Wenn Sie in einer dieser Zellen stehen, meine Damen und Herren, wie ich vor Kurzem, ist Geschichte auf einmal nicht mehr abstrakt. Es ermöglicht eine Ahnung von dem, was Menschen dort in beiden Diktaturen erleben und erleiden mussten.
Ich freue mich sehr, dass die Koalition unsere Initiative heute aufgenommen hat und wir nicht mehr nur über eine ergebnisoffene Aussetzung über die Verkaufsaktivitäten der JVA Chemnitz-Kaßberg abstimmen, sondern über einen gemeinsamen Antrag, mit dem die Einrichtung einer Gedenkstätte bei dem Verkauf des stillgelegten Gefängnisses sichergestellt werden soll.
Wir sind uns darüber einig, dass nicht der ganze Gefängniskomplex zur Gedenkstätte werden soll – das steht außer Frage –, und uns ist auch bewusst, dass der Weg dahin noch sehr weit ist. Es muss ein Käufer für das Areal gefunden werden, es muss ein Gedenkstättenkonzept erarbeitet werden, und – das Allerschwierigste an der ganzen Sache – es muss auch finanziell untersetzt werden.
Mit der Annahme dieses Antrages am heutigen Tag können wir den ersten Schritt auf diesem Weg gehen, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Wenn meine Vorrednerin aus ihrem Leben berichtet hat, dann ist das etwas Authentisches, was wir auch der Nachwelt erhalten müssen, und es berührt mich innerlich sehr, weil es mich auch daran erinnert, wie ich in Bautzen als Schüler am Stasihaftgefängnis vorbeigelaufen bin und wie wenig wir als Schüler Einblick in diese Entwicklung hatten.
Lassen Sie mich deutlich sagen, dass wir alle Aktivitäten, die zur Schaffung eines Gedenkortes in ChemnitzKaßberg beitragen, unterstützen werden. Dieser Gedenkort muss unmissverständlich erhalten bzw. für die Nachwelt entsprechend geschaffen werden. Zweitens, die Verkaufsverhandlungen der Staatsregierung werden mit dieser Initiative nicht abgebrochen. Drittens – ich denke, das ist das Schwierigste: Beide Anliegen zu beachten wird eine große Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, werden.
Es lohnt sich dennoch, auch 20 Jahre nach der Wiedererlangung der Einheit des Vaterlandes die Zeit der Unfreiheit nicht zu vergessen; dabei die Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Demokratie weiterzuführen; denn nur wer bereit ist, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen, wird den Wert der Demokratie besser schätzen als die Zeit der Diktatur.
Der Freistaat Sachsen hat sich seit 1990 wie kaum ein anderes deutsches Land für eine ausgewogene Gedenkstättenlandschaft eingesetzt und diese geschaffen. Dabei wurden neben Gedenkstätten Gedenkorte und Orte der Erinnerung geschaffen. Eine Vielzahl von Initiativen, Opferverbänden und Fördervereinen hat diese Arbeit mit Unterstützung der Stiftung sächsische Gedenkstätten des Freistaates Sachsen und vieler weiterer Partner und Unterstützer geleistet. Dafür gebührt allen Beteiligten unser ganz besonderer Dank.
Der Respekt und die Hochachtung aber gelten besonders den Menschen, die in den Gefängnissen gelitten haben, die Repressalien, Drangsalen und Erniedrigungen erdul
den mussten. Diese Menschen, die noch leben, die überlebt haben, werden wir auch brauchen, damit Chemnitz als Ort der Erinnerung entsprechend erhalten bleibt.
Deshalb muss auch künftig die Erinnerung an die Leistung der Opfer Gradmesser des demokratischen Rechtsstaates bleiben. Die Leidensorte für die Opfer jeder Diktatur werden sich immer in den Gefängnissen wiederfinden. Meine Vorrednerin Frau Giegengack hat bemerkenswerterweise darauf hingewiesen, dass der Nationalsozialismus, aber auch die Zeit der SED-Diktatur in den Gefängnissen ihre Spuren hinterlassen haben.
Ich möchte deshalb daran erinnern, dass der Freistaat Sachsen mit der Schaffung der Gedenkstättenstiftung unter anderem in Pirna-Sonnenstein, Zeithain, Dresden/ Münchner Platz und Torgau an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert – in Leipzig/Runde Ecke, Bautzen, Torgau, Dresden/Münchner Platz und Bautzener Straße an die Opfer der SED-Diktatur. Sie werden sehen, dass an diesen Orten beide Diktaturen zu Hause waren und dass es eine zusätzliche Herausforderung an jede Gedenkstätte, an jeden Gedenkort ist, dass man gebührend alle Opfergruppen entsprechend beachtet.
