Protocol of the Session on September 27, 2012

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt der vorläufige Abschlussbericht der PKK zum Tatkomplex NSU vor. Herr Prof. Schneider als Vorsitzender der PKK hat sehr ausführlich diesen Bericht vorgestellt; auf die einzelnen Feststellungen und Sachverhalte ist er eingegangen.

Ich möchte für die FDP-Fraktion zu fünf Punkten sprechen.

Erstens: Der Bericht zeigt meines Erachtens, dass die Sicherheitsstruktur der Bundesrepublik Deutschland den gewandelten Anforderungen des verfassungsfeindlichen Extremismus – gleich, aus welcher Richtung, egal, ob von links oder rechts oder aus religiösen Gründen und insbesondere terroristischen Bestrebungen – nicht gewachsen ist. Der Bericht listet detailliert auf, welche Sicherheitsbehörden beteiligt waren und wer wann informiert wurde.

Nach Überzeugung der PKK fehlt es an einer zentralen Koordination. Die FDP-Fraktion macht sich diese Ansicht vollständig zu eigen. Für uns ergibt sich hieraus die klare Forderung, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes - einschließlich des MAD – und der Länder zu einer gemeinsamen Behörde zusammenzufassen. Nur so können deutschlandweit operierende Verfassungsfeinde und

Terroristen ohne Wissensverluste zwischen den Behörden wirksam bekämpft werden.

Aber nicht nur zwischen den Verfassungsschutzbehörden, sondern auch zwischen den Polizeibehörden der Länder und dem Verfassungsschutz gab es Abstimmungsprobleme. Unter Wahrung des Trennungsgebots müssen die Berichtsstrukturen zwischen den Polizeibehörden der Länder, dem BKA und dem Verfassungsschutz neu und klar definiert werden. Dies ist eine vorrangige Aufgabe der eingesetzten Bund-Länder-Kommission.

Zweitens: Die innere Ordnung des Landesamtes für Verfassungsschutz ist nicht geeignet, im gebotenen Maße eine Verknüpfung der vorhandenen Informationen herzustellen. Auch nachträglich können Informationen nur schwer zusammengeführt werden. Damit steht das Landesamt in einer Linie mit anderen Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes. Gleichwohl kann dieser Zustand nicht befriedigen.

Die FDP Sachsen hat bereits in der letzten Legislaturperiode eine Eingliederung des Landesamtes für Verfassungsschutz in das Innenministerium gefordert. Wir sehen das auch weiter als einen geeigneten Zwischenschritt an, bis eine bundeseinheitliche Verfassungsschutzbehörde geschaffen ist.

Drittens: Die Aktenführung im Landesamt für Verfassungsschutz muss grundlegend neu organisiert werden. Es muss jederzeit möglich sein, beim Bekanntwerden neuer Erkenntnisse diese mit vorhandenen Informationen zu verknüpfen und über den Erkenntnisstand zu berichten. Dabei ist es ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, mit nachrichtlichen Mitteln gewonnene Informationen zu löschen, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Auch hier fordern wir klare und nachvollziehbare Regeln. Die Konsequenz aus dem Versagen des Verfassungsschutzes darf nicht in eine unbegrenzte und unkoordinierte Datensammelwut enden.

Lassen Sie mich hier eine persönliche Wertung treffen: Ich habe eine Ausbildung als Bankkaufmann gemacht. Dabei habe ich unter anderem gelernt, wie man eine Kreditakte führt. Was ich an Aktenführung in der PKK gesehen habe – das muss ich ganz ehrlich sagen –, hat mich schockiert.

Viertens. Die Fähigkeit der Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Informationen auszuwerten,

Schlüsse daraus zu ziehen und Maßnahmen zu ergreifen, muss verbessert werden. Wer für den Verfassungsschutz arbeitet, muss mehr leisten, als Vorgänge seriell abzuarbeiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Aufträge aus anderen Ländern handelt, die hier in Amtshilfe erledigt werden. Eine Mentalität „Auftrag erledigt, Bericht geschrieben, knicken, lochen und wo auch immer abheften“ darf es nicht geben.

