Hierzu können die Fraktionen wieder Stellung nehmen. Es beginnt die SPD, danach folgen CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich erteile nun der SPD-Fraktion das Wort; bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Stärkung der Tarifbindung im Freistaat Sachsen durch eine nachhaltige sächsische Wirtschaftsförderung“ – das ist unser Antrag. Wir haben ihn gestellt, weil wir in Sachsen vor großen Herausforderungen stehen, was den demografischen Wandel betrifft: Fachkräfteentwicklung, eine schwache Lohnstruktur, ein deregulierter Arbeitsmarkt und zumindest, was die Fördertöpfe der Europäischen Union betrifft, ein Rückgang von Fördermitteln. Genau so stellt sich in Sachsen das Problem der geringen Tarifbindung ein. Wir werden aber zu diesem Problem eventuell, wenn es die Zeit noch zulässt, etwas sagen.
Wenn der Herr Staatsminister dann in seiner Stellungnahme nur darauf verweist, dass sich die Arbeitsmarktzahlen positiv entwickelt hätten, und meint, dass unser Arbeitsantrag damit entkräftet sei, dann macht das nur deutlich, dass ihm die nötige Weitsicht eines Wirtschafts- und Arbeitsministers fehlt.
Mit unserem Antrag wollen wir die sächsische Wirtschaftsförderung nachhaltiger gestalten. Es sollen qualitatives Wachstum und ressourceneffizientes Wirtschaften mit den Grundsätzen guter Arbeit verbunden werden. Das wollen wir in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaftsförderung umsetzen. Einerseits sollen für die zentralen sächsischen Wirtschaftsförderinstrumente Nachhaltigkeitskriterien geprüft und entwickelt werden, andererseits auch Gelder durch die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Europäischen Union unter bestimmten Kriterien vergeben werden.
Das Thema des Sächsischen Vergabegesetzes ist für uns ebenfalls noch nicht beendet. Denn nur durch das umgesetzte Gesetz der Koalition ändert sich ja nichts daran, dass auch hier eine Anpassung der Vergabekriterien herbeigeführt werden muss. Wir werden das mit unserem eigenen gemeinsamen Gesetzentwurf noch einmal vorschlagen.
Die Wirtschaftsförderung ist ein Instrument der Staatsregierung, um die sächsische Wirtschaft zu unterstützen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren. Anscheinend ist das auch dem Wirtschaftsminister bekannt; denn in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag heißt es auch, dass das Ziel der sächsischen Wirtschaftsförderpolitik hoch qualifizierte und attraktive Arbeitsplätze sind und dabei Anreize für Investitionen geschaffen, Forschung und Entwicklung gefördert und Bemühungen der sächsischen Wirtschaft unterstützt werden, genügend qualifizierte Fachkräfte und ausgebildete Berufstätige auf allen Ebenen zu beschäftigen. Das ist alles richtig.
Wenn ich das eben genannte Zitat nehme, dann schließt es die folgenden Forderungen vom Wortlaut her eigentlich ein. Wir brauchen Arbeitsplätze, die sich am Leitbild der guten Arbeit orientieren, faire Löhne, faire Arbeitsbedingungen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Vermeidung von Lohndumping durch Leiharbeit, weniger Befristung und das Recht auf Weiterbildung.
Nun sind wir es aber schon gewohnt, dass das gesprochene Wort der Staatsregierung und insbesondere des Wirtschaftsministers – Sie verzeihen mir, Herr Morlok; ich sehe Sie gar nicht – nicht immer dem entspricht, was die tatsächliche Politik bestimmt; denn wenn ich eines nicht erkennen kann: dass wir mit der Wirtschaftsförderung wirklich die Möglichkeit nutzen, um qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und Sachsen zu einem attraktiven Arbeitsmarkt zu verhelfen, der auch Sogwirkung für Fachkräfte hat.
Ich möchte an dieser Stelle an ein Interview des Ministerpräsidenten erinnern. Daraus kann man erfahren, mit wie viel Weitsicht Sachsen arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch regiert wird.
Herr Tillich wurde im Rahmen eines Interviews gefragt, ob denn Billigkonkurrenz aus Osteuropa drohe. Ich muss die Antwort einfach mit dem Wortlaut wiedergeben: „Diese Gefahr sehe ich nicht“, sagt er. „Erstens werden da teilweise für Facharbeiter schon höhere Löhne gezahlt oder deren Arbeitskräfte gehen in andere EU-Länder.“
Mit diesem Satz im Hinterkopf fällt es schwer, die Politik der Landesregierung zu verstehen. Wir sind in einem Niedriglohnland, das auch noch mit diesem scheinbaren
Vorteil geworben hat. Gleichzeitig droht ein eklatanter Fachkräftemangel. Wenn ich die Aussagen von Herrn Tillich richtig interpretiere, dann müsste auch er verstanden haben, dass wir in Sachsen schon längst auf einem Lohnniveau sind, das weit davon entfernt ist, attraktiv für Fachkräfte zu sein.
