Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig, dass wir das Problembewusstsein für den Impfschutz auch in Sachsen weiter diskutieren müssen und dass dieses Problembewusstsein vor allem zu wirkungsvollen Impfquoten führen muss. Es ist unbestreitbar und sicherlich bei allen Fraktionen Konsens, dass Impfungen zu den wirkungsvollsten und kostengünstigsten präventiven Maßnahmen der modernen Medizin gehören.
Die SPD-Fraktion – das will ich gleich zu Beginn sagen – unterstützt den Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich habe zu einigen Punkten Anmerkungen und Hinweise, auf die ich eingehen möchte und mit denen sich dann auch unsere ablehnende Haltung gegenüber dem Antrag der LINKEN erklären dürfte.
Zu Punkt 1, zum Bericht. Frau Jonas und Frau Lauterbach haben bereits viele Daten erwähnt. Insgesamt muss festgestellt werden – ich will die Daten nicht wiederholen –, dass, wenn wir hier in Sachsen von verbesserungsbedürftigen Impfquoten reden, wir zumeist nicht die Erstimpfung bei Kindern meinen, sondern auch die notwendigen Auffrischungsimpfungen. Wenn man die Sache differenziert betrachtet, muss man feststellen, dass wir damit ein Problem haben.
Bei Masern reicht die erste Impfung nicht aus, weil 2 bis 5 % aller Kinder keine Antikörper entwickeln und diese erst nach einer zweiten Impfung ausgebildet werden. Damit kommen wir zum Problem der nicht ausreichend geimpften jungen Erwachsenen. Seit 1970 gibt es die erste Masernimpfung, aber erst seit 1991 die zweite Auffrischungsimpfung. Deshalb haben wir für die Jahrgänge der 1970 bis 1990 Geborenen diese Lücke. Ich sehe ein Riesenproblem, an diese jungen Erwachsenen heranzukommen, weil uns bei den aufgetretenen Masernepidemien auffällt, dass die Betroffenen zum Großteil, über 30 %, Erwachsene in diesen Altersgruppen gewesen sind. Hier sind neue Zugänge, vor allem Daten und Angebote, dringend erforderlich.
Zu Punkt 2 des Antrages der Koalitionsfraktionen. Bund und Länder bekennen sich im Nationalen Impfplan von 2012 – den es übrigens gibt, Frau Lauterbach – zu den Prinzipien der Aufklärung, der Information und der Freiwilligkeit der Impfungen. Für die Einführung einer Impfpflicht bestehen zudem klare rechtliche Vorgaben. Jederzeit ist es dem Bund und den Ländern möglich, nach diesen Vorgaben Kriterien festzustellen und eine Impfpflicht für einzelne Infektionen befristet oder unbefristet einzuführen.
Das Infektionsschutzgesetz lässt das zu und definiert die Anforderungen. Es muss sich um eine einzelne Erkrankung handeln, weshalb der Antrag der LINKEN, der pauschal eine Impfpflicht für alles fordert, nicht zielführend ist. Die Erkrankung muss einen schweren klinischen Verlauf haben, was bei Infektionskrankheiten auf jeden Fall nicht ausgeschlossen ist. Des Weiteren muss die Gefahr einer epidemischen Ausbreitung bestehen, was wir durchaus in Berlin oder Bayern feststellen konnten.
Ich möchte die drei Punkte noch beenden. – Wenn diese drei Punkte festgestellt werden, dann muss immer noch geprüft werden – es handelt sich um Grundrechte, in die eingegriffen werden muss –, ob es sich bei den zu treffenden Maßnahmen um geeignete und verhältnismäßige Mittel handelt. Übersetzt aus dem Juristendeutsch heißt das: Es muss keine anderen Möglichkeiten mehr geben, um dieses Ziel – nämlich die Abwendung der Bedrohung der Bevölkerung – zu erreichen. – Herr Pellmann, bitte.
Danke, Herr Präsident! Frau Neukirch, Sie hatten ja darauf abgestellt, dass Sie unserem Antrag nicht zustimmen könnten, weil wir eine allgemeine Impfpflicht für Kinder beantragen.
Darf ich Sie fragen, ob Sie vielleicht übersehen haben, dass es einen Zusatz in diesem Punkt gibt, der darauf abstellt, dass sich das nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes richtet? Man muss dann zur Kenntnis nehmen, dass wir selbstverständlich eine Impfpflicht nur für solche Impfungen in Anspruch nehmen wollen, die auch vom Robert-Koch-Institut empfohlen werden, also nicht für alle.
