Protocol of the Session on June 20, 2013

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Mann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen! Worüber sprechen wir hier? Über den 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit circa 20 Mitarbeitern in Leipzig, die aber in der Mehrheit in steter Regel zu Verhandlungen in Leipzig anreisen. Es gibt also – das muss man nicht bestreiten – dadurch sicherlich einen nachvollziehbaren höheren Arbeits- und Kommunikationsaufwand innerhalb des BGH, in der Diktion einiger Juristen sogar eines Eigenlebens des 5. Strafsenats, sicherlich aber nicht unvorstellbar höhere Kosten.

Genauso nachvollziehbar ist die Regelung der Föderalismuskommission, auf die bereits ausführlich und umfangreich verwiesen wurde, dass eben nicht nur der 5. Strafsenat nach Leipzig verlegt werden soll, sondern über die Rutschklausel auch weitere Strafsenate in Leipzig angesiedelt werden sollten. Hierbei ist es aber, denke ich, wichtig zu sagen, dass in der Praxis diese Regelung durch die immer weiter betriebene Ausweitung der Senate in Karlsruhe ausgehebelt wird. Man sieht also, meine Damen und Herren: In jeder Vereinbarung finden Juristen die Lücken, deshalb kann man dieses Thema hier sicherlich auch politisch diskutieren und gegebenenfalls auch mittelbar entscheiden.

Sachlich steht aus unserer Sicht eine Zusammenführung der Strafsenate derzeit überhaupt nicht an. Jedenfalls hat sich die Föderalismuskommission in ihrem Bericht im letzten Jahr dazu nicht verhalten. Die mediale Debatte fand vor allem – um nicht zu sagen: fast nur – im „Neuland“ und in Sachsen statt und übersah, dass der Gegenstand des Pressegespräches des BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf auch ganz andere Gegenstände zum Inhalt hatte, so zum Beispiel Fragen der Videoberichterstattung im NSU-Prozess.

Aber, Herr Schiemann, wenn wir nun hier über eine Vereinigung sprechen, dann trifft vor allem der schon am 11. April unmittelbar vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung getroffene Hinweis zu, dass eine Wiedervereinigung wenn, dann sicherlich nur in Leipzig stattfinden könne. Hierin sind wir uns einig.

Zeitgeschichtlich liegen die strukturellen Nachteile der Trennung des BGH aus unserer Sicht ebenso in der 1992 getroffenen falschen Entscheidung, das Gericht nicht, wie in der Weimarer Republik, in Leipzig zusammenzuführen, sondern nur den 1950 in Westberlin wiedergegründeten Senat in Leipzig anzusiedeln. Insofern können wir Ihrer Forderung am Ende des Antrages zustimmen und diese auch verstärken.

Die Zusammenführung aller Senate in Leipzig wäre sicherlich auch eine öffentliche Dokumentation, eine Aufarbeitung und Wiedergutmachung dieses dunklen Kapitels der Justizgeschichte des bis 1945 in Leipzig sitzenden Reichsgerichtes. Da aber von einer solch weitreichenden Entscheidung wiederum der Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes – zumindest seines Gerichtsgebäudes – abhängen dürfte und sich die Debatte keine anderthalb Tage in Juristenblogs und Medien hielt, gehen wir eher davon aus, dass sich diese Frage nicht mehr in dieser Legislaturperiode stellen dürfte.

Wenngleich wir also nicht sicher sind, ob wir mit dieser Debatte im Hohen Hause nicht vielmehr Geister rufen, die wir besser in Flaschen – sicherlich guten – Rotweins Baden-Württembergs gelassen hätten, stimmen wir Ihrem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion DIE GRÜNEN Herr Abg. Lichdi.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es nicht sehr spannend: Wir werden dem Antrag natürlich zustimmen. Ich möchte auch nicht verhehlen, dass wir sie durchaus für überflüssig halten und eine Parlamentsdebatte dazu eigentlich auch. Überflüssig ist der Antrag deshalb, weil es unseres Erachtens selbstverständlich Aufgabe der Sächsischen Staatsregierung ist, sich für den Erhalt von Standorten der Bundesverwaltung und eben auch von Bundesgerichten im Freistaat Sachsen einzusetzen.

Ich frage mich schon, Herr Dr. Martens, ob Sie dazu eine Debatte benötigen. Aber wenn ich gerade den Kollegen Bartl höre, dann vermute ich fast, dass das Ihre Linie war, Herr Staatsminister Martens, dass dann aber die CDUFraktion in Form ihres rechtspolitischen Sprechers, des Kollegen Schiemann, wohl entschieden hat, dass das eine eigene Parlamentsdebatte wert ist. Das nehmen wir dann so hin. Wir halten allerdings die Parlamentsdebatte wirklich für unnötig und ungeeignet; denn wir können dazu keinerlei Gesetze hier im Sächsischen Landtag

erlassen. Wir können auch die Staatsregierung dazu kaum kontrollieren.

