Niedriglohnland? Die Behauptung ist ja noch viel schlimmer. Wenn Sie das ständig publizieren, dann sind Sie auch dafür verantwortlich, dass Sachsen sich in diesem Wettbewerb schlecht darstellt. Ich meine nicht, dass wir Niedriglohnland sind. Der Mindestlohn von 12,30 Euro in der Chemieindustrie dürfte durchaus ein angemessener Lohn sein.
Beide Forderungen in Ihrem Antrag sind daher abzulehnen. Die Frage der Tariftreueregelung wurde bereits im Rahmen der Beratung über den Gesetzentwurf der Opposition intensiv erörtert; das Ansinnen wurde verworfen. Das sächsische Vergaberecht beschränkt sich auf die vergaberelevanten Regelungen und ist im Sinne von wirtschaftlichen Vergabeverfahren konzipiert.
Nein, es ist mit seinen elf Paragrafen das modernste! Das haben uns gerade in der vergangenen Woche wieder viele Vertreter – Ronald Pohle ist derjenige, der das auch im Namen unserer Fraktion gemacht hat – von Wirtschaftsverbänden, von staatlicher und von kommunaler Seite bestätigt. Mit elf Paragrafen haben wir nicht nur das schlankeste, sondern auch das beste Vergabegesetz aller 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben alle vergabefremden Kriterien weggeräumt; denn diese gehören nicht in ein Vergabegesetz hinein.
Die Frage der Tariftreue ist nicht mit den Förderkriterien zu verbinden – im Gegensatz zu dem, was in Ihrem Antrag niedergeschrieben ist. Sie diskriminieren Unternehmen, welche eigene Regelungen nutzen, um die Mitarbeiter gerecht und leistungsorientiert zu entlohnen. Die von Ihnen beabsichtigte Regelung muss daher von unserer Seite abgelehnt werden.
Lassen Sie mich am Ende meines Redebeitrags noch einmal lyrisch werden. Das Lied von der Loreley endet mit dem Text: „Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn. Und das hat mit ihrem Singen die Loreley getan.“
Meine Damen und Herren von der SPD, mit Ihren staatlichen Eingriffen in die Tarifautonomie haben Sie ein Singen begonnen, das Sie immer wieder in diesem Hohen Haus vorführen. Am Ende kämen der Kahn der Unternehmer und ihre Schiffer, die Arbeitnehmer, gänzlich zum Sinken. Lassen wir Sie als Loreley weitersingen! Schauen wir nicht hinauf! Der Kahn wird weiterziehen; er wird nicht sinken.
(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens – Michael Weichert, GRÜNE: Schiff ahoi!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgendwie muss ich im Vorfeld dieser heutigen Debatte einen etwas komischen Tagtraum gehabt haben. Denn ob Sie es glauben oder nicht – ich hatte doch tatsächlich nicht ausgeschlossen, dass wenigstens Teile der sächsischen Union sich positiv zu dem Antrag der Sozialdemokraten verhalten könnten.
Ich will begründen, warum ich mir das von Teilen der sächsischen Union hätte vorstellen können. Schauen wir uns die politische Lage um den Freistaat herum an, dann sehen wir doch, dass in fast allen neuen Bundesländern und in Berlin – eben nur in Sachsen nicht – genau das
Haseloff, wohl auch CDU, sagte ganz klar und öffentlich: Wer dem Fachkräftemangel entkommen will, muss die Flächentarifverträge wollen und anwenden. – Frau Lieberknecht aus Thüringen macht in der politischen Praxis nichts anderes.
In der Stellungnahme des SMWA zum Antrag heißt es ganz scheinheilig: „Die Tarifautonomie ist ein wesentlicher Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft.“ Um dann fortzufahren: „Die Frage der Lohnfindung ist … Angelegenheit der Akteure am Arbeitsmarkt. Dies ist seit vielen Jahren geübte Praxis der sächsischen Wirtschaftspolitik.“
Mit gefälligen Worten wird hier die Tarifautonomie, aber vor allem auf die negative Koalitionsfreiheit der Unternehmen und deren Wirkung reduziert. Mit diesem Verständnis haben VSW und VSME seit Mitte der 1990erJahre die Unterhöhlung der Gestaltungsfunktion der Tarifverträge in Sachsen vorangetrieben. Durch die Aufforderung zur Flucht aus den Arbeitgeberverbänden sollte und soll die sozialstaatliche Funktion der Tarifautonomie unerfüllbar gemacht werden, nach dem Motto: Wo kein tarifgebundener Arbeitgeber, dort keine Wirkung der Ergebnisse der Tarifautonomie. Belohnt wurden sie von Herrn Tillich mit der Übergabe des SMWA an Herrn Morlok und Herrn Fiedler im Herbst 2009. Beide waren schon vorher als marktradikale Fundamentalisten in Sachsen bekannt gewesen.
