Protocol of the Session on March 12, 2014

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine allgemeine Feststellung: Noch niemals zuvor in der Geschichte der deutschen Sprache wurde der Begriff „Kultur“ so sehr überdehnt und so viel Schindluder mit ihm getrieben wie heutzutage. In diesem unsäglichen inhaltsleeren „Neusprech“ wird in dem vorliegenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Kultur des Scheiterns, eine Kultur des Verschweigens oder eine Kultur des Wegschauens beklagt. Tatsächlich beteiligen sich die Antragsteller selbst an einer Unkultur der Denunziation, der Vorverurteilung und der parteilichen Einseitigkeit, die auch aus diesem Antrag herauszulesen ist.

(Beifall bei der NPD)

Was fordern Sie nun inhaltlich in diesem Antrag? Nicht mehr und nicht weniger, als über die Überprüfung sämtlicher in Sachsen aktenkundiger schwerer Straftaten im Hinblick darauf, ob diesen Taten eine gewisse politische Gesinnung zugrunde liegt, zu berichten. Sie räumen sogar freimütig ein, dass eine solche auf äußerst vagen Verdachtsmomenten basierende Nachuntersuchung auch aller aufgeklärten Straftaten von 1991 bis heute eine erhebliche Zahl von Polizeibeamten für einen längeren Zeitraum binden könnte und diese damit von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten würde, aktuelle und noch nicht gelöste Fälle aufzuklären.

Sie unterstellen gleich zu Beginn Ihrer Begründung, dass es seit Jahren in Sachsen, eigentlich wohl aber in ganz Deutschland, eine – ich zitiere – „sicherheitsbehördliche Kultur des Wegschauens“ gab. Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Gerade in Sachsen war man schon seit den frühen Neunzigerjahren bemüht, sogenannten rechtsextremen Straftaten eine weitaus größere Bedeutung beizumessen als anderen Delikten, die vom Delikt her gleich schwere Straftaten darstellten – übrigens sehr früh auch mit dem verleumderischen Ziel, den politischen Gegner in Zusammenhang mit Straftaten zu bringen, mit denen die nationale Opposition nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte und hat.

Auslöser dieser ganzen verleumderischen Kampagne, die wir auch hier jetzt wieder sehen, die mit der vorweggenommenen Behauptung agiert, dass es noch viel mehr Opfer sogenannter rechtsextremer Gewalt gebe, ist der sogenannte NSU-Komplex.

Die Hintergründe der Morde und die mutmaßliche Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind bis heute gerichtlich nicht geklärt, aber in der Propaganda der Altparteien und der Medien tut man so, als wären die

Abläufe und die Täterschaft schon längst bewiesen. Es gibt eine Reihe von Indizien, die darauf hindeuten, dass die beiden möglicherweise gar nicht die Täter waren und dass inländische oder auch ausländische Geheimdienste hier nicht weggeschaut haben,

(Starke Unruhe im Saal)

sondern ganz im Gegenteil viel mehr wussten, als offiziell zugegeben wird, und ganz maßgeblich Regie geführt haben.

Warum haben zum Beispiel die Antragsteller selbst nicht diese Möglichkeit in den zahlreichen Untersuchungsausschüssen des Bundestages und mehrerer Landtage in Betracht gezogen und untersucht? Ist die Formel vom Behördenversagen, auf die man sich in den Verlautbarungen der Untersuchungsausschüsse geeinigt hat, nicht vielleicht ein Deckmantel, mit dem das heimliche Treiben der Geheimdienste ausgeblendet werden soll, damit man wahrheitswidrig die angeblich rechte Gefahr beschwören kann? Betreiben vielleicht die Antragsteller selbst hier eine Unkultur des Wegschauens und des Nichtwissenwollens?

Die Behauptung, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten entweder fahrlässig oder vielleicht sogar mit einer gewissen Absicht die Augen vor einem rechtsextremen Hintergrund verschlossen, ist einfach unsinnig. Es waren keine Vorurteile, sondern ermittlungstechnische Erfahrungswerte, die die Polizei in den westlichen Bundesländern mutmaßen ließ, dass die zehn Morde an Türken und Griechen sich eher im ausländischen Milieu von Mafia, Rache und Drogenkriegsdelikten abspielen könnten, als von irrational operierenden deutschen Zufallstätern.