(Zurufe der Abg. Marko Schiemann und Christian Piwarz, CDU)

Wir können auch nicht kontrollieren, in welchen Gesprächen auf der föderalen Ebene oder mit der Bundesregierung oder mit dem BGH in dieser Weise eingewirkt wird; ob die Staatsregierung es richtig macht oder ob sie es falsch macht,

(Christian Piwarz, CDU: Herr Lichdi, Sie sind ganz allein!)

das können wir alles nicht kontrollieren. Es liegt nun einmal in der exekutiven Eigenverantwortung der Staatsregierung.

Ich möchte aber doch noch einige Worte zu Ihrer Begründung verlieren, auch zu der Frage der Attraktivität des Justizstandortes. Mir scheint, wenn Sie bei diesem Anspruch des Freistaates – der aus unserer Sicht zweifellos besteht –, dass Leipzig auch als Gerichtsstandort wieder gestärkt wird, allein auf die sogenannte starke deutsche Rechtstradition in Leipzig abzustellen – Herr Kollege Bartl hat das Thema leicht angedeutet –, diese Karte ziehen, dann kann die auch mörderisch nach hinten losgehen; denn Sie kommen dann nicht umhin, auch einen Blick auf die Spruchpraxis der Gerichte während der Weimarer Republik sowie während des Nationalsozialismus zu werfen. Es ist ja leider bekannt.

Ich nenne nur den „Weltbühne“-Prozess 1931 mit dem Skandalurteil gegen Ossietzky oder die Tatsache, dass das Reichsgericht in Leipzig schon vor gesetzlicher Umsetzung im Nationalsozialismus im Wege der Rechtsfortbildung, im Wege der sogenannten unbegrenzten Auslegung – die Juristen kennen das berühmte Buch von Rüthers – entschieden hat, dass es ein Ehescheidungsgrund ist, wenn ein Ehepartner Jude ist, und zwar, bevor das die Nazis ins Gesetzblatt geschrieben haben. Wir sollten also damit etwas differenzierter umgehen; denn ich könnte mir auch vorstellen, dass dann übelmeinende Interessenten aus anderen Bundesländern vielleicht auch diese Geschichte wieder hervorkramen könnten.

Aber, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, Herr Staatsminister Dr. Martens, ich frage mich: Wie glaubhaft können Sie eigentlich hier die Forderungen nach dem Erhalt des Gerichtsstandorts Leipzig für obere Bundesgerichte aufmachen, wenn Sie selbst so stiefmütterlich mit der sächsischen Justiz umgehen? Ich erinnere an die Schließung von Amtsgerichten. Ich erinnere Sie – Herr Kollege Schiemann, wir haben dort gemeinsam gekämpft – an die Degradierung des Landgerichts Bautzen zur Außenstelle, was ja nur der erste Schritt zur Abschaffung des Landgerichts Bautzen ist, wie wir alle wissen, obwohl sehr gute verfassungsrechtliche Gründe für den Erhalt des Landgerichtes Bautzen gesprochen haben. Wir erinnern uns an die Anhörung und den Vortrag von Herrn von Mangold dazu. Es ist so: Wenn man hier diese Forderung im bundesweiten Konzert aufmacht,

dann sollte man sich auch selbst nichts vorzuwerfen haben.

Das Problem ist, Herr Dr. Martens: Sie fahren die sächsische Justiz auf Verschleiß. Die Zahl der Amtsgerichte ist im Freistaat von 40 im Jahr 1992 – das waren sicher etwas zu viele – auf 25 im Jahr 2013 gesunken, und bis zum Jahr 2025 sollen nach dem Willen Ihrer Koalition 1 125 Stellen von bisher 8 573 in der Justiz ganz wegfallen. 61,5 % der momentan in der sächsischen Justiz tätigen Richter(innen) und Staatsanwälte werden bis 2030 in den Ruhestand gehen. Wir haben das oft genug angemahnt. Fragt man aber nach Ihren Gegenmaßnahmen, wie etwa langfristige Personalentwicklungskonzepte oder Einstellungskorridore, dann ernten wir immer nur die Antwort: Das brauchen wir nicht, das haben wir alles im Griff, und es geht euch eigentlich auch nichts an.

Ich komme zum Schluss. Auch wir von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hoffen, dass der Strafsenat in Leipzig bleibt. Wir stehen dazu, dass auch die sogenannte Rutschklausel mit Leben erfüllt werden muss und nicht einfach im Wege administrativen Handelns ausgehöhlt wird. Wir glauben nicht, dass Sachsen bisher bei obersten Bundesgerichten ausreichend vertreten ist. Deswegen werden wir diesem Antrag natürlich zustimmen.

