Protocol of the Session on September 19, 2013

Das Europäische Parlament hat deshalb zu Beginn des Jahres gegenüber der Europäischen Kommission ein Ende des Dispensierrechts der Tierärzte gefordert. Diese befasst sich im Moment mit der Neufassung der Tierarzneimittelrichtlinie.

Allerdings wurde das Dispensierrecht nicht durch Lobbyisten in der heutigen Zeit geschaffen, sondern ist gewohnheitsrechtlich vor mehr als einhundert Jahren entstanden und hat dann in Deutschland den Weg in gesetzliche Regelungen gefunden. Es ging hier vor allem darum, Nutztiere durch einen Tierarzt schnell und günstig behandeln zu können.

In unserer heutigen Zeit mit neuen Rahmenbedingungen müssen wir jedoch überprüfen, ob sich das Dispensierrecht weiter bewährt. Es geht nicht darum, ob wir das Dispensierrecht neu einführen, sondern darum, ob wir gewichtige Gründe dafür haben, den heutigen Istzustand zu ändern und zu klären, ob die Gründe für eine Aufhebung des Dispensierrechts die Gründe für dessen Beibehaltung überwiegen.

Viele Tierärzte nutzen die Möglichkeit, die von ihnen verschriebenen Medikamente auch zu verkaufen, sehr verantwortungsvoll und seriös.

(Beifall der Abg. Anja Jonas, FDP)

Den schwarzen Schafen gilt es, durch ein transparentes Kontrollsystem das Handwerk zu legen. Wir müssen Missbrauch wirksam verhindern. Es ist daher sinnvoll, an dem Dispensierrecht vorläufig festzuhalten und im Gegenzug die Nutzung von Arzneimitteln, insbesondere Antibiotika, noch strenger zu kontrollieren. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die bereits existierenden Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln eingehalten werden und – das ist wichtig – rechtsverbindlichen Charakter erhalten.

Wir wollen mehr Klarheit, Offenheit und Transparenz im System. Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon im Jahr 2011 in einem Antrag zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung viele sehr hilfreiche, praktikable und wirkungsvolle Vorschläge gemacht, die jedoch von CDU und FDP im Bund abgelehnt wurden.

Da sich im Antrag der Koalition leider keine Aussagen zu mehr Klarheit, Offenheit und Transparenz im System der Arzneimittelverschreibung und -anwendung finden,

werden wir den Punkten 1 und 2 zustimmen. Bei Punkt 3 können wir uns aber leider nur der Stimme enthalten. Wir bitten um punktweise Abstimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Weichert, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das gestern begonnene Possenspiel von CDU und FDP geht in die nächste Runde. Gestern forderten die Experten der Koalition Maßnahmen zur Eindämmung multiresistenter Keime. Heute wollen Sie, dass Tierärzte weiterhin Antibiotika verschreiben und sie auch noch selbst verkaufen können.

(Anja Jonas, FDP: Sie sollen alle Medikamente verkaufen!)

Gott sei Dank wird das nicht in Sachsen entschieden, denn Ihr Vorschlag würde dazu beitragen, dass die Zahl multiresistenter Keime durch den ungezügelten Antibiotikaeinsatz weiter ansteigt. Die Stellungnahme der Staatsregierung, die Kollegin Giegengack gestern zitiert hat, bestätigt ja gerade, dass die erwartete Resistenz nach dem Verbot von Avoparcin nicht weiter angestiegen ist.

Kollege Fischer, dem Biolandbau zu unterstellen, man gehe missbräuchlich mit Antibiotika um, ist gegenüber den Biobauern eine Frechheit.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Das hat er doch gar nicht gemacht! – Alexander Delle, NPD: Das hat er doch nicht!)

Das zeigt, dass es der CDU nicht um die Gleichbehandlung von Bioland und konventionellem Landbau geht. Mit derartiger Polemik schaden Sie den Verbrauchern und den Tieren.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Das hat er doch gar nicht gemacht!)

Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist zunächst nichts anderes als der verzweifelte Versuch – vermutlich der FDP –, jeder noch so kleinen Zielgruppe ein Bröckchen hinzuwerfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diesmal sind die Tierärzte dran – ohne die Tierärzte von meiner Seite unter Generalverdacht zu nehmen. Das ist wieder einmal nur Klientelpolitik: Fünf-Prozent-Hürde, ich hör‘ dich klappern!

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Nun zum Inhalt. In Punkt 1 fordern Sie einen Bericht – ich zitiere –, „wie die Anwendung und Abgabe von Arzneimitteln in Nutztierbeständen in Deutschland genau geregelt ist und welche Maßnahmen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene bereits ergriffen wurden, um den Ursachen für einen zu hohen Antibiotikaverbrauch entgegenzuwirken“.

