Protocol of the Session on December 14, 2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kommen wir vom fernen Stuttgart nach Sachsen. Auch hier hat vor Kurzem ein Bürgerentscheid stattgefunden, und zwar in meinem Heimatort. Es hat sich eine Bürgerinitiative unter Führung der LINKEN gegründet. Sie wollte für etwas Komisches eintreten: für einen Kreiswechsel. Es wurde in diesem Wahlkampf gepoltert, gebrüllt und geschimpft. Die FDP war die einzige politische Kraft, die sich diesem Unfug entgegengestellt hat.

(Stefan Brangs, SPD: Genau! – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ja. – Am 13.11.2011 fand dann die Wahl mit 76 % Wahlbeteiligung statt. – So viel zum Thema Politikverdrossenheit und Quoren. 692 Menschen haben dafür gestimmt, den Kreis zu wechseln, und 878 Bürger meines Heimatortes haben dafür gestimmt, diesen Unfug nicht mitzumachen, und wir haben diesen Bürgerentscheid gewonnen.

(Stefan Brangs, SPD: Eine klare Entscheidung! – Demonstrativer Beifall und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Eigentlich ist klar: Schreihälse und Wutbürger bekommen bei uns in Sachsen keine Mehrheit; aber ich dachte, danach sei Schluss. Die Bürger haben gesprochen, sie haben entschieden, und damit ist Ende der Debatte. – Nein!

(Dr. Volker Külow, DIE LINKE: Nein!)

Dass die BI unter Führung der LINKEN weiterbrüllt, ist mir fast egal; aber die Akzeptanz eines Bürgerentscheides ist sehr problematisch. Wenn ich die GRÜNEN anschaue: Am 9. November 2011 ging es auf Ihrer Webseite darum, dass die Landesregierung sowie einzelne Landespolitiker Zurückhaltung bei ihrer Einflussnahme üben sollten, den

Bürgerentscheid abwarten und dann den Bürgerwillen anstandslos akzeptieren. – Ja, wenn es denn so wäre!

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg: Das hat die Staatsregierung nicht gemacht!)

Wenn kurze Zeit später eine Abgeordnete der GRÜNEN die Staatsregierung mit einer Kleinen Anfrage zu diesem Thema nervt und den Bürgerwillen eben nicht akzeptiert und am Ende herauskommt, dass der Bürgerwille nicht akzeptiert wird und die Entscheidung der Bürger nicht dargestellt werden kann,

(Horst Wehner, DIE LINKE: Herr Günther, das stimmt doch so nicht!)

und man versucht noch, mit kleinen Tricks, Kniffen und Fragestellungen dahinterzukommen, dass die Bürger unter Umständen beeinflusst würden, dann ist das Unfug. Ich sage den GRÜNEN: Lassen Sie die Bürger in Sachsen in Ruhe! Akzeptieren Sie die Ergebnisse von Bürgerentscheiden und lassen Sie uns mit Ihrem Unfug in Ruhe!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Antje Hermenau, GRÜNE: Sie sollten den Rhetoriklehrer wechseln!)

Ich frage die Fraktionen, ob noch ein Abgeordneter in der dritten Runde das Wort wünscht. – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Dr. Martens, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, die Gegenstand der Debatte am 27.11.2011 war, angesetzt von der Koalitionsregierung in Baden-Württemberg, lässt sich aus hiesiger Sicht wohl weniger als Ausdruck grüner Stärke in Baden-Württemberg begreifen denn als den Zwang, zu einer Verlegenheitslösung zu kommen, wenn man sich parlamentarisch nicht mehr einig werden kann.

Das Ergebnis zeigt: 59 % der Teilnehmer an dieser Volksabstimmung haben gegen den GRÜNEN-Ausstieg gestimmt und 41 % der Teilnehmer dafür, bei 48 % Wahlbeteiligung, die übrigens deutlich unter der Wahlbeteiligung von Landtags- und Bundestagswahlen lag.

(Martin Dulig, SPD: Ich finde das nicht!)

Wenn man das auf die Bürger umlegt, dann sind es knapp 20 % der Bürger, die für den Ausstieg aus Stuttgart 21 waren, und das, obwohl die Diskussionen mehr als ein Jahr lang geführt wurden – bisweilen mit einer Heftigkeit, als ginge es um die zentrale Existenzfrage des Landes Baden-Württemberg schlechthin. Das muss ernüchtern, meine Damen und Herren.

Das Quorum von einem Drittel bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg ist verfehlt worden. Zur Lage in Sachsen eine Klarstellung: Wir haben kein solches Quorum. Diese Hürde wird in Sachsen nicht aufgebaut.

Artikel 71 der Sächsischen Verfassung verlangt für einen Volksantrag 40 000 und Artikel 72 für ein Volksbegehren 450 000 Stimmberechtigte oder maximal 15 % der Wahlberechtigten, die dafür sein müssen.

(Eva Jähnigen, GRÜNE, meldet sich einer Zwischenfrage.)

