Lieber Herr Kollege Lichdi, wir gehören keiner Einheitspartei an. Ich trage Verantwortung für den Freistaat Sachsen. Was man in Hessen anders macht, das muss man dort auch entsprechend verantworten.
Neben der repräsentativen Demokratie, die durch Wahlen aus der Mitte des Volkes entsteht, spielt die Volksgesetzgebung eine wichtige Rolle in diesem demokratischen Prozess. Wir haben nicht die Absicht, diese zentrale Entscheidung des Gesetzgebers zu ändern. Wir haben aber auch nicht die Absicht, an den jetzigen Regelungen der Volksgesetzgebung etwas zu ändern, da wir über eine zeitgemäße und ausgewogene Volksgesetzgebung verfügen.
Ihr Antrag wird begründet mit dem Rückgang der Einwohnerzahl. Wenn man sich allerdings die Zahlen aus dem Jahr 1994 zur Landtagswahl anschaut, dann sieht man: Wir hatten im Freistaat Sachsen im Jahr 1994 3 586 100 Wahlberechtigte und im Jahr 2013 hatten wir
3 510 336 Wahlberechtigte. Dieser Unterschied berechtigt keine – nur in Ihrer Begründung wurde das angeführt – Reduzierung um 40 %.
Die Antragsteller fordern ferner eine Absenkung der für die Durchführung erforderlichen Anzahl von Unterschriften von derzeit 13 % auf 280 000 Unterstützungsunterschriften, ohne ein Abstimmungsquorum beim Volksentscheid einzuführen.
Wir müssen aufpassen, dass die Relationen zwischen Wahlen und Abstimmung nicht verschwinden. Auch zukünftig wird der Schwerpunkt der Gesetzgebung im Sächsischen Landtag liegen.
Ich möchte die Demokratiefrage, die eine verfassungsrechtliche Frage ist – – Es ist nicht so, dass man Quoren hin- und herschiebt, sondern das ist eine tiefe verfassungsrechtliche Frage, wer mit welchen Quoren und mit welcher Unterstützung Gesetzgeber werden kann.
Lassen Sie mich das anhand eines praktischen Beispiels darlegen. Die gesetzgeberische Mehrheit im Sächsischen Landtag ist bei den Landtagswahlen im Jahr 2009 durch circa 900 000 Stimmen – ich habe gerundet – zustande gekommen. Die Koalition aus CDU und FDP hat 900 000 Wählerstimmen erhalten und ist durch
900 000 Wähler legitimiert, ihre Aufgabe als gesetzgeberische Mehrheit im Landtag zu repräsentieren. Diese Stimmen sind die demokratische Legitimation für das Handeln im Sächsischen Landtag.
Der Gesetzentwurf der antragstellenden Fraktion sieht hingegen nur noch 280 000 Unterstützungsunterschriften für die Durchführung eines Volksentscheids vor. 280 000 Unterschriften sind noch nicht einmal ein Drittel der Stimmen, die für die Durchführung mit diesem Antrag legitimiert sind.
Es wird ein Ungleichgewicht zwischen den Formen der Gesetzgebung herbeigeführt. Der Landtag benötigt 900 000 Stimmen und für den Volksentscheid benötigt man 280 000 Stimmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann Ihre Unruhe verstehen. Sie hätten sich Ihren Antrag besser überlegen müssen.
(Einzelbeifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Nein, Sie hätten mal eine andere Argumentation bringen müssen!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wichtig zu wissen, dass es weitere Vorteile gibt. Im Freistaat Sachsen ist die freie Straßensammlung möglich.
Die Bürgerinnen und Bürger haben im Jahr 1990 von uns erwartet, dass nicht mehr die Verwaltungen diejenigen sind, die bestimmen, sondern dass es eine freie Straßensammlung gibt.
Im Vergleich zu den anderen Ländern in Deutschland haben wir acht Monate Zeit, diese Straßensammlung durchzuführen. Das war schon 1992 so. Wir haben gesagt: Jawohl, wir wollen diese Straßensammlung acht Monate. Ich habe Beispiele gebracht: Im Saarland sind es zwei Wochen, in Schleswig-Holstein sind es auch sechs Monate, aber als Amtseintragung, und in Thüringen sind es zwei oder vier Monate. Dort kann man zwischen Amtseintragung und Straßensammlung wählen. Wichtig ist für mich, dass wir hier eine Entscheidung des Volkes umgesetzt haben und auch einhalten.