Meine Damen und Herren von den linken Fraktionen, wenn Ihnen wirklich an Aufklärung von Verbrechen und an gerechter Bestrafung der Täter gelegen wäre, wären Sie nicht so krampfhaft bemüht, sogenannte rechte Straftaten durch einen juristischen Kunstgriff wie der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit als besonders

verwerflich erscheinen zu lassen. Ich kann Ihnen versichern, dass Gewalttaten, begangen an Menschen mit linksextremistischer Tatmotivation, an Mitgliedern oder Aktivisten nationaler Parteien gemäß Ihrer Logik ebenfalls eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

darstellen. Denn auch diese Gruppe ist fest umrissen. Auch hierbei handelt es sich um einen, wenn Sie so wollen, reziproken Rassismus, einen irrationalen, gegen das eigene Volk und sich selbst gerichteten Rassismus.

Gruppenbezogene und rassistische Menschenfeindlichkeit praktizieren auch ausländische Täter, wenn sie schwere Straftaten wie Raub, Körperverletzung, Vergewaltigung oder sogar Totschlag und Mord an Deutschen begehen. Lassen Sie diese Morde nach dem Kriterium der Deutschfeindlichkeit untersuchen? Wenn Sie, um das krasse Missverhältnis zwischen rechten, linken und ausländischen Straftätern unkenntlich zu machen, nicht die Nennung ausländischer oder eigens ausgewiesener linker Straftäter aus den Statistiken weitestgehend streichen,

würden Sie nachweisen können, dass den zehn erbärmlichen Morden des NSU – wenn diese denn überhaupt die Täter waren – Tausende von Totschlags- und Morddelikten gegenüberstehen, die Ausländer an Deutschen begangen haben.

(Beifall bei der NPD)

Diese Straftaten, meine Damen und Herren Linke, hält die Mehrzahl der mental noch intakten Deutschen für genauso verwerflich wie die von Ihnen gern allein ins Feld geführten Straftaten.

Wir Nationaldemokraten werden diesen Antrag ablehnen, allein schon, weil wir der Auffassung sind, dass Mord Mord ist und bleibt. Oder sind Sie, meine Damen und Herren Antragsteller, der Meinung, dass der Mord an einem Deutschen weniger schwer wiegt als die Ermordung eines Ausländers? Wenn schon Statistiken erhoben werden sollen, in denen die politische Motivation von Straftaten erfasst werden soll, dann bitte auch die viel zahlreicheren schweren Straftaten von linken und ausländischen Kriminellen. Nur so können sich die Bürger ein Bild davon machen, welche Form von Kriminalität am bedrohlichsten für sie selbst und für unser Staatswesen ist. Nur so bewahren wir uns eine neutrale und unabhängige Polizei und Justiz.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine weitere Runde aus den Reihen der Fraktionen? – Das sehe ich nicht. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Dr. Martens, bitte sehr, Sie haben jetzt Gelegenheit dazu, das Wort zu ergreifen.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den abwesenden Kollegen Ulbig darf ich zu dem vorliegenden Antrag der GRÜNEN seitens der Staatsregierung hier Stellung nehmen. Zunächst: In der Tat, es war schon erstaunlich, was mein Vorredner hier an paranoider Verschwörungsangst offenbart hat, die die extrem Rechten immer noch umtreibt. Wenn das Wort „NSU“ fällt, dann bemüht man sich, hier gleich darzustellen, dass nach eigener Auffassung dieser NSU nichts weiter ist als ein Konstrukt oder eine Verschwörung von Geheimdiensten. Dieser NSU hat es Ihnen angetan. Der macht Ihnen echt Angst. Das merkt man. Man kann sich jetzt nur fragen, warum. Vielleicht sind Sie dort doch zu nah dran.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Ansonsten: Warum haben Sie Angst vor einer Neubewertung von Straftaten in den vergangenen Jahren?

(Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Die NPD bemüht sich doch immer zu versichern, sie hätte nichts mit rechter Gewalt zu tun. Dann müssten Sie eigentlich auch keine Angst davor haben, dass ungeklärte Straftaten noch einmal untersucht werden.

