sind auch Klassen dabei, bei denen im Schulnetzplan ein Bestand der Grundschule zugesagt war. Trotzdem wird dort die 3. Klasse einfach aufgelöst und auf andere Schulen verteilt.

Der Schulweg für die 1. Klassen wird zum Teil 45 Minuten betragen, während die Schulen bis jetzt im Ort waren. Die Aussage des Kultusministeriums „Wir werden die Taktfrequenzen der Busse verkürzen“ bringt überhaupt nichts, weil die Fahrdauer trotzdem 45 Minuten beträgt oder gegebenenfalls darüber hinausgeht.

Aber – und da nehme ich Sie sehr in die Pflicht – die absolute Dreistigkeit, Frau Staatsministerin – und das müssen Sie sich heute hier anhören –, ist es, die 3. Klasse in der Grundschule Weßnig bei Torgau aufzulösen und diese Kinder auf andere Schulen zu verteilen, weil diese Klasse als pädagogisch schwierig gilt. Das ist nicht nachzuvollziehen.

(Beifall bei den LINKEN)

Was macht man mit schwierigen Schülerinnen und Schülern im Freistaat Sachsen? Man verteilt sie und sperrt sie weg. Ich will es so drastisch ausdrücken.

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Die Staatsregierung nimmt genau diesen Weg, nicht den Weg, der pädagogisch richtig und sinnvoll wäre, nämlich den Schülern den Fahrtweg nicht zuzumuten, sondern sie im Ort zu belassen und einen zweiten Pädagogen in die Klasse zu geben, um eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Nein, sie haben einen längeren Fahrtweg und müssen sich in der neuen Klasse ganz neu eingewöhnen. Außerdem sind die Klassenstärken in den neuen Klassen wesentlich größer, als wenn sie mit den zwölf Schülern in ihrer Klasse bleiben würden. Das geht nicht. Verlässlichkeit gleich null.

(Beifall bei den LINKEN)

Mit den Beispielen, die ich heute dargelegt habe, wollte ich noch einmal ganz klar sagen: Wir brauchen Verlässlichkeit. Wir brauchen Verlässlichkeit für die Schüler, für die Eltern, für die Lehrer und natürlich auch für die Schulträger. Es geht um die Schüler und um nichts ande

res. Ein Gesetzentwurf ist das Einzige, was eine rechtliche Grundlage und Verlässlichkeit bringt.

Zeit ist genügend gewesen. Wir haben heute die 2. Lesung unseres Gesetzentwurfes, der ganz klare und eindeutige Vorschläge bringt. Trotzdem gibt es keinen Gesetzentwurf von den anderen Fraktionen. Sie haben hier heute die Chance, wenn Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, mit einer gesetzlichen Grundlage vor Ort wirklich Verlässlichkeit herzustellen.

Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass an den Grundschulen wenigstens zehn Schüler für die Bildung einer Klasse und für die weiterführenden Schularten wenigstens 15 Schüler pro Klasse benötigt werden. Einzügige Mittelschulen und zweizügige Gymnasien wollen wir im Gesetz festschreiben. Wir wollen auch klassenstufen- und jahrgangsübergreifenden Unterricht im Gesetz wirklich festschreiben. Denn der jahrgangsübergreifende Unterricht, der zurzeit in verschiedenen Schulen und Kommunen diskutiert wird, reicht nicht aus, weil es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt. Wir geben den Bürgerinnen und Bürgern mit einem Gesetz die Sicherheit, die sie zur Not rechtlich einklagen könnten. Stimmen Sie ihm zu, dann haben wir eine Sicherheit geschaffen.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Jetzt spricht für die CDU-Fraktion der Herr Abg. Bienst. Sie haben das Wort, Herr Bienst.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sicherung von guter Bildung im ländlichen Raum – dies gilt nicht nur für den Freistaat Sachsen – ist ein hohes bildungspolitisches Ziel. Wir haben uns seit 1990 zu dieser Zielstellung bekannt, auch unter misslichen demografischen und strukturellen Bedingungen, die es nach der längst überfälligen politischen Wende im östlichen Teil Deutschlands zu meistern galt. Auch heute hören wir wieder das Klagelied der Neuerwachten und Geläuterten, wie sich eine Regierungspartei erlauben könne, Schulen im Land zu schließen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem Schülerrückgang um 50 %, immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch Wegfall von Unternehmungen und Beschäftigungen gerade im ländlichen Raum, einer kompletten Umstrukturierung unserer Wirtschaft und dem Wegzug Tausender Menschen hätte es für keine andere politische Kraft eine andere Entscheidung geben können, so schmerzlich sie sicherlich für jeden einzelnen zu schließenden Schulstandort auch war. Ich brauche an dieser Stelle nicht wieder das alte Lied von der Mittelschule Seifhennersdorf anzustimmen. Wie oft haben wir hier bereits darüber gesprochen, dass der Kreistag diese Schule per Beschluss aufgehoben hat. Daran war keine

Landesregierung schuld. Das hat der Kreistag für seinen Schulnetzplan so beschlossen. Das war 2007.

