Vielen Dank, Herr Präsident. Lieber Kollege Colditz, bei vielen Zustimmungen im Einzelnen muss ich Ihnen doch leider beim Letzten widersprechen. Bei der Lernmittelfreiheit ging es nicht darum, nur die sozial Schwachen zu stärken, sondern es geht zurück auf Diskussionen in den Siebzigerjahren mit dem Slogan „Bildung für alle“.
Ich möchte ganz konkret aus dem Urteil zitieren, das hier aktuell auf dem Tisch liegt, in dem ganz genau der Verlauf unserer Verfassungsentstehung im Land Sachsen analysiert wurde. Darin steht: „Der Verlauf des verfassungsgebenden Verfahrens wie die von den Beteiligten im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen sprechen somit dafür, dass der Verfassungsgeber die Garantie der Lernmittelfreiheit ungeachtet bereits bestehender einfachgesetzlicher Regelungen im Schulgesetz in einem umfassenden Sinne verstanden hat. Eine Beschränkung der Lernmittelfreiheit auf Schulbücher war gerade nicht gewollt.“
Das heißt, die Sächsische Verfassung und die sächsischen Verfassungsgesetzgeber waren damals genau von dieser Intention getragen, den Zugang zur Bildung für alle zu gewährleisten, unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern, also nicht nur für die sozial Schwachen und die Reicheren, sondern auch für alle anderen. Damals war bekannt, dass das Schulgesetz bereits im Artikel 38 lediglich die Schulbücher erfasst hat. Aber schon damals war klar – dem Verfassungsgesetzgeber und auch denen, die damals hier im Landtag gesessen haben –, dass das Schulgesetz novelliert werden muss, wenn die Verfassung mit Leben erfüllt werden soll. Bis heute ist das nicht geschehen, und das ist auch die Hauptkritik, die eigentlich aus dem Urteil hervorgeht.
Zum Zweiten kann ich auch nicht ganz verstehen, dass es überhaupt notwendig gewesen ist, dass die Eltern ihre Rechte einklagen mussten und dass die Kommunen und auch das Land so tun, als wenn in der Tat mit den Schul
Herr Colditz hat gerade nicht aus dem Urteil zitiert, obwohl das im Urteil drinsteht, sondern aus einer seit 1997 geltenden Schulbuchzulassungsverordnung, die das Gericht nämlich mittelbar herangezogen hat, um den Begriff Schulbuch zu definieren. Dort ist bereits eindeutig festgelegt gewesen – oder ist bereits eindeutig festgelegt, denn sie gilt ja noch –, dass auch Atlanten, das Tafelwerk und die Arbeitshefte unter die Definitionshoheit von Schulbüchern gehören. Das Einzige, was das Gericht jetzt ergänzt hat, weil das normalerweise nicht in gebundener Form vorliegt, sind Kopien jeglicher Art, die sich nicht nur auf die üblichen Bücher oder Schulbücher beziehen. Das ist die einzige Ergänzung.
Von daher sind die Eltern aufgrund einer Rechtsverordnung zu Unrecht mindestens seit 1997, nämlich seit der Präzisierung des Begriffs Schulbuch, durch das Kultusministerium und durch das Land zur Kasse gebeten worden. Deswegen danke, dass der Brief jetzt an die Schulleiter und an die Schulträger herausgegangen ist, und zwar vor dem 22. Juli. Nur, dieser Brief gibt eigentlich nur das wieder, was wir schon lange wissen und was schon lange hätte umgesetzt werden müssen.
Herr Colditz, es ist leider auch nicht so, dass die Eltern nur für Kopien oder für Atlanten bezahlen. Es sind nach einer Online-Umfrage, die wir 2008 mit dem Landeselternrat gemeinsam gemacht haben, so ungefähr 80 Euro pro Jahr. Das sind die Bücher, die sie zusätzlich bezahlen. Das sind die Kopien, die sie anfertigen müssen. Das sind die Arbeitsmaterialien. Dazu kommen noch – das sollte man nicht vergessen und Sie können gern noch einmal in die Liste hineinsehen – im Durchschnitt über 100 Euro für Sportmaterial, für Büromaterial, für Taschen und Ähnliches; 150 Euro für die Schülerbeförderung – das ist natürlich in den Landkreisen sehr unterschiedlich – und noch einmal 160 Euro für Klassenfahrten und Exkursionen. Das sind die Teile, die derzeit gar nicht berücksichtigt werden, wenn wir von Lernmittelfreiheit sprechen, die aber notwendigerweise erforderlich sind, um einem Unterricht folgen zu können.
Das Gericht hat sehr wohl unterschieden, dass die Eltern ihren eigenen Beitrag zu leisten haben; aber ich denke, wir werden in den nächsten Jahren spätestens beim Thema Taschenrechner erneut ein Klageverfahren auf dem Tisch haben, weil dieses Problem bis jetzt nicht gelöst ist.