Aber wir müssen uns auch darüber Gedanken machen: Wie machen wir den Justizstandort Sachsen insgesamt attraktiv? Dazu sage ich: Es ist auch manchem Richter, der seine Sozialisation im Westen erlebt hat, zuzumuten, nach Leipzig umzuziehen und dort seinen Lebensmittelpunkt zu begründen, wenn er dort am Obersten Gericht tätig werden will. Ich denke, das kann man auch einmal sagen. Aber es kommt darauf an, welchen Eindruck die sächsische Justiz in Deutschland überhaupt macht. Da haben wir im Augenblick leider viel Anlass zur Sorge. Sie wissen, worauf ich anspiele. Ich denke, darauf sollten wir auch Rücksicht nehmen, wenn wir diese Debatte bundesweit führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die NPDFraktion Herr Abg. Delle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie es mich gleich vorwegnehmen: Der vorliegende Antrag zum Erhalt des 5. BGH-Strafsenats am Standort Leipzig findet auch die volle Zustimmung der NPD-Fraktion. Im Gegensatz zu Ihnen allen schauen wir eben nicht auf die Absender eines Antrags, sondern allein auf seinen Inhalt.

Und wann immer es darum geht, den Freistaat Sachsen als Standort höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu erhalten oder zu stärken, wird die NPD-Fraktion ein solches Anliegen unterstützen.

Leipzig ist dabei gleich in mehrfacher Hinsicht als Ort oberster Rechtsprechung prädestiniert, und zwar sowohl als Stätte des einstigen Reichsgerichts als auch – das bitte

ich nicht zu vergessen – als Ausgangspunkt der friedlichen Revolution 1989/1990.

Vor diesem Hintergrund kommt der in der Antragsbegründung genannten besonderen Berücksichtigung der neuen Bundesländer bei der Verteilung von Bundesbehörden ein ganz besonderes Gewicht zu, das insbesondere den Standort Leipzig in den Blick nehmen muss. Angesichts dessen ist es weder zeit- noch rechtsgeschichtlich schlüssig noch aus anderen Gründen sachlich geboten, den ohnehin nur noch auf einen einzigen Strafsenat reduzierten BGH-Standort Leipzig gänzlich aufzugeben.

Die NPD-Fraktion befürwortet auch die sogenannte Rutschklausel, nach der für jeden neu am BGH-Standort in Karlsruhe eingerichteten Zivilsenat ein BGH-Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig verlegt wird. Die Rechtspflege, meine Damen und Herren, im Freistaat Sachsen darf nicht nur Tradition, sie muss auch Zukunft haben.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Die Staatsregierung wird sicherlich sprechen wollen. Herr Minister Martens, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Lassen Sie mich gleich mit der guten Nachricht anfangen, und zwar mit einer Antwort, die ich dem Kollegen Bartl auf seine schriftliche Anfrage noch nicht habe geben können.

Vor wenigen Tagen, am 04.06., hat mir die Bundesministerin der Justiz, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, zugesichert, dass sie an den Empfehlungen der unabhängigen Föderalismuskommission festhalten will. Das heißt, ich kann dem Haus heute ein Stück weit die Sorge nehmen, dass der Standort des 5. Strafsenats in Leipzig gefährdet sei.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Auch an der Klausel, dass neue Senate des Bundesgerichtshofs in Leipzig anzusiedeln sein sollen, will die Bundesjustizministerin ausdrücklich festhalten.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der CDU)

Für Nichtfachleute heißt das: Nachdem damals die deutsche Teilung überwunden war, begann natürlich eine lebhafte Diskussion, ob Leipzig in alter Tradition Heimat des Bundesgerichtshofs insgesamt werden sollte, so, wie es einst der Sitz des Reichsgerichts und – nicht nur des Reichsgerichts – auch seiner Vorgängergerichte bis hin zum Reichsoberhandelsgericht am Messestandort Leipzig gewesen ist.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Die Einrichtung des Handelsgerichts des Norddeutschen Bundes erfolgte übrigens erst viel später.

Meine Damen und Herren! Sachsen – speziell Leipzig – ist damit traditionell und mit langer Geschichte das Zentrum oberer Gerichte in Deutschland gewesen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass es vor dem Jahr 1950 weder ein Reichsverfassungs- noch ein Reichsverwaltungsgericht gegeben hat.

Der Freistaat hat sich deswegen nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit sehr dafür eingesetzt, dass der Bundesgerichtshof in das alte Reichsgerichtshofgebäude einzieht. Aber die Geschichte ist anders verlaufen. Leipzig beherbergt heute in den Räumen des Reichsgerichts das Bundesverwaltungsgericht. Darüber ist der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig ansässig.

Die Zusage der Bundesjustizministerin, hieran festzuhalten, ist in faktischer Hinsicht und politisch erfreulich, sie ist aber auch rechtlich betrachtet als erfreulich und positiv zu werten; denn nach den gesetzlichen Vorschriften ist zwar Karlsruhe der Sitz des Bundesgerichtshofs, aber über die Einrichtung auswärtiger Senate des Bundesgerichtshofs entscheidet allein der Bundesminister oder die Bundesministerin der Justiz.

So ist die Ankündigung von Frau LeutheusserSchnarrenberger, neue Senate des Bundesgerichtshofs in Leipzig ansiedeln zu wollen, für Sachsen von besonderem Wert, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und der CDU)