Frau Neukirch, bitte warten Sie einen ganz kleinen Moment. – Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, Ihre Funktelefone, die Sie in der Nähe von Mikrofonen haben, abzuschalten; denn das stört.
(Christian Piwarz, CDU: Die nächsten Mikrofone sind bei Ihnen und der Rednerin, Herr Präsident! – Zuruf: Es ist immer da, wo das Mikrofon an ist!)
Diese Belehrung brauche ich nicht. Es ist schon richtig verstanden worden, was ich jetzt gesagt habe, meine Damen und Herren. – Frau Neukirch, bitte fahren Sie fort.
Das habe ich nicht überlesen. Die Empfehlungen der Impfkommission umfassen aber sehr viele Impfungen, gerade im Kinder- und Jugendbereich. In Ihrem Antrag müsste spezifiziert stehen „die Masernimpfung“ und nicht „der Impfschutz gemäß dieser Empfehlungen“, denn das umfasst alle Impfungen. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. Sie haben in Ihrem Antrag eben nicht darauf abgestellt, dass es sich um eine Erkrankung handelt, bei der Sie die Impfpflicht fordern.
Die SPD-Fraktion ist in diesem Rahmen durchaus der Meinung, dass die Impfpflicht eingeführt werden sollte, wenn diese Kriterien vorliegen. Allerdings muss genau geschaut werden, ob es nicht noch andere Maßnahmen gibt, die ergriffen werden können. Wenn wir uns ein wenig an den weiteren Punkten entlanghangeln, finden wir ein paar Beispiele.
Des Weiteren will ich sagen: Es ist schon viel unternommen worden und es gibt präventive Maßnahmen, die funktionieren. Die bekannte KiGGS-Studie, die Untersuchung des Robert-Koch-Institutes über die gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen in Sachsen, hat 2006 festgestellt, dass die Auffrischungsimpfung bei
Masern bei Schuleintritt bedenklich ist. Daraufhin wurde die Empfehlung der Impfkommission verändert. 2009 konnte festgestellt werden, dass diese Maßnahmen gegriffen haben, weil seitdem eine stetige Verbesserung der Impfrate bei den Einzuschulenden festzustellen ist. Das ist ein Beweis dafür, dass es andere Maßnahmen geben kann, bevor man als letztes Mittel zu einer Impfpflicht greift.
Sie haben auch davon gesprochen, dass nur 3 % der Bevölkerung als wirkliche Impfgegner einzuschätzen sind. An dieser Stelle muss man sagen: Wenn man die restliche Bevölkerung davon überzeugen kann und immer wieder darüber informiert, dass Impfen wichtig ist, dann wären wir einen großen Schritt weiter und müssten uns nicht mit diesen 3 % wirklichen Impfgegnern abmühen. Das lenkt nur ab von den Maßnahmen, die wir treffen können.
Zu Punkt 3, Impfstatus des Personals. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir dabei zwischen arbeitsmedizinischer Vorsorge und Eignungsuntersuchungen für Personal unterscheiden müssen. Das haben wir zu trennen. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge muss ein verstärktes Augenmerk auf den Impfschutz des Personals gelegt werden. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, wie viele Gemeinschaftseinrichtungen in Sachsen von arbeitsmedizinischen Kontrollen besucht und beraten werden, dann stellen wir fest, dass wir noch viel Luft nach oben haben.
Von November 2011 bis Mai 2013 sind 133 Kitas besucht und kontrolliert worden. In diesen Einrichtungen ist der Impfstatus des Personals festgestellt worden. Angesichts der Zahl von insgesamt 2 500 Kitas wird deutlich, dass hier noch viel Potenzial besteht, um präventive Aufklärung und Information besser an die Menschen heranbringen zu können.
Weiterhin ist an diesem Punkt zu ergänzen, dass wir trennen müssen zwischen präventiven Maßnahmen, die bis hin zur Impfpflicht gehen können, und zu treffenden Maßnahmen, wenn ein Ausbruch stattfindet. Hier gilt: Im Falle eines Managements im Rahmen eines Ausbruchsgeschehens kann es sehr hilfreich sein, wenn wir wissen, wie viel Personal und wie viele Kinder in diesen Einrichtungen geimpft sind. Dann können kurzfristige präventive Maßnahmen besser koordiniert und eingerichtet werden.
Zu Punkt 4 ist anzumerken – Frau Jonas hat es in ihrer Rede ergänzt –: Warum taucht in Punkt 4 der Kinder- und Jugendärztliche Dienst des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht auf? Das ist schon eine gewichtige Frage, weil die Eltern und die Kinder über die Kinder- und Jugendärztlichen Dienste bestens erreicht werden können.
