Schauen wir einmal auf andere Maßnahmen, die in Berlin durchgeführt wurden. Ich erinnere Sie an die Veränderungen im Unterhaltsrecht. Es geht genau in die andere Richtung. Es geht um eine individuelle Absicherung gerade für Frauen. Mit dem Betreuungsgeld werden Frauen auf das Abstellgleis gefahren. Sie werden für 150 Euro zu Hause gehalten.
Wenn Sie nach der Scheidung allein dastehen, erhalten Sie keinen Unterhalt mehr. Das ist die Reform des Unterhaltsrechts, wie sie in den letzten Jahren vorgenommen wurde.
Es ist keine Stringenz in Ihren familienpolitischen Leitlinien zu erkennen. Sie machen das eine in die eine und das andere in genau die entgegengesetzte Richtung.
Ich habe mir extra eine Organisation herausgesucht. Es gibt beim Betreuungsgeld eine breite Front der Ablehnung. Es sind nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Es ist zum Beispiel auch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche. Dieses hat auf den Kinderreport aus dem Jahr 2012 verwiesen und deutlich gesagt, dass die beste Armutsprävention für Kinder ein Platz in einer Kita ist.
Das Diakonische Werk steht wohl nicht im Verdacht, Familienleistungen nicht anerkennen zu wollen oder gar Familien für die Wirtschaft passfähig zu machen. Nein, die Diakonie hat die Probleme von Familien und die Interessen von Kindern im Blick. So ist es.
Selten war die Ablehnung einer Leistung so ausgeglichen und groß. Es entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Es ist ein familienpolitisches Instrument aus vergangener Zeit. Der gesellschaftliche Wandel, auch wenn Sie ihn nicht wahrnehmen wollen, ist Realität. In dieser Realität leben
Ich weiß, dass die sächsische CDU seit Jahren versucht, diese Realität und die Erwartung der Menschen zu ignorieren. Begonnen hat es mit Herrn Biedenkopf, der auf die ungute hohe Erwerbsneigung der Frauen im Osten abgezielt hat.
Dann wurde das Landeserziehungsgeld eingeführt. Im Vergleich zu anderen Bundesländern können wir einen sehr begrenzten Ausbau der Kinderbetreuungsstätten verzeichnen.
Sehr geehrte Kollegin, für mich stellt sich folgende Frage: Wo nehmen Sie Ihren Realitätssinn her? Kommt dies aus Ihrem unmittelbaren Umfeld? Bezieht sich das auf Sachsen oder Deutschland? Meinen Sie Europa? Meinen Sie weltweite Tendenzen? Wie sieht der sogenannte Zeitgeist aus? Der mag in Sachsen so und in Deutschland anders sein. Die Frage lautet: Wie sieht es denn weltweit aus? Können Sie das einmal beantworten? Ich glaube, da haben Sie eine sehr merkwürdige Vorstellung von Zeitgeist.
Ich dachte, wir sind hier in Sachsen und in Deutschland. Da müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, dass es mittlerweile viele Familienformen gibt, dass es viele Alleinerziehende gibt. Gerade in Sachsen sind Alleinerziehende die Gruppe, die am häufigsten von Armut betroffen ist. Für die ist es keine Lösung, mit 150 Euro zu Hause zu bleiben und ihr Kind zu betreuen.
(Robert Clemen, CDU: Wer erzählt denn so einen Käse? – Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ihr erzählt den Käse!)
Dass die berufliche Entwicklung von Eltern und insbesondere die von Frauen bei Ihnen nicht im Fokus steht, zeigt ein Blick auf die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation.
Gerade Mütter arbeiten in Sachsen im Niedriglohnbereich. Sie arbeiten in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Sie haben kaum Aufstiegschancen. Sie sind als Gros der Alleinerziehenden die Hauptbetroffenen von Armut hier in Sachsen, da muss ich nicht in die weite Welt hinausschauen. Das sind die Tatsachen.
Die besser ausgebildeten Frauen ziehen ihre Konsequenzen insofern, dass sie einfach Sachsen verlassen. Diese Abwanderung junger Frauen – schauen Sie sich den ländlichen Raum an – wird uns in den nächsten Jahren teuer zu stehen kommen.
Es ist daher sehr zweifelhaft, ob die Fürsorge für Familien, die sie hier so in den Vordergrund stellen, wirklich ernst gemeint ist. Arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch fahren Sie hier in Sachsen schon lange einen Kurs: Hauptsache Arbeit, egal zu welcher Zeit, egal ob Mindestlohn oder Minijob, egal, ob man davon eine Familie ernähren kann oder am Wochenende arbeiten muss.
Wo waren denn diese familienpolitischen Aussagen, Alexander Krauß, als wir hier um die Ladenöffnungszeiten diskutiert haben?
Ich habe nicht gehört, dass von Ihrer Seite gekommen wäre: Wir müssen auch ein bisschen an die Familien denken und daran, welche Auswirkungen es hat, wenn die Mütter am Wochenende arbeiten gehen müssen.
Ich habe das hier weder von der Familienministerin noch von Vertretern Ihrer Fraktion in dieser Debatte gehört. Deshalb zweifle ich wirklich die Ernsthaftigkeit Ihrer Motivation für das Betreuungsgeld an.
Wenn wir jetzt bei den Argumenten Wahlfreiheit und Anerkennung sind, dann hat Frau Werner schon viel zur Wahlfreiheit gesagt. Ich will dazu nur kurz Folgendes sagen: Die Wahlfreiheit ist unabhängig von der Höhe einer Leistung. Sie beginnt erst dann, wo wirklich verlässliche Angebote für jedes Kind da sind.
Nur dann kann ich mich entscheiden: Nehme ich diesen Platz oder nehme ich ihn nicht? Vorher ist es keine Wahl
Dazu kommt, dass in Sachsen in mehr als 20 % aller Haushalte Frauen die Hauptverdiener sind, meine Kolleginnen und Kollegen.
Diesen Familien und Familien mit geringem Einkommen können Sie doch nicht sagen, dass diese 150 Euro jetzt die Anerkennung für die Erziehungsleistung sind.
Zu den Erziehungsleistungen bei den Menschen im HartzIV-Bezug hoffe ich nicht, dass die Regelung, wenn sie kommt, so kommt, dass das bei den Familien abgezogen wird. Es ist für das Thüringer Landeserziehungsgeld schon einmal geprüft worden, dass das nicht zulässig ist. Von daher unterstütze ich die Haltung der Sozialministerin, dass das überhaupt nicht gehen kann. Damit demontiert man eigentlich selbst die ganzen Motivationen, die man hervorbringen wollte.
Was erwarten Familien wirklich als Anerkennung für ihre Erziehungsleistungen? Da steht in jeder Umfrage an erster Stelle eine verlässliche Infrastruktur an guten und qualitativ hochwertigen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Das ist der Wunsch Nummer eins schon seit vielen Jahren. Da können Sie sich alle Umfragen ansehen. Die Betreuungsplätze sind nicht nur für Alleinerziehende und Familien mit niedrigem Einkommen die effektivste Armutsvorsorge, die Sie anbieten können. Die Zahlung von 150 Euro kann den Familien nicht die Notwendigkeit der Erwerbstätigkeit nehmen. Deshalb müssen die finanziellen Mittel, die jetzt für das Betreuungsgeld vorgesehen sind, für den Ausbau nicht nur der Anzahl der Plätze, sondern auch der Qualität der Angebote in den Kinderbetreuungseinrichtungen verwendet werden.