Protocol of the Session on April 3, 2012

Frau Kurth hat heute Morgen hier ihren Amtseid geschworen. Dieser Amtseid ist eindeutig. Den haben wir als Plenum geschworen, und dazu gehört es, dass wir von der Landesregierung die Realität, die Wahrheit erfahren, wenn wir Anfragen stellen. Diese Wahrheit haben wir nicht erfahren, Sie nicht und wir nicht.

Erinnern Sie sich an den Schulausschuss, erinnern Sie sich, wie uns am Anfang des Jahres immer wieder erklärt wurde, dass wir null Unterrichtsausfall haben: Es ist alles paletti, wir haben sogar einen Überschuss! – Deswegen

mussten die Kollegen nämlich in Teilzeit gehen, und die Teilzeitstellen werden nicht ersetzt.

Ich will Ihnen eine Situation schildern, weil ja schon sehr viel zu den inhaltlichen Fragen gesagt worden ist, um zu zeigen, wie sich das zurzeit konkret darstellt. Viele von Ihnen werden das momentan auch immer wieder zu hören bekommen.

Zu Schuljahresbeginn hatte eine Lehrerin A an einem Gymnasium als Lehraufträger eine Klasse in Biologie, den Chor in Klasse 5 und 6, sonst nur Musik in den Klassen 5 bis 11. Nach den Oktoberferien war eine andere Kollegin B in Biologie krank, sodass Kollegin A den Chor gestrichen bekam, um Biologie zu vertreten. Den Schülern zuliebe hat Kollegin A den Chor trotzdem betreut, jedoch unentgeltlich und ohne Versicherungsschutz. Jetzt ist die zweite Musiklehrerin C langzeiterkrankt, und die Lösung der Regionalstelle Dresden heißt: Kürzung des Musikunterrichts um eine Stunde pro Klasse, Übernahme der zwei Kurse in Klasse 12 durch die verbliebene Kollegin A. Die Kollegin A hat jetzt sage und schreibe 27 Stunden Musik in 21 Klassen mit über 400 Schülern in einer Unterrichtswoche.

Auf diese Art und Weise, meine lieben Kolleginnen und Kollegen in der Koalition, verletzen Sie nicht nur die Fürsorgepflicht als Arbeitgeber – eine Rechnung des Kultusministeriums –, sondern das ist eine Zumutung für Schüler und Schule. Und das ist kein Einzelfall. Das wissen Sie ganz genau.

Wo sind eigentlich die angeblich überzähligen Lehrkräfte aus dem Bezirkstarifvertrag, die weiter abgebaut werden sollen, die jetzt alle freiwillig Teilzeit machen, wenn schon heute flächendeckend in allen Schularten Unterrichtslücken nicht nur bei schlechtem Wetter und Grippewellen entstehen? Warum fordert man die Lehrkräfte an Mittelschulen und Gymnasien immer weiter verstärkt zur Teilzeit auf, wenn Unterricht nicht abgedeckt werden kann, Herr Rohwer? Warum sollen die denn aufstocken und Überstunden machen, wenn die Stellen eigentlich da sind? In den meisten Schulen reicht der Geltungsbereich, der auch den Ganztagsbereich abdecken sollte, nicht einmal für die Unterrichtsversorgung, geschweige denn für die Poolstunden.

Ich will nicht wiederholen, was meine Kolleginnen von den GRÜNEN und den LINKEN gesagt haben. Es ist hier übrigens, Frau Falken, nicht die Gelegenheit, von diesem Pult aus die Lehrer zu Lehrerdemonstrationen aufzurufen.

(Zuruf des Abg. Dr. Volker Külow, DIE LINKE)

Ich glaube, die sind klug genug, das selbst zu tun.

