Protocol of the Session on November 23, 2011

Die NPD-Fraktion hier im Landtag pflegt enge Kontakte zur gewaltbereiten Szene, –

(Andreas Storr, NPD: Das stimmt doch gar nicht!)

rekrutiert dort Personal für unterschiedliche Aufgaben. Beispielsweise – wenn Sie sagen, das stimmt doch nicht – haben Sie einem verurteilten Gründungsmitglied der SSS zu einer Stelle als Fraktionsmitarbeiter verholfen.

(Zuruf von der CDU)

Sie können solche Verbindungen noch so oft leugnen, wie Sie wollen; Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie entlarven sich selbst.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD – Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Es ist nur schwer erträglich, dass sich diese verfassungsfeindliche Partei durch Steuergelder finanziert.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Zuruf von der NPD: Das müssen Sie aushalten!)

Es ist nur schwer erträglich, wie sie hier im Parlament versucht, ihren menschenfeindlichen Ideologien einen gutbürgerlichen Anstrich zu verleihen.

Wir alle wissen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Hürden für ein NPD-Verbot sind hoch. Ein erneutes Scheitern muss unbedingt ausgeschlossen werden.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Es gibt deshalb eine länderübergreifende Arbeitsgruppe, die die Möglichkeiten eines NPD-Verbotsverfahrens auslotet. Sachsen arbeitet in diesem Gremium aktiv mit, und wir haben gerade am Freitag die sachsen-anhaltiner Kollegen, die federführend zuständig sind, aufgefordert, diese Arbeiten zügig voranzubringen und dort schnellstmöglich ein Ergebnis auf den Tisch zu legen. Wir dürfen uns allerdings keinen Illusionen hingeben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Selbst wenn ein NPDVerbot gelingt, rechtsextreme Gesinnungen können wir damit nicht verbieten.

Meine Damen und Herren! Die Erkenntnisse seit dem 4. November sind noch immer ein Schock. So furchtbar es ist, es kann aber auch – nein, es muss – ein Anstoß für uns alle sein. Wir wenden uns entschieden gegen Rechtsextremismus. Für diese Taten darf es keinen Raum mehr geben!

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Brauner Terror, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf in Deutschland nicht weiter um sich greifen. Wir haben gesehen, wohin dieses Gedankengut führen kann. So weit darf es nie wieder kommen! Die jetzigen Ereignisse müssen auch diejenigen aufrütteln, die bei Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder Intoleranz bisher vielleicht weggesehen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Extremismus und Terrorismus richten sich gegen unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung. Sie richten sich gegen jeden von uns. Deswegen müssen wir uns gemeinsam für Demokratie und Toleranz einsetzen. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jeder Einzelne, jeder von uns gefragt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Nach unserer Geschäftsordnung, Herr Gansel, können wir hier das Instrument der Kurzintervention nicht anwenden. Das war noch kein Debattenbeitrag.

(Jürgen Gansel, NPD: Haben Sie ein Glück!)

Ich danke dem Herrn Staatsminister. – Wir kommen nun zur Aussprache in der Reihenfolge der Fraktionen: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE und NPD. Zunächst spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Hahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch für meine Fraktion möchte ich das Gedenken an die Opfer des braunen Terrors an den Beginn meiner Rede stellen. Die Hinterbliebenen der Ermordeten sowie die Verletzten und ihre Angehörigen haben unser tiefes Mitgefühl, brauchen unsere Unterstützung und, wie ich finde, auch das Versprechen, dass wir alles tun werden, um die Gewalttaten rückhaltlos aufzuklären.

Politisch und rassistisch motivierte Gewalttaten gab und gibt es leider auch hier bei uns in Sachsen. Es begann 1991 mit Jorge Gomondai und endete erst im Mai 2011 mit André K., der in Oschatz zu Tode geprügelt wurde.

