Was ist davon zu halten? Das Völkerschlachtdenkmal ist zwar eine Gedenkstätte, allerdings nicht wirklich für die Opfer der Naziherrschaft. Wir haben die Frauenkirche und den Neumarkt. Ich hätte Zweifel, das als Gedenkstätte zu bezeichnen. Es ist ein Ort mit symbolischer Bedeutung – das ist gesagt worden –, aber wir finden auf dem Neumarkt ebenso eine Menge Hotels, Bierhäuser, eine Seniorenresidenz und eine Apotheke. Dort mit einer Gedenkstätte zu argumentieren wird schwierig.
Schauen wir uns die Dresdner Innenstadt an. Wenn der 13. und 14. Februar Werktage sind, dann kann man in dieser vermeintlichen Gedenkstätte Fischbrötchen und Unterhosen kaufen. Man kann in die Drogerie gehen, sich die Haare schneiden und Hühneraugen entfernen lassen. Man kann einen Kindergeldantrag stellen. Was hat das, bitte, mit einer Gedenkstätte zu tun? Mit dieser gesetzlichen Regelung zu den Orten – –
Herr Zastrow, Sie sind zu einer Zwischenfrage herzlich eingeladen. – Mit dieser gesetzlichen Regelung zu den Orten befinden Sie sich juristisch auf sehr, sehr dünnem Eis.
Damit noch nicht genug. Ich habe gesagt, Sie wollen über die Orte hinaus noch etwas regeln. Sie haben zusätzliche Regelungen in den Gesetzentwurf eingebracht. Das Versammlungsgesetz des Bundes sagt, Orte, die an die Naziherrschaft erinnern, sollen vor Würdeverletzungen geschützt werden. Sie schreiben hinein: … Orte, die an die Naziherrschaft, an die kommunistische Gewaltherrschaft oder an die Opfer eines Krieges erinnern.
Schon bei der Regelung des Bundes haben manche Juristen Bauchschmerzen bekommen, weil das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht aus allgemeinen Gründen, sondern mit Blick auf eine Ideologie eingeschränkt worden ist. Wir haben das gehört. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Wunsiedel hat ja gesagt: Okay, in diesem speziellen Fall und ausnahmsweise ist das ganz in Ordnung. Wir stärken der Regelung den Rücken. Aber diesem einen speziellen Fall jetzt noch zwei weitere spezielle Fälle an die Seite stellen zu wollen, das halten wir für leichtsinnig. Sie finden in dem Gesetzentwurf beispielsweise auch, dass Versammlungen verboten werden sollen, die gegen die Aussöhnung oder Verständigung der Völker gerichtet sind. Was genau haben wir uns darunter vorzustellen? Ist ein Fußballspiel zwischen Deutschland und England gegen die Aussöhnung und Verständigung der Völker gerichtet, wenn es in Sachsen stattfindet?
Sie stöhnen jetzt, aber Entschuldigung, Sie formulieren hier Regelungen, die in das Absurde hineinreichen. Egal, was Sachsen beschließt. Auch mit einem liberalen Justizminister ist ein sächsisches Versammlungsgesetz an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gebunden.
Ich sage es gerne noch einmal: Gerade im Verfassungsrecht, gerade im Versammlungsrecht ist der Korridor sehr, sehr eng, und Sie schrammen links und rechts mit den Ellenbogen nicht einmal an den Wänden des Korridors entlang, sondern Sie reißen da richtig etwas ein.
Über die Anhörung ist schon viel gesagt worden; einige Juristen haben dort auf die verfassungsrechtlichen Risiken hingewiesen. Sie haben noch Änderungen eingebracht, aber wirklich redaktionelle: von D-Mark zu Euro. Den Kern des Gesetzes, den § 15, haben sie unverändert in jedem Buchstaben gelassen. Er bleibt aus unserer Sicht verfassungswidrig, weil die im Gesetz angegebenen Orte zu weit gefasst sind, weil das Gesetz es allein in das Ermessen der örtlichen Versammlungsbehörden stellt, weitere Orte zu definieren. Ich weiß auch nicht, was die örtlichen Versammlungsbehörden dazu sagen, was der Landkreistag meint, der wie der Sächsische Städte- und Gemeindetag überhaupt nicht in dem Verfahren angehört wurde, weil Formulierungen wie „die Opfer eines Krieges“ und „die Verständigung zwischen den Völkern“ viel zu unbestimmt sind und Sie so versuchen, die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu verändern.