Wir stellen fest, dass der Impfschutz im Rahmen der UVorsorgeuntersuchungen im Laufe der Zeit abnimmt. Wir haben Vorsorgeuntersuchungen, die daran anknüpfen und die wir in den Gemeinschaftseinrichtungen durchführen. Diese müssen wir besser nutzen.
Aus der Antwort auf eine meiner Kleinen Anfragen ist hervorgegangen, dass wir mit diesen Untersuchungen
nicht mehr alle Kinder in Sachsen erreichen. 2011 und 2012 konnten im sächsischen Durchschnitt nur 79 % der Kinder in Kitas, in der 2. Klasse nicht einmal mehr die Hälfte der Kinder, nur 47 %, und in der 6. Klasse nur noch 78 % der Kinder von diesen Reihenuntersuchungen erreicht werden. Wenn wir diese Zahlen erhöhen könnten, wenn wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst in diesem Bereich stärken und besser ausstatten würden, dann könnten wir auch beim Impfschutz viel erreichen.
Abschließend ist zu sagen: Ich bin optimistisch, dass die Sachsen keine Impfpflicht brauchen; denn ich denke, die sächsischen Eltern sind verantwortungsbewusst im Umgang mit diesem Problem. Die hohen Erstimpfraten weisen darauf hin, dass wir in Sachsen von Impfmüdigkeit oder Impfgegnerschaft meilenweit entfernt sind. Mit zunehmendem Alter der Kinder – das muss man einfach feststellen – geraten jedoch in den Familien andere Probleme in den Fokus. Deshalb müssen wir stetig daran arbeiten, dass wir mit den bestehenden Einrichtungen und Angeboten immer wieder auf die Eltern zugehen und sie informieren. Das ist für uns der Ansatz der Wahl, weil wir dadurch gleichzeitig die Erwachsenen in den Blick nehmen können, deren Verantwortungsbewusstsein wir an dieser Stelle auch benötigen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon sehr viel gesagt worden, aber zwei, drei Anmerkungen würde ich noch machen wollen. Es ist keine Frage: Wir haben außerordentlich hohe Durchimpfungsraten, insbesondere in Sachsen. Wir liegen bei circa 97 % der Kinder, die bei Einschulungsuntersuchungen einen vollständigen Impfstatus aufweisen.
Dementsprechend sagt die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme zum Antrag der LINKEN: „Die hohen Impfraten in Sachsen haben zur Folge, dass Potenzial zur Steigerung der Durchimpfungsraten für einen Schüler kaum noch vorhanden ist.“ Das sollte man auf jeden Fall zur Kenntnis nehmen, weil mehrmals das Wort Impfmüdigkeit gefallen ist. Ich denke, das ist wirklich nicht angemessen.
Wenn man überhaupt von fehlenden Impfungen in Größenordnungen reden kann, dann sind das die zweiten Masern-, Mumps-, Rötelnimpfungen, Hepatitis B und Keuchhusten, bei denen die Raten zurückgehen. Im Ausschuss ist das deutlich gemacht worden, wo eine Amtsärztin ausgeführt hat, dass die Reihenuntersuchungen in der 6. Klasse ziemlich am Anfang des Schuljahres stattfinden und damit die Kinder von ihrem Alter her noch nicht bei der J 1 gewesen sind, bei der die zweite Impfung passiert. Damit kommen wir, statistisch gesehen, zum Teil zu schlechteren Zahlen, als sie es später tatsächlich sind.
Ich möchte es überhaupt nicht kleinreden, aber wir sollten solche Dinge mit bedenken. Ganz klar ist, dass der richtige Zeitpunkt für die Impfung entscheidend ist. Ein häufiges Argument bei jungen, verunsicherten Müttern mit ihren ersten kleinen Kindern ist, dass sie sagen: Mein Kind ist noch so klein und soll schon Krankheitserreger injiziert bekommen; da lasse ich mir noch ein wenig Zeit. Dort sind vor allem die Kinderärzte gefragt, deutlich zu sagen, dass es wichtig ist, Kinder frühzeitig zu impfen; denn bestimmte Infektionskrankheiten nehmen insbesondere bei Säuglingen einen schwierigen Verlauf.