Insgesamt wurden in dieser Zeit 14 Menschen durch rechte Gewalt ermordet. Bis heute jedoch verweigert die Staatsregierung bei der Hälfte der Fälle die offizielle Anerkennung als politisch motivierte Gewalttaten. Ich erinnere an die Betroffenen: Klaus R. wurde von Skinheads in Leipzig erschlagen. Bernd G. und Achmed Bachir wurden in Leipzig von Nazis erstochen. Patrick Thürmer wurde in Hohenstein-Ernstthal von Nazi-Skins überfallen und erlitt tödliche Kopfverletzungen. Der Obdachlose Bernd Schmidt wird in Weißwasser von rechten Jugendlichen drei Tage lang gequält und stirbt dann an seinen schweren Verletzungen. Karl-Heinz Teichmann, ebenfalls obdachlos, wird in Leipzig von Rechtsradikalen brutal zusammengeschlagen, erleidet Brüche im Gesicht, eine Halswirbelfraktur sowie Hirnblutungen und stirbt zwei Wochen nach der Tat; André K. aus Oschatz hatte ich bereits erwähnt.

Ich finde, diesen Menschen muss wenigstens im Nachhinein Gerechtigkeit widerfahren, und der Respekt gegenüber den Getöteten gebietet es, dass sie endlich als Opfer rechter Gewalt in Sachsen anerkannt werden.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Natürlich müssen die Täter mit aller Entschiedenheit verfolgt und verurteilt werden. Doch genau daran bestehen in diesen Tagen erhebliche Zweifel, nachdem die Existenz der rechten Terrorgruppe aus Zwickau bekannt wurde, die von Sachsen aus mehr als ein Jahrzehnt ungehindert ihr mörderisches Unwesen treiben konnte.

Bundesinnenminister Friedrich, CSU, hat den Sicherheitsbehörden im Bund Versagen vorgeworfen und hat auch einzelne Länder angesprochen. Wörtlich erklärte er: „Es sieht so aus, als ob einige Behörden kläglich versagt haben.“ Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, sprach von einer nicht hinnehmbaren „Pannenserie“ bei der Aufklärung und Verfolgung rechtsterroristischer Netzwerke in Deutschland.

Ich verweise ganz bewusst auf diese beiden Aussagen, damit nicht nachfolgend Redner der Koalition wieder einmal die Opposition beschimpfen, wenn sie das Tun oder auch das Unterlassen von Sicherheitsbehörden in diesem Lande kritisieren. Dass diese Kritik bitter nötig ist, wird wohl hoffentlich niemand ernsthaft bestreiten.

Die Generalbundesanwaltschaft und alle Ermittlungsbeamten haben natürlich die volle Unterstützung der LINKEN, wenn sie jetzt versuchen, die Verbrechen der Terroristen endlich und möglichst vollständig aufzuklären sowie deren Unterstützer zu finden.

Rückhaltlose Aufklärung bedeutet in meinen Augen aber auch Aufklärung der Rolle der Geheimdienste und Ermittlungsbehörden auf Bundes- und Länderebene. Wer versagt hat, muss selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden.

Die heutige Debatte hier im Landtag ist ohne Zweifel notwendig, und ich bin dem Innenminister durchaus dankbar für seine Ausführungen, auch wenn noch viele Fragen offen geblieben sind, so zum Beispiel die Frage, warum der Ministerpräsident, der so gern als Landesvater auftreten möchte, es wieder einmal vorzieht zu schweigen, anstatt hier, vor dem Parlament, klar Position zu beziehen.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Was er gestern vor der Presse gesagt hat, war nicht nur verspätet, sondern auch überaus halbherzig; Frau Lieberknecht in Thüringen hat da ein ganz anderes Format gezeigt.

Aber es gibt natürlich deutlich wichtigere Fragen:

(Zuruf von der NPD)

Wie ist es möglich, dass ein Verbrechertrio aus Thüringen, das per Haftbefehl bundesweit gesucht wird, über mehr als ein Jahrzehnt in Sachsen untertauchen kann, ohne dass weder die hiesige Polizei noch der Staatsschutz oder auch der Verfassungsschutz davon irgendeine Kenntnis erlangen?

Was ist dran an den Berichten verschiedener Medien, dass Zielfahnder aus Thüringen die Gesuchten bereits im Jahre 2000 oder 2001 in Chemnitz aufspürten und verhaften wollten, der Zugriff aber von einer übergeordneten Stelle untersagt worden sei? Die bisherigen Dementis waren wenig überzeugend. Fakt ist: Wenn das mörderische Trio damals festgenommen worden wäre, hätten viele Menschenleben gerettet werden können.