Nun kann man sich ja beruhigt zurücklehnen und das Gesetz passieren lassen, denn es wird ja ohnehin von den Gerichten wieder kassiert werden. Doch warum bringen Sie einen solchen Gesetzentwurf überhaupt ein? Warum mit solcher Eile, warum mit so wenig Sorgfalt, warum entgegen allen Ratschlägen von den Sachverständigen und warum mit Formulierungen, die vor Gericht keinen Bestand haben werden?
Die Antwort ist einfach, und wir haben sie heute mehrfach von Herrn Schiemann und von Kollegen Biesok gehört: weil der 13. Februar vor der Tür steht. Den Naziaufmarsch kann Dresden aber auf der Basis des bisher geltenden Rechts verbieten oder verlegen. Dazu braucht es ein solches Experiment überhaupt nicht – im Gegenteil. Ein solches Experiment ist gefährlich. Sie machen hier eine kreativitätsfördernde Maßnahme für Rechtsextremisten und initiieren ein Hase-und-Igel-Spiel der Nazis mit dem demokratischen Rechtsstaat und den Behörden. Sie gehen sehenden Auges die Gefahr ein, dass dieses Gesetz als verfassungswidrig kassiert wird. Und wozu? – Nur, um nach außen darzustellen, dass wir etwas getan, dass wir etwas versucht haben.
Sie machen mit dem Gesetz Symbolpolitik. Das ist das, was mich eigentlich daran ärgert. Das ist gefährlich. Glauben Sie mir, dass ich gerne eine andere Rede halten würde, und zwar darüber, dass wir demokratischen Parteien uns einig sind, dass Nazis in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, dass die Demokratie verteidigt werden muss. Ich könnte so eine Rede mittlerweile im Dresdner Stadtrat halten. Darüber bin ich froh. Da haben Ihre Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP in unserem Dresdner Stadtrat – mit Verlaub – den Hintern hochbekommen. Darin sind wir uns alle einig, dass wir am 13. Februar zu einer Versammlung gegen den rechtsextremen Missbrauch aufrufen. Es hat lange genug gedauert, doch jetzt haben alle Dresdner Parteien endlich verstanden, dass es nicht reicht, vom Schreibtisch aus ein Gesetz gegen Rechts zu schreiben, sondern dass man hinaus auf die Straße muss. Hier im Landtag kann ich eine solche Rede leider noch nicht halten. Das Gegenteil ist der Fall. Ihr Gesetzentwurf ist keine Verteidigung der Demokratie. Deshalb werden wir dem nicht zustimmen können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was will die Koalition eigentlich mit diesem Versammlungsgesetz? Justizminister Martens, zu lesen in seinen Interviews, möchte gewalttätige Demonstrationen unterbinden und, wie er sagt, „Extremisten Grenzen setzen“. Meine Damen und Herren, das Erste ist unnötig, weil das geltende Recht ausreicht, und das Zweite ist schon vom Ziel her verfehlt. Auch Minderheiten, die die Mehrheit gerne als Extremisten bezeichnet, haben demokratische Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit. Ich sage es ganz deutlich, auch wenn es mir schwer fällt: Dies gilt selbst für Nazis.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist zutiefst unehrlich; denn es tut so, als ob es etwas regeln müsste, was schon geltendes Recht ist. Dieses Gesetz will regeln, was die Verfassung nicht zulässt und dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit schweren Schaden zufügt.
