Protocol of the Session on December 18, 2013

(Stefan Brangs, SPD, steht am Mikrofon.)

Er wurde abgesagt. Ich wollte noch einmal darauf hinweisen, Herr Brangs. Nicht, dass noch einmal Fragen von einem Abgeordneten kommen, warum er nicht aufgerufen worden ist.

Des Weiteren haben sich, da der Tagesordnungspunkt 9 abgesagt wurde, neue Redezeiten ergeben. Wenn Sie Interesse haben, würde ich Ihnen diese neuen Redezeiten mitteilen, damit Sie wissen, wie Sie mit Ihrer Redezeit

haushalten müssen. Für die CDU-Fraktion 31 Minuten, für die Fraktion DIE LINKE 7 Minuten, für die SPDFraktion 16 Minuten, für die FDP-Fraktion 9 Minuten, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8 Minuten und für die NPD-Fraktion 22 Minuten.

(Unruhe im Saal)

Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Gespräche einstellen würden, erleichterten Sie es den Abgeordneten, die der Tagesordnungspunkt interessiert, zuzuhören. Ansonsten bitte ich Sie, den Plenarsaal zu verlassen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 10

Umsetzung des Verfassungsgerichtshofurteils

zu Ersatzschulen in freier Trägerschaft

Drucksache 5/13292, Antrag der Fraktionen

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und DIE LINKE

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet GRÜNE, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Zunächst haben die einreichenden Fraktionen das Wort. Wir beginnen mit den GRÜNEN. Frau Giegengack, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne jeden Zweifel besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, quasi eine innere Verbindung zwischen dem herrschenden Gesellschaftssystem eines Landes und seinem Bildungssystem. Mir erscheint die Entwicklung in Deutschland als geradezu beispielhaft für diese Beziehung.

Ich zitiere: „Je mehr im Ganzen das System herrscht, dass die Regierung das Volk bevormundet, desto mehr wird sie in das Erziehungswesen eingreifen.“ Dies stellte schon Friedrich Schleiermacher fest. So musste meine Großmutter noch ein Loblied auf den Kaiser lernen.

Der erste deutsche Staat, der sein Schulmonopol wirklich infrage stellte, war die Weimarer Republik. Mit klaren Vorgaben zu Genehmigung und Sonderungsverbot wurde in Artikel 147 der Weimarer Verfassung die Privatschulfreiheit erstmals gesetzlich garantiert. Dies währte allerdings nicht lange, wie Sie sicher wissen. Knapp 15 Jahre später wurde diese Privatschulfreiheit wieder einkassiert und Ende der Dreißigerjahre hatten die Nationalsozialisten alle freien Privatschulen geschlossen.

Nach 1945 wurde in der DDR das Einheitsschulsystem der polytechnischen Oberschule etabliert. In der Bundesrepublik hingegen griff man die Weimarer Regelung zur Privatschulfreiheit wieder auf. Angesichts der einschneidenden Erfahrungen aber, die man mit dem staatlichen Schulmonopol in der NS-Zeit gemacht hatte, wurde in das deutsche Grundgesetz darüber hinaus das Recht zur Errichtung freier Schulen festgeschrieben.

Dieses Recht, meine Damen und Herren, wurde 1990 auch in die Sächsische Verfassung übernommen. Auch die

sächsischen Verfassungsgeber ließen sich von ihren Erfahrungen und Einsichten leiten, als sie den Schulartikel der Sächsischen Verfassung schrieben, und gingen deshalb über die Grundgesetzregelung hinaus. Sie nahmen den Schulgeldersatz in die Verfassung auf und stellten öffentliche und freie Schulen in Sachsen gleich.

Meine Damen und Herren! Artikel 102 Abs. 2 ist nicht nur eine Absage an das staatliche Schulmonopol in Sachsen. Er betont vielmehr, dass öffentliche und freie Schulen gleichermaßen Adressat des Bildungsauftrages der Verfassung sind, ohne dass es einen Vorrang des einen oder anderen gibt. Dementsprechend erteilen die Verfassungsrichter auch dem hier gern angewandten Konnexitätsprinzip bei der Förderung freier Schulen eine klare Absage. Die freien Schulen bekommen keine Aufgaben übertragen oder erfüllen stellvertretend für den Staat eine Aufgabe. Ich zitiere: „Der Schulbetrieb an Ersatzschulen ist Ausdruck einer Grundrechtsbetätigung und nicht einer staatlichen Aufgabenübertragung.“ So heißt es in dem Urteil.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Wir haben damit eine der fortschrittlichsten Regelungen zum Bildungssystem in Deutschland überhaupt. Ich finde sie beispielhaft und ich finde sie kühn, weil sich damit der Staat selber in seiner Einflussnahme auf die Schule zurücknimmt, und das muss uns erst einmal jemand nachmachen.

