Protocol of the Session on December 13, 2012

(Beifall und Lachen bei den LINKEN, der CDU und der SPD – Jürgen Gansel, NPD: Ich habe Sie gelobt! – Andreas Storr, NPD: Herr Besier, das Lob hätten Sie erwidern können!)

Wir schreiten in der Rednerreihe fort. Das Wort ergreift jetzt Herr Kollege Herbst für die FDP-Fraktion; bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Martin Dulig gut zugehört. Ich habe mich gefragt, was er mit der Debatte erreichen möchte. Ich sage es einmal wie folgt: Der Verzweiflungsgrad der SPD muss hoch sein, wenn sie keine eigenen Themen mehr findet.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Man kann sich gestenreich am Rednerpult aufbauen. Ich kann nur eines feststellen: Schauspielerei ist kein Ersatz für politische Substanz, Martin Dulig.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung – Alexander Krauß, CDU: Das ist eine sozialdemokratische Eigenschaft!)

Ich habe ein gewisses Verständnis, warum das Wort Kompass eine völlig faszinierende Wirkung auf die SPD hat. Sie sind seit dem Jahr 2009 auf der Suche und haben Ihre Richtung noch immer nicht gefunden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Der Bürgerkompass ist nichts Revolutionäres. Es geht um ein Bürgerbeteiligungsverfahren. Woanders ist es unter dem Namen Bürgerwerkstatt oder Planungszelle bekannt. Es geht im Kern um einen Dialog und eine Rückkopplung von politischen Prozessen mit Bürgern. Ich sage es einmal als Abgeordneter: Keiner von uns hat die Weisheit gepachtet. Ab und zu ist es ganz gut, wenn man diese Form von Rückkopplung herstellt und den Rat der Bürger sucht.

Wir machen das in ganz verschiedenen Formen. Erinnern Sie sich an den Landesentwicklungsplan? Da gibt es ein Online-Beteiligungsverfahren. Es gibt auch andere Foren. Wir gehen in die Regionen und diskutieren Themen. Das findet permanent statt. Es ist nicht so, dass wir die Politik nur hier im Plenum diskutieren. Das machen Sie als SPD vielleicht so. Wir – die Koalitionsfraktionen – gehen nach draußen und diskutieren mit den Bürgern.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das merkt man an den Umfragen!)

Meine Damen und Herren! Die Anliegen aus dem Bürgerkompass kommen für keinen überraschend. Die Bürger wollen sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Das ist klar. Sie wollen eine hohe Bildungsqualität. Das ist richtig. Sie wollen, dass der ländliche Raum nicht abgehängt wird. Das ist nachvollziehbar. Sie wollen Bürokratieabbau. Ja, das wollen wir auch. Wenn ich jedoch sehe, was Sie hier im Haushalt machen, ist dies das Gegenteil dessen, was die Bürger wollen.

(Zurufe von der SPD)

Sie wollen den Straßenbau auf null heruntersetzen und damit die Bürger in den ländlichen Räumen abschneiden. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Sie wollen bei der Investitionsförderung kürzen, um zu verhindern, dass neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstehen und höhere Einkommen gezahlt werden. Das waren Ihre Anträge zum Haushalt.

(Mario Pecher, SPD: So ein Schwachsinn!)

Natürlich, Sie kommen vielleicht zu anderen Schlüssen. Meine Damen und Herren! Mit dem Haushalt, den wir beschlossen haben, sind wir genau diesen Anliegen der Bürger sehr nahe gekommen. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Sachsen ein attraktives Bundesland ist, attraktive Arbeitsplätze vorhanden sind und die Menschen zu uns kommen. Die Zahlen geben uns recht: Sachsen ist ein Zuwanderungsland und kein Abwanderungsland wie zu den Zeiten, in denen Sie von der SPD mitregiert haben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Sie haben den Bürgerkompass noch nicht verstanden. Der Bürgerkompass oder auch die Bürgerwerkstatt ist keine Ersatzregierung und kein Ersatzparlament. Es ist kein Entscheidungsgremium, sondern ein Beratungsgremium.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich beschweren, dass die Rückkopplung mit dem Bürger zu selten stattfindet, kann ich Sie nur auf eines verweisen: Der größte Bürgerkompass findet alle fünf Jahre statt. Bei der letzten Landtagswahl haben die Bürger Ihnen als SPD sehr genau gesagt, was sie von Ihrer Politik halten.

(Zurufe von der SPD)

Das fand ich gut so.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Das war Kollege Herbst für die FDP-Fraktion. Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich muss zugeben, auch ich habe bei dem Titel der Debatte einen Moment gebraucht, um das nachzuvollziehen, weil mir ein einziges, offenes, glaubwürdiges Gesicht des Ministerpräsidenten völlig gereicht hätte. Zwei muss er nicht haben.

Aber einmal zum Bürgerkompass: Die Schlagzeilen in der Zeitung waren: „Sachsen sagen Tillich die Meinung“, „Sachsen geben Tillich Tipps“. Das war ungefähr der Spannungsbogen. Was denn nun? War das eine Veranstaltung zur Bewertung der Arbeit der Regierung? Oder war das eine Veranstaltung, um der Regierung einmal Vorschläge zu machen, was sie endlich machen soll?

