Sie sehen also: In Sachsen arbeiten seit vielen Jahren die Partner koordiniert und professionsübergreifend zusammen, damit schon so früh wie möglich eine Behinderung abgewendet, vermieden, beseitigt, gemindert, ausgeglichen oder eine Verschlechterung verhindert wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, eines muss ich jedoch noch einmal erklären: Der Freistaat Sachsen ist kein Rehabilitationsträger. Der Bund hat 2001 die interdisziplinäre Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder im SGB IX neu geregelt. Die konkrete Ausgestaltung der Komplexleistung
Auch bei der Rahmenvereinbarung im Freistaat Sachsen ist das Land als Leistungsträger nicht beteiligt. Zuständig sind im Freistaat die gesetzlichen Krankenkassen und die Träger der örtlichen Sozialhilfe.
Gleichwohl hat sich der Freistaat Sachsen seit Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Regelungen sowohl begleitend und moderierend als auch finanziell an der landesspezifischen Umsetzung der Komplexleistung beteiligt. Wir stehen derzeit in Gesprächen mit dem Landesverband der Frühförderung, um seine Arbeit zu unterstützen. Auch hier wollen wir unsere Netzwerke enger knüpfen.
Nochmals deutlich gesagt: Für mich ist Frühförderung sehr wohl Inklusion, denn das ist letztendlich auch die Zielstellung. Allen, die auf diesem Gebiet tätig sind, danke ich ganz ausdrücklich.
Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/10260. Ich bitte nun um die Einbringung; Frau Herrmann, bitte.
Frau Präsidentin! Es ist eben schon mehrfach angesprochen worden: Die Landesregelung Komplexleistung wurde novelliert, und die neue Vereinbarung trat am 1. September dieses Jahres in Kraft. Zu begrüßen ist, dass darin definiert wird, was Komplexleistung eigentlich ist. Es sind auch die Standards zur personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung zu begrüßen.
Fraglich ist jedoch: Was passiert mit den Frühförderstellen, die diese Standards nicht bis zum festgelegten Zeitraum erfüllen können? Problematisch ist da unter anderem die Finanzierung der Therapeutinnen und Therapeuten, da der Kostensatz der Krankenkassen eben nicht die tatsächlichen Aufwendungen deckt. Es ist daher schwierig, Therapeuten fest anzustellen. Das ist nach der neuen Landesregelung jedoch eine Voraussetzung.
Die Konsequenz wäre, dass Frühförderstellen dann geschlossen werden müssten, mit der Folge der Unterversorgung und Nichtförderung von Kindern, die diese Förderung dringend brauchen. Deshalb können wir nicht zuschauen, sondern wir müssen diese Entwicklung aktiv beobachten und gegebenenfalls reagieren.
Andere Bundesländer – darin gebe ich Ihnen nicht recht, Frau Ministerin – machen das. In Berlin gibt es eine Landesrahmenempfehlung unter Beteiligung des Landes. In Sachsen-Anhalt ist das Land Vereinbarungspartner. In Thüringen ist das Sozialministerium Vereinbarungspartner. In Baden-Württemberg werden sonderpädagogische Beratungsstellen – so auch die Frühförderstellen – aus Landesmitteln zusätzlich finanziert usw. Bei uns in Sachsen ist es eine Art Closed Shop. Vertragspartner sind die Kassen und die kommunalen Spitzenverbände, ansonsten niemand. Das finden wir nicht in Ordnung. Das zeigt sich auch darin, dass Frühförderung in den einzelnen Regionen ganz unterschiedlich verstanden wird. Deshalb denken wir, dass sich das Land mehr einbringen muss.
Mit dieser neuen Vereinbarung stehen auch wieder Vergütungsvereinbarungen an. Hier muss die Position der interdisziplinären Frühförderstellen und der sozialpädiatrischen Zentren dringend gestärkt werden. Das kann zum Beispiel mit einer Schiedsstelle auf Landesebene geschehen, die bei Konflikten im Rahmen der Vergütungsverhandlungen unterstützend eingreift. Laut dem Forschungsbericht zu strukturellen und finanziellen Hindernissen bei der Umsetzung der interdisziplinären Frühförderung, den die Kollegin von der FDP schon angesprochen hat, ist aber die Rechtslage für eine solche Schiedsstelle derzeit noch nicht gegeben. Auch deshalb, Frau Ministerin: Setzen Sie sich bitte auf Bundesebene für die dringend notwendige Klärung ein! Die Staatsregierung kann nicht länger auf der Zuschauerbank sitzen und sagen: Wir wissen nicht viel. – Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Evaluation der Umsetzung dieser Novellierung für Sachsen.
