Protocol of the Session on July 11, 2013

(Staatsminister Dr. Jürgen Martens: Nein!)

Über den Justizminister übt das Parlament die Kontrolle über die Staatsanwaltschaft als exekutive Behörde aus. Sie ist doch eigentlich auch der Garant der Rechtmäßigkeit des Verfahrens.

Dass das funktioniert, steht mit dem Prozess gegen König in einem herausgehobenen Fall ein weiteres Mal infrage. Deshalb ist das Parlament durchaus gefragt, sich dazu zu äußern. In der Republik würde niemand verstehen, wenn wir sagten: „Das interessiert uns nicht, wir gehen zur Tagesordnung über.“

In einem Punkt gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Kollege: Auch ich kann nicht sagen, wie das Ergebnis der Aussetzung des Prozesses nach vier oder fünf Monaten ausfallen wird. Stellt der Richter ein, wie es die Verteidigung beantragt hat? Spricht er frei? Ergibt sich aus dem Beweismaterial Belastendes oder Entlastendes? – Aber in diese Situation hätten wir, hätte der Prozess nie kommen dürfen!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Biesok?

(Marko Schiemann, CDU: Ich wollte eine Nachfrage stellen!)

Zuerst die weitere Zwischenfrage.

Herr Kollege Biesok, bitte.

Herr Kollege Bartl, Sie haben soeben ausgeführt, dass in einem Verfahren, das einen politischen Hintergrund hat und das in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird, die Staatsanwaltschaft eine besondere Sorgfalt an den Tag zu legen habe, wenn es um die Ermittlungen geht. Sehe ich es richtig, dass Sie damit ausdrücken wollen, durch Erzeugung einer breiten Öffentlichkeit und von politischem Druck könnten unterschiedliche Maßstäbe für die Sorgfalt der Staatsanwaltschaft konstruiert werden?

(Unmut bei den LINKEN)

Sollte deshalb bei Straftaten, die nicht im öffentlichen Interesse stehen, weniger sorgfältig ermittelt werden?

Kollege Biesok, ich darf dazu sagen: Wir machen das beide berufsmäßig. Es ist ein Grauen, wenn ich – wann auch immer – auf die Tatsache stoße, dass man versucht, mir Beweismaterial vorzuenthalten. Dagegen interveniert jeder Verteidiger in jedem Verfahren. Sie wissen aber auch, wenn Sie die Frage stellen, ist es minimal blauäugig. Sie wissen auch, dass wir in Sachsen eine Verwaltungsvorschrift haben. Sie

nennt sich „Organisationsstatut der Staatsanwaltschaft“ (VwVOrgSt). In dieser VwVOrgSt gibt es eine Ziffer 9, die lautet: „Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft.“ „Dem Generalstaatsanwalt ist möglichst frühzeitig über alle wichtigen Vorkommnisse, bedeutenden Verfahren und über solche Angelegenheiten zu berichten, welche Anlass zu besonderen Weisungen geben können oder deren Kenntnis zu ihm im Rahmen seiner Dienst- und Fachaufsicht von Bedeutung sind. Über den Wegfall des Berichtsanteils ist zu berichten. Besteht die Berichtspflicht fort, ist im Abstand von sechs Monaten, ferner nach Beendigung des Verfahrensabschnittes zu berichten.“

Abs. 2: „Der Generalstaatsanwalt berichtet dem Staatsminister der Justiz und für Europa, wenn er einer Strafsache besondere Bedeutung beimisst. Besondere Bedeutung hat eine Strafsache insbesondere dann, wenn sie öffentliches Interesse erregt hat oder voraussichtlich erregen wird oder von herausgehobener rechtlicher oder tatsächlicher Komplexität ist. Der Generalstaatsanwalt berichtet ferner, wenn sich Beschwerden gegen Maßnahmen seiner Dienststelle richten und konkreter Anlass zur Prüfung besteht.“

Wenn Sie mir jetzt erklären, dass es demzufolge nicht von Staats wegen ein Sortieren gibt in besonders wichtige, herausgehobene Prozesse, dann frage ich Sie: Was soll diese Verwaltungsvorschrift? Präzisiert ist sie am 15. Juni 2013. Das ist die letzte Fassung, das wissen Sie. Ich wollte das gern weglassen. Sie wissen es auch aus der Ausschusssitzung, dass der Generalstaatsanwalt selbstverständlich das Verfahren zumindest mit Berichtspflicht an sich gezogen hat. Sie wissen, dass der Justizminister informiert war, der ansonsten sehr sorgfältig mit dem Instrument umgeht – das möchte ich ausdrücklich an dieser Stelle sagen –, wohltuend zurückhaltend. Das, was ich alles bisher als Erkenntnis habe, finde ich nicht in einem Verfahren irgendwie widerlegt. Hier hat er sich berechtigt nach Statut verhalten. Was soll er denn machen? Das ist eine Verwaltungsvorschrift. Er muss sich ja daran halten, auch wenn es seine eigene ist.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Mir daherzukommen und zu sagen, Ladendiebstahl und meinetwegen Graffiti werden gleichermaßen behandelt wie ein derartiger Prozess, wo von vornherein in emotionaler Hinsicht aus nachvollziehbaren Gründen viel Streit war – also Versammlungsdelikte, wo es um „Handygate“ geht; Sie wissen um die Aufhebung bestimmter Entscheidungen des Gerichts betreffs der Rechtmäßigkeit der Funkzellenüberwachung –, war für jeden handgreiflich klar, wer als Leiter des Verfahrens im Ermittlungsstadium gilt oder als Anklagevertreter, dass er von Anfang an hier auf Text und Noten schauen muss. Es ist undenkbar, dass ich hier so flippig über die ganze Sache hinweggehe und sage, die Polizei wird schon auswählen, was für das Verfahren gut oder schlecht ist. So geht es im Rechtsstaat nicht.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich will im Grunde genommen überhaupt nicht bestreiten, dass es immer ein Balanceakt ist, zu einem konkreten Verfahren im Parlament einen Disput aufzunehmen, weil auch ich meine, in dem Moment, da das Gericht die Sache an sich gezogen hat und seine Tätigkeit beginnt, selbst bis zu der Frage, wo der Staatsanwalt aus meinem Ansatz in die Rechtspflege wechselt, wird er eigentlich funktional als Bestandteil der Rechtspflege tätig. Es ist immer schwierig, sich dann reinzuhängen.

Aber bei dieser Sache stehen Entwicklungen im Raum, die wir nicht liegen lassen können und sagen, wenn es rechtskräftig entschieden ist, bilden wir uns ex post eine Meinung. Das wird nicht gehen.

Ich will überhaupt nichts überhöhen, aber das Verfahren ist eingeleitet worden durch eine Erklärung der beiden Verteidiger im ersten Satz. Das war am 3. April 2013. Er lautete: „Das Verfahren ist von schweren, die Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft belegenden Fehlern und von massivem Amtsmissbrauch der Ermittlungsbehörden geprägt.“ Das war die einleitende Verteidigungserklärung. Damit hat die Verteidigung zu erkennen gegeben, dass sie von den Mängeln des Ermittlungsverfahrens weiß – das ist das Stadium, für das die Staatsanwaltschaft dann zuständig ist.

Überall werden Fehler gemacht, ich habe kein Problem, alle sind dort stark belastet, gerade in diesem Arbeitsbereich, und viele zerren auch an den betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten herum. Aber schon allein die Erklärung hätte entweder zu einer scharfen Zurückweisung mit der Maßgabe bis zu dem Problem üble Nachrede gehen müssen oder ich gehe dann tatsächlich in mich. Ich meine etzt nicht den Richter und den Staatsanwalt, sondern ich achte darauf, dass mir das nicht noch einmal im Verfahren nachgesagt, sondern von mir widerlegt werden kann. Das Gegenteil ist geschehen.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das war Herr Bartl für die Fraktion DIE LINKE. Für die SPD-Fraktion ergreift jetzt Herr Homann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Polizei und Staatsanwaltschaft tragen in unserer Gesellschaft eine herausragende Verantwortung. Wir haben großen Respekt vor ihrer Arbeit, insbesondere auf Demonstrationen ist es nicht immer leicht. Aber sie tragen eine große Macht und vor allem ein Gewaltmonopol, was erfordert, dass wir kontrollieren und aufmerksam hinsehen bei Fragen von Fehlentwicklungen. Auch das bedeutet Gewaltenteilung, sich nämlich gegenseitig zu kontrollieren.

Deshalb finde ich es richtig, dass wir heute diese Debatte führen, denn die Vorenthaltung von 200 Stunden Videomaterial, das Neuzusammenschneiden in einer suggestiven Form, das Vorenthalten von entlastenden Sequenzen

ist ein solcher Punkt, bei dem wir als Legislative als eine der drei Gewalten im Staat aufhorchen müssten. Ein Grundsatz des Rechtsstaates ist, dass die Beweissicherung durch die Polizei objektiv erfolgen muss. Das heißt, es müssen sowohl belastende als auch entlastende Beweise im Ermittlungsverfahren gesammelt und vorgelegt werden. Das ist in diesem Fall unterlassen worden.