Frau Ministerin, der Hinweis darauf, dass man bei den Taschenrechnern möglichst auf die Funktionen achten und mögliche Empfehlungen für einen Typ aussprechen sollte, ist ja ganz nett gemeint, aber schauen Sie sich einmal die Praxis an; Herr Colditz hat gerade darauf hingewiesen: Das ist ein Umstand, den ich seit Einführung des Taschenrechners hier im Land Sachsen kritisiere: dass die Eltern gezwungen werden, wenn es möglich ist, das teuerste Exemplar für die Schule anzuschaffen.
Lassen Sie mich auf eine Sache hinweisen, die wir 2009 und 2010 schon einmal umgesetzt haben. Das geht vor allem auch an meine Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition. Wir hatten damals eine Lernmittelpauschale im Haushalt eingeführt: 5 Millionen Euro, die über das FAG zweckgebunden an die Kommunen weitergeleitet werden, um Zuschüsse für 25 Euro pro Schüler an die Schulen über Schulkonten weiterzuleiten. Das haben auch einige Schulträger so gemacht, aber nicht alle. Nicht alle Schulen haben bis heute Schulkonten.
Richten Sie möglichst schnell die Schulkonten in den einzelnen Schulen ein. Schaffen Sie die Lernmittelpauschale wieder an. Wir brauchen ungefähr zwischen 15 und 20 Millionen Euro, um das, was das Urteil aussagt, in den Kommunen umsetzen zu können. Damit könnten Sie auch den Kommunen und Bürgermeistern, wie Herrn Berger aus Grimma und anderen, unter die Arme greifen, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können.
Letztlich – das ist das Entscheidende –: Das, was in den Schulen notwendig ist, was gebraucht wird, um den Lehrplan umzusetzen, entscheiden Sie, Frau Kurth, in Ihrem Ministerium bzw. die Bildungsagentur.
Wir werden dem vorgelegten Schulgesetzentwurf zustimmen, weil er endlich Rechtssicherheit schafft, und zwar auf der Grundlage einer vernünftigen Regelung, so wie es auch vonseiten des Gesetzes vorgegeben ist, auch wenn ich mir wünschen würde, dass die eine oder andere Detailregelung nicht im Gesetz erfolgt. Aber vom Grundsatz her werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Lernmittelfreiheit und die Interpretation des jüngsten Urteils durch das Oberverwaltungsgericht Bautzen muss man sehr sensibel anpacken. Leider ist dies der LINKEN mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht gelungen.
Mit dem Gesetzentwurf der LINKEN wird wieder einmal mehr das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: alles kostenlos und die Schülerbeförderung gleich noch obendrauf. Werte Kollegen der Linksfraktion, das ist wieder etwas aus der Schublade „wünsch dir was“, und obendrein ist es wenig sachgerecht. Wir werden es deshalb auch ablehnen.
Der Gesetzentwurf hat im Übrigen relativ wenig mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes zu tun. Erstens war er schon viel eher da und zweitens ist er sehr viel weitge
hender als das Urteil. Sie verwechseln umfassende Lernmittelfreiheit mit allumfassender Lernmittelfreiheit. Das ist das Problem und deswegen ist es weder inhaltlich noch politisch als Reaktion auf das Urteil dienlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat in seinem Urteil zur Erhebung von Kopiergeld deutlich gemacht, dass die bisherige Rechtslage nicht eindeutig war, dass die bisherige Rechtsgrundlage – das zeigt ja die gelebte Praxis in den Schulen – viel zu große Spielräume zuließ und diese fast immer zulasten der Eltern ausgelegt wurden. Damit ist jetzt richtigerweise Schluss, das ist die gute Nachricht, die aus diesem Urteil folgt.
Wenn man sich einmal mit Eltern zum Thema Lernmittel unterhält, dann geht es den meisten gar nicht um die allumfassende Lernmittelfreiheit, die DIE LINKE vorschlägt. Aus Gesprächen wird klar, dass sie aber Transparenz haben wollen, dass sie den Nutzen der einen oder anderen Kopie oder von Schulheften nicht immer nachvollziehen konnten oder dass sie den Eindruck hatten, dass Kopien gemacht wurden, weil der Schulträger die Bücher nicht anschaffen wollte. Natürlich wollen Eltern nicht die Kosten für das tragen, wofür eindeutig der Staat zuständig ist. Aber niemand erwartet wirklich, dass alles, was in Schulen an Material vorliegt, kostenlos ist, und mit Verlaub: Das gab es noch nicht einmal zu DDR-Zeiten. Wir werden als FDP auch nicht zulassen, dass wir über das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes hinausgehen. Wir haben heute schon über Prioritäten gesprochen – –
Liebe Frau Falken, ich habe gesagt, wir werden nicht über das Urteil hinausgehen. Das heißt natürlich, dass wir das Urteil eins zu eins umsetzen werden.
Weil wir hier auch über Prioritäten sprechen: Wir haben gestern von der Staatsregierung den Doppelhaushalt vorgestellt bekommen. Wir diskutieren über Lehrermangel, und dann ist die Frage: Bezahle ich damit die kostenlose Schülerbeförderung im Land oder setze ich das Geld lieber dafür ein, dass wir für ordentlichen Lehrernachwuchs sorgen? Da ist die Priorität ganz klar, und deswegen können wir uns solche Sachen, die vielleicht wünschenswert sind, derzeit überhaupt nicht leisten.