Das SMWA fährt in der Kommentierung des Antrags ganz in diesem Geiste fort: „Die Kriterien der Lohngestaltung sind bei der sachkapitalbezogenen GRW-Förderung sachfremde Erwägungen.“ So die Feststellung.
Aber, meine Damen und Herren, ist das wirklich so? Die wesentliche Grundlage für die Finanzierung der GRWFörderung ist Artikel 106 des Grundgesetzes mit den Bestimmungen über die Finanzverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern. In Abs. 3 ist dort nach wie vor festgehalten, dass die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen sind, dass unter anderem die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.
Genau aus diesem Ziel ergibt sich die Aufgabe für die GRW-Förderung. Damit geht Artikel 106 des Grundgesetzes noch immer über Artikel 72 Abs. 2 hinaus, mit dem das Grundgesetz den Bund auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verpflichtet.
Beide Normen sind aber ganz bewusste und starke Flankierungen von Artikel 20 mit dem Sozialstaatsprinzip als Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Prinzip ist von allen staatlichen Teilgewalten – auch diejenigen, die jetzt uninteressiert weggucken, sollten dies zumindest verstehen – zu beachten und zu verwirklichen.
Natürlich behaupte ich nicht, dass wir alle hier immer und stets vom Grundgesetz darauf verpflichtet sind, die soziale Gleichheit aller, und das auch noch unmittelbar, herzustellen. Aber das Erfordernis des sozialen Ausgleichs, meine Damen und Herren, bedeutet negativ ein Verbot des Staates zur sozialen Polarisierung. Doch diese soziale Polarisierung findet statt, und sie hat in Sachsen eine gewaltige Dimension.
Ich will an dieser Stelle nur eine Information weitergeben: Wenn, wie auch in den Dokumenten zur EnqueteKommission „Innovation“, die ich in den letzten Tagen nachgelesen habe, ausgeführt ist, in der Industrie das Verdienstniveau in Sachsen bei 72 % liegt und ich davon ausgehe, wie nach meiner Information die Verdienstsituation in den tarifgebundenen Bereichen ist, dann ist die Tatsache zu verzeichnen, dass jenseits der Bereiche, die an den Flächentarifvertrag gebunden sind, weniger als 60 % des Industrieverdienstes der alten Bundesländer realisiert werden. Das ist die Realität, und das ist soziale Polarisierung. Sie hat eine gewaltige Dimension.
In der Debatte im Dezember über die Bilanz der Regierung antwortete ein Sprecher der Union auf die Feststellung meines Fraktionsvorsitzenden, dass in Sachsen inzwischen die niedrigsten Industrielöhne in Deutschland gezahlt werden, sinngemäß mit der Feststellung, die Koalition habe eine tolle Bilanz. In Sachsen hätten die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes doch die höchste Eigenkapitalquote und den geringsten Verschuldungsgrad.
„Toll“, sage ich dazu. Das sind genau die beiden Seiten der Medaille der Verteilung: Ausbeutung und Dumpinglöhne hier, optimale Profitmaximierung auf der anderen Seite. Allein das müsste in diesem Haus Anlass sein, diese soziale Polarisierung zu stoppen, sich wenigstens in seiner Mehrheit Gedanken über diese Frage zu machen.
Da diese offenkundige Polarisierung aber auch dadurch beeinflusst ist, dass in den zurückliegenden 23 Jahren enorme öffentliche Mittel in die Finanzierung des privaten Kapitalstocks geflossen sind, müsste es Pflicht sein, die Aufträge aus den Artikeln 20, 72 und 106 des Grundgesetzes umzusetzen, also diesem Antrag der Sozialdemokraten als einen ersten Schritt anzunehmen. Die anderen ostdeutschen Bundesländer haben damit wenigstens inzwischen angefangen.
Im 24. Jahr nach der Herstellung der staatlichen Einheit steht die soziale Einheit Deutschlands noch immer in weiter Ferne. Seit Ende der 1990er-Jahre stagniert der sozialökonomische Angleichungsprozess im Wesentlichen. In jüngster Zeit ergeben sich eher Tendenzen, dass die West-Ost-Schere wieder weiter aufgeht.