Der vorliegende Antrag spricht aber eine weitere dunkle Seite der SED-Diktatur des Gefängnisses Kaßberg in Chemnitz an. Als zentrales Gefängnis zur Abwicklung des Häftlingsfreikaufes in die Bundesrepublik hat dieses Gefängnis als Ort der Erinnerung der Opfer nicht nur sächsische Bedeutung, sondern – wie viele andere Gedenkorte – eine durchaus bundesweite Bedeutung; denn von hier wurde ein großer Teil der 33 000 Menschen durch die Bundesrepublik freigekauft. Für die ehemalige DDR war Menschenhandel ein einträgliches Geschäft geworden.
Mehr als 3 Milliarden DM wurden dafür bezahlt. Dieser Handel war aus Sicht der Bürger der ehemaligen DDR menschenverachtend, weil das eine Einteilung in Klassen gewesen ist – in Menschen erster und zweiter Klasse –, und das war menschenverachtend.
Nur weil Frauen und Männer mit ihren Kindern dem real existierenden Sozialismus den Rücken kehren wollten, wurden sie am Verlassen des Landes gehindert oder bei Fluchtversuch eingesperrt. § 213 Strafgesetzbuch der DDR, Versuchte Republikflucht, oder §§ 106 und 108 Strafgesetzbuch der DDR, Staatsfeindliche Hetze, mussten für die strafrechtliche Entscheidung als Grundlage für eine mehrjährige, jahrelange Haft in einem der Gefängnisse herhalten.
Der Freikauf durch die Bundesrepublik hat den Leidensweg vieler verkürzt und war zum damaligen Zeitpunkt die einzige Chance, einen Neuanfang im demokratischen Teil Deutschlands zu schaffen. Wir danken den Bundesregierungen, die geholfen haben, diese Fälle mit Freikauf zu lösen.
Ich möchte dabei ganz besonders die Aktivitäten unserer sächsischen Landsleute Herbert Wehner, Wolfgang Mischnick, Hans-Dietrich Genscher und weiterer in besonderer Erinnerung halten. Es waren nämlich überwiegend die Sachsen, die im Deutschen Bundestag darauf gedrungen haben, dass es eben zu dem Häftlingsfreikauf gekommen ist, und deshalb sollte man das heute noch in Erinnerung behalten.
An diese Besonderheit, diesen Häftlingsfreikauf, zu erinnern, wäre in Chemnitz-Kaßberg der richtige Ort. Deshalb plädieren wir für einen angemessenen und offenen Gedenkort in Chemnitz.
Die Staatsregierung, meine Damen und Herren, hat in den bisher geführten Gesprächen diese Besonderheit in Chemnitz beachtet und eigene Aktivitäten dazu unternommen. Sie hat mit Interesse auf das Engagement und die Bemühungen des Bundesbeauftragten Roland Jahn reagiert. Diese Gespräche müssen jetzt weiter geführt werden. Wir wollen, dass künftig an die Opfer des Gefängnisses Chemnitz-Kaßberg erinnert werden kann. Dazu muss es ein Gesamtkonzept geben, das die Vermarktungsbemühungen der Staatsregierung auf der einen und Konzepte des zu bestimmenden Gedenkortes auf der anderen Seite beachtet. Die Machbarkeit zur Errichtung eines Lern- und vielleicht auch Gedenkortes ist entsprechend zu prüfen.
Ich bin mir sicher: Auch wenn es eine größere Zahl an Partnern sein wird, die sich konzeptionell in die Pflicht nehmen lassen werden – das Projekt wird die Unterstützung der Staatsregierung des Freistaates Sachsen, des Sächsischen Landtages, der Initiativen in Chemnitz sowie natürlich auch des Bundesbeauftragten Roland Jahn erhalten. Fehler – das möchte ich noch einmal ganz deutlich betonen – wie im Verfahren mit Hoheneck dürfen wir uns nicht leisten.
Gemeinsam stehen wir in der Verantwortung, den nachfolgenden Generationen über das Schicksal der Opfer zu berichten. Viele dieser Häftlinge wurden in der DDR zu Staatsfeinden erklärt, weil sie sich kritisch äußerten: zur Entwicklung des Staates, zur Regierung, zur Verwaltung, zu den VEB-Betrieben. Andere riefen öffentlich zur Einhaltung der damaligen DDR-Verfassung auf und sind dafür mit Gefängnis bestraft worden. Damit sich eine solche Diktatur niemals wiederholt, müssen wir auch mit Gedenkorten die Demokratie für die Zukunft stärken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin Giegengack, ich habe sowohl die Einleitung als auch das Bild, das Sie verwendet haben, durchaus verstanden. Wir respektieren das.