Zu dem Thema des Antrags der GRÜNEN zunächst eines vorweg, Herr Jennerjahn: Es gibt im Hinblick auf schwere Straftaten, auf Totschlag, auf Mord, auf versuchte Tötungsdelikte in Sachsen keine Kultur des Wegschauens. Die hat es auch nie gegeben. Lassen Sie mich sowohl für die Polizei wie auch für die Justiz klarstellen: Gegen den Vorwurf, es gebe oder gab jemals in Sachsen bei solch schweren Straftaten eine Kultur des Wegschauens, verwahre ich mich.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Dieser Antrag, meine Damen und Herren, legt nahe, dass Ihnen noch nicht ganz klar ist, wie die Aufarbeitung der sogenannten Altfälle vonstatten geht. Zunächst: Es handelt sich dabei selbstverständlich nicht um einen sächsischen Alleingang. Im Gegenteil. Das Vorgehen ist zwischen BKA und den Landeskriminalämtern abgesprochen. Das Ganze wird zentral koordiniert von einer BundLänder-Arbeitsgruppe „Fallanalyse“, und das ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie wir in Sachsen damit vorankommen, dokumentiert eine ganze Reihe parlamentarischer Anfragen in den letzten Wochen. Frau Köditz hat sie hier zitiert und auch die Antworten. Die Staatsregierung hat in ihren Antworten ausführlich über die Verfahren, Kriterien und Zwischenergebnisse berichtet.

Ich möchte die Gelegenheit noch einmal nutzen und das Verfahren grundsätzlich darstellen. Die Überprüfung der unaufgeklärten Altfälle erfolgt im Rahmen eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus

(GAR). An diesem Vorhaben beteiligen sich neben dem Bundeskriminalamt alle 16 Länderpolizeien. In einer ersten Phase werden aktuell alle unaufgeklärten Tötungsdelikte zwischen 1990 und 2011 auf rechtsextremistische Bezüge überprüft. Ziel dieser Überprüfung ist es, im Kontext zu anderen Taten oder im Rahmen neuer Ermittlungsansätze weitere Hinweise zu den Sachverhalten zu erlangen. In die Überprüfung eingeflossen ist darüber hinaus auch die von der Presse veröffentlichte Liste „137 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990“.

Nach diesen Vorgaben wurden in Sachsen zunächst 190 Fälle recherchiert. Daran schloss sich dann eine händische Untersuchung eines jeden Einzelfalls an. Diese basiert auf einem zwischen Bund und Ländern abgestimmten erweiterten Indikatorenkatalog mit opfer- bzw. objektbezogenen Kriterien. Danach standen solche Straftaten im Blickpunkt, bei denen in Würdigung der Tatumstände Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Taten gegen eine Person gerichtet sind wegen beispielsweise ihrer Herkunft, ihrer politischen Einstellung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes.

Neben diesen sogenannten harten Kriterien wurden auch weiche Kriterien berücksichtigt, wie zum Beispiel die Tatörtlichkeit selbst, etwa deren Nähe zu einer jüdischen Einrichtung oder eine vorliegende raumzeitliche Nähe zu bestimmten Veranstaltungen etwa der linken oder der rechten Szene.

Im Ergebnis gab es bei zwei der genannten 190 Fälle Übereinstimmungen. Diese sind daraufhin an das Bundeskriminalamt zur weiteren Untersuchung übermittelt worden. Die kriminalistisch-analytische Aufbereitung und Einzelfallbetrachtung dauert an und wird voraussichtlich erst im Laufe dieses Jahres abgeschlossen. Erst dann können belastbare Aussagen dazu getroffen werden, ob Taten aus dieser ersten Deliktgruppe tatsächlich auch neu bewertet werden müssen.

Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Die sogenannten Altfälle untersuchen wir gründlich, transparent und in enger Abstimmung mit dem Bund und den Ländern. In der Realität ist also das Gegenteil des Titels des Antrages der Fall. Wir haben nicht eine Kultur des Wegschauens, sondern hier eine Kultur des genauen Hinschauens.

