Vielen Dank, Frau Friedel. – Der Punkt 1 ist für erledigt erklärt worden. Habe ich das richtig verstanden?
Damit erübrigt sich der Antrag von Ihnen, Herr Storr. Ich lasse abstimmen über den Rest des Antrages, Drucksache 5/12294. Wer zustimmen möchte, hebt die Hand. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Danke sehr. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist nicht beschlossen.
Mit der Aussprache beginnt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, danach CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Herrmann. Bitte, Frau Herrmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahrscheinlich haben Sie alle oder doch zumindest einige von Ihnen im Juni einen Brief vom Generalsekretär des ZDK, Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, bekommen zusammen mit der Erklärung „Leben bis zuletzt – Sterben in Würde“.
Warum erwähne ich das am Anfang der Rede? Ich möchte einen Teil daraus zitieren, weil er das Anliegen unseres heutigen Antrages gut zusammenfasst. Ich hoffe, dass das für einige von Ihnen ein unverfänglicher Einstieg ist in eine so wichtige Debatte zum Umgang mit der eigenen Endlichkeit. Im Anschreiben heißt es: „Gegenwärtige Entwicklungen in Gesellschaft und Medizin fordern heraus, die Würde des Menschen gerade im Alter und im Sterben zu sichern. Palliative Medizin und Pflege sowie die Hospizarbeit sind dabei von entscheidender Bedeutung. Wir sprechen uns daher für den Ausbau einer flächendeckenden differenzierten Versorgungsstruktur für schwerstkranke und sterbende Menschen aus. Die Versorgungsstrukturen müssen nach Auffassung des ZDK so ausgestaltet werden, dass schwerstkranke und sterbende Menschen nach Möglichkeit dort versorgt werden, wo sie leben, ob zu Hause, im Krankenhaus, im Hospiz, in einer Einrichtung der Behindertenhilfe oder im Pflegeheim. Das ZDK unterstützt mit seiner Erklärung ausdrücklich die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland.“
Genau das schlagen wir Ihnen heute vor: den Beitritt zur Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. Warum, wenn Sachsen doch
eine Hospizkonzeption hat? Unter anderem deshalb, weil palliative Medizin und Pflege sowie Hospizarbeit ein Zukunftsthema sind und wir uns immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Es gibt ein paar Herausforderungen, die nicht gerade neu, aber doch eine Herausforderung für uns sind. Das ist einmal der Wandel der familiären Strukturen und nachbarschaftlichen Beziehungen. Damit stößt das bisherige Versorgungsprinzip zunehmend an seine Grenzen.
Zweitens ist das der demografische Wandel. Dadurch nimmt die Zahl pflegebedürftiger und schwerstkranker Menschen zu. Wir wollen aber – und das ist drittens – trotzdem die Selbstbestimmtheit des Menschen im Sterbeprozess gewahrt wissen. Deshalb bedürfen, viertens, sterbende Menschen auch keiner Hilfe zum Sterben, sondern einer Hilfe im Sterben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Menschen fühlen sich unsicherer denn je, wenn es um Fragen am Ende des Lebens geht. Daran hat auch „öffentliches Sterben“ nichts geändert. Öffentliches Sterben, was meine ich damit? Denken Sie an die Diskussion um die Wachkomapatientin Terri Schiavo in den USA und an das für alle zu verfolgende Leiden und Sterben des vorletzten Papstes oder an das in den Medien inszenierte Sterben der Britin Jade Goody.
Dass wir uns bei entsprechenden Anlässen gegenseitig Gesundheit wünschen, zeigt unsere Unsicherheit und die Ängste, die mit Krankheit und Tod verbunden sind. Da ist zum Beispiel die Angst, nicht mehr selbst über das eigene Leben entscheiden zu können oder anderen zur Last zu fallen. Das ist schwer auszuhalten für uns, die wir umfassende Kontrolle erreichen wollen und die wir allzeit leistungsfähig und flexibel sein sollen und oft auch wollen. Es gibt darüber hinaus natürlich auch die Angst vor Schmerzen, die Angst vor Luftnot, vor Schlaflosigkeit, Einsamkeit usw.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wichtig, dass wir uns als Abgeordnete für würdige Bedingungen des Sterbens einsetzen, dass wir Menschen am Lebensende Fürsorge zusprechen und Unterstützung durch qualifizierte Palliativmedizin und hospizliche Begleitung zur Verfügung stellen. Es ist wichtig, dass wir uns mit der Unterschrift unter die Charta öffentlich dazu bekennen. Das ist eine Chance, die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung zu fördern und auch die Bereitschaft der Menschen in Sachsen, Sterben, Tod und Trauer als Teil des Lebens zu verstehen. Mit unserer Unterschrift können wir deutlich machen, dass es uns nicht darum geht, Orte des Sterbens zu schaffen wie Hospiz- und Palliativstationen – gewissermaßen abseits vom Trubel des Lebens.