Ganz im Gegenteil, die Fachkräfte wandern um Sachsen herum, weil hier die Arbeitsbedingungen nicht gut genug sind. Diese guten Arbeitsbedingungen, die auch dazu führen, dass Sachsen für Fachkräfte interessant wird, müssen wir nun aber auch fordern und fördern und nicht stattdessen mit den nicht unwesentlich kleineren Beiträgen der öffentlichen Förderung und Vergabe auch noch den Dumpingwettbewerb unterstützen.
Deswegen brauchen wir die in dem Antrag geforderten Änderungen in unserer Wirtschaftsförderung. Dass dies auch rechtlich möglich ist, hat eine umfassende Studie von Wolfgang Kothe zur Umsetzung der nachhaltigen und sozialen Wirtschaftsförderung auf Landesebene gezeigt. Im Übrigen gibt es bereits erfolgreiche Ansätze und Umsetzungen einer solchen Wirtschaftsförderung, zum Beispiel in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen.
Sowohl das Grundgesetz als auch die EU-Verträge bieten Möglichkeiten, um soziale Kriterien in der Landeswirtschaftsförderung zu verankern. Wie bereits in der Begründung zu unserem Antrag dargelegt, ist es möglich, über das Ziel der GRW-Förderung an die Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Dauerarbeitsplätze bzw. die dauerhafte Sicherung bestehender Arbeitsplätze anzuknüpfen. Hier sind die Regeln notwendig, dass diese Vorgaben noch zu präzisieren sind. Auch hier muss das Ziel die Qualitätssicherung sein.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich betonen, dass wir in der GRW-Förderung ein Anreizsystem verankern möchten. Es geht nicht darum, Unternehmen bei eventueller Nichterfüllung von bestimmten Kriterien auszuschließen. Aber auch über das Europarecht ist es möglich, soziale Kriterien in der Wirtschaftsförderung zu verankern, indem man an die elementaren sozialen Ziele von Lissabon anknüpft.
Genauso bietet sich die Möglichkeit, wie bereits gestern in unserem Antrag zur Neuausrichtung der Operationellen Programme von ESF und EFRE dargestellt, an die Ziele der Europa-2020-Strategie anzuknüpfen, die auch den sozialen Zusammenhalt als förderfähig definiert.
Die Umsetzung nachhaltiger und sozialer Kriterien gilt es natürlich auch für die Förderinstrumente des Landes zu prüfen. Wir haben es oft gesagt: Über Niedriglohn und schlechte Arbeit werden wir keinen Wettbewerb gewinnen – nicht den wirtschaftlichen Wettbewerb und schon gar nicht den Wettbewerb um Fachkräfte. Andere Bundesländer haben das längst erkannt; in Sachsen scheint man aber lieber weiter Realitäten zu ignorieren.
Wenn wir die sächsische Wirtschaft mit den Förderungen, die auf Landesebene vom Bund und von der EU zur
Verfügung stehen, tatsächlich zukunftsträchtig unterstützen wollen, dann müssen wir unsere Wirtschaftsförderung nachhaltig ausrichten. Unser Antrag hätte auch die Überschrift tragen können: Wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit etwas Gedichtmäßigem beginnen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin; ein Märchen aus alten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl und es dunkelt, …“
Beim Studium Ihres Antrages, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD, kam mir automatisch dieses Lied in den Sinn. Ja, ich bin traurig, dass Sie mit einer unbändigen Energie immer wieder versuchen, mit staatlichem Handeln in tarifhoheitliche Gebiete einzufallen.
Sie versuchten das beim Vergabegesetz, Sie versuchten es bei verschiedenen anderen Anträgen und Sie versuchen es heute wieder, staatliche Wirtschaftsförderung an tarifvertragliches Geschehen anzubinden.
Ihnen ist das hohe Gut der Tarifautonomie zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern wahrscheinlich nicht so viel wert,
dass Sie mit immer neuen Ideen diese Tarifautonomie aushebeln wollen. Diese Tarifautonomie hat seit über 60 Jahren den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft gesichert, und ich frage Sie ganz konkret weiter: Wollen Sie der Arbeitergewerkschaft zum Beispiel das Streikrecht aushebeln? Denn es wäre die logische Konsequenz, dass der Freistaat bei eventuellen Arbeitskämpfen aufgrund des Gleichbehandlungsprinzips auch die Arbeitgeber schützen müsste; dass Arbeitskämpfe dann nicht stattfinden, wenn Sie das an staatliche Förderung anbinden würden.
Tarifbindung, Tarifverhandlungen und -vereinbarungen sind bekanntlich keine Einbahnstraßen, meine Damen und Herren ganz besonders von der SPD. Das müssten Sie eigentlich wissen und Ihr Antrag steht dem aber entgegen. Ihr Antrag zielt darauf hin, das Instrument der aktiven Wirtschaftsförderung im Freistaat Sachsen dafür zu missbrauchen, Unternehmen zu zwingen, im Falle der Inanspruchnahme von Mitteln der Investitionsförderung einen Tarifvertrag abzuschließen bzw. einem bestehenden
Tarifvertrag beizutreten, ohne eine Rückkopplung zu haben, was die Gewerkschaften, die Arbeitnehmervertreter oder – auch das soll es ja geben – die Belegschaften in Unternehmen jeweils tatsächlich mit ihren Arbeitgebern selbst vereinbart haben.
