Protocol of the Session on September 27, 2012

Auch der Freistaat besitzt landwirtschaftliche Nutzflächen; sie werden verwaltet und verpachtet vom SIB, dem Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement. Nach § 63 Sächsische Haushaltsordnung ist eine öffentliche Ausschreibung bei Verpachtung vorgeschrieben. Es gibt allerdings eine Ausnahmeregelung, die besagt: Wenn bedeutende Ausschreibungshindernisse vorliegen, kann man davon abweichen und direkt vergeben.

Diese Ausnahmeregelung haben wir in einer Kleinen Anfrage hinterfragt, nachzulesen in der Drucksache 5/7606. Die Antwortet lautet: Das Verfahren für Ausnahmen ist ein rechtlich nicht normiertes Verfahren und wird vom SIB, vom Landratsamt und vom Landesbauernverband durchgeführt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte sehr.

Danke. – Herr Präsident! Verehrter Herr Weichert, ist Ihnen bekannt, dass in

den drei baltischen Ländern Litauen, Lettland und Estland nach 1991 – also auch im Wendeumbruch, mit der gesellschaftlichen Erneuerung – die Böden an die Eigentümer zurückgegeben worden sind und mittlerweile festzustellen ist, dass sie keine leistungsfähige Landwirtschaft in diesen baltischen Ländern haben?

Wir waren gerade auf der Reise und dort geht man jetzt in der großen Landwirtschaftspolitik dazu über – hat man uns im Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss ausführlich erklärt –, dass Genossenschaften und Kooperativen wieder besonders gefördert werden, damit dort endlich auch eine leistungsfähige Landwirtschaft entstehen kann.

Ist Ihnen das bekannt?

Das ist mir bekannt. Ich empfehle Ihnen auch die Literatur des zitierten Michael Beleites, der ganz genau die Unterschiede von Landwirtschaften – von der Schweiz über die baltischen Staaten bis hin nach Kasachstan – beleuchtet hat; aber wir sprechen ja heute über die Bodenvergabepraxis in Sachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich war gerade dabei, das Verfahren zu erläutern, das derart hochgradig intransparent ist, dass praktisch Korruption Tür und Tor geöffnet sind – auch weil sich die Akteure dort schon seit mehr als 23 Jahren kennen. Ich verweise darauf, dass die Landwirtschaft die einzige Branche ist, in der es nach der friedlichen Revolution keinen Elitenwechsel gegeben hat.

Erinnern möchte ich auch an die Verwaltungsvorschrift zur Korruptionsvorbeugung. Darin werden in korruptionsgefährdeten Bereichen besondere Maßnahmen verlangt, zum Beispiel das Vier-Augen-Prinzip oder das Rotationsverfahren.

Im SMUL gibt es viele Stellen, die mit Personen besetzt sind, die das schon seit über 20 Jahren an sensiblen Bereichen machen. Im SMWA ist es inzwischen anders geregelt worden, und da gibt es an solchen Punkten immer mal eine Rotation.

Die Staatsregierung hat außerdem erheblichen Einfluss auf die Vergabe von Bundesflächen, sogenannten BVVGFlächen.

Dr. Wilhelm Müller, der Geschäftsführer der BVVG, hat bei der Anhörung zum Antrag 5/ 5322 bemerkt – ich zitiere aus dem Protokoll –: „Frau Domschke sitzt dort drüben. Wir sind regelmäßig im Gespräch, um den einen oder anderen Härtefall unter Wahrung der Interessen aller drei Beteiligten, nämlich BVVG, Land und Betrieb, zu lösen.“ – So kamen die Großbetriebe zu einem großen Teil der staatlichen Flächen, in der Regel zu Kaufpreisen zwischen 1 500 und 3 500 Euro pro Hektar. Im Jahre 2011

betrug der durchschnittliche Hektarpreis in Sachsen 12 400 Euro, meine Damen und Herren.