Fünftens. Die FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag begrüßt es außerordentlich, dass der Innenminister mit der ehemaligen Generalbundesanwältin Harms eine ausgewiesene Expertin beauftragt hat, eine Fehleranalyse vorzunehmen und Vorschläge zur Neuorganisation in Sachsen zu erarbeiten. Die FDP-Fraktion steht allen rechtsstaatlichen Vorschlägen zur Verbesserung des Kampfes gegen Extremismus offen gegenüber.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Biesok. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Jennerjahn. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte den jetzt vorliegenden vorläufigen Abschlussbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission durchaus für bemerkenswert, ich halte ihn für bisweilen interpretationsbedürftig, und ich halte ihn vor allem auch in den Fragestellungen für nicht weitreichend genug. An dieser Stelle schließe ich mich ausdrücklich der Stellungnahme der LINKEN zu dem vorläufigen Abschlussbericht der PKK an.

Ich möchte aber zunächst die positiven Aspekte herausheben. Zum ersten Mal haben wir ein Dokument vorliegen, das auch aus den regierungstragenden Fraktionen heraus Zweifel an der Legende deutlich macht, die die Staatsregierung gestrickt hat, dass Sachsen alles richtig gemacht habe bzw. dass alle sächsischen Behörden alles richtig gemacht hätten. Dies stellt der Bericht grundlegend infrage.

Das wird schon auf Seite 1 dieses Berichtes deutlich. Hier findet sich ein Satz, den Prof. Schneider schon genannt hat. Ich zitiere: „Unseren, auch den sächsischen Sicherheitsbehörden ist es in einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren nicht gelungen, das NSU-Trio zu fassen.“ Das ist ein deutlicher Satz, der selbstverständlich klingen mag, aber vor dem konkreten Agieren der Staatsregierung bis zu diesem Zeitpunkt halte ich es für wichtig, dass das ausdrücklich so festgehalten wurde.

Dann geht es weiter: „Eine systematische Auswertung der Informationen durch das LfV gab es nicht.“ Kritisiert wird vor allem die fehlende Selbstständigkeit des LfV in der Auswertung der vorliegenden Informationen. Das finden Sie auf Seite 5 des Berichtes.

Es wird auch ein ehrliches Bekenntnis über die engen Grenzen der Kontrollmöglichkeiten und der Kontrolltätigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission abgelegt. Das steht auf Seite 10. Das haben Sie eben auch noch einmal deutlich dargestellt.

Sie mogeln sich dann zwar ein Stück weit um die Aussage herum, aber letztlich sagt dieser vorläufige Abschlussbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission aus, dass die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Sächsischen Landtag zum Tatkomplex NSU notwendig war.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Es gibt auf der anderen Seite aber auch Aussagen, von denen ich glaube, dass sie heute nicht haltbar sind und vermutlich auch zum damaligen Zeitpunkt schon nicht haltbar waren. Die Kollegin Köditz hat das schon angesprochen. Es geht vor allem um den Aspekt der Vollständigkeit der Aktenführung. Wir haben konkrete Beispiele gehört, dass die Akten offensichtlich nicht vollständig waren. Vor dem Hintergrund meiner konkreten bisherigen Erfahrungen im Untersuchungsausschuss habe ich auch weiter meine Zweifel daran.

Einiges Interessantes finden wir dann aber in einigen eher unscheinbaren Sätzen. Da muss man den Bericht durchaus interpretieren bzw. zwischen den Zeilen lesen, um die

eigentliche Sprengkraft dieser Sätze zu erfassen. Da finden wir zum einen auf Seite 1 den Satz: „Erkenntnisse kamen eher stückweise zum Vorschein.“ Auf Seite 2 finden wir den Satz: „Teilweise wurde die PKK erst nach Medienberichten über bestimmte Vorgänge informiert.“

Das bedeutet für mich erstens, dass Akten zurückgehalten oder nur widerwillig herausgerückt wurden, und das bedeutet zweitens, dass sich das LfV offensichtlich nicht durch eine Institution kontrollieren lassen wollte, die für die Kontrolle des LfV zuständig ist und die vor allem eine demokratische Legitimation besitzt.