Ich lasse die Seltsamkeiten im Zusammenhang mit der Hals über Kopf erfolgten Schließung der Justizvollzugsanstalt auf dem Kaßberg weithin außen vor. Aber das ist schon ein Problem, mit dem wir umgehen mussten; wir haben es auch mit Anträgen getan. Noch bis 2010 sind in dieses Objekt allein 4 Millionen Euro für den Umbau des Hauses D geflossen und noch einmal 2,8 Millionen Euro in die Reparatur verschiedener Zuleitungen und Ähnlichem mehr.
Das Justizzentrum auf dem Kaßberg ist dort gebaut worden – auch gegen den Willen der Stadträtinnen und Stadträte, gegen den Willen zahlreicher Landtagsabgeordneter –, weil man behauptete, aus der unmittelbaren Nähe zur JVA resultierten Synergieeffekte.
Da wir über längere Zeit keine Männervollzugsanstalt im ganzen Raum Südwestsachsen, im ganzen Regierungs- bzw. Landesdirektionsbezirk Chemnitz mehr haben werden, haben wir schon früh darum gebeten zu prüfen, ob wenigstens eine partielle Erhaltung möglich ist, und sei es als Untersuchungshaftanstalt. Aber insoweit sind die Messen gelesen, das ist geklärt. Jetzt geht es um die weitere Verwendung dieses Objektes.
In dieser Frage ist unsere Auffassung nicht so weit entfernt von dem hier skizzierten Ansatz. Auch wir können uns vorstellen und halten es für nachvollziehbar, der wechselnden Geschichte dieses Hauses – 1880 als Gefängnis erbaut – auf gebührende Weise zu gedenken. Aus dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wir das auch so herausgelesen. Im vorletzten Absatz heißt es: „Schließlich ist zu prüfen, ob und in welcher Form bei der Einrichtung einer Gedenkstätte auch Opfer der Naziherrschaft berücksichtigt werden können. Vertreterinnen und Vertreter von Opferverbänden hatten darauf verwiesen, dass das Kaßberg-Gefängnis ein Ort mit mehrfacher Vergangenheit sei. Zwischen 1933 und 1945 seien unzählige Menschen dort inhaftiert und gefoltert worden. Seit Beginn der Neunzigerjahre gibt es in Chemnitz keinen Ort mehr,“ – keinen Ort mehr! – „an dem der Widerstand gegen den Nationalsozialismus dokumentiert wird.“
Diese Formulierung nimmt die Debatte auf, die in Chemnitz geführt worden ist, auch unter Beteiligung von NSOpferverbänden. Diese sagen: Wenn der Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder meinethalben der des Bundesbeauftragten aufgegriffen werden soll, muss man die Tatsache, dass es ein Ort doppelter Erinnerung – oder, wie es in dem Antrag heißt, „mit mehrfacher Vergangenheit“ – ist, berücksichtigen.
Angesichts dessen verwundert uns die Formel des Änderungsantrags. Darin heißt es wörtlich: „… beim beabsichtigten Verkauf der Immobilie ‚Ehemalige Justizvollzugsanstalt, Kaßbergstraße 12, Chemnitz‘ die Errichtung eines
angemessenen und offenen Gedenkortes zur Bewahrung und Präsentation der Historie dieser größten Abschiebehaftanstalt der DDR sicherzustellen; dabei soll auch eine Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes … erfolgen.“
In dem Tenor des Änderungsantrags wird dazu aufgefordert, lediglich die Bewahrung dieser Seite der Erinnerung sicherzustellen.
Dass es sich um einen „Ort mit mehrfacher Vergangenheit“ handelt, kommt darin nicht zum Ausdruck. Das kann nur eine Formulierungsfrage sein; es ist aber für unsere Positionierung nicht unerheblich, dass wir beantwortet bekommen, was mit dieser Formulierung gemeint ist. Wir haben mit Dankbarkeit vermerkt, dass BÜND
NIS 90/DIE GRÜNEN den Disput mit den Opferverbänden aufgenommen haben. Das sollte auch in der Antragsformulierung unterstrichen werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich einen anderen Beginn meiner Rede geplant, bin jetzt aber sehr verwundert. Meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, haben Sie – bei allem Respekt, Herr Bartl – zu diesem Thema keinen anderen Redner gefunden?