Unterrichtsausfall ist eine Folge von Lehrermangel und von fehlender Personalentwicklung. Lieber Herr Wöller, das kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen, auch wenn Sie die Reißleine gezogen haben. Sie wissen seit Ihrem Amtsantritt, dass wir ein Problem im Schulbereich mit der Personalentwicklung haben. Es ist, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung insgesamt, eine Folge der Verdichtung der Schullandschaft in den vergan

genen Jahren. Wir haben immer mehr Schüler in immer weniger Klassen mit weniger Lehrkräften. Das heißt, Sie haben kein atmendes System mehr. Sie haben das Schulsystem systematisch erdrosselt und es steht jetzt in der Tat kurz vor dem Kollaps. Das wissen Sie, wenn Sie in die Schulen hineinschauen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden den Anträgen von den LINKEN und von den GRÜNEN zustimmen, auch wenn ich zugestehe, dass im Antrag der GRÜNEN die Höchstgrenze für die Zusammenlegung von Klassen in der Sekundarstufe I auch für die Kollegen eine Zumutung ist. Aber damit wir überhaupt Regelungen bekommen, werden wir diesen Anträgen zustimmen und hoffen, Frau Kurth, dass sie Ihnen jetzt vielleicht eine Anleitung geben, um die Lösung für das kommende Schuljahr zu finden und es besser zu machen, als es bisher gemacht wurde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Bläsner für die FDP-Fraktion. – Herr Bläsner, einen kleinen Moment noch. Es gibt noch eine Kurzintervention. Herr Rohwer, bitte.

Ich möchte nur kurz richtigstellen, Herr Präsident, dass im Schulausschuss nach meinem Kenntnisstand nicht davon gesprochen wurde, dass wir einen Unterrichtsausfall von null haben. Vielmehr ist darauf hingewiesen worden, dass es Unterrichtsausfall gibt. Also, von einer solch starken Beschönigung, wie sie die Kollegin gerade behauptet hat, kann ich nichts berichten.

Das Zweite. Frau Kollegin Dr. Stange, ich will Sie auch noch einmal darauf hinweisen, dass ich die Bezahlung von Überstunden in meiner Rede eingefordert habe. Wenn sie angewiesen werden müssen, dann müssen Überstunden selbstverständlich auch bezahlt werden.

(Beifall bei der CDU – Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Dann muss aber auch Geld da sein!)

Frau Dr. Stange, wollen Sie auf die Kurzintervention antworten?

Nur so viel, weil es vielleicht sinnvoll wäre, noch einmal in die bunten Tabellen zu schauen: Mit Ausnahme der berufsbildenden Schulen, um ganz korrekt zu sein, in denen ein planmäßiger Unterrichtsausfall von 1,2 % für dieses Jahr aufgeführt ist, ist für alle anderen Schularten ein Unterrichtsausfall von null angegeben. Zu Beginn des Schuljahres!

(Zuruf von der CDU: Aber nur im Grundbereich, Frau Dr. Stange! – Weitere Zurufe)

Sie können das gern außerhalb des Plenums weiter bilateral

diskutieren. – Nächster Redner: Herr Bläsner für die FDPFraktion.

(Unruhe)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das Thema nicht so ernst wäre, könnte man die Debatte unter die Überschrift stellen: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“.

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Wir sind vorsichtig geworden!)

Die Mitglieder des Schulausschusses erinnern sich bestimmt alle an die schönen bunten Blätter, die seit nunmehr vier oder fünf Jahren am Anfang des Schuljahres ausgeteilt werden.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Dort kann man lesen: Mittelschule, Gymnasium 200 % Ergänzungsbereich. – Das klingt erst einmal gut, aber ich glaube, jeder, der die Proteste gesehen hat und der die Berichte kennt, weiß, dass das nicht mit der Realität im Einklang ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, die bisherige Aussagekraft der Zahlen aus dem Ministerium muss dringend hinterfragt werden. Es ist der richtige Schritt, wenn die neue Kultusministerin ankündigt, jetzt für eine valide Zahlenbasis zu sorgen, denn das ist die Grundlage für die kommenden Beschlüsse, die wir fassen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein besonders negatives Beispiel aus dem Bereich Grundschulen ist mir in diesem Jahr untergekommen – ich glaube, Frau Dr. Stange war dabei, Martin Modschiedler war dabei –: die 51. Grundschule in Dresden, An den Platanen. Ich habe noch einmal in der Unterrichtsausfallstatistik nachgeschaut, die vor Kurzem für das erste Halbjahr veröffentlicht wurde: 4 % planmäßiger Unterrichtsausfall.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist – es ist eine Grundschule – wirklich inakzeptabel und hier müssen wir etwas tun. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der FDP)