So aber hat die Staatsregierung und auch die Koalition diese wirklich bahnbrechende Regelung in der Verfassung nicht adäquat gewürdigt. 2010 wurden mit dem Haushaltsbegleitgesetz große Einschnitte bei der Finanzierung freier Schulen vollzogen. Unter dem Vorwand des anhaltenden Schulsterbens im ländlichen Raum und einer angeblichen Finanzierungslücke von über einer Milliarde Euro im Landeshaushalt wurde die Wartezeit verlängert, die Schulgelderstattung für Kinder aus einkommensschwachen Familien gekappt und die Finanzierung der freien Schulen an die Erreichung der Mindestschülerzahl gekoppelt.

Meine Damen und Herren! Ich will mich daran nicht abarbeiten, dass Sie es hätten besser wissen müssen. Mich hat seitdem vor allem die Frage beschäftigt, wie es denn eigentlich möglich war, dass sich eine Mehrheit in diesem Haus für solch eine Entscheidung finden konnte. Ich glaube, dass noch heute, 23 Jahre nach der Wende, große Skepsis gegenüber den freien Schulen herrscht, weiterhin Vorurteile vorhanden sind und Ressentiments gepflegt werden. Da ist – so leid es mir tut, Herr Wöller – der Kannibalismusausspruch von Ihnen eigentlich nur die Spitze des Eisberges.

Zum Beispiel findet sich in der letzten Ausgabe der „Neuen Sächsischen Lehrerzeitung“, dem Organ des Sächsischen Lehrerverbandes in unserem Land, unter der Überschrift „Freie Schulen im Erzgebirge“ folgende Einschätzung: „Leider ist vielen Eltern nicht bewusst,

dass Gleichwertigkeit bei freien Schulen nicht immer gegeben ist. Die Bewertung der Leistungen der Schüler wird intensiv mit den Eltern besprochen, um Konsens zu finden, der vielleicht auch in manchem Fall zu hinterfragen wäre. Grundsätzlich können freie Schulen sicher eine Bereicherung der Schullandschaft sein, aber staatliche Einrichtungen zu verdrängen und Bildungsqualität in vielen Fällen erst an zweite Stelle zu setzen kann nicht das Anliegen der Politik in Dresden sein.“

Das ist die Auffassung des Landesvorstandes des Sächsischen Lehrerverbandes! Ich denke, hier rächt sich, dass wir nicht wirklich eine offene Diskussion über die freien Schulen in unserem Land und ihren Beitrag zur Erfüllung des verfassungsmäßigen Bildungsauftrages geführt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist nicht wahr, dass die freien Schulen an dem Schulsterben im ländlichen Raum schuld sind. Sie sind letztendlich der Sündenbock dafür, dass wir von unseren starren Mindestschülerzahlen nicht herunterkommen. Durch zwei Kleine Anfragen konnte ich nachweisen, dass keine einzige freie Schule dazu geführt hat, eine staatliche Schule zu verdrängen. Im Gegenteil: Die freien Schulen haben geschlossene staatliche Schulen ersetzt.

Es ist auch nicht wahr, dass freie Schulen nur für Kinder von Besserverdienenden sind und dass in freien Schulen nur herumgehangen und das Alphabet getanzt wird bzw. dort die Noten mit den Eltern „im Einvernehmen unter Konsens ausgehandelt“ werden.

Die Schülerleistungen von Schülern an freien Schulen sind signifikant besser, auch nach Herausrechnen des familiären Hintergrundes. Auch die Durchschnittsleistungen von Schülern in Bundesländern mit einem größeren Anteil von privat geleiteten Schulen sind tendenziell höher.

Das Entscheidende dabei ist – das stellt Prof. Wissmann fest, der dazu Studien durchgeführt hat –, dass die Finanzierung stimmt. Das ist auch der neuralgische Punkt hier in Sachsen. Wir wissen alle, dass die freien Schulen besonders die hohe Identifikation der Schüler, Lehrer und Eltern mit ihrer Schule und dementsprechend das hohe Engagement auszeichnet. Aber hier ist der Bogen ganz klar überspannt worden. Mit der willkürlich festgelegten Sachkostenpauschale, die seit 2007 nicht mehr erhöht worden ist, und einer Personalkostenfestlegung, die letzten Endes nur noch knapp 50 bis 60 % der realen Kosten abdeckt, ist die Grenze der Belastung einfach erreicht.

Meine Damen und Herren, die Anforderungen zur Erteilung einer Genehmigung, um eine Schule in freier Trägerschaft führen zu können, sind hoch. Damit soll in unserem Schulsystem die Qualität sichergestellt und auch mit Blick auf das Sonderungsverbot die Integrationsfunktion im Schulwesen sichergestellt werden.