Das gibt es hier auch, und das war in Sachsen in den letzten Jahren ziemlich erfolgreich. Das hat Arbeitsplätze gesichert, das hat Arbeitsplätze nach vorn gebracht, das hat die Dinge in einen gemeinsamen und vernünftigen Konsens gebraucht und für die Unternehmen letztendlich zum Erfolg geführt. Derartig massiver staatlicher Einfluss auf die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen mit der Förderung von Unternehmen zu verknüpfen grenzt schon an den Abgesang Ihrerseits an die Gewerkschaften und an alle Arbeitnehmervertreter. Das sollten Sie auf dem Kongress am kommenden Sonnabend hier drüben im ICC der Frau Kloppich vortragen. Das können Sie durchaus dort aussagen.
(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Kommen Sie doch mit! – Karl-Friedrich Zais, DIE LINKE: Sie können doch selbst vorbeikommen!)
(Stefan Brangs, SPD: Ehrlich? – Karl-Friedrich Zais, DIE LINKE: Dann können Sie dort auch sprechen, Herr Heidan!)
Darüber hinaus folgt der Antrag dem Ziel, in das sächsische Vergaberecht eine Tariftreueregelung aufzunehmen mit dem Ziel, solche Unternehmen, die nicht Mitglied einer Tarifgemeinschaft sind oder keinen Tarifvertrag für ihre Mitarbeiter abgeschlossen haben, grundsätzlich von der Erlangung öffentlicher Aufträge auszuschließen. Es wird gute Gründe dafür geben, dass es Unternehmen gibt, die keiner Tarifgemeinschaft angehören. Diese hier zu erörtern führt, so denke ich, zu weit.
Es kann aber keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik im Sinne der Arbeitnehmer sein, wenn jungen, aufstrebenden Firmen ohne tarifliche Bindung eine Förderung genau aus diesen Gründen versagt bleiben sollte. Unternehmen erhalten vor allem deshalb Förderung, damit sie wachsen oder sich auf dem Markt festigen können.
Wenn dann – wie von Ihnen beabsichtigt – Unternehmen, die ein Produkt überhaupt erst am Markt platzieren oder sich Marktanteile verschaffen wollen, um später erfolgreich zu sein, gleich solche Löhne, wie von Ihnen gefordert, zahlen sollen, dann wird dieses Vorhaben der Unternehmen torpediert. Sie torpedieren es mit Ihrem Antrag. Folgte man diesem, könnten junge Firmen nie eine Unterstützung zur Ansiedlung erhalten, und unsere Gewerbegebiete böten genügend Weideland für Schafe und Kühe, anstatt neuen Arbeitsplätzen Raum zu bieten und bestehende zu sichern.
Aber genau das – neue Arbeitsplätze schaffen, bestehende sichern – haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Sachsen in den letzten Jahren erfolgreich praktiziert. Sie haben nach 1990, in den Anfangsjahren des Freistaates Sachsen, bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen. Löhne und Gehälter haben sich – wie es die Tarifautonomie in Deutschland vorsieht – mit zunehmender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen entwickelt, aber nicht aufgrund von staatlichen Vorgaben und Reglementierungen.
Noch ein Wort zum „Niedriglohnland“: Natürlich hatten wir nach 1990 in Sachsen schwierige wirtschaftliche Ausgangsbedingungen. Das wissen auch Sie genau. Wir haben einen Transformationsprozess durchstanden und uns von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft entwickelt.
Wir haben hier viele Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen – gemeinsam mit den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Sie haben nämlich tarifvertragliche Regelungen getroffen, die immer auch den wirtschaftlichen Erfolg im Hintergrund hatten. Das sollten auch Sie berücksichtigen, liebe Damen und Herren von der SPD. Wir haben einen Produktivitätsentwicklungsschritt nach vorn gemacht; der Wettbewerb wird das weiterhin von unseren sächsischen Unternehmen erwarten. Insofern muss es eine ausgewogene Lohn- und Gehaltspolitik geben, weil Löhne und Gehälter meistens die größten Kostenfaktoren im Produktionsprozess sind.
(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Noch nicht einmal das! – Karl-Friedrich Zais, DIE LINKE: Wir sind Niedriglohnland!)
Niedriglohnland? Die Behauptung ist ja noch viel schlimmer. Wenn Sie das ständig publizieren, dann sind Sie auch dafür verantwortlich, dass Sachsen sich in diesem Wettbewerb schlecht darstellt. Ich meine nicht, dass wir Niedriglohnland sind. Der Mindestlohn von 12,30 Euro in der Chemieindustrie dürfte durchaus ein angemessener Lohn sein.