Es geht uns als Sächsischer Landtag neben diesen Rahmenbedingungen um eine Haltung, um eine neue Kultur des Umgangs mit Sterben und Tod. Vor diesem Hintergrund und aus dieser Verantwortung heraus gestalten wir gemeinsam die Rahmenbedingungen. Das ist die Botschaft, die mit einer Unterschrift verbunden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist darüber hinaus gut, dass Sachsen eine Hospizkonzeption hat. Diese Konzeption bekennt sich gerade auch zur Weiterentwicklung. Die letzte Fortschreibung war 2007, und ich möchte einige Gründe für eine Anpassung nennen.
Es gibt zum einen immer weniger die Trennung zwischen kurativer und palliativer Medizin. Wenn Medizin oft als Mittel zur Gesundung gesehen wird, so stößt dieses Verständnis an seine Grenzen, und es wird terminal Erkrankten nicht gerecht.
Zum Zweiten: Wenn wir sehen, dass in Zukunft nicht mehr onkologische und andere lebenslimitierende Krankheiten im Vordergrund stehen, sondern wir zunehmend hochbetagte, multimorbide und teils demente Menschen – zum Beispiel in Altenpflegeeinrichtungen – am Lebensende begleiten, dann wird klar, dass es nicht um einige Tage oder Wochen, sondern um eine längere Zeitspanne geht, die palliativ – lindernd – begleitet werden sollte, um Wohlbefinden zu erhalten und Lebensqualität zu steigern. Der Fachbegriff dafür lautet „palliative Geriatrie“.
Beides Genanntes hat Auswirkungen auf unser Verständnis von Medizin. Das bedeutet: Wir müssen den palliativen Ansatz in der Medizin stärken. Die Gesellschaft muss die palliative Medizin, die nicht die Wiedergesundung des Menschen zum Ziel hat, sondern die Linderung bei lebenslimitierenden Erkrankungen oder im Alter, genauso schätzen und entwickeln wie die kurative Medizin. Das hat Einfluss auf die Aus- und Weiterbildung von Medizinern und auch von Pflegepersonal.
Eine weitere Entwicklung zeichnet sich ab: Menschen mit Behinderung werden in Deutschland erstmals in größerer Zahl alt – mit den entsprechenden alterstypischen Erkrankungen. Oft sind Wohnstätten der Lebensmittelpunkt; damit werden sie die Orte der Palliativversorgung. Wie sind wir dafür gerüstet? Oder soll dann für Menschen mit Behinderung der Sterbeort doch das Krankenhaus sein? Das allerdings wäre nicht mit dem Gedanken der UN
Es ist aus den genannten Gründen unbedingt erforderlich, die Hospizkonzeption weiterzuentwickeln. Vernetzung wird noch wichtiger. Das ist der erste Grundsatz in der Palliativkonzeption; wir müssen ihn neu denken. Palliativmedizin, spezialisierte ambulante Palliativversorgung, ambulante und stationäre Hospize, palliative Geriatrie – diese Bausteine müssen zusammengebracht werden angesichts der von mir geschilderten Herausforderungen.
Wir müssen gemeinsam mit den dort Tätigen und der Zivilgesellschaft zu neuen medizinischen, pflegerischen und sozialen Konzepten kommen. Im Ergebnis der skizzierten Entwicklung muss auch der Pflegeberuf deutlich aufgewertet werden. Entsprechende Angebote zur Weiterbildung in diesem Bereich sind dringend auszuweiten. Ebenso trifft das auf die Qualifizierung und Begleitung von pflegenden Angehörigen zu. Insoweit wünsche ich mir mehr als Lippenbekenntnisse von der Staatsregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unterschrift unter die Charta ist zum einen ein Bekenntnis in dem Sinne, wie ich es am Anfang meiner Rede verdeutlicht habe: Bekenntnis zu mehr Achtsamkeit, mehr Respekt, mehr Zuwendung. Zum anderen kann die Unterschrift ein Anstoß für die Fortschreibung der Konzeption sein.
Frau Herrmann. – Für die CDU-Fraktion ergreift Frau Abg. Dietzschold das Wort. Bitte, Frau Dietzschold.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es kommt nicht oft vor, dass wir uns mit so einem schwierigen, hoch emotionalen und nicht einfachen Thema wie dem Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen beschäftigen. Die Wunder der modernen Medizin, aber auch eine sich wandelnde Einstellung zum Umgang mit seinem eigenen Körper haben dazu geführt, dass die Themen Erkrankung und Tod in der Gesellschaft oft nur am Rande diskutiert werden.