Sehr geehrter Herr Schiemann! Ich finde als ein in diesem Plenum anerkannter Mann, dem Grundrechte wichtig sind, hier wären ein paar mahnende Worte angebracht gewesen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wir werden die Diskussion führen, ob und inwiefern dieses Verfahren unter einem politischen Einfluss stand. Aber was wir heute feststellen können, für die Polizistinnen und Polizisten, die hier Fehler gemacht haben, war ihr Verhalten zumindest opportun; denn uns auf der einen Seite vorzuwerfen, man sollte diesen Prozess politisch beeinflussen, und auf der anderen Seite seine Hände in Unschuld zu waschen, das funktioniert auch nicht.

Ich zitiere den CDU-Stadtrat Peter Krüger, der über Twitter äußerte: „Dieser widerwärtige Hetzer“ – gemeint ist Lothar König – „gehört in den Knast.“ Die politische Beeinflussung der CDU ist bewiesen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Diesen Post hat er inzwischen gelöscht. Die Mitarbeiter sind schuld. Das ist auch eine Form von Kultur. Aber wir sehen hier, dass dieser Prozess von den Konservativen in diesem Land befeuert wurde. Es wurde ein politisches Klima geschaffen, das diesen Prozess und diese Fehler herausgefordert und begünstigt hat.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme da zu einem anderen Schluss als vielleicht mein Kollege Wolfgang Thierse. Ich finde, der 2. Juli war ein guter Tag für die sächsische Demokratie, weil er gezeigt hat, dass Sachsen keine Bananenrepublik ist. Es gibt anständige und aufrechte Menschen in diesem Land, die sagen: Nein, so kann ein Verfahren in einem Rechtsstaat nicht funktionieren! – Sie haben bewiesen, dass es ein guter Tag für die sächsische Demokratie war.

Es war aber ein schlechter Tag für die von der CDU geführte Kampagne, die seit Jahren in diesem Land gegen Menschen läuft, die sich friedlich und zum Teil unter schwierigen Bedingungen gegen Rechtsextremismus und Neonazis engagieren. Es war ein schlechter Tag für diese CDU-Kampagne.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zum Abschluss Lothar König zitieren, weil er nur ein Fall von vielen ist. Er sagte am 2. Juli: „Nicht jeder hat eine Videogruppe und einen großen Unterstützerkreis und kann sich entsprechend gegen solche Vorwürfe wehren.“ Leider hat Lothar König recht.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Nach dem Abg. Homann ergreift jetzt der Abg. Biesok das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich heute nicht dazu äußern, ob das Beweismaterial, das jetzt Gegenstand der öffentlichen Diskussion ist, verändert wurde, unterdrückt wurde, zurückgehalten wurde und wie viele Stunden man braucht, um es zu sichten. Ich weiß es nicht, ich habe keine Akteneinsicht, ich bin nicht Verfahrensbeteiligter. Deshalb werde ich mich als Parlamentarier dazu nicht äußern.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich bin der festen Überzeugung, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Das hat die Entscheidung des Gerichtes gezeigt. Dafür gibt es die entsprechenden Instrumentarien. Wenn neue Beweismittel zutage kommen, dann muss ein solches Verfahren ausgesetzt werden, um die erforderliche Sichtung vorzunehmen, und dann entscheidet ein unabhängiges Gericht, wie diese Beweise zu bewerten sind. Wem diese Entscheidung nicht passt, der hat das Rechtsmittel, sich an das nächsthöhere Gericht zu wenden. Diesen Schritt möchte ich erst einmal abwarten.

Und noch etwas: Ich glaube, wir haben beim Fall König einige Grenzen überschritten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wer hat die Grenzen überschritten?)

Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich halte Pfarrer König für unschuldig, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Er muss freigesprochen werden, wenn man ihm seine Schuld nicht beweisen kann oder wenn seine Unschuld erwiesen ist. Er muss auch als Geistlicher, der sich gegen rechts gewandt und dabei die Grenzen des Rechtsstaates überschritten hat, verurteilt und notfalls inhaftiert werden, wenn ihm das bewiesen wurde und das entsprechende Urteil rechtskräftig ist.