Für Sachsen fällt der Übergang in die Angleichungsstagnation zeitgleich zusammen mit dem Weggang von Prof. Biedenkopf. War Sachsen in seiner Verantwortung durchaus Motor der Angleichung, kennzeichnen die Jahre der
Regierungen von Herrn Milbradt und Herrn Tillich das Gegenteil. Wer im Jahr 2014 so Politik macht wie diese Regierungskoalition, verweigert der Mehrheit der Menschen im Freistaat das Einheitsversprechen von 1990 auf gemeinsame soziale Sicherheit in der ganzen Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal zu der irrigen Meinung des SMWA zurück, dass Lohngestaltungen, mithin also soziale Aspekte, sachfremde Erwägungen bei der GRW-Förderung seien. Diese Meinung kann doch nur vertreten, wer a) meint, es sei Aufgabe des Freistaates, eine weitgehend bedingungslose Vermögensbildung in Unternehmerhand mit öffentlichen Mitteln zu fördern, und b) wiederum nicht ins Grundgesetz, aber auch nicht in die Verfassung des Freistaates Sachsen sehen will.
In beiden Fällen unserer Aufgabenbestimmung steht in Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes und in Artikel 31 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung „Eigentum verpflichtet“. Der darauf folgende halbe Satz lautet jedoch nicht, wie vielleicht einige hier schon verinnerlicht haben: „zu nichts außer maximaler Profitmacherei“, sondern er lautet: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Damit liegt doch auf der Hand, dass wenigstens die Vergabe von Subventionen, die geeignet sind, neues privates Eigentum zu bilden, an die von der Verfassung gebotenen Ziele des sozialen Ausgleichs gebunden werden kann. Im Übrigen ist keiner, dem das zu viel ist, gezwungen, die Subventionen anzunehmen.
Zum Schluss ein einfacher und ansonsten bekannter ökonomischer Zusammenhang: Höhere Löhne haben stets auch eine steigende Arbeitsproduktivität zur Folge. Der Zusammenhang ist trivial: Eine beschleunigte Modernisierung der Produktionsapparate ist erforderlich, damit der Fortbestand im Marktwettbewerb gesichert werden kann.
Die Innovationsdebatte hier im Landtag hat doch aber auch auf die Schwachstellen in Sachsen hingewiesen, nämlich darauf, dass wir in der sächsischen Industrie die geringste Bruttowertschöpfung je Beschäftigtenstunde im Vergleich zu den Industrien aller anderen Bundesländer haben. Hinzu kommt, dass wir seit geraumer Zeit eine insgesamt mäßige, für die Gesamtwirtschaft völlig unzureichende Investitionstätigkeit sehen.
Wenn vor diesem Hintergrund das SMWA in der uns vorliegenden Stellungnahme sagt, die selbsttragende Entwicklung der Wirtschaft sei das wichtigste Anliegen der Wirtschaftspolitik, dann wird es höchste Zeit, dass eine Politik, die diesem Ziel entspricht, auch gemacht wird. Da müssen qualitative Lücken gemeistert und beträchtliche quantitative Rückstände aufgeholt werden.
Das, meine Damen und Herren, geht aber nicht mit den Lehren der wirtschaftsliberalen Gurus namens von Hayek und Friedman, die offensichtlich die Götzen der sogenannten Denker des SMWA sind. Die Wirtschaft und das Land brauchen eine andere Wirtschaftspolitik und die
Demokratie erst recht. Denn in allen Ländern, die der Logik dieser Gurus gefolgt sind und ihr lange ausgeliefert waren, kam stets auch die Demokratie ins Abseits. Deswegen plädiere ich an Sie, dem zuzustimmen, was hier beantragt wird, und sich nicht von den anderen ostdeutschen Bundesländern zu isolieren. Das ist vernünftig, und deshalb unterstützen wir die Linie des Antrags.
Der nächste Redner in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache ist Herr Herbst für die FDP-Fraktion. Herr Herbst, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rednerreihenfolge ist gut gewählt. Herr Hoffmann, ja, wir haben einen unterschiedlichen Blick auf die Realität. Sie sagen, sächsische Unternehmen investieren nicht mehr. Können Sie mir erklären, warum sich die Investitionen hier nach wie vor auf Rekordniveau bewegen und warum alle unsere Fördermittel abfließen? Ja, genau, weil Unternehmen hier in Sachsen investieren, und zwar mehr, als sie das in den anderen Bundesländern tun, meine Damen und Herren.
Die Exporte legen zu. Wir erreichen einen neuen Rekordwert. Seit Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition sind rund 76 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hier in Sachsen entstanden. Wenn Sie sich allein das letzte Jahr anschauen: Wir haben es geschafft, dass das Beschäftigungsniveau in Sachsen weiter steigt – übrigens im Gegensatz zu Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dort ist das Beschäftigungsniveau entgegen dem Bundestrend gefallen, meine Damen und Herren. Das zeigt, es macht einen Unterschied, wer regiert, ob es eine bürgerliche Koalition aus CDU und FDP ist oder ob Sozialdemokraten mit das Sagen haben, meine Damen und Herren.