Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich bin ich geneigt, es kurz zu machen und meiner Fraktion zu empfehlen, dem Antrag der linken Oppositionsparteien zuzustimmen. Das wird die NPD-Fraktion am Ende auch tun, und dennoch sind es vor allem die unausgesprochenen Dinge, also das, was entweder im Antrag fehlt oder was man zwischen den Zeilen Ihres Antrages lesen kann, was mich zu einigen kritischen Anmerkungen veranlasst.
Doch zunächst zur Staatsregierung. Frau Sozialministerin Clauß, CDU, hat bei dem Sozialexperten Bernd Raffelhüschen eine Studie mit dem Titel „Alter, Rente, Grundsicherung“ in Auftrag gegeben, die erwartbare Ergebnisse zutage förderte. Wir wissen jetzt offiziell, dass sich Sachsen bereits – ich zitiere – „in einem fortgeschrittenen Stadium der Überalterung“ befindet, dass der sogenannte Altenquotient in Sachsen, also der Anteil der über 65Jährigen, bereits bei 40 % und somit deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt.
Wir wissen – wenn man den Prognosen glaubt – auch, dass sich die Gesamtausgaben für die Grundsicherung im Alter von heute 33 Millionen Euro auf dann bis zu 193 Millionen Euro im Jahre 2050 erhöhen werden, worunter die Kommunen zusammenbrechen dürften.
Wir wissen weiterhin, dass die Zahl der Pflegebedürftigen um 71 % steigen und sich die Zahl der Heimplätze in Sachsen um 61 % erhöhen wird oder bis zu 100 % erhöhen müsste, um dem drohenden Pflegenotstand zu begegnen.
Wir kennen aber nicht nur die Fakten, sondern wir wissen auch um die Maßnahmen, die längst hätten eingeleitet
werden müssen: die Durchsetzung des Prinzips ambulant vor stationär, die Stärkung der ambulanten und teilstationären Pflege, die informellen Pflegearrangements und die flächenhafte Einrichtung von Pflegestützpunkten, die finanzielle und beratende Unterstützung der pflegenden Angehörigen und die Ausbildung qualifizierter Pflegefachkräfte.
Alles, was schon längst hätte geschehen können, wird uns nun in dieser Studie empfohlen. Die linken Parteien fordern vieles davon und die Sozialministerin will einen Teil davon umsetzen. Es wird wohl aber bei einem Stückwerk bleiben, und in wenigen Jahren werden wir an dieser Stelle über dieses Thema erneut debattieren.
Jetzt aber – wie versprochen – zu den im Antrag vergessenen oder etwas verschämt formulierten Punkten. Sie schreiben beispielsweise in Ihrer Begründung von den neuen Anforderungen, denen wir gegenüberstehen. Ich zitiere: „Hierzu gehören unter anderem die demografische Entwicklung, die zunehmende Entfernung jüngerer Menschen vom Lebensort ihrer Angehörigen und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt.“
Einig sind wir uns sicherlich dahin gehend, dass der globalisierte Arbeitsmarkt und die fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven in Sachsen Familien zerrissen haben und somit unsere Alten zunehmend allein dastehen. Dann sprechen Sie bitte auch die ganze Wahrheit aus und weisen Sie darauf hin, dass die krampfhafte Erhöhung der Frauenvollzeiterwerbsquote bzw. die bei dem durchschnittlichen Lohnniveau in Sachsen bestehende praktische Unmöglichkeit einer Alleinverdienerfamilie zu jenen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gehören, die eine Pflege von Angehörigen im familiären Umfeld zunehmend unmöglich machen.
Was Sie auch noch verschweigen: Bernd Raffelhüschen weist in seiner Studie als Grund für den drohenden Pflegezustand nicht nur darauf hin, dass in Sachsen vergleichsweise mehr Frauen voll erwerbsfähig sind