Protocol of the Session on May 8, 2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem Datum erinnere ich uns alle an das Ende des Zweiten Weltkriegs, an die vielen Millionen Opfer, an die bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands

(Zuruf von der NPD: Die Wehrmacht hat kapituliert!)

und eröffne die 75. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags.

Zu dieser besonderen Sitzung habe ich Sie gemäß § 77 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung eingeladen, weil mehr als ein Viertel der Mitglieder des Landtags von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, eine solche Sitzung außerhalb des Sitzungsplanes zu verlangen.

Der anzugebende gewünschte Beratungsgegenstand ist die 1. Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der GRÜNEN zum Thema: Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen (Verfassungsänderungsgesetz).

Der Vollständigkeit halber möchte ich vor Eintritt in die Tagesordnung noch darauf hinweisen, dass sich eine ganze Anzahl Abgeordneter für die heutige Sitzung entschuldigt haben: Herr Bandmann, Herr Otto, Herr Petzold, Frau Saborowski-Richter, Herr Gemkow, Frau Gläß und Frau Bonk.

Ebenso der guten Ordnung halber frage ich, ob es weitere Wünsche aus den Fraktionen zur Ergänzung dieser Tagesordnung gibt. – Das ist nicht der Fall.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 1

1. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen

(Verfassungsänderungsgesetz)

Drucksache 5/11838, Gesetzentwurf der Fraktionen

der CDU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

In der Regel begründen bei einer Beratung nur die Einreicher ihren Gesetzentwurf. Eine allgemeine Aussprache findet nur statt, wenn dies vom Präsidium empfohlen wird. Die Fraktionen haben sich im Präsidium auf eine solche Empfehlung verständigt. Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: CDU bis zu 38 Minuten, DIE LINKE bis zu 29 Minuten, SPD bis zu 19 Minuten, FDP bis zu 19 Minuten, GRÜNE bis zu 17 Minuten, NPD bis zu 17 Minuten, Staatsregierung 45 Minuten, wenn gewünscht.

Ich darf noch darauf hinweisen, dass diese Aussprache sich auf die Grundsätze des Gesetzentwurfs bezieht und Änderungsanträge erst nach Schluss der 1. Beratung zulässig sind.

Es spricht zunächst die Fraktion der CDU. Danach folgen die Fraktionen der SPD, der FDP, der GRÜNEN, der LINKEN und der NPD. Die Staatsregierung ergreift an der Stelle das Wort, an der sie es wünscht.

Die Aussprache eröffnet Herr Kollege Flath für die einbringende Fraktion der CDU. Bitte, das Wort ist erteilt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Am 27. Mai 1992 wurde hier im Parlament die Verfassung des Freistaates Sachsen beschlossen. Kein einziges Mal wurde sie bis heute geändert.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Diese Verfassung hat sich bewährt. Warum dann heute dieser Gesetzentwurf zu deren Änderung? Ich möchte aus Artikel 95 der Verfassung in ihrer noch gültigen Form zitieren: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“

Wir haben im Haushaltsplan rund 16 Milliarden Euro veranschlagt. Die Investitionsquote in Sachsen liegt bei rund 18 %. Als Aufgabe gebe ich Ihnen mit, einmal auszurechnen, wie viel an Krediten wir nach der jetzt gültigen Verfassung aufnehmen könnten. Beachten Sie bitte zudem den Satz, dass davon noch Ausnahmen zulässig sind. Wenn Sie in andere Bundesländer schauen und sich die Geschichte der Bundesrepublik vor Augen halten, wissen Sie: Von den Ausnahmen – im Sinne darüber hinausgehender Ausgaben – wurde sehr häufig Gebrauch gemacht.

Der auch in der Sächsischen Verfassung geregelte Umgang mit Schulden entspricht der Ausgabenphilosophie der Siebzigerjahre in der alten Bundesrepublik. Die schweren Nachkriegsjahre waren ohne Schuldenaufnahme gemeistert worden. Als der Wohlstand in der alten Bundesrepublik anstieg, wollte man mehr und mehr. Die Ansprüche stiegen einfach schneller als die Möglichkeiten. Die Politik versprach mehr, als die Wirtschaftsleistung hergab. Also begann man, von den Kindern und

Enkeln zu borgen – so würde das unser Altministerpräsident Kurt Biedenkopf ausdrücken.

Das war aus heutiger Sicht ein verhängnisvoller Weg, der schließlich zur heutigen Schuldenkrise in Deutschland, aber auch in ganz Europa führte. Die Änderung der Verfassung ist deshalb aus der Sicht der CDU-Fraktion die beispielgebende Antwort auf die gegenwärtige Schuldenkrise.

Unser Koalitionspartner FDP teilte in den Koalitionsverhandlungen 2009 diese Überzeugung. Lieber Holger Zastrow, dir und den Mitgliedern deiner Fraktion herzlichen Dank dafür!

(Zurufe von den LINKEN: Beifall!)