Meine Damen und Herren der Koalition! Immerhin haben Sie mittlerweile zur Kenntnis genommen, dass der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung zu hoch ist. Um Wissenslücken zu schließen, ist gegen einen solchen Bericht natürlich nichts zu sagen. Albern wird es aber, wenn Sie – ohne den Bericht abzuwarten und ohne zu wissen, wovon Sie in Punkt 3 des Antrages reden –, das Dispensierrecht für Tierärzte unbedingt beibehalten wollen. Wenn das bei Ihnen schon feststeht, können Sie sich den Bericht sparen. Ich kann Ihnen versichern, so bekommen Sie den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung nicht auf – ich zitiere wieder – „das notwendige therapeutische Minimum beschränkt“.

Sie machen hier den Bock zum Gärtner. Momentan kann ein Tierarzt oft mehr mit dem Verkauf von Medikamenten als mit der eigentlichen tierärztlichen Leistung und Beratung verdienen. Damit muss Schluss sein. Aktuelle Untersuchungen zeigen deutlich, dass dieses System so nicht funktioniert.

Frau Jonas und Herr Fischer, jetzt bitte genau hinhören:

(Anja Jonas, FDP: Das ist schon die ganze Zeit der Fall!)

Erstens. Bei der Hähnchenstudie aus NRW kam heraus, dass über 96 % der Masttiere mit mehreren – verschiedenen – Antibiotika behandelt werden. 53 % der Tiere werden nur ein bis zwei Tage behandelt. Antibiotika können bei so kurzer Anwendung überhaupt nicht heilen. Das legt nahe, dass sie trotz Verbot weiterhin als Wachstumsförderer eingesetzt werden.

Zweitens. In der NRW-Verschleppungsstudie wurden 58 Proben aus dem Tränkwasser untersucht. Ziel war es, Informationen über Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen im Tränkwasser nach Behandlungsende und möglicher Verschleppung von einem zum anderen Mastdurchgang zu erlangen. Das Ergebnis: Bei 62 % der überprüften Ställe wurden Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen weit über das Ende des Mastdurchgangs hinaus nachgewiesen. Bis zu vier verschiedene Wirkstoffe je Stall waren es in der Hühnermast bzw. bis zu sieben in der Putenmast.

Drittens. In einer Studie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und der Universität Leipzig wurde nachgewiesen, dass Masthähnchen an jedem vierten Tag

ihres kurzen Lebens Antibiotika bekamen, im Schnitt an zehn von 38 bzw. 39 Lebenstagen.

Viertens. Die Ergebnisse eines Gutachtens im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion zeigen, dass bis zu

6,4 Millionen Deutsche mittlerweile Träger bestimmter antibiotikaresistenter Keime sind.

Meine Damen und Herren! Angesichts dieser Fakten wollen Sie uns hier weismachen, dass Tierärzte und Tierhalter verantwortungsvoll mit Antibiotika umgehen und dass die Kontrollen derzeit effizient sind?

(Zuruf von der FDP)

Ich glaube, das ist ein schlechter Scherz. In Deutschland wurden im Jahr 2011 unglaubliche 1 734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Das entspricht mehr als 170 Milligramm Antibiotika pro erzeugtem Kilogramm Fleisch. Im europäischen Vergleich liegen nur Frankreich, die Niederlande und Griechenland darüber. Daran wird sich so lange nichts ändern, solange Sie an den Zuständen in der Massentierhaltung nichts ändern wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die industrielle Tierhaltung – speziell die Geflügelmast – ist aufgrund des hohen Krankheitsdrucks in den überfüllten Ställen auf den massiven Einsatz von Medikamenten angewiesen. Antibiotika sind die eigentliche Schlüsseltechnologie, um sehr viele Tiere überhaupt auf sehr engem Raum halten zu können.

Das Gesetz erlaubt bei Hähnchen 42 Kilogramm Lebendgewicht auf einem Quadratmeter Stallboden, was etwa 22 bis 23 Tieren entspricht. Das ist niemals artgerecht, das ist Qualtierhaltung! Herr Kupfer spricht immer von „moderner Tierhaltung“. Aus unserer Sicht muss das schnellstens beendet werden.

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits im letzten Jahr Vorschläge zur Eindämmung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung gemacht.

Erstens – Abschaffung des Rabattsystems für den Einkauf von Antibiotika, zweitens – Aufhebung des Dispensierrechts von Tierärzten. Sie sollen Medikamente zukünftig verschreiben, aber nicht verkaufen.

(Sebastian Fischer, CDU: Das ist doch etwas anderes!)

In der Humanmedizin funktioniert das ja auch schon lange.

Drittens – Vorrang der Einzeltierbehandlung vor der Behandlung des gesamten Tierbestandes. Viertens – Tierärzte müssen künftig genau dokumentieren, aus welchen Gründen welches Medikament zur Tierbehandlung eingesetzt worden ist.

(Anja Jonas, FDP, steht am Mikrofon.)

Fünftens – die Einrichtung einer zentralen Datenbank zur lückenlosen Dokumentation der Antibiotikavergabe durch

den Tierarzt und jeder Verabreichung durch den Tierhalter.

(Zuruf von der CDU)

Das haben wir gefordert. Es ist gut, wenn es schon läuft.

(Zurufe von der FDP und der CDU)