Nun einige Worte zu den Quoren, die oft unter den Teppich gekehrt werden. Das habe ich bei Ihnen auch gemerkt. Im Freistaat Sachsen gibt es beim Volksentscheid kein zusätzliches Abstimmungsquorum. Es gibt in Deutschland nur drei Länder, die kein zusätzliches Abstimmungsquorum im Volksentscheid haben. Das sind der Freistaat Sachsen, der Freistaat Bayern und das Land Hessen, die beim Volksentscheid kein zusätzliches Quorum haben. Das bedeutet, dass die Wahlberechtigten zur Abstimmung gehen und mit Mehrheit entscheiden, ob der Gesetzentwurf angenommen oder abgelehnt wird. Ich denke, dass diese drei Staaten die bürgerfreundlichste Regelung in Deutschland haben, die auch als sehr modern bezeichnet werden kann.
Wir sind hier bei einer ernsten Sache, Herr Kollege. Ich verbitte mir, das auf die spaßige Tour abzuqualifizieren.
In den Ländern Freistaat Thüringen, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und anderen gibt es ein zusätzliches Abstimmungsquorum von 25 %, das erreicht werden muss, damit der Volksentscheid überhaupt seine Gültigkeit erhalten kann. Wer die Einstiegsquoren senkt, wird nicht um ein Abstimmungsquorum herumkommen. Wir wollen die Einführung eines Abstimmungsquorums nicht. Das lehnen wir ab.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Freistaat Bayern gab es sechs Volksentscheide, im Freistaat Sachsen einen erfolgreichen Volksentscheid, in SchleswigHolstein gab es zwei erfolgreiche Volksentscheide, auch in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg gab es erfolgreiche Volksentscheide. Die meisten sind aber am Abstimmungsquorum gescheitert, auch in Schleswig-Holstein. Ich gehe davon aus, dass die von Ihnen immer gerühmten Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz über keinen Volksentscheid berichten können.
Der Freistaat Sachsen gehört zu den wenigen Ländern, die eine Kostenerstattung beim Volksentscheid haben. Viele deutsche Länder erstatten keine Kosten. Da müssen die Initiativen den harten Weg gehen und Spenden sammeln.
Lassen Sie mich zuletzt noch Folgendes anmerken. Wir haben die Gemeindeordnung geändert und die Beteiligungsrechte der Bürger auf Gemeindeebene erweitert. Die Quoren sind von 15 auf 10 % gesenkt worden. Der Freistaat Sachsen hat bisher elf Anträge auf Volksbegehren gehabt, vier Volksbegehren und einen Volksentscheid hat es gegeben. Dazu gab es in den Jahren zwischen 1990 und 2013 über 260 Bürgerbegehren und mehr als 150 Bürgerentscheide. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Frauen und Männer sich im Freistaat Sachsen engagieren, sich in diese Demokratie einbringen. Deshalb hat es keinen Sinn, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte auf Herrn Schiemann Bezug nehmen, der in gewohnt pastoraler Art und Weise das grundsätzliche Ja der CDU zu Volksentscheiden vorgetragen, aber dieses Ja natürlich umgehend wieder relativiert hat. Man konnte anhand des Vortrages von Herrn Schiemann sehen, dass die CDU traditionell ein gestörtes Verhältnis zu direktdemokratischen Elementen hat.
Das hat man übrigens auch vor wenigen Wochen bei den Koalitionsverhandlungen gemerkt, als doch tatsächlich die revolutionäre Idee aufkam, Volksentscheide auch auf Bundesebene zu ermöglichen, und das von der eisernen Kanzlerin sofort von der Tagesordnung gewischt wurde. Deswegen sieht die NPD traditionell in der Bundesrepublik ein eklatantes Demokratie- und Legitimationsdefizit, weil die Deutschen in vielen Lebensfragen ihrer Nation seit 1949 nicht direkt abstimmen durften, im Gegensatz zur europäischen Urdemokratie der Schweiz, wo das Volk direktdemokratisch über entscheidende Fragen abstimmen darf.
Die Deutschen durften 1949 nicht über die Annahme oder die Ablehnung des Grundgesetzes befinden, sie durften Anfang der Siebzigerjahre nicht über die Abtretung der Ostgebiete befinden,
die Deutschen wurden Anfang der Neunzigerjahre nicht befragt, ob sie die D-Mark zugunsten der Krisenwährung Euro aufgeben wollen, und die Deutschen wurden selbst
verständlich auch nicht gefragt, ob sie es zulassen wollen, dass ihr Land zu einem Einwanderungsland gemacht wird.
Diese direktdemokratischen Fragestellungen wurden vom Tisch gewischt, weil die Herrschenden in Berlin und damals schon in Bonn wussten, dass das Volk in vielen Fragen anders denkt als sie selbst. Deswegen fordert die NPD traditionell Volksentscheide auf Bundesebene, damit die Deutschen über ihre Lebensfragen – Euro, Zuwanderung und vieles mehr – direkt abstimmen können. Selbstverständlich unterstützt die NPD-Fraktion auch in diesem Landtag den Antrag zur Stärkung der Volksgesetzgebung in Sachsen, damit nicht nur volksabgehobene Politiker in den Parlamenten Entscheidungen treffen, sondern das Volk tatsächlich einmal selbst konkret abstimmen darf.