Herr Dr. Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

(Oh-Rufe von den GRÜNEN)

Diese Schwelle steht nicht absolut. Sie steht nicht für immer, sie ist nicht in Stein gemeißelt, und der Gesetzgeber, das Parlament, sollte diese Voraussetzungen im Auge behalten, um einem etwaigen Änderungsbedarf gerecht zu werden.

Es ist dann Sache des Parlamentes. Möglicherweise kann ein solcher Bedarf aus der Demografie erwachsen. Aber noch einmal: Wir sind hier in Sachsen immer noch weit unterhalb dieses Quorums von einem Drittel der Zuständigkeit, wie es in Baden-Württemberg der Fall ist.

(Zuruf der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Wir sind in Sachsen entgegen Ihrer Auffassung, was die Elemente der direkten Demokratie anbelangt, eben nicht am Ende der Fahnenstange. Da haben Sie in BadenWürttemberg möglicherweise noch mehr Probleme zu lösen, meine Damen und Herren.

Die Volksabstimmung über Stuttgart 21 zeigt, dass sich bei Entscheidungen, die eine repräsentative Demokratie und ihre Organe vor fast unlösbare Probleme stellen, dann auf dem Weg der direkten Demokratie doch Lösungen finden lassen, und zwar als Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie und nicht als Alternativmodell. Auch darüber besteht in diesem Hause, glaube ich, Konsens.

Aber – darüber scheinen die Meinungen auseinanderzugehen – wichtig ist vor allem die Akzeptanz einer solchen Entscheidung. Das heißt, dass auch in einer Volksabstimmung der Souverän unmittelbar entscheidet und man eine solche Entscheidung nicht – wie das vorhin bei Frau Roth anklang – delegitimieren kann, indem man sagt, es hätte Interessengruppen und Lobbys gegeben, die gegen die eine Meinung gewesen wären.

Man kann sich auch nicht der Akzeptanz einer solchen Entscheidung entgegenstellen, wie es Bundestagsvizepräsident Thierse bei der Waldschlößchenbrücke getan hat, indem er – so meiner Erinnerung nach – gesagt hat, dass hier die falsche Entscheidung exekutiert werde. Was heißt hier „falsche Entscheidung“, meine Damen und Herren?

(Eva Jähnigen, GRÜNE: Was tun Sie denn für mehr Bürgerbeteiligung?)

Es war die Dresdner Bevölkerung, die sich mit mehr als 76 % Teilnahme für die Waldschlößchenbrücke ausge

sprochen hat. Hierbei von der Exekution einer falschen Entscheidung zu sprechen, zeugt von einem sehr seltsamen Demokratieverständnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das zeugt von jener Überheblichkeit, man sei der Ansicht, man sei ethisch der bessere Mensch, man verfüge über die größere Wahrheit, habe tiefere Einsichten und könne deswegen auch die anderen – möglicherweise mit undemokratischen Mitteln – davon abhalten, sich demokratisch selbst zu schädigen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist doch dummes Geschwätz!)

Meine Damen und Herren! Diesen Weg werden wir in Sachsen sicherlich nicht beschreiten, aber wir stehen zu den Möglichkeiten der direkten Demokratie.

Das Kernproblem ist aber nicht die Frage des Quorums, nicht die Höhe der Wahlbeteiligung, sondern die Frage, ob hinterher gewählte Politiker bereit und in der Lage sind, solche Entscheidungen tatsächlich zu akzeptieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren! Die 1. Aktuelle Debatte ist abgeschlossen.

Wir kommen nun zu

2. Aktuelle Debatte

Sozialer Kahlschlag durch massive Haushaltskürzungen –

Staatsregierung muss jetzt handeln!

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Antragstellerin hat zunächst DIE LINKE das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Herr Dr. Pellmann für die beantragende Fraktion DIE LINKE, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während die soeben abgelaufene Debatte ein Problem bemühen musste, was vom Ansatz her nicht in Sachsen lag, kommen wir nun zu einer Thematik, die nicht zufällig von meiner Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Es geht um handfeste Probleme, die in Sachsen entstanden sind und sich in Sachsen auswirken. Ein Jahr nach der Verabschiedung des Doppelhaushaltes – es war voriges Jahr im Dezember – stelle ich die Frage: Welche Auswirkungen haben die massiven Haushaltskürzungen, die vor einem Jahr von der Mehrheit beschlossen worden sind, in Sachsen hervorgerufen?

Unsere Befürchtungen, meine Damen und Herren, haben sich voll bestätigt. Wenn soeben über Demokratie gesprochen wurde und insbesondere von der CDU die Botschaft kam, man möge akzeptieren, wenn es eine demokratische Willensbildung gibt, sage ich Ihnen mit Bezug auf das in Rede stehende Thema: Hätten Sie damals auf die massiven Protestaktionen vor dem Landtag und in ganz Sachsen gehört, dann stünden wir heute nicht vor dieser Situation, die ich beschreiben muss.