Wie kann es sein, dass sich ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes mindestens bei einem Mord unmittelbar am Tatort aufgehalten hat?

Wie kann es sein, dass in den letzten zehn Jahren in den Verfassungsschutzberichten des Bundes immer wieder behauptet wurde, rechtsterroristische Strukturen seien in Deutschland nicht feststellbar?

Und schließlich: Wozu braucht man derartige Geheimdienststrukturen, wozu braucht man vom Staat bezahlte VLeute, wenn sie solche zum Teil ja wohl langfristig geplante Gewalttaten wie die des Zwickauer Nazitrios offenbar weder aufdecken, geschweige denn verhindern können?

(Zuruf von der NPD – Zuruf von der CDU: Polizei abschaffen!)

Meine Damen und Herren, wir kommen heute aber nicht umhin, auch über das gesellschaftliche Klima in Sachsen zu reden, über ein Klima der Verharmlosung rechtsradikaler und neofaschistischer Aktivitäten, durch das der Boden bereitet wurde, auf dem die schrecklichen Taten der Zwickauer Terrorgruppe geschehen konnten.

Vor 20 Jahren gab es die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda. Der auf Initiative des damaligen Landtagspräsidenten Erich Iltgen eingerichtete Runde Tisch unterbreitete viele vernünftige Vorschläge für den Umgang mit fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen. Die damalige CDU-Alleinregierung hat trotz zahlreicher Mahnungen und diverser Anträge der Opposition nahezu nichts davon umgesetzt. Dann gab es einen Ministerpräsidenten – Kurt Biedenkopf –, der hier im Landtag behauptete, die Sachsen seien immun gegen Rechts. Was für eine absurde Fehleinschätzung!

Ich kann mich noch gut an die Bundestagswahlen des Jahres 1998 erinnern. In meiner Region, der Sächsischen Schweiz, kamen die Parteien der extremen Rechten – also NPD, DVU und Republikaner – für sich allein zwar kaum über 5 %; zusammen aber erreichten sie fast überall zweistellige Ergebnisse. Als ich dies im Kreistag thematisierte, wurde ich – vor allem aus konservativen Kreisen – als „Nestbeschmutzer“ beschimpft; es würde dem Tourismus schaden, wenn solche Dinge öffentlich diskutiert würden.

Mit den Skinheads Sächsische Schweiz entstand fast zwangsläufig eine der ersten offenkundig gewalttätigen Naziorganisationen mit engsten Kontakten zur NPD. Die SSS wurde später zu Recht verboten. Bei der strafrechtlichen Verfolgung gab es jedoch zahlreiche Pannen. Um die Verfahren schnell zu Ende zu bringen, wurde den Angeklagten ein Deal angeboten: Wenn sie ihre Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung zugeben, werde es lediglich Bewährungsstrafen geben. So geschah es dann auch. Als später die Anführer der SSS vor Gericht standen, wurden die im ersten Verfahren Verurteilten als Zeugen gehört. Diese widerriefen nun ihre ursprünglichen Aussagen, die sie damals mit Blick auf die angebotene geringere Strafe gemacht hätten. Als Zeugen müssten sie jedoch die Wahrheit sagen, und natürlich seien die Skinheads Sächsische Schweiz zu keinem Zeitpunkt eine kriminelle Vereinigung gewesen. Die Haupttäter kamen daraufhin mit vergleichsweise milden Strafen davon.

(Zuruf von der SPD: Seit fünf Jahren gelaufen!)

Ähnliches ließe sich zu der inzwischen ebenfalls verbotenen Nazigruppierung „Sturm 34“ sagen; aus Zeitgründen verzichte ich darauf.

Im letzten Sommer bekam ich eine Mail von einer Familie aus Berlin. Sie wolle gern in der Sächsischen Schweiz Urlaub machen, hätte aber bei einem früheren Besuch in Pirna schon negative Erfahrungen mit Nazis gemacht und bitte mich daher darum, ihnen einen Ort in der Region zu nennen, wo sie sich möglichst ohne Gefahr erholen können.

(Heiterkeit bei der NPD)

Wo sind wir eigentlich hingekommen?!