Protocol of the Session on September 26, 2012

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 5/9369 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Die Stimmenthaltungen? – Vielen Dank. Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen ist die Drucksache 5/9369 mehrheitlich beschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 10

Zusage der Kultusministerin einhalten – Neueinrichtung einer

Eingangsklassenstufe 5 an der Mittelschule Seifhennersdorf zulassen

Drucksache 5/10178, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung,

wenn gewünscht. Ich erteile der Fraktion DIE LINKE als Einreicherin das Wort; Frau Kagelmann.

Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Wir fahren fort, heute über die Bildungspolitik im Land Sachsen zu diskutieren, diesmal über einen konkreten Mittelschulstandort.

Seifhennersdorf ist ein beschauliches kleines Städtchen im äußersten Süden meines Landkreises. Gewachsen aus einem typischen Oberlausitzer Weberdorf mit den charakteristischen Umgebindehäusern, wuchs es, beginnend ab dem 19. Jahrhundert, zu einer industriell geprägten Kleinstadt heran.

(Unruhe im Saal)

Geblieben ist davon nach 1990 wenig, hinzugekommen noch weniger. Die Stadt verlor Einwohner wie fast – –

Frau Kagelmann, einen kleinen Moment, bitte. – Ich bitte die Abgeordneten, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaales zu führen und der Abg. Kagelmann doch bitte die Möglichkeit zu geben, ihren Vortrag ungestört zu halten. – Frau Kagelmann, bitte, fahren Sie fort.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Danke schön, Herr Präsident. – Wo waren wir stehengeblieben? Die Stadt verlor Einwohner – nichts Ungewöhnliches für Städte in der Oberlausitz. Leerstand zeichnet auch heute noch das Gesicht der Stadt.

Nun aber scheint der Abwärtstrend gestoppt zu sein. Die Stadt mausert sich. Sie macht sogar überregional von sich reden. Seit über zehn Jahren kämpfen Stadtrat, Bürgerinnen und Bürger, Eltern und Kinder um den Erhalt ihrer Schulen;

(Beifall bei den LINKEN)

denn Schule ist eben mehr als ein Lernort.

Die bemerkenswerte Ausdauer und Unbeugsamkeit der Seifhennersdorfer gründet sich vielleicht auch auf der Verpflichtung aus einem Erbe, das ein Sohn dieser Stadt für die Schulen seines Heimatortes vermacht hat, wohl um den Wert guter Bildung für die Gesellschaft hervorzuheben. Möglicherweise ist diese Unbeugsamkeit, offensichtlich gepaart mit dem heute bereits thematisierten Lehrermangel, aber auch der wirkliche Grund, warum nicht sein kann, was nicht sein darf.

Die gegenwärtig strittige Mittelschule sollte bereits nach der Schulnetzplanung des Altkreises Löbau-Zittau auslaufen. Der neue Landkreis Görlitz übernahm diese Planungen 2010 unkritisch in seinen Schulnetzplan und pocht seitdem auf dessen Einhaltung. Nur haben die Schülerzahlen in der Realität nichts mehr mit den Prognosen der alten Planungen gemeinsam, was im Übrigen schon damals im Kreistag heftig kritisiert wurde.

Sowohl Seifhennersdorf als auch die umliegenden Mittelschulen in Ebersbach, Großschönau oder Oderwitz haben

genug Kinder. Die Differenz zwischen den prognostizierten Schülerzahlen des Schuljahres 2012/2013 im Einzugsbereich der vier Schulen im Schulnetzplan des Landkreises zu den aktuellen Schülerzahlen beträgt eine komplette Schulklasse. Ein Antrag von den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN im Kreistag zur Überarbeitung des Schulnetzplanes wird im Übrigen ganz elegant seit über einem Jahr im Fachausschuss des Kreises geparkt. Einfach mehrheitlich wegstimmen, das hatte man sich dann offensichtlich doch nicht getraut.

Diese Gemengelage ist Hintergrund für einen Streit, der Seifhennersdorfer Eltern, 22 Kinder und einen Stadtrat inzwischen zu landesweit bekannten Schulrebellen macht. In anderen zeitlichen und politischen Zusammenhängen wäre der Widerstand der Seifhennersdorfer leuchtendes Beispiel von Zivilcourage mündiger Bürger.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Aber diese Zeiten scheinen vorbei. Wutbürger haben heute ein eher negatives Image.

Der Widerstand gegen das aktuelle Sächsische Schulgesetz macht aus potenziellen Helden der Vergangenheit nur noch uneinsichtige Rechtsverletzer der Gegenwart, die unverantwortlich gegenüber ihren Kindern handeln.

Was die Verantwortungslosigkeit der Eltern betrifft: Die Kinder werden in der Mittelschule Seifhennersdorf geschult. Das ist ein Kraftakt für die Organisatoren und ein Akt der Solidarität durch ehrenamtlich unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer im Ruhestand.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Bemerkenswert für mich ist, dass ich inzwischen auch andere ganz neue Töne in der Debatte in meinem Landkreis vernommen habe. Erstmals wird auch unter kommunalen Verantwortungsträgern davon gesprochen, dass die gegenwärtig am Beispiel Seifhennersdorf demonstrierte restriktive Auslegung des Schulgesetzes in wenigen Jahren im ländlichen Raum zu einer erneuten Schließungswelle führen muss, die es unbedingt zu verhindern gilt.

(Beifall bei den LINKEN)

Man will eine weitere Schwächung des ländlichen Raumes auf keinen Fall hinnehmen. Das heißt, meine Damen und Herren, strittig ist offensichtlich nicht mehr die Notwendigkeit der Änderung des Sächsischen Schulgesetzes. Strittig ist allein der Zeitpunkt der politischen Kurskorrektur, eine Korrektur, die Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ja eigentlich schon mit dem Schulmoratorium eingeleitet haben, das weitere Schulschließungen besonders im ländlichen Raum verhindern sollte und auch anderswo verhindert hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition! Sie verkennen die Lage. In Seifhennersdorf demonstriert nicht die Basisgruppe der Linkspartei. Da versuchen auch

viele Ihrer Wählerinnen und Wähler, für die unbegreifliche Hartleibigkeit von Kultus, Bildungsagentur und kreislichem Schulamt Sachargumente zu finden, warum ein Schulstandort, der kontinuierlich steigende Schülerzahlen aufweist, nicht weiter existieren darf.

Natürlich zehrt das an den Nerven der Beteiligten, vor allem an denen der Eltern und der Kinder. Diese nämlich müssen zuerst dem wachsenden subtilen Druck des geballten staatlichen Verwaltungsapparates zum Beispiel in Form von happigen Bußgeldbescheiden standhalten. Da fällt mitunter auch mal ein Wort, das nicht unbedingt zitierfähig ist. Aber, Frau Ministerin Kurth, noch im Gespräch mit Elternvertretern aus Seifhennersdorf im April dieses Jahres haben Sie die Bildung der 5. Klassen zugesichert, um am 15. August dann den Mitwirkungsentzug zu bescheiden. Wie erklären Sie diese Wendung den Eltern heute? Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Politik sieht anders aus.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Es geht in Seifhennersdorf längst nicht mehr einfach um den Erhalt einer Mittelschule. Es geht immer stärker auch um die Frage, welche Schule wir künftig haben wollen – eine hoch effiziente und kostensparende Lernfabrik oder eine Bildungswerkstatt, die junge Menschen mit Innovationskraft und Mut zum Selbstdenken hervorbringt.

Die Macher der evangelischen Gemeinschaftsschule in Berlin sagen in einem Artikel der „SZ“ von letzter Woche ganz deutlich: Unsere Gesellschaft braucht immer weniger Pflichterfüller. Sie braucht viel mehr kreative Gestalter, autonome Denker, Menschen mit Verantwortung und Rückgrat.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Koalition, sind drauf und dran, Rückgrat zu brechen – offiziell wegen zweier Kinder, die zwischen April und August noch an andere Schulen gewechselt sind. Herzliche Grüße von Diederich Heßling.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Gewechselt wurden!)

Wir haben gerade den Landesentwicklungsplan hoch und runter diskutiert und immer wieder die notwendige Stärkung des ländlichen Raumes bemüht. Aber gerade dabei helfen eben starre quantitative gesetzliche Vorgaben nicht weiter.

Rückgrat zeigen die Eltern und Kinder in Seifhennersdorf. Sie sind überzeugt, dass gute Bildung keine großen Klassen braucht und kleine Schulen große Chancen bergen, wenn man sie lässt. Wenn das keine Demonstration eines öffentlichen Bedürfnisses für den Fortbestand der Mittelschule ist, dann weiß ich nicht!

Werte Damen und Herren! Lassen Sie uns gemeinsam zurück auf Start gehen und geben Sie der Mittelschule Seifhennersdorf eine neue Chance. Wenn Sie, Frau

Ministerin, meinen, die Korrektur einer Entscheidung Ihres Hauses könnte Ihnen als Schwäche ausgelegt werden, scheue ich mich nicht, aufs Äußerste zu gehen und selbst Bismarck als Argumentationshilfe heranzuziehen mit dem Zitat – es muss sein: „Um Sozialisten und Sozialdemokraten zu bekämpfen, muss man den berechtigten Teil ihrer Forderungen erfüllen.“ In diesem Sinne, Frau Ministerin, Mut! Irren ist menschlich, Korrigieren auch.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Der nächste Redner für die CDU-Fraktion ist Herr Bienst.

(Volker Bandmann, CDU: Legen Sie demnächst noch einen Kranz am Bismarckdenkmal nieder?)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollegin Kagelmann, vielen Dank für die große theatralische Vorstellung in diesem Hohen Hause. Eigentlich könnte ich meinen Redebeitrag erst einmal zur Seite legen

(Beifall bei den LINKEN)

und auf Ihren Redebeitrag antworten. Aber das können wir in der zweiten Runde dann auch noch machen. Zur Vollständigkeit, Frau Kagelmann: Die Seifhennersdorfer haben auch eine gut gehende Grundschule und ein gut funktionierendes Gymnasium.

(Kathrin Kagelmann, DIE LINKE: Schulen ist die Mehrzahl von Schule!)