Was wir jetzt nach diesem Urteil brauchen, ist Rechtsklarheit für Schulen, Schulträger und Eltern. Diesem Auftrag muss nachgekommen werden – ob das nun durch eine Rechtsverordnung passiert oder ob das Parlament handeln muss, wird sich zeigen. Wir werden in dem Sinne auch die Frage zu den Atlanten und Tafelwerken diskutieren müssen; Herr Colditz und Frau Stange haben es angesprochen. Am Ende brauchen wir Rechtsklarheit und -sicherheit, und es ist sowohl Anspruch als auch Wille der Koalition, dies so umzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Warum müssen wir äußerst sensibel sein bei diesem Thema? Ich verstehe, dass aufgrund des Urteils viel Freude herrscht. Ich verstehe auch, dass man möglichst wenig für die Lernmittel zahlen möchte; aber wir dürfen nicht vergessen, dass allein schon das Urteil dazu führt, dass auf unsere Kommunen eine erhebliche finanzielle Belastung zukommt.
Die Auswertung des Urteils wird zeigen, welche Folgen in der Praxis es haben könnte. Wenn schon bei einem Urteil die Gefahr besteht, zeigt das, was nach Annahme Ihres Gesetzentwurfs passieren würde. Sie müssen sich dessen bewusst sein, dass dann in Sachsen eine flächendeckend gute Unterrichtsqualität nicht mehr gewährleistet werden könnte.
Sie haben heute sicherlich in den Zeitungen gelesen, was einige Kommunen machen. Bestellungen werden aufgrund des Urteils storniert. Es besteht die Gefahr, dass die pädagogische Freiheit wegen der klammen Kassen einiger Kommunen arg in Mitleidenschaft gezogen wird. Nach Verabschiedung Ihres Gesetzentwurfs bestünde nicht nur die Gefahr, dass die pädagogische Freiheit leidet, sondern ich bin mir sicher, dass es so käme.
Ein Buch reicht eben nicht aus, um abwechslungsreichen Unterricht zu gestalten. Wer zudem die Beteiligung der Eltern überall ausschließt, wie es Frau Stange angedeutet hat, der nimmt den Schulen die Handlungsspielräume, für den einen oder anderen interessanten Ansatz eben doch Geld zu verlangen. Denn wir wissen: Wenn es verboten ist, reicht einer in der Schule aus, der dagegen ist. Dann gibt es eben keinen abwechslungsreichen Unterricht. Dann gibt es dieses Projekt nicht. Dann gibt es nicht die Fahrt am Nachmittag in das örtliche Freibad. Dann gibt es nicht die Fahrt mit der Dampfeisenbahn, um zu erleben, was technisch möglich ist. Der Schulträger sagt dann nämlich, das sei für den Unterricht nicht notwendig.
Ich will aber, dass es diese Angebote gibt. Wir als FDP werden dafür sorgen, dass es weiterhin ein vielfältiges und abwechslungsreiches Bildungsangebot gibt. Dazu zählt – Herr Colditz hat es zu Recht angesprochen – auch die Verantwortung der Eltern.
Da es nicht nur um eine rein finanzielle Frage geht, sondern auch um die Frage der pädagogischen Freiheit, sollten wir dieses Thema sensibel und gemeinsam mit Vertretern der Kommunen und der Schulen angehen, um eine geeignete, rechtssichere Lösung zu finden.
Ich wollte noch warten, bis Sie den Satz zu Ende gebracht haben. Aber wenn Sie jetzt schon unterbrechen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Bläsner, wenn ich Ihren Ausführungen zuhöre, dann muss ich daraus etwas schlussfolgern – das
ist meine Frage –: Haben Sie wirklich vor, den entsprechenden Artikel der Sächsischen Verfassung zu ändern?
Liebe Frau Falken, ich habe gesagt: Wir werden das Urteil eins zu eins umsetzen. Das heißt: Was das Urteil aufgibt, werden wir umsetzen.
Das Urteil und die Verfassung sind nicht zwei unterschiedliche Sachen. Nur, Sie legen die Verfassung viel weitergehender aus, als das Gericht es getan hat. Das ist das Problem, vor dem Sie hier stehen. Wir legen das Urteil so aus, wie es gesprochen wurde, nicht nach Ihren Wünschen. Das Gericht hat eine umfassende, aber keine allumfassende Lernmittelfreiheit gefordert. Das ist ein Unterschied.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns geht es um eine rechtssichere Lösung, die die Schulen nicht in ein finanzielles oder pädagogisches Korsett einschnürt. Diese Aufgabe werden wir rasch angehen, aber kundig und überlegt, nicht als Schnellschuss.
Meine Damen und Herren! Nun Frau Abg. Giegengack für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Giegengack, Sie haben das Wort.