Das ist bedauerlich. Sterben und Tod gehören zum Leben dazu. Aber leider blenden wir dies viel zu oft aus, bis es vielleicht zu spät ist und man sich wünscht, dass gewisse Dinge anders gelaufen wären, als sie tatsächlich passiert sind.
Der würdevolle Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Selbstverständlichkeit und muss dies auch sein. Die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland greift dies auf und will Orientierung für eine gemeinsame Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung geben, damit schwerstkranke Menschen in
Sie ist eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes und der Bundesärztekammer, die alle auch maßgeblich die Charta gemeinsam mit den Experten ausgearbeitet haben. Sie untersetzen ihre Verantwortung mit fünf Leitsätzen. Die Charta ist ein guter Leitfaden, um diese Aufgaben angemessen umzusetzen.
Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag der GRÜNEN-Fraktion zur Unterzeichnung dieser Charta halten wir indes für entbehrlich. Warum? Diese Charta, diese Selbstverpflichtung muss gelebt werden. Der Freistaat Sachsen und viele weitere Beteiligte haben seit vielen Jahren mehr als deutlich gemacht, dass sie hier bereits gelebt und auch zukünftig realisiert wird. So erschien im Jahr 2001 die erste Konzeption zur Gestaltung der Hospizarbeit. Im Laufe der Jahre ist festzustellen, dass sich das Netz ambulanter und hospizlicher Angebote sowie die stationäre hospizliche und palliative Versorgung in Sachsen gut etabliert haben.
Mit der zweiten Konzeption – aus dem Jahr 2007 – wurde dieser erfolgreiche Weg weiter beschritten; auch neue Handlungsfelder sind erarbeitet worden. Im Jahr 2012 wurden 2 442 Sterbende von 46 ambulanten Hospizdiensten in Sachsen begleitet. Aktuell gibt es 53 ambulant arbeitende Hospizdienste in Sachsen.
Weiter ist aktuell festzustellen, dass im Doppelhaushalt 2013/2014 zur Förderung von ambulanten Hospizdiensten fast 590 000 Euro jährlich veranschlagt worden sind. Es freut mich, dass im Vergleich zum Doppelhaushalt davor eine Aufstockung um fast 140 000 Euro vorgenommen worden ist. Von den bereitgestellten Mitteln für die Infrastrukturmaßnahmen möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst reden. Und, meine Damen und Herren: Sachsen ist das Bundesland, das die höchste Hospizförderung hat.
Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch die Pressemitteilung eines großen Verbandes der Krankenkassen aus der vergangenen Woche, wonach die Förderung der ambulanten Hospizdienste deutlich erhöht wurde. So fördern mit 2,4 Millionen Euro – 150 000 Euro mehr als im Jahr davor – die gesetzlichen Krankenkassen diese Arbeit. Das dient vor allem der Aus- und Weiterbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter.
Meine Damen und Herren! Dieser kurze Ausflug in die bereitgestellten Mittel macht mehr als deutlich, dass der Freistaat Sachsen und auch die vielen weiteren Beteiligten – wie die Krankenkassen – ihre Verantwortung im Zusammenhang mit dem Thema des Antrags mehr als ernst nehmen.
Meine Damen und Herren! Auch das möchte ich an dieser Stelle deutlich betonen: Auf dem erreichten guten Stand dürfen, können und wollen wir uns nicht ausruhen. Das gebietet schon die christliche Nächstenliebe. Wir werden uns auch in Zukunft für einen würdevollen Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen im Freistaat Sachsen und ihre würdevolle Betreuung einsetzen.
Damit komme ich zum Schluss. Ich möchte die Gelegenheit noch nutzen, all den ehrenamtlich und hauptamtlich Tätigen sowie den Familienangehörigen für ihr Engagement und ihren hohen persönlichen Einsatz für die Betreuung von schwerstkranken und sterbenden Menschen zu danken. Ihre Arbeit ist unverzichtbar und schafft die Grundlage für einen würde- und respektvollen Umgang mit diesem Personenkreis. Dafür vielen Dank!
Ich würde gern von dem Mittel der Kurzintervention Gebrauch machen. – Nach den Ausführungen von soeben stellt sich mir schon die grundsätzliche Frage, weshalb die CDU ein Problem hat, dieser Charta beizutreten. Das hat sich mir aus dem Redebeitrag nicht erschlossen. Da wir doch so gut aufgestellt sind, müsste alles darauf hinauslaufen, die Charta zu unterschreiben.