Herr Justizminister Dr. Martens, dass Sie dieses Gesetz unterstützen, ist Ihr ganz persönliches Versagen, jedenfalls, wenn Sie für sich in Anspruch nehmen sollten, rechtsstaatsliberale Grundsätze zu vertreten. Aber Sie, Herr Kollege Martens, ducken sich lieber unter Ihrem Chef Zastrow weg, wo Sie warnen und Widerstand leisten sollten.
Lässt man die aufwendige Wortakrobatik des Gesetzes weg, bleibt eines übrig: Sie wollen am 13. Februar in Dresden überhaupt keine Demonstration. Herr Kollege
Biesok hat es ja bestätigt. Es geht um eine Lex 13. Februar, ein kaum verhülltes Einzelfallgesetz zur symbolischen Demonstration Ihrer Tatkraft. Weil es verfassungsrechtlich kein Einzelfallgesetz sein darf, wird der Anwendungsbereich des Gesetzes unendlich ausgedehnt und unbegrenzt erweitert.
Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz atmet einen Geist der Unfreiheit. Eigentlich hält man die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes für zu weit geraten. Man möchte mehr Verbote und Einschränkungen, und dies ist zwischen den Zeilen die überdeutliche Botschaft an die sächsischen Versammlungsbehörden.
Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz zeigt einmal wieder, wie schwach die Wurzeln, wie schwach der Freiheits- und Grundrechtsgedanke in den Köpfen und Herzen der Mitglieder dieser Koalition ist. Wir dürfen froh und dankbar sein, dass wir ein Bundesverfassungsgericht haben, das die Grundrechte gegen diesen Gesetzgeber schützt.
Kern Ihres gesetzgeberischen Konzeptes ist der Schutz der Würde der Opfer an Orten von historisch herausragender Bedeutung. Auf den ersten Blick kann es gewiss nichts Überzeugenderes geben, als am Schutz der Menschenwürde anzuknüpfen, denn schließlich ist die Menschenwürde ja der höchste Verfassungswert. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wer sich aber auf höchste Werte beruft, hat oft sehr viel Profaneres im Sinn, Herr Kollege Schiemann. Dieses Profanere möchte er gerne verbergen und außerhalb der öffentlichen Diskussion stellen. So ist es auch hier.
Die Koalition spricht von Menschenwürde, möchte aber endlich Schluss machen mit Demonstrationen, die ihr nicht in den Kram passen. Es soll um die Würde der Opfer gehen. Das ist sicher ein bemerkenswerter Grundsatz. Uns fallen sicher auch eindeutige Fälle ein, in denen die Würde der Opfer verletzt wurde: etwa wenn Nazis in einem Konzentrations- oder Vernichtungslager die SS hochleben lassen, wie es schon vorgekommen ist. Aber so einfach ist es eben in den meisten Fällen nicht.
Auch im Zivilrecht ist der postmortale Ehrenschutz zwar möglich, aber auf die Dauer doch sehr schwierig und auch umstritten. Kann die Menschenwürde für alle Zeiten geschützt werden? Welche Opfergruppen werden dafür und nach welchen Kriterien eigentlich ausgewählt? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Menschenwürdeschutz nur noch der Vorwand für ganz andere Zwecke ist? Das sind Fragen, denen sich die Koalition verweigert.
Die Koalition sieht die Gefahr einer Menschenwürdeverletzung an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten wie insbesondere der Frauenkirche oder dem Völkerschlachtdenkmal. Herr Kollege Bartl hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, was eigentlich die Chemnitzer oder die Leipziger oder die Bürger anderer Städte denken sollen, wenn sie dieses Gesetz lesen. Entschuldigung. Sie
Meine Damen und Herren! CDU und FDP verkennen, dass die freie Wahl des Themas, des Ortes und der Zeit einer Versammlung essenzieller Bestandteil der Versammlungsfreiheit ist.
Das Konzept verbotener Orte, das Sie hier ausführen, widerspricht dem. Die Koalition möchte grundrechtsfreie Räume schaffen und so die Unverbrüchlichkeit der Grundrechtsordnung insgesamt infrage stellen.