Ich spreche den Keuchhusten an, bei dem es zum Teil um lebensgefährliche Zustände geht. Wir hatten Fälle in Chemnitz, bei denen Mütter auf diese Impfung verzichtet haben und dann ihr Kind in Lebensgefahr im Klinikum Chemnitz aufgenommen werden musste. Das, was diese Kinder dann an Medikamenten verabreicht bekommen, stellt bei Weitem das in den Schatten, was eine Impfung an Belastung bedeutet. Auch die Alternative, die in bestimmten Kreisen angepriesen wird – das sogenannte homöopathische Impfen, die Impfnosoden –, ist, wenn man das Internet bemühen würde, keine wirkliche Alternative; denn auch sie basieren auf pathologischem Material, das allerdings in homöopathischen Dosen verabreicht wird.
Als wichtiges Argument wird auch die Angst vor Impfschäden gebracht. Sie werden häufig verwechselt mit den Impffolgen, das heißt, dass Kinder nach dem Impfen Fieber haben oder Rötungen an der Einstichstelle bekommen. Die Wahrscheinlichkeit möglicher Impfschäden und die Gefahren, die Krankheiten verursachen, muss man unterscheiden. Bei der Masernimpfung kann es zum Beispiel bei einem Kind von einer Million Kindern zu einer Gehirnentzündung kommen, die einen sehr schweren Verlauf nehmen kann. Jedoch ist die Gefahr für Kinder, die an Masern erkranken, tausendmal höher. Darüber sollte auch mehr Aufklärung betrieben werden.
Allerdings finde ich es schon schwierig, was wir im Netz an Äußerungen von Impfgegnern finden. Es wird zum Beispiel gesagt: Das Risiko eines Impfschadens ist heute in aller Regel größer als die Wahrscheinlichkeit eines Gesundheitsschadens durch betroffene Krankheiten. Das halte ich für fahrlässig und schwierig. Wir haben nur begrenzt Einfluss auf das, was im Internet passiert.
Wir haben jedoch Einfluss auf Informationsveranstaltungen. Ich finde es durchaus befremdend, dass in der TU Chemnitz eine Infoveranstaltung von mehr oder weniger militanten Impfgegnern stattfinden kann. Noch dazu vermittelt das den Eindruck, dass irgendetwas Wissenschaftliches dran wäre, was die erzählen, wenn es an der Uni passiert. Ich würde mir eine größere Sensibilität aufseiten der Wissenschaft wünschen. Unser Amtsarzt ist dort aufgeschlagen und hat versucht, Schlimmeres zu vermeiden.
Zu den Anträgen konkret. Es wird Sie nicht sehr verwundern, aber die GRÜNEN sind keine Anhänger der Impfpflicht.
Wir denken, die Impfpflicht ist klar geregelt, und dafür brauchen wir keine weitere Ausweitung. Damit hätte sich der Antrag der LINKEN für uns erledigt.
Es geht um den Antrag von CDU und FDP. Wir können das Sozialministerium ein weiteres Mal beschäftigen und all diese gemeldeten Zahlen abfragen. Ich weiß nicht, warum wir das noch einmal brauchen. Wir haben bestimmt drei oder vier Anfragen und eine Große Anfrage von der SPD, in denen diese Zahlen drinstehen. Es wird sicher abgesprochen sein. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, das noch einmal zu haben.
Ich würde mir sehr wünschen, dass die Durchimpfungsrate der Erwachsenen dort mit auftauchen würde. Zum Beispiel braucht man bei der Keuchhustenimpfung mehrere Impfungen. Es ist kein Geheimnis, dass, wenn die Kinder zwischendurch auf jemanden treffen, der Keuchhusten hat, die Krankheit durchaus bei ihnen ausbrechen kann. Es passiert meist, dass sie von Erwachsenen angesteckt werden, weil man auch die Keuchhustenimpfung nach 30 Jahren auffrischen muss. Es ist dann schon interessant, wie es bei den Erwachsenen aussieht. Sie sind leider nicht aufgenommen. Ich würde mir wünschen, dass das Sozialministerium das von sich aus vielleicht tut.
Warum wir jetzt noch eine Kampagne brauchen, obwohl wir alle jeden Tag an den Plakaten mit dieser Impfkampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ vorbeifahren, verstehe ich auch nicht. Ich finde es übrigens ganz witzig, wie es gemacht ist. Okay, wir können uns trotzdem noch einmal auf der Bundesebene dafür einsetzen. Es ist ja für einen guten Zweck.
Man kann auch – da stehen die Träger in der Verantwortung – das Personal in den Kitas abfragen, wie es um ihren Impfstatus steht. Das ist eine sinnvolle Angelegenheit. Es ist nicht schädlich und von daher stimmen wir dem Koalitionsantrag zu.