Schließlich saßen wir am 10. Februar 2012 – ich kann mir das Datum deshalb gut merken, weil ich Geburtstag hatte – gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und den Oppositionsfraktionen am Tisch, um eine Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung zu diskutieren. Es gab viele Tage mit Gesprächen. Für unsere Fraktion führten diese Jens Michel und Marko Schiemann. Euch beiden Dank und Anerkennung!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP sowie bei der Staatsregierung)

Nach vielen Gesprächsrunden gelang uns am 1. Februar 2013 eine Einigung. Damit, meine Damen und Herren, schreiben wir Verfassungsgeschichte. Ich möchte mich heute bei allen in diesem Hohen Haus, die zu dieser Einigung beigetragen haben, herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD, der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE, und der Staatsregierung)

Ich gehe jetzt einmal der Reihe nach die Fraktionen durch.

Frau Hermenau, ich danke Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Fraktion. Sie haben die atmende Schuldenbremse vertreten. Ich wollte das absolute Schuldenverbot ohne Wenn und Aber. Mir ist die Einigung – will ich heute sagen – schwergefallen, aber ich trage den gefundenen Kompromiss mit.

(Michael Weichert, GRÜNE: Atmen ist besser als ersticken!)

Herr Dulig, Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Fraktion: Danke! Sie haben die Kommunen in Sachsen gerettet.

(Allgemeine Heiterkeit)

Das war freilich nicht notwendig, weil wir in Sachsen ohnehin fair mit unseren Kommunen umgegangen sind. Das belegen die Jahre.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Unser Anliegen war: Die kommunale Ebene soll durch unser Schuldenverbot nicht in einen Nachteil geraten. Dieses Ziel wurde mit dem Kompromiss erreicht. Vorteile

für die Kommunen sind damit aber nicht zu erwarten – das war aber auch nie das Ziel.

Einen indirekten Vorteil sehe ich aber dennoch: Der erzielte Kompromiss der Verfassungsänderung wird logischerweise zu einer gewissen Standardbremse der staatlichen Ebene in Sachsen führen – und das, meine Damen und Herren, kann ein Segen für die Kommunen sein.

Danke, Herr Gebhardt und den Verhandlungsmitgliedern Ihrer Fraktion. Auf Wunsch von Rot-Grün – das sei noch einmal unterstrichen – hatten wir Sie zu den Verhandlungen eingeladen. Sie haben an den Verhandlungen teilgenommen, und Sie haben die soziale Ausgleichsfunktion der Finanzpolitik in den Kompromiss hineinverhandelt. Ja, wir können in der CDU-Fraktion damit leben, weil jede Steuer- und Finanzpolitik schließlich den sozialen Ausgleich zum Ziel hat. Meine Bitte ist jetzt: Gehen Sie mit uns den sächsischen Weg. Hören Sie nicht auf Berlin – Berlin hat vielleicht Ahnung vom Feiern; solide Haushaltspolitik aber wird in Sachsen betrieben.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werbe für den Gesetzentwurf. Bleiben wir beieinander, damit der 10. Juli 2013 mit dem Beschluss der Verfassungsänderung ein guter Tag für die Zukunft Sachsens wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE, und der Staatsregierung)

Herr Kollege Flath sprach für die einbringende Fraktion der CDU. Für die einbringende Fraktion der SPD spricht jetzt Herr Kollege Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist ein historischer Moment, weil wir bei einer Zweidrittelmehrheit, die wir für eine Verfassungsänderung benötigen, aus unseren Rollen heraustreten müssen. Hier funktioniert es nicht mehr, einzuteilen in Koalition oder Opposition, sondern es ist die Frage, ob es einen gemeinsamen Geist für diese Verfassungsänderung gibt.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Verhandlungen zu dieser Verfassungsänderung durch die SPD nicht mitgetragen wurden, weil es im Koalitionsvertrag von CDU und FDP steht. Das ist mir an der Stelle nicht wichtig. Wir haben uns auf die Verhandlungen eingelassen aus Verantwortung für unser Sachsen, im Vertrauen auf einen handlungsfähigen Staat und vor allem im Interesse des Gestaltungswillens von Politik. Das war unsere Motivation.

Man brauchte die SPD auch nicht von einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik überzeugen. Die Grundgesetzänderung wurde damals in der Großen Koalition von SPD und CDU beschlossen; hier in Sachsen der erste schuldenfreie Haushalt 2006 – ebenfalls von CDU und

SPD –, und es war deshalb wichtig, dass wir uns darüber verständigen mussten, wie wir die Handlungsfähigkeit auch im Freistaat Sachsen aufrechterhalten. Durch die Grundgesetzänderung mussten wir handeln. Es ging also auch darum, dass wir pragmatisch mit der Frage umgehen, die uns durch den Gesetzgeber auf Bundesebene beschert wurde. 2020 gilt eine Schuldenbremse ausnahmslos. Es gilt die Ausnahmslosigkeit für die Länder. Im Übrigen wurde genau das durch die Länder hineinverhandelt; das muss man auch wissen. Für die Bundesebene gelten Ausnahmen, aber nicht für die Länder.