Herr Schiemann, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. Frau Friedel, Sie haben jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident, vielen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Herrn Gansels lange Aufzählung, wozu die Deutschen nicht gefragt worden sind, um einen Punkt ergänzen: Im September dieses Jahres wurden die Deutschen gefragt, ob die NPD im Bundestag sitzen soll. 97 % haben sich dagegen entschieden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als uns der Antrag auf den Tisch flatterte, waren wir ein wenig überrascht, aber nicht so überrascht wie bei dem Antrag der GRÜNEN, der auch noch kommen wird und direkt eine Verfassungsänderung zum Inhalt hat. Jetzt wurde fast zwei Jahre lang zwischen den demokratischen Fraktionen über eine Änderung der Verfassung debattiert, und nach den ersten Gesprächen ist sehr schnell klar geworden, dass eine Reihe von Fraktionen, namentlich LINKE, GRÜNE und SPD, weitere Änderungen wollen, aber die Koalition weitere Änderungen neben der Schuldenbremse und den damit zusammenhängenden Regelungen in der Verfassung eigentlich nicht will und dem skeptisch gegenübersteht. Deswegen waren wir überrascht, dass diese gemeinsam getroffene Erkenntnis, die hier mit dem Konsens abgeschlossen worden ist, dass sie es in dieser Legislaturperiode nicht mehr erreichen werden, noch einmal aufgesprengt wird und sowohl DIE LINKE als auch die GRÜNEN versuchen, mit verfassungsändernden Vorschlägen zu glänzen. Wir glänzen gerne mit.
In der Sache sind wir zu Ihrem Antrag positiv eingestellt. Ich will dazu noch einige Ausführungen machen. Frau Roth, Sie sprachen von Ängstlichkeit, die gegenüber direkter Demokratie besteht. Wir teilen Ihre Ängstlichkeit nicht, aber ich versuche zu verstehen, was dahintersteckt. Ich verstehe keine Ängstlichkeit, wenn man sagt, eigent
lich sei das Parlament der gewählte Vertreter des Volkes und soll Entscheidungen treffen. Wenn ich mir anschaue, wie viele Entscheidungen wir treffen, dann wird unsere Entscheidungsmacht auch nicht geringer, nur weil alle zwei Jahre in Sachsen mal ein Volksentscheid stattfindet. Wenn dem so wäre, dann müssten wir uns nicht mehr so oft treffen. Ich glaube, diese Sorge, dass damit die repräsentative Demokratie untergraben würde, kann man uns allen relativ schnell nehmen.
Ich verstehe es, wenn manche Leute gegenüber einer Stärkung der Elemente direkter Demokratie aus anderen Gründen skeptisch sind. Beispielsweise herrscht eine gewisse Skepsis, wenn folgende Frage gestellt wird: Lassen sich denn komplexe Sachverhalte wirklich in jedem Fall auf Ja-Nein-Fragen herunterbrechen und zur Abstimmung stellen? Ist der Katalog, den man zur Abstimmung stellen kann, nicht relativ eingeschränkt und hat man wieder nur die halbe Miete gewonnen? Es herrscht auch eine gewisse Skepsis bei der Frage: Stellt der Abstimmungskampf bei Volksentscheiden eine faire Auseinandersetzung mit Argumenten dar? Werden wir vielleicht erleben, was wir beispielsweise bei Wahlen erleben – Stichwort: viel stärkere andere Bänder –, dass es am Ende die Meinung mit der höchsten Kampagnenfähigkeit und dem größten Werbeetat einfacher hat als die Interessen von Minderheiten? Das sind Skepsispunkte gegenüber direkter Demokratie. Wenn diese von der CDU vorgetragen würden, dann würde ich sie gelten lassen. Ich würde sagen: Es ist klug, was Sie sich für Gedanken machen.
Man muss eben feststellen, dass es genügend empirische Erfahrungen zur direkten Demokratie – zum einen auf kommunaler Ebene und zum anderen in anderen Ländern – gibt. Diese empirischen Erfahrungen zeigen, dass die Sorgen, die ich gerade geäußert habe, in aller Regel unbegründet sind. Es ist nicht so, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie selbst entscheiden dürfen, so dumm sind, sich dafür zu entscheiden, dass niemand mehr Steuern bezahlen soll. So ist es nicht, sondern das Gegenteil ist der Fall: Entscheidungen, die mit Mitteln direkter Demokratie getroffen werden, sind oft viel klüger und viel nachhaltiger orientiert, als wir es zuweilen befürchten.