Da stelle ich dann doch die Fragen: Bewegt sich das LfV in Sachsen noch in einem rechtsstaatlichen Rahmen, und ist das LfV tatsächlich geeignet, unsere Verfassung zu schützen? Einen Geheimdienst, der sich verselbstständigt und offensichtlich zum Staat im Staate aufschwingt, können wir nicht gebrauchen.

(Beifall der Abg. Julia Bonk, DIE LINKE)

Dann sind wir bei den Konsequenzen. Die Frage muss gestellt werden: Welche Konsequenzen hat dieser Bericht bislang gehabt? Da sieht es meines Erachtens bislang ziemlich finster aus. Innenminister Markus Ulbig hat zwar in seinem sogenannten vorläufigen Abschlussbericht zum NSU positiv Bezug genommen, aber was folgt daraus? Der Etat des Landesamtes für Verfassungsschutz wird laut Haushaltsentwurf in den nächsten zwei Jahren auf über 13 Millionen Euro weiter aufgebläht. Damit schaffen Sie natürlich Fakten, denn Sie senden damit letztlich das Signal: „Weiter so!“

Da habe ich dann auch wenig Vertrauen, ob Sie tatsächlich Reformen im LfV wollen. Sie haben ja trotz des offensichtlichen Versagens des LfV mehrere Monate gebraucht, bevor Sie überhaupt bereit waren, eine externe Kommission mit der Begutachtung des LfV zu betrauen.

Damit sind wir beim Stichwort Reformen. Es wird viel diskutiert, wie eine Reform des Verfassungsschutzes aussehen könnte. Herr Prof. Schneider hat da, glaube ich, ein wichtiges Wort genannt. Dieses Wort heißt „Vertrauen“. Das ist richtig. Es geht um die Vertrauensfrage. Aber an dieser Stelle kommen wir beide zu unterschiedlichen Bewertungen. Mir fehlt ganz grundsätzlich das Vertrauen in die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich glaube auch nicht mehr daran, dass das Landesamt für Verfassungsschutz reformierbar ist. Es ist schließlich nicht der erste große Skandal, den das LfV zu verzeichnen hat. Ich möchte nur auf den Bericht von Dr. Dietrich Beyer und Lutz Irrgang aus der 4. Legislaturperiode verweisen, der schon zum damaligen Zeitpunkt erhebliche Mängel in der Arbeit des LfV festgestellt hat, die offensichtlich nach wie vor existieren.

Wenn ein Computer abstürzt, wird die Reset-Taste gedrückt und das System neu gestartet. Ich glaube, wir sind an einem Punkt, dies auch in der Frage der Sicherheitsarchitektur in Sachsen zu tun, und das heißt für mich, dass

wir tatsächlich nicht um die Frage herumkommen, das Landesamt für Verfassungsschutz aufzulösen.

(Beifall bei der NPD und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Sie brauchen da gar nicht zu klatschen!

Bevor jetzt der Vorwurf kommt, wir würden eine Geheimpolizei oder Ähnliches schaffen wollen, sage ich ganz ausdrücklich: Nein, das wollen wir nicht. Ich verweise dazu auch noch einmal ausdrücklich auf Artikel 83 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung, der dem ausdrücklich einen Riegel vorschiebt. Mir ist bewusst, dass es bundesgesetzliche Regelungen gibt, die uns einen gewissen Rahmen vorgeben und mit denen wir uns vor allem kritisch auseinandersetzen müssen. Ich gebe deshalb auch gerne zu, dass auch wir noch kein fertiges Modell haben, wie eine neue Sicherheitsarchitektur aussehen kann. Da befinden wir uns wie wahrscheinlich alle anderen Parteien auch noch in einem lebhaften Diskussionsprozess.

Aber – das ist schon genannt worden, aber es ist wichtig, das zu betonen – die Wahrnehmungsschwäche des LfV liegt auch daran, dass es eben nicht nach objektiven wissenschaftlichen Kriterien zur Erfassung antidemokratischer Tendenzen arbeitet. Genau das bräuchten wir aber, um endlich zu einer angemessenen Beschreibung zu kommen, welche Gefahren tatsächlich für die sächsische Demokratie bestehen. Da reicht es dann auch nicht, immer nur auf die mögliche Gefahr für die freiheitlichdemokratische Grundordnung und den Bestand des Staates zu schauen, sondern da geht es dann auch um die ganz konkreten Gefährdungslagen für Menschen im Alltag, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen.