Außerdem brauchen wir auch Handlungsempfehlungen, um gleichwertige Verhältnisse in Bezug auf Zugang und Bewilligungspraxis in allen Regionen des Landes zu erreichen. Wir brauchen Empfehlungen für eine verbesserte Abstimmung der Unterstützungssysteme und der Frühförderung und insbesondere auch für die Verzahnung mit der Jugendhilfe.
Zur Kita und zur Schule hatte ich vorhin schon ausgeführt. Frau Clauß, werden Sie aktiv! Frühförderung ist anders gedacht, als derzeit in Sachsen gemacht.
Frau Präsidentin! Noch eine Richtigstellung: Was die anderen Bundesländer und die Finanzierung anbelangt – das kann man nicht vergleichen, weil die Länder dort selbst der Sozialhilfeträger sind. Bei uns ist es der KSV, und in dem Sinne ist das auch eine andere Finanzierung. Wenn schon, dann bitte auch korrekt.
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthält einige nachvollziehbare Feststellungen und zielt grundsätzlich in die richtige Richtung. Dennoch kann ich meiner Fraktion heute nicht empfehlen, dem Antrag zuzustimmen.
Hören Sie sich erst die Begründung an. Wir können dann darüber reden. – Das ist einfach der sehr kurzen Vorlagezeit geschuldet.
Warten Sie doch erst einmal ab. – Unter Beachtung der enormen Tagesordnung, die wir heute vor uns haben, war es mir weder im Arbeitskreis noch in der Fraktion möglich, darüber zu diskutieren; ich habe ihn erst seit zwei Stunden.
Ich denke, dass sich die Fraktion über meine Person hinaus damit beschäftigen wollte. Das werden Sie mir zubilligen. Das ist schon einfach richtig.
Zum Antrag konkret: Punkt 1 und 2 sind so. Zu Punkt 3 will ich sagen: Mit mehr Leistung und zielorientierter Arbeit werden natürlich auch die Problemlagen komplexer. Ich denke, Sie werden mir diesbezüglich ein ganzes Stück recht geben können. Punkt 4 kann man so gar nicht zustimmen. Vorher muss man wenigstens die örtlichen Träger der Sozialhilfe hören und sich die dortigen Hilfesysteme genauer ansehen. Die meiner Ansicht nach viel zu scharfe Formulierung „verhindert die Teilnahme von Kindern mit Behinderung oder Kindern, die von Behinderung bedroht sind, an der Gesellschaft“ ist einfach überzogen. Solchen Formulierungen können wir nicht zustimmen.
Das Gleiche gilt für Punkt 5. Auch hier können wir Ihrem Entschließungsantrag nicht zustimmen, ohne den benannten Jugendämtern die Chance einer Stellungnahme gegeben zu haben.
Auf Punkt 6 bin ich in meinem Debattenbeitrag eingegangen. Wer im ländlichen Raum wohnt, hat Vor- und Nachteile. Der Zugang zu Komplexleistungen ist sicherlich erschwert, aber nicht gleich erheblich. Die größere räum
liche Freiheit aber hat sicherlich Vorteile und kann für die betroffenen Kinder ein nicht zu unterschätzender Gewinn sein.
Zu II.: Natürlich muss man die Auswirkungen der novellierten Rahmenvereinbarung Komplexleistung bewerten. Mit welchem Umfang, mit welcher Zielsetzung, in welcher Zeit, das werden wir im Arbeitskreis noch besprechen. Wenn evaluiert wird, halte ich eine Mitteilung an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz für eine Selbstverständlichkeit.
Die Punkte 3 und 4 enthalten völlig nachvollziehbare Ansätze. Ich halte sie für so bedeutsam, dass man sich näher damit befassen muss.
Frau Herrmann, ich kann Ihnen versichern, dass Ihr Entschließungsantrag bei uns nicht in der Versenkung verschwinden wird, auch wenn wir ihm heute nicht zustimmen können.
Ich empfehle meiner Fraktion, dem Entschließungsantrag zuzustimmen, denn er geht in die richtige Richtung. Er ist schlüssig, er ist sachlich und er hat überhaupt nichts mit
dem zu tun, Herr Krasselt, was Sie hier gerade vorgetragen haben. Es geht genau darum, die Frühförderungsleistungen für Kinder mit Behinderungen und für Kinder, denen Behinderung droht, sicherzustellen und weiterzuentwickeln. Deshalb werden wir sehr gern zustimmen.
Frau Präsidentin, ich will noch darauf antworten. Ich habe sehr deutlich gemacht, dass wir den Entschließungsantrag nicht einfach nur ablehnen und die Sache damit erledigt ist, sondern dass wir für dieses komplexe Thema eine gewisse Zeit brauchen, uns damit zu beschäftigen. Danach werden wir mit dieser Thematik weiterarbeiten.
Ich lasse jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion GRÜNE abstimmen. Wer ihm zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist der Entschließungsantrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden.