Protocol of the Session on July 12, 2012

Tagesordnungspunkt 4

1. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Stärkung der Ortschaftsverfassung im Freistaat Sachsen

Drucksache 5/9560, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher

nur die Einreicherin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Marion Junge. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion, DIE LINKE im Sächsischen Landtag, möchte die Ortschaftsverfassung im Sinne der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und Mitsprache verändern.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Gemeindegebietskulisse in Sachsen stark verändert. 1 614 selbstständige Gemeinden gab es im Jahr 1992 in Sachsen. Deren Anzahl verringerte sich erheblich durch die gesetzliche Gemeindegebietsreform und durch die freiwilligen Zusammenschlüsse.

Mittlerweile gibt es nur noch 458 selbstständige Gemeinden.

In den vergangenen 20 Jahren verloren über 70 % der Gemeinden in Sachsen ihre Selbstständigkeit und damit ihren unmittelbaren Einfluss auf die Politik in der Gemeinde. Demokratie- und Bürgerbeteiligung wurde damit in Größenordnungen abgebaut. 1 156 Gemeinden verloren ihren Bürgermeister, einen Teil der Verwaltung sowie den Gemeinderat. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lokalpolitik.

Eine solche Entwicklung führt zwangsläufig zu Identitätsverlusten bisher selbstständiger Ortsteile sowie zu einem Verlust der Möglichkeiten für direktes demokratisches und bürgerschaftliches Engagement der Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Entwicklung erfordert geradezu ein Gegensteuern des Gesetzgebers.

Mit der vorliegenden Novelle zur Sächsischen Gemeindeordnung in den §§ 65 bis 69 strebt meine Fraktion DIE LINKE eine Stärkung der Ortschaftsverfassung an. Das dörfliche Leben muss trotz Einheitsgemeinde erhalten und gestaltet werden. Durch die veränderte Rechtslage sollen die Belange der Ortschaften in den Beschlüssen des Gemeinderates stärker berücksichtigt und die bürgerschaftliche Beteiligung sowie ihr aktives Einwirken auf die Entscheidungsfindung gestärkt werden.

Die mit den Gemeindezusammenschlüssen verloren gegangene örtliche Identität und Eigenständigkeit soll in gewissem Umfang durch erweiterte Möglichkeiten der Einwohnerbeteiligung in den Ortschaften ausgeglichen werden.

Ich gehe auf einzelne Punkte des Gesetzentwurfes ein. Der Gesetzentwurf sieht die Stärkung der Einwohnerbeteiligung bei der Einführung der Ortschaftsverfassung vor – siehe dazu § 65 Abs. 3. Grundsätzlich bleibt die Entscheidung dem Gemeinderat überlassen. Zusätzlich können die Einwohnerinnen und Einwohner durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid die Einführung der Ortschaftsverfassung für ihre Ortschaft verlangen.

In § 65 Abs. 5 wird die bisherige Regelung, wonach in Ortschaften eine örtliche Verwaltung eingerichtet werden kann, ergänzt. Für Ortschaften mit mehr als 3 000 Einwohnern soll zukünftig eine örtliche Verwaltung eingerichtet werden. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, dass auch in größeren Ortschaften eine Verwal

tungsstelle eingerichtet wird, die den Weg zum Rathaus verkürzt sowie Entwicklungschancen im Ort ermöglicht.

Die Stellung des bisherigen Ortsvorstehers soll dadurch gestärkt werden, dass dieser künftig die Bezeichnung „Ortsbürgermeister“ trägt und von den Bürgerinnen und Bürgern der Ortschaft für die Dauer der Wahlperiode des Gemeinderates direkt gewählt wird – siehe dazu § 68. Hierdurch soll eine höhere gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung dieser ehrenamtlichen Tätigkeit erreicht werden.

Der Ortsbürgermeister erhält künftig nicht nur das Recht, mit beratender Stimme an den Sitzungen des Gemeinderates teilzunehmen, sondern er hat auch das Recht, Anträge zu stellen, die die Belange der Ortschaft betreffen – siehe dazu § 68 Abs. 4. Zudem ist er wie ein Mitglied des Gemeinderates zu allen Ratssitzungen zu laden.

Die Aufgaben und Befugnisse des Ortschaftsrates werden gegenüber den bisherigen Regelungen in der Sächsischen Gemeindeordnung detaillierter gefasst. Die Angelegenheiten, in denen der Ortschaftsrat selbstständig entscheidet, entsprechen dabei den bisher in § 67 Abs. 1 Sächsische Gemeindeordnung enthaltenen Angelegenheiten. Näher ausformuliert haben wir die Angelegenheiten, in denen der Ortschaftsrat ein Anhörungs-, Vorschlags- und Antragsrecht zur Durchsetzung der Belange und Interessen der Ortschaft hat. Dazu können Sie entsprechende Informationen in § 67 finden.

Wir schlagen ein weitreichendes Vorschlagsrecht des Ortschaftsrates vor. Das fördert die Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Die Einwohnerinnen und Einwohner haben dadurch die Möglichkeit, sich mit diesen Angelegenheiten an den Ortschaftsrat und den Ortsbürgermeister zu wenden.

Die Stellung und die Rechte des Ortschaftsrates in der Gemeinde werden insbesondere dadurch gestärkt, dass ihm gegen Beschlüsse des Gemeinderates, die nachteilige Auswirkungen auf die Belange der Ortschaft haben können, ein Widerspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung eingeräumt wird. Das haben wir in § 67 Abs. 7 geregelt.

Eine zentrale Regelung des Gesetzentwurfes zur Stärkung der Ortschaftsverfassung bildet das Budgetrecht – siehe dazu die Ergänzung als § 67a. Die Ortschaften haben gegen die Gemeinde einen Anspruch darauf, dass ihnen finanzielle Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben in angemessenem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Aus den der Gemeinde für die Erfüllung freiwilliger Aufgaben verbleibenden Haushaltsmitteln soll den Ortschaftsräten ein bestimmter Anteil in Form eines Budgets überantwortet werden.

In den Gemeinden, in denen die Ortschaftsverfassung eingeführt ist, ist künftig in den Hauptsatzungen zwingend zu bestimmen, dass Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auch in Ortschaften durchgeführt werden können. Auch dazu gibt es eine neue Regelung.

In einer Demokratie muss die Einwohnerschaft die Möglichkeit haben, an wichtigen Entscheidungen mitwirken zu können. Deshalb soll es künftig möglich sein, dass die Einwohnerinnen und Einwohner einer Ortschaft über wichtige Angelegenheiten ihrer Ortschaft mitbestimmen können, wenn sie dies begehren.

Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag legt mit diesem Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Ortschaftsverfassung im Freistaat Sachsen“ eine Gesetzesnovelle vor, die die Mitspracherechte in den Ortschaften und Ortsteilen stärkt, Entscheidungsspielräume ermöglicht und den Ortsbürgermeister mit entsprechenden Kompetenzen ausstattet, sodass ein Zusammenwachsen der neuen, eventuellen Einheitsgemeinden ermöglicht wird, und vor allem die Bürgerbeteiligung vor Ort fördert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns auf eine gemeinsame Debatte in den Ausschüssen. Ich bitte um Zustimmung zur Überweisung des Gesetzentwurfes an

den Innenausschuss und an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, das Gesetz zur Stärkung der Ortschaftsverfassung im Freistaat Sachsen an den Innenausschuss als federführenden Ausschuss und wie beantragt an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer dem Vorschlag der Überweisung an diese Ausschüsse zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Die Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 5

1. Lesung des Entwurfs

Gesetz über Zuwendungen des Landes zur Verbesserung der

Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden im Freistaat Sachsen

(Sächsisches Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – SGVFG)

Drucksache 5/9593, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums für eine allgemeine Aussprache vor. Es spricht daher nur die Einreicherin; Frau Jähnigen für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Frau Jähnigen, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf der Staatsregierung war ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich um kommunale Verkehrsverhältnisse und insbesondere um den öffentlichen Verkehr kümmern. Die Regierung will zwar beim Straßenneubau aufstocken, aber in den ÖPNV überhaupt nicht weiter investieren. Dort war die Investitionsrate ja schon denkbar niedrig.

Wir als GRÜNE sind der Meinung, der Landtag darf nicht weiter zusehen, wie diese Regierung den öffentlichen Verkehr in Sachsen ruiniert. Sie muss für die Korrektur dieser falschen Schwerpunktsetzung sorgen, und zwar jetzt. Ich füge hinzu: Diese Regierung straft ihre eigenen Klimaschutz- und Mobilitätsziele Lügen. Wenn es nicht zur genügenden Investition in den öffentlichen Verkehr kommt, steigen die Betriebskosten der Unternehmen. Der derzeit hohe Kostendeckungsgrad von circa 70 % sachsenweit würde sinken. Logische Folgen wären Angebotseinschränkungen oder weitere Tariferhöhungen. Wir hatten in der Fläche Sachsens ja bereits 7 bis 10 % Tariferhöhungen im letzten und in diesem Jahr.

Das können wir nicht wollen und deshalb denken wir, dass stattdessen der Ausbau des öffentlichen Verkehrs

notwendig ist. Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf befördern. Unser Gesetzentwurf schafft auch Planungssicherheit für die Kommunen in allen gemeindlichen Verkehrsinvestitionen.

Hintergrund für das Gesetz ist das mit der Föderalismusreform 2006 außer Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) – einige werden sich daran erinnern –, in dessen Ablösung 2007 die sogenannten Entflechtungsgelder den Länderhaushalten zufließen. Seitdem erhält Sachsen jährlich circa 88 Millionen Euro für gemeindliche Verkehrsinvestitionen, aber die Zweckbindung des Bundesrechtes hört ab 2014 auf und Sachsen kann frei entscheiden, was es mit diesen nur noch für Investitionen gebundenen Geldern tatsächlich tun will.

Mit dem Gesetz zur gemeindlichen Verkehrsfinanzierung möchten wir den Kommunen die Rechtssicherheit geben, dass diese circa 88 Millionen Euro auch weiterhin für ihre Verkehrsinvestitionen zur Verfügung stehen. Wir denken, dass wir jetzt dafür sorgen müssen, dass der schon bestehende Instandhaltungsstau beim öffentlichen Verkehr aufgelöst wird. Wir denken auch, dass die knappen Gelder zukünftig ökonomisch effektiver und ökologisch sinnvoller eingesetzt werden müssen als bisher.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sachsen hat seine Prioritäten bisher eindeutig festgelegt und unter Minister Morlok noch verschärft. Derzeit werden von den Entflechtungsgeldern nur 15 % für

ÖPNV-Investitionen und 85 % für Straßenneubau ausgegeben. Wir sind mit dieser geringen ÖPNV-Quote bundesweit Schlusslicht in der Aufteilung, und das ist unbedingt zu ändern.

Unser Gesetzentwurf enthält deshalb eine Vielzahl von förderfähigen Vorhaben im Bereich des ÖPNV und auch in neuen Bereichen: beim unterfinanzierten Radverkehr – bisher überhaupt nicht förderfähig im GVFG –, bei innovativen Projekten wie dem Carsharing, Maßnahmen zum Lärmschutz und zur Barrierefreiheit und nicht zuletzt zur grundhaften Sanierung von Straßen. Die grundhafte Sanierung von Straßen mit GVFG-Mitteln war bisher noch nie förderfähig.

Wenn Sie daran denken, welche Anfragen von Bürgerinitiativen, die sich über Fluglärm und Bahnlärm beschweren, Sie selbst in Ihren Wahlkreisen und Abgeordnetenbüros haben, dann wissen Sie, wie wichtig es ist, investive Mittel für Lärmschutz zu haben.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine gute, moderne Rechtsgrundlage für eine transparente Förderung. Dem derzeitigen Förderverfahren fehlt dies. Man hat den Eindruck, dass die Konditionen in verschlossenen Räumen des Ministeriums ausgehandelt werden und dass diese weder kommunalfreundlich noch transparent sind.

Andere Bundesländer sind uns mit solchen Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzen schon vorausgegangen, zum Beispiel Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg. In Baden-Württemberg geschah es übrigens noch unter der schwarz-gelben Koalition; Sie können ja nachfragen. Hier hatten auch CDU und FDP erkannt, dass es im Vorfeld der entfallenden Zweckbindung der Bundesförderung ab 2014 ein klares Bekenntnis des Landes braucht, um eine sachgerechte Weiterentwicklung des kommunalen Verkehrsbaus zu gewährleisten.