So etwas kann nur eine Einrichtung leisten, die eine größtmögliche Unabhängigkeit von der Staatsregierung besitzt, um einer politischen Einflussnahme aus dem Weg zu gehen. Mir ist völlig klar, dass wir bei der Frage nach einer Neugestaltung der Sicherheitsarchitektur noch viel Denkleistung werden erbringen müssen.

Ich möchte nur kurz auf eine Äußerung von Kollegen Biesok eingehen. Ich halte nicht viel davon, wenn wir jetzt anfangen, über die Zusammenlegung von Verfassungsschutzbehörden zu diskutieren. Da sind ja immer mal wieder Modelle im Raum, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu fusionieren. Die Erfahrung hat doch gezeigt, dass schon die bisherigen Strukturen demokratisch nicht kontrollierbar waren. Da frage ich mich, was passiert, wenn wir Verfassungsschutzbehörden zusammenlegen. Das wird ganz bestimmt nicht zu einer besseren Kontrolle dieser Behörden führen.

Worüber wir diskutieren müssen, ist eine ganz massive Ausweitung der Kontrollrechte und der Pflicht des Landesamtes für Verfassungsschutz, parlamentarisch gewählten Vertretern aus einer Kontrollkommission Auskunft zu geben.

Und, Herr Prof. Schneider, ich werde mich auch nicht mit dem Argument zufrieden geben, das Landesamt für Verfassungsschutz sei unverzichtbar und es gebe keine

Alternativen, die uns nicht sofort zu einer Geheimpolizei führen. Ich glaube, da machen wir uns dann doch einen zu schlanken Fuß. Wir müssen noch einmal ganz grundsätzlich über dieses Thema diskutieren. Da sind wir schlichtweg alle gefordert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die NPD-Fraktion Herr Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich und meine Fraktion, die NPD-Fraktion, sind stark im Zweifel, ob es wirklich Sinn macht, über einen Bericht zu debattieren, der bereits drei Monate alt ist, angesichts der sich immer noch überschlagenden Ereignisse bei der Aufklärung des Geschehens um den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund. Gerade in den letzten Tagen ist wieder eine Fülle an neuen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gelangt, die manche früheren Deutungen der Ereignisse doch sehr stark in Zweifel ziehen.

Damit meine ich vor allem die Rolle der V-Leute im Umfeld des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes. Thomas S. stammte aus Sachsen, Thomas R., der jüngste V-Mann, der im Umkreis des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes aufgeflogen ist, wohnt in Sachsen, und die NPD-Fraktion ist sich sicher, dass in den nächsten Wochen und Monaten weitere V-Leute enttarnt werden.

Man kann diesen gesamten Komplex eben nicht einfach nur auf jene Fakten reduzieren, die unmittelbar etwas mit Sachsen zu tun haben, auch wenn das gewisse Vertreter der CDU immer wieder gern versuchen. Das ist doch wirklich allzu durchsichtig, denn damit soll auf ziemlich plumpe Art und Weise das eigene sogenannte Landesamt für Verfassungsschutz aus dem Schussfeld der öffentlichen Kritik genommen werden. Egal, wie man es dreht und wendet, auch der sächsische Verfassungsschutz hat zumindest komplett versagt, wenn er nicht sogar viel tiefer in die Ereignisse verstrickt war, als es der Innenminister und seine Schlüsselbehörde bis heute vorgeben wollen.

Der vorläufige Abschlussbericht der PKK wie schon zuvor der Abschlussbericht des Innenministers, beides sind Dokumente des Versagens, wobei die NPD-Fraktion und ich heute mehr denn je im Zweifel sind, ob es sich wirklich nur um ein Versagen auf ganzer Linie handelt oder ob nicht partiell der Verfassungsschutz doch mehr gewusst hat, als man bis heute zugeben will.