Ganz klar wird das nicht. Das war keine Zweigesichtigkeit des Ministerpräsidenten, sondern eine Veranstaltung, die kein klares Ziel hatte, jedenfalls keines, das man Bürgerbeteiligung nennen könnte.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist auch ganz logisch, weil die Volksparteien nicht wissen, wie sie aus ihrem alten Status als Kümmererpartei – und das betrifft auch Sie – herauskommen sollen in den „neuen Parteientypus“, die damit umgehen, wie es Peter Lösche formuliert, dass die sozialmoralischen Milieus erodieren. Das ist ein strukturelles Problem für alle Volksparteien. Hier in Sachsen ist es mit der starken LINKEN nicht deutschlandtypisch. Aber im Kern läuft es darauf hinaus.

Ich möchte Lösche noch einmal zitieren: „Erst mit dem Niedergang der Volksparteien wird klar, wie wichtig die sozialmoralischen Milieus für sie gewesen sind.“ Jetzt werden sie herausgefordert und müssen sich völlig neu mit der Bevölkerung ins Benehmen setzen.

Sie, Herr Tillich, so wurden Sie in der Zeitung zitiert, hätten bedauert, dass es im Vorfeld viele Absagen von Bürgern gegeben habe. „Die haben es sich Ihrer Meinung nach leicht gemacht nach dem Motto: Die da oben werden es schon richten“, bedauerte der Regierungschef. Vielleicht war es auch eine Abstimmung mit den Füßen, weil es eh nichts bringt.

Wenn man sich den gestrigen Haushaltsbeschluss insgesamt und die Forderungen der Bürger anschaut, die publik geworden sind – kleine Schulklassen, gerechte Entlohnung der Lehrer, mehr Polizei in der Fläche, Mindestlöhne –, haben Sie einige dieser Ziele meilenweit verfehlt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Warum machen Sie das Ende November? – Im September, wenn die Parteien hier im Parlament die Diskussion des Haushalts beginnen, wäre es noch glaubhaft gewesen. Jetzt haben Sie Bertelsmanns Ruf geschädigt. Ich frage mich: Wer berät Sie eigentlich in der Staatskanzlei? – Das ist mir eigentlich wurscht, weil er sowieso überbezahlt ist, jedenfalls, wenn man sich das anschaut.

Die demoskopischen Untersuchungen ergeben, dass die Bürger mit dem Funktionieren der Demokratie nicht zufrieden sind. Das ist ein Befund, der alle Parteien interessieren muss, egal, ob sie regieren oder Opposition sind. Alle Parteien, die ernsthaft Politik machen, müssen sich damit befassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Meiner Meinung nach kann das auf Dauer auch Legitimationsprobleme für Regierungen und Parteien bedeuten. Es wäre also wichtig, ernsthaft und glaubwürdig zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung zu finden. Alles andere ist Murks.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wenn man das wirklich möchte, wenn Sie sich ernsthaft und glaubwürdig auf diesen Weg begeben wollen, bietet sich auch eine Gelegenheit dafür, die ernst genommen werden kann, und das sind die Verfassungsdiskussionen, die wir führen. Dort werden wir natürlich darüber sprechen, ob man bei der Volksgesetzgebung der Bevölkerung endlich einmal ein bisschen mehr entgegenkommen kann. Dann wird es darum gehen, dass man die Quoren demografisch anpassen muss – wir sagen sogar, bis auf 5 % herunter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Andere haben andere Meinungen. Lassen Sie uns das diskutieren. Es wird auch darum gehen – zumindest schlagen wir das vor –, dass die Bevölkerung auch einmal ein Gesetz per Volksentscheid durch eine Kassation „kassieren“ kann. Natürlich wollen wir auch davon reden, dass der Landtag das Recht hat, dem Volk ein Gesetz zur Entscheidung vorzulegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch das halten wir für angemessen. Das muss man nicht mit jedem Gesetz machen, aber es gibt Gesetze, die das erfordern.

Diese Fragen der modernen Form der Mitbestimmung stehen in der Debatte, genauso wie vielleicht auch die Frage des Informationsfreiheitsgesetzes am Beispiel Brandenburgs. Das ist das modernste. Aber es gibt immerhin zehn Bundesländer, die eines haben. Die sind nicht alle nur von der SPD regiert. Es gibt jetzt auch im Bund ein Informationsfreiheitsgesetz. Es wäre also nur das Aufschließen zum Normalmaß in Deutschland, wenn wir es in Sachsen auch endlich auf die Reihe bekämen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Die modernen Formen der Mitbestimmung sind dann wirklich Planungszellen, Bürgerwerkstatt oder auch Mediation oder Quoren – wie ich eben sagte. Es gibt in der Gesellschaft einen Mangel an öffentlicher Debatte. Die Medien gleichen das nicht wirklich aus. Wenn man Ziele nicht gegen die Gesellschaft oder über der Gesellschaft oder für die Gesellschaft im alten Kümmererdenken erreichen will, ist es wichtig, dass man auch wirklich öffentliche Debatten hat, dass diese stattfinden. Dann kann man gemeinsam entscheiden. Die Regierung hat das dann zu exekutieren. Das ist eigentlich der Weg, um den es hier geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich würde mir wünschen, dass Sie es glaubhaft versuchen. Wie es jetzt gelaufen ist, wirkt es nicht glaubhaft. Es wirkt nicht ernsthaft. Es wirkt wie ein Wahlkampfmanöver oder eine Begleiterscheinung zum Haushalt, damit keiner merkt, wie schlecht er ist. Ich finde das sehr bedauerlich und erwarte von Ihnen, dass Sie sich bei der Verfassungsverhandlung besser verhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)