Zugegeben, das ist ein Einzelfall – das sage ich ganz offen –, denn die Schule hat ein Viertel des gesamten planmäßigen Unterrichtsausfalls bei Grundschulen in ganz Sachsen. Aber dieser Einzelfall darf nicht zur Regel werden.

Doch, meine sehr geehrten Damen und Herren, Durchschnittsangaben und Pauschalaussagen bringen uns in der Vorbereitung des kommenden Schuljahres – das ist jetzt die Hauptaufgabe – nicht weiter. Wir haben sehr unterschiedliche Situationen. An Grundschulen, Förderschulen und Berufsschulen haben wir schon ein Ressourcenproblem. An Grund- und Förderschulen haben wir das Prob

lem, dass es zu wenige junge Absolventen gibt, die diesen Job überhaupt antreten wollen.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Da können wir übrigens noch so viele Stellen bereitstellen, wenn wir sie nicht besetzen können, bringt das nichts. Deswegen müssen wir dort eine Lösung finden.

(Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Im Bereich Mittelschulen und Gymnasien haben wir eigentlich genügend Ressourcen. Doch das ganz große Problem ist: Wir haben die Ressourcen in den falschen Fächern, in den falschen Schularten und teilweise auch an den falschen Orten in Sachsen.

(Zuruf von den LINKEN: Wie kommt denn das?!)

Das Problem besteht nicht erst seit heute. Aber es wird jetzt wirksam, weil dieses ineffektive System jetzt, da die Decke an Lehrern immer dünner wird, voll durchschlägt. Jetzt zeigt sich, dass diesbezüglich Reformbedarf besteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses inflexible System problematisiert die zukünftige Lehrerabsicherung noch deutlich mehr, als es schon jetzt ein schwieriges Problem ist. Ich sage ganz offen: Es gibt Gegenmaßnahmen, die ganz klare Pflichtaufgabe von Verwaltungshandeln sind. Wir hatten zehn Jahre lang – von 2000 bis 2010 – eine sehr gute Situation hinsichtlich der Lehrerausstattung. Wir hatten den Bezirkstarifvertrag, wir hatten zurückgehende Schülerzahlen und wir haben schon damals sehen können – zumindest ab 2006/2007 –, dass wir sehr schnell ein Problem bei dem fächerspezifischen Bedarf bekommen werden.

Man hätte sehr schnell und intensiv über berufsbegleitende Weiterbildungsprogramme nachdenken müssen. Das wurde Anfang der Neunzigerjahre gemacht, als sich sehr viele Lehrer – teilweise Lehrer über 50 Jahre – in Fremdsprachen weitergebildet und engagiert haben. So etwas wäre möglich gewesen und so etwas ist auch jetzt noch nötig.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben es oft angesprochen: Ein Seiteneinsteigerprogramm war lange Zeit nicht nötig, aber so etwas muss in der Schublade stecken. Wir brauchen – es wurde heute schon angesprochen und steht auch im Antrag der GRÜNEN – ein Budget zur Vermeidung von Unterrichtsausfällen an Schulen, sodass die Schulleiter, wenn ein Lehrer krank wird, eigenständig entscheiden können, schnell Ersatz zu suchen. So etwas gibt es in vielen Bundesländern – in Rheinland-Pfalz, in Hessen, auch in Thüringen – und so etwas muss man angehen.

(Beifall bei der FDP)

Es geht um den schulfremden Einsatz von Pädagogen in der Verwaltung. Auch das war lange Zeit überhaupt kein Problem. Aber jetzt müssen wir darüber nachdenken und der Koalitionsausschuss hat ganz klar beschlossen, das

auf ein verträgliches und notwendiges Maß zurückzuführen.