Daher muss – das hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt – der Gesetzgeber seiner Schutz- und Förderungspflicht freien Schulen gegenüber adäquat nachkommen.

Dieser Schutz und diese Förderung können nicht an Bedingungen gebunden werden. Sofern freie Schulen die Anforderungen, die in der Verfassung festgelegt sind, erfüllen – das heißt, dass sie nicht hinter den Lehrzielen und den Einrichtungen sowie der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrer von öffentlichen Schulen zurückstehen und die Schüler nicht nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern gesondert werden –, darf der Gesetzgeber sie grundsätzlich nicht gegenüber öffentlichen Schulen benachteiligen oder bestimmte Ersatzschulen im Verhältnis zueinander ohne Weiteres bevorzugen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit kann auch die FDP ihren Parteitagsbeschluss vom 09.11. – jedenfalls zur Hälfte – erst einmal eindampfen, um das nett zu sagen.

Meine Damen und Herren von der Koalition: Von mir werden Sie keine Häme in Bezug auf das Urteil hören. Ich räume ganz frei ein, dass mit der Eindeutigkeit und der Klarheit, mit der die Verfassungsrichter hier geurteilt haben, auch da unsere Erwartungen überstiegen wurden. Ich habe bereits gleich im Anschluss an das Urteil bei der Pressekonferenz unsere Zusammenarbeit angeboten. Jetzt liegt hier ein Antrag zur Abstimmung vor, der das Urteil aufgreift und seine zügige Umsetzung einklagt. Sowohl Herr Bienst als auch Herr Bläsner haben öffentlich über Pressemitteilungen erklärt, dass sie dieses Anliegen teilen.

Frau Giegengack, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Dass Sie heute nicht über Ihren Schatten springen können und diesem Antrag gemeinsam mit uns zustimmen, enttäuscht mich außerordentlich, denn es geht nicht um unsere Eitelkeiten, sondern um die freien Schulen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es spricht nun Frau Falken für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, dass meine Fraktion, DIE LINKE, sehr für eine verbesserte Ausgestaltung der staatlichen Schulen steht. Aber dieses Gesetz, das 2010 hier im Sächsischen Landtag, im Haushaltsbegleitgesetz, für die Schulen in freier Trägerschaft beschlossen worden ist, hat einfach die Grenze überschritten. Diese Staatsregierung und die Fraktionen der CDU und der FDP haben ein Gesetz verabschiedet, das vollumfänglich in allen Punkten gegen die Sächsische Verfassung verstößt, und das ist eine Aussage, die Sie, werte Kollegen von der CDU, glaube ich, in Ihrer Regierungszeit noch nie erhalten haben. Hier haben Sie eindeutig eine Grenze weit überschritten, und das können wir als LINKE auf keinen Fall mittragen. Deshalb haben wir uns auch an diesem Normenkontrollverfahren beteiligt.

Wir fordern Sie auf, so schnell wie möglich – alle Bereiche haben das signalisiert – eine Umsetzung dieses Verfassungsgerichtsurteils durchzuführen. Unsere Unterstützung als Fraktion DIE LINKE haben Sie. Jetzt lassen Sie Taten sprechen. Ich bin gespannt, wie Ihre Redebeiträge hier heute aussehen. Ich habe leider nicht genügend Zeit, ansonsten würde ich gern weiter ausführen.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN – Lachen bei der CDU – Zuruf von der CDU: Das war aber ein Feuerwerk!)

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst aus der Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen zitieren.

„Der Sächsische Verfassungsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die genannten Regelungen die Pflicht zur Förderung des Ersatzschulwesens, die Privatschulfreiheit und das Gleichbehandlungsgebot verletzten. Der Gesetzgeber habe die Höhe der laufenden Zuschüsse für die Sachkosten bereits im Jahr 2007 lediglich frei geschätzt, also nicht mittels einer vertretbaren Methode realitätsnah festgelegt und dies auch bei der Änderung der Vorschriften nicht nachgeholt.“

Meine lieben Kollegen von der Koalition: Ich denke, alle von Ihnen haben dieses Urteil sehr aufmerksam gelesen – zumindest die, die damit befasst sind – und ihm entnommen, dass das, was 2010 geschehen ist, mit Ihrer Mehrheit im Rahmen der Änderung des Haushaltsbegleitgesetzes den Bogen eindeutig überspannt hatte und letztlich zu einem Verfassungsgerichtsurteil führte, das – da gebe ich der Ministerin einmal recht – zu Klarheit geführt hat, und zwar der Verfassungsinterpretation der Sächsischen Verfassung, die, so wie es Annekathrin Giegengack schon gesagt hat, im Bereich der freien Schulen einmalig ist in Deutschland und einen weiten Rahmen eröffnet.