Zudem droht eine Inflation dieser grundrechtsfreien Räume, denn die Versammlungsbehörden jedes einzelnen Kreises können in ihrem Territorium eigene Erinnerungsorte von historisch herausragender Bedeutung festlegen.
Meine Damen und Herren, es ärgert mich ein zweiter Punkt an diesem Gesetz maßlos, und zwar die erinnerungspolitische Dimension dieses Gesetzes. Dieses Gesetz ist erinnerungspolitisch verhängnisvoll und bedeutet nach meiner festen Überzeugung eine unzulässige Grenzüberschreitung – und ich sage dazu: eine Grenzüberschreitung, wie sie eigentlich für Diktaturen üblich ist.
Für welches Ereignis und für welche Gruppen ist denn die Frauenkirche ein historisch bedeutsamer Erinnerungsort? Die Begründung zum Gesetz sagt, sie sei ein Symbol der Versöhnung ehemaliger Kriegsgegner. Dies ist sicher die sympathischste Deutung, die die Frauenkirche durch die Aufbauhilfe aus England und Amerika gewonnen hat. Mir scheint aber, dass die Würde der Opfer des Bombenangriffes auf Dresden geschützt werden soll, die sich durch explizit politische Bekundung gestört fühlen mögen.
Wie jedes historische Ereignis, hat das Monument der Frauenkirche aber viele, vieldeutige und vor allem widersprüchliche Erinnerungsmöglichkeiten. Die Ruine der Frauenkirche ist etwa auch der Ort, an dem Helmut Kohl seine Rede vom 19. Dezember 1989 gehalten hat. Ich frage Sie: Ist sie damit ein Erinnerungsort für die Einheit? Eine Deutung, die vielleicht der CDU sehr nahe liegen könnte. Die Ruine ist der Ort, an dem sich zu DDR-Zeiten eine staatsunabhängige Friedensbewegung entzündet hat. Ist die Frauenkirche damit eine Mahnung für den sofortigen Abzug aus Afghanistan? Nach dem Willen der damaligen ersten Akteure könnte sie auch ein Erinnerungsort für eine vom Anarchismus geprägte grundsätzliche Absage an den Staat sein. Meine Damen und Herren, diese authentischen Erinnerungsorte – die Frauenkirche als Ruine – wurden jedenfalls durch den Wiederaufbau zerstört. Sind damit diese Erinnerungen obsolet geworden?
Die unzerstörte Frauenkirche von 1945 ist das Monument des Selbstbewusstseins der protestantischen Bürgerschaft
gegenüber dem katholischen König mit seiner Hofkirche. Sie ist auch ein Symbol des alten Dresdens – denken wir an das Gemälde von Kühl. Die Frauenkirche ist aber auch der Dom der deutschen Christen im Nationalsozialismus, von der Hakenkreuzfahnen geweht haben und in dem an einem „entjudeten Christentum“ gearbeitet wurde.
Die Frauenkirche ist also auch ein Erinnerungsort an die Täter und, meine Damen und Herren, genau diese Dimensionen, diese Vielfältigkeit der Deutungsmöglichkeiten verkennt das Gesetz nicht nur, ja, es verdrängt sie geradezu. Das Gesetz versucht, nur eine einzige und dazu noch historisch sehr neue Deutung durchzusetzen, und das mithilfe des staatlichen Gewaltmonopols.
Dies ist ein ebenso nutzloser wie schädlicher Versuch, denn Geschichtserfahrungen und -deutungen lassen sich eben nicht in eine allgemeinverbindliche Form deformieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes maßt sich eben nicht an, über Deutungen historischer Ereignisse zu richten. Dies ist ein Kennzeichen totalitärer Systeme.
Ich bin überzeugt, dass die Erkenntnis über diese Zusammenhänge auch bei den heutigen Befürwortern dieses Gesetzes mit der Zeit wachsen wird.