Seit dem Jahre 2012 wurden auf Drängen der Länder die Privatisierungsgrundsätze neu geregelt, jedoch leider nicht stringent genug. Es gibt jetzt die Pachtmöglichkeit für vier Jahre mit Kaufoption und die Pachtmöglichkeit für neun Jahre ohne Kaufoption. Das ist eine klare Benachteiligung für bäuerliche Betriebe. Das Regel- und das Ausnahmeverhältnis sind total verdreht. Die Regel, die Ausschreibung, sind 25 %, die Ausnahme, die Direktvergabe, sind 75 %. Diese geringe Ausschreibungsquote sorgt auf der einen Seite für niedrige Pachten für langfristige staatliche Flächen und auf der anderen Seite für sehr hohe Pachten auf dem freien Markt. Das ist gemäß Artikel 87 ff. des Amsterdamer Vertrags unzulässige Beihilfe und gehört eigentlich auf den Prüfstand der EUKommission. Deshalb fordern wir die Aussetzung und nochmalige Überarbeitung der Privatisierungsgrundsätze.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die einbringende Fraktion sprach der Abg. Weichert. – Für die CDUFraktion spricht jetzt Herr Kollege Heinz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es schon befürchtet bzw. geahnt, dass wir heute die Strukturdebatte, die 1990 begonnen bzw. nicht begonnen hat, nachholen. Vielleicht eine Reaktion auf den letzten Redebeitrag: Ich wäre vorsichtig, hier den Beschäftigten der SIB öffentlich Korruption zu unterstellen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Es mag sein, dass es den einen oder anderen Einzelfall gibt, aber ich wäre trotzdem vorsichtig, den Beamten so etwas zu unterstellen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Sie überschätzen den Einfluss des sächsischen Bodeneigentums, das in Sachsen in der Hand der SIB ist. Insgesamt gibt es in Sachsen im freistaatlichen Besitz 11 000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, davon circa 8 000 Hektar Ackerland. Davon sind 1 000 Hektar für FFH-Flächen und Naturschutz abgegangen, und der Freistaat Sachsen bewirtschaftet 1 000 Hektar eigene Versuchsgüter, sodass noch ungefähr 6 000 Hektar für den freien Bodenmarkt übrig bleiben. Damit kann man sicherlich keine landwirtschaftliche Struktur gestalten.

Ich frage noch einmal ganz kurz: Wie ist denn die BVVG, sprich: die Bundesrepublik Deutschland, in den Besitz des Bodens gekommen? Da ist ganz einfach die Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg zu nennen. Da kann man den Kriegsverbrechern noch gönnen, dass ihnen ihre Böden abgeknöpft wurden. Die andere Bedingung jedoch – alles, was über 100 Hektar ist, wird enteignet – war zweifelsfrei politisch motiviert und hatte nur ein Ziel: die Abschaffung des Großbauerntums.

Insgesamt wurden in Sachsen circa 1 800 Betriebe mit einer Fläche von ungefähr 315 000 Hektar enteignet. Das entspricht circa 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Sachsens. Auch dieser Anteil für sich betrachtet wäre nicht geeignet, eine Struktur in einem Land damit zu gestalten. Die 6 000 Hektar von der SIB gegenüber den 315 000 Hektar von der BVVG sind sicherlich auch nicht dazu angetan.

Wie gesagt: Wir reden über die Rückabwicklung der Zwangskollektivierung in all ihren Facetten. Das kann man nicht in zwei Mal fünf Minuten seriös darstellen. Man muss sicherlich darauf verweisen, wie die Situation 1990 war. Mit der Bodenreform wurde das Großbauerntum abgeschafft. Mit der Zwangskollektivierung 1960 wurde der bäuerliche Mittelstand abgeschafft. Das heißt, diejenigen, die 1960 mit 25 oder 30 Jahren in die LPG gehen mussten, waren 1990 55 bzw. 60 Jahre alt und ein spezialisiertes Wirtschaften gewöhnt. 1990 stand die Aufgabe, genossenschaftliches Eigentum sozialistischer Prägung in eine vom BGB akzeptierte Rechtsform zu überführen.

Aus Zeitgründen kann ich hier nicht auf die Entstehung und Entwicklung dieses genossenschaftlichen Eigentums eingehen. Ich möchte aber auf das Landwirtschaftsanpassungsgesetz verweisen, das zwei Schwerpunkte hatte, zum einen, dass alle LPGs zum 31.12.1991 zwangsweise aufgelöst wurden, zum anderen, dass eine Regelung zur Entflechtung des genossenschaftlichen Eigentums getroffen wurde. Auch hier nenne ich aus Zeitgründen keine Details. Im Gegensatz zur Privatisierung des Volkseigentums gab es im Bereich der Landwirtschaft keine Treuhand, sondern die Eigentümer waren selbst verantwortlich, wie sie mit ihrem Eigentum umgehen. Als neu gewählter stellvertretender Vorsitzender eines 5 000-Hektar-Pflanzenbaubetriebes könnte ich Ihnen darüber viel erzählen, jedoch ist das aus Zeitgründen leider nicht möglich. Ich war also aktiv in diesen Prozess eingebunden.

Im Rahmen der Umstrukturierung gab es vielfältigste Wege, wie die Eigentümer mit ihrem Eigentum umgegangen sind. Sehr häufig gab es eine Umwandlung des Betriebs. Es kam aber auch zu tatsächlichen Auflösungen. Jetzt könnte man fragen: Warum ist die von Ihnen gewünschte Betriebsstruktur nicht entstanden? – Auch hier gilt der Satz: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. – Diesen Spruch müsste man etwas abwandeln: Stell dir vor, wir machten bäuerliche Landwirtschaft, und keiner macht mit.

Was wären 1990 die Alternativen gewesen? Ein Verbot der Umwandlung von Genossenschaften oder die Herstellung der Struktur von 1960? Beides hätte bäuerliches Eigentum in Größenordnungen vernichtet, und es hätten sich ganz neue Fragen gestellt, die wahrscheinlich auch nicht besser zu lösen gewesen wären, als es passiert ist.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Zu den restlichen Ausführungen muss ich in meinem zweiten Redebeitrag fortsetzen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Das Wort hatte für die CDU-Fraktion Herr Kollege Heinz. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Kagelmann.

Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Ja, auch ich habe es geahnt, aber ich mache an dieser Stelle keine Buchbesprechung und werde mich auch nicht mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz befassen. Jedoch komme ich gern auf den Antrag, den Sie, Herr Weichert, so verschämt fraktionell nicht zugeordnet haben, zurück. Das war nämlich einer der Linksfraktion aus dem Jahr 2011. Jawohl: Dort haben wir uns geäußert, insbesondere zur Verkaufspraxis der BVVG, und wir haben sie als sehr kritisch angesehen. Wir stellen fest – und zwar seit einem längeren Zeitraum –, dass die Kauf- und Pachtpreise – insbesondere für Landwirtschaftsflächen – im Osten überdurchschnittlich ansteigen.

Preistreiber ist – das ist unbestritten – die BVVG, auch wenn man – auch das hat die Anhörung unseres Antrages im November 2011 gebracht – der Ehrlichkeit halber zugeben muss, dass mit weniger als 28 000 Hektar – und damit 3 % der landwirtschaftlichen Fläche in Sachsen – der Flächenanteil der BVVG in Sachsen relativ gering ist. Das ist nicht mit den Problemlagen, wie wir sie in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg im Vergleich zu Sachsen sehen, zu vergleichen.

Dennoch gibt es auch in Sachsen kuriose Ausreißer nach oben. Während die Durchschnittserlöse etwa 12 000 Euro pro Hektar für BVVG-Flächen betragen und damit etwa doppelt so hoch sind wie im allgemeinen Flächenverkauf, stellen wir auch immer wieder solche Ausreißer fest, wie wir das in Statistiken nachlesen konnten. In Ketzerbachtal in der Gemarkung Noßlitz erzielte in diesem Jahr eine Fläche von rund 12 Hektar BVVG-Fläche 377 000 Euro. Das sind 31 000 Euro pro Hektar. Das ist schon ein stolzer Preis. Wir sehen, auch in Sachsen gibt es da durchaus Probleme. Insofern stimme ich mit Herrn Weichert zumindest an dieser Stelle überein.

Das hat natürlich auch Folgen für Landwirte, die beispielsweise im Zuge von Infrastrukturmaßnahmen Flächen an staatliche Institutionen verkaufen – ein bekanntes Beispiel sind Straßenbaumaßnahmen –, sich dann Ausgleichsflächen suchen müssen, dabei auf BVVG-Flächen zugreifen wollen und dann mit solch stattlichen Verkaufsgrößen leben müssen. Jedem von uns wird einleuchten, dass das von vielen Landwirten nicht zu stemmen ist.

Ursache dieser Preisentwicklung ist das Preisbildungssystem, das Vergleichspreissystem der BVVG. Dieses System ist durchaus rechtlich umstritten und wird gerade auch EU-rechtlich geprüft. Dieses Preisbildungssystem resultiert aus einem ganz konkreten Auftrag der BVVG, ausgelöst vom Bundesfinanzministerium. Mit den Ver

kaufserlösen soll nämlich der Bundeshaushalt finanziert und es sollen die Einheitskosten gedeckt werden. Das ist der ganz schlichte Auftrag an die BVVG.

Meine Damen und Herren, wir haben unseren Antrag nach der Anhörung nicht weiter verfolgt. Dort kam nämlich ganz konkret die Aussage von den Sachverständigen, dass unser Anspruch, die Flächen der BVVG in Sachsen in einem landeseigenen Bodenfonds aufzukaufen und sie dann weiter an ortsansässige Landwirte zu verpachten, einfach daran scheitert, dass die BVVG nicht zu Verhandlungen unter den jetzt üblichen Preisen bereit ist. Daran scheiterten im Übrigen auch die Kaufbemühungen anderer Länder.

Wenn die EU dieses Vergleichspreissystem kippt, geht es hier um schlappe 60 bis 70 Millionen Euro der BVVG für den Bundeshaushalt. Das kann man dem Geschäftsbericht der BVVG vom vorigen Jahr entnehmen.

Nun, Herr Weichert, kommen wir zu einem Problem, das Sie angesprochen haben.

Die Redezeit geht zu Ende.

Um Gottes willen. Mein Zettel ist noch so lang!

(Zuruf: Sie dürfen doch nicht ablesen!)

Sie können ja noch einmal ans Mikrofon treten. Im Übrigen müssen Sie frei sprechen.

Das sind doch nur Stichpunkte. – Dann lasse ich mich zu etwas hinreißen, was ich eigentlich überhaupt nicht wollte, und fahre mit einem zweiten Redebeitrag fort.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Das war Frau Kagelmann für die Fraktion DIE LINKE. – Als Nächste ist die SPD-Fraktion an der Reihe. Es spricht Frau Kollegin Dr. Deicke.