(Zuruf der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Wir sind diesen Weg gegangen und haben unser Augenmerk sowohl auf die Sicherung einer hohen Bildungsqualität als auch guter Schulabschlüsse sowie auf die Sicherung von Beschäftigung für das Lehrerpersonal durch Teilzeit und Arbeitsplatzgarantie gelegt. Die Ergebnisse haben uns recht gegeben. Gemeinsam mit den Landkreisen und kreisfreien Städte haben wir die Schulnetzplanung unter Beachtung einer guten Qualität und des gesellschaftlich und haushälterisch Leistbaren umgesetzt, bei aller Kritik.

Nun stehen wir aber auch mit Blick auf die Sicherung der Entwicklung unserer Regionen außerhalb der Ballungszentren vor einer neuen und notwendigen Entwicklung, ja, vor einer Herausforderung. Unsere Wirtschaft hat sich hervorragend entwickelt. Neue Jobs sind entstanden und entstehen in den kommenden Jahren wieder verstärkt in den ländlichen Regionen. Dieser Entwicklung wollen wir natürlich auch hinsichtlich unserer Bildungsinfrastruktur und eines breiten Angebots an Bildungsgängen im ländlichen Raum folgen. Vor diesem Hintergrund haben sich – Frau Falken hat es bereits erwähnt – unsere Fachminister, Frau Staatsministerin Kurth und Herr Staatsminister Kupfer, im September des vergangenen Jahres, getragen durch umfangreiche und intensive politische Diskussionen in unserer Fraktion, auf den Weg gemacht und ein Konzept zur Sicherung von Schulen im ländlichen Raum erarbeitet und der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.

Die fachlichen Diskussionen über die vorgeschlagenen Punkte – ich betone: die fachlichen Diskussionen – waren ohne Ausnahme positiv. Die kommunale Ebene, Lehrerverbände, Gewerkschaften, aber auch Eltern- und Schülervertreter haben das Vorgestellte begrüßt.

Ich darf an dieser Stelle an die entsprechenden Konzeptbestandteile erinnern.

Erstens ging es um die Umsetzung des bereits im bestehenden Schulgesetz vorgesehenen jahrgangsübergreifenden Unterrichts im Grundschulbereich – denn nur da ist es pädagogisch sinnvoll – für die Klassenstufen 1 und 2 sowie für die Klassenstufen 3 und 4. Der hierfür notwendige Leitfaden wurde unlängst durch Frau Kultusministerin Kurth vorgelegt und befindet sich in der fachlichen Umsetzung.

Zweitens, stärkere Kooperation von Kommunen bei der Bildung von Schulbezirken, um Mindestschülerzahlen zu sichern und auf freiwilliger Basis Grundschulstandorte zu erhalten.

Drittens, Schaffung der rechtlichen Möglichkeiten, ausnahmsweise einzügige Oberschulen im ländlichen Raum, vorzugsweise aber die Organisation von Schulverbünden zwischen Oberschulen zur Standortsicherung einzurichten, die sogenannten Tandemschulen.

Viertens, Ausweitung des Schulschließungsmoratoriums, um bis zur Inkraftsetzung eines neuen Schulgesetzes die bestehenden Standorte zu sichern.

Meine Damen und Herren! Alle diese Maßnahmen werden dazu beitragen, gute Schulen in einem gegliederten Schulsystem mit hohem Leistungsanspruch und guten Bildungsabschlüssen zu sichern. Die Umsetzung der Maßnahmen erfordert aber in einigen Bereichen die Novellierung unseres bestehenden Schulgesetzes. Ich sprach es bereits an.

Sicherlich werden wir bei einer Schulgesetznovelle auch weitere Themen bedenken und analysieren, sei es der integrative Unterricht, die Umsetzung der UN

Behindertenkonvention, die Frage der Definition unser verfassungsmäßig garantierten Lernmittelfreiheit, die inhaltliche Fortentwicklung unserer Mittelschule zur Oberschule und sicherlich auch noch einige andere Themen mehr. Dieser Verantwortung, ja, diesem Anspruch werden wir uns in der nächsten Legislaturperiode stellen.