Meine Damen und Herren! Gewissenhaft, abgestimmt und transparent – das sollen auch im weiteren Verfahren die Maßstäbe sein. Bislang ist zwischen Bund und Ländern noch nicht entschieden, ob die Auswertung von Altfällen ausgeweitet wird, denn wir müssen einen Schritt nach dem anderen tun. Zunächst muss die bisherige Fallanalyse evaluiert werden. Erst danach wird die Innenministerkonferenz darüber entscheiden, ob weitere Delikts- oder Fallgruppen überprüft werden sollen. Fest steht aber schon jetzt: Einen sächsischen Alleingang wird es dabei auch in Zukunft nicht geben.

In meiner Eigenschaft als Justizminister lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Die von Ihnen geforderte Überprüfung dieser Vielzahl im Antrag genannten Straftaten zu Waffendelikten und anderen ist bei vernünftiger Einschätzung mit den vorhandenen Kapazitäten überhaupt nicht zu leisten. Sie würde auch zu keinem brauchbaren Ergebnis außer statistischen Erkenntnissen führen, denn ein Großteil dieser Taten aus den frühen Neunzigerjahren wäre inzwischen strafrechtlich längst verjährt. Da wären wir dann bei dem Punkt, den auch Kollege Biesok hier angesprochen hat: Sie würden nur noch Statistik beschreiben, ohne daraus tatsächlich Nutzen ziehen zu können. Und nach dem Gesagten wird es Sie nicht verwundern, dass die Staatsregierung empfiehlt, diesem Antrag nicht zu folgen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Das Schlusswort hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Abg. Jennerjahn, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Kolleginnen von der LINKEN, von der SPD und, ja, auch

Herrn Biesok für die konstruktive und sachliche Auseinandersetzung mit dem Antrag danken. Dass einige konstruktive Kritikpunkte gefallen sind und auch die eine oder andere polemische Spitze, Herr Biesok, kann ich Ihnen nachsehen. Das gehört zur parlamentarischen Auseinandersetzung.

Herr Schiemann, bei Ihnen muss ich sagen, dass ich ein Stück weit enttäuscht war. Sie haben eine sehr vorhersehbare und sehr formalistische Argumentation an den Tag gelegt. Das war wieder der Pauschalvorwurf, wir würden einfach alles über einen Kamm scheren und Polizei sowie Justiz pauschal verurteilen. Das ist ein Totschlagargument und zeigt nur, dass Sie sich mit dem Antrag inhaltlich nicht auseinandersetzen wollen.

Dass es in der Vergangenheit in dem Bereich erhebliche Defizite gegeben hat, ist, glaube ich, offenkundig. Man kann sich einfach nicht im März 2014 hinstellen und so tun, also habe es 24 Jahre lang nur heile Welt bei dem Thema in Sachsen gegeben. Das ist wirklich realitätsfremd.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE)

Ich hätte mir wirklich mehr Souveränität von Ihnen im Umgang mit diesem Antrag gewünscht.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Debatte zu diesem Thema auch im Landtag von Sachsen-Anhalt stattgefunden hat. Ihre Kollegen von der CDU dort waren zumindest zu einer fundierten Plenarbefassung fähig und auch dazu in der Lage, den Antrag noch einmal zur weiteren inhaltlichen Befassung an den zuständigen Ausschuss zu überweisen.

Noch einmal zu den anderen Argumenten. Frau Köditz, Sie haben gesagt, dass die Staatsregierung bereits berichtet hat. Ja, das ist richtig. Ich möchte unterstreichen, dass das Erhebungsraster nicht erst durch die Kleinen Anfragen von Ihnen bekannt ist. Das stand auch schon in der Antwort der Bundesregierung. Das ist auch nicht der Punkt, auf den wir abstellen. Der Punkt ist die Frage: Wie wird dieses Erhebungsraster im konkreten Einzelfall auf die 190 Fälle angewendet?

(Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE)

Ich gebe Ihnen durchaus recht, wir hätten es klarer formulieren müssen. Das bin ich gern bereit zuzugestehen. Aber das ist, glaube ich, der Kern, auf den wir hinarbeiten müssen, damit auch das überprüfbar ist und aufgearbeitet werden kann.

Herr Biesok, man sollte die zwei gemeldeten Fälle nicht vorschnell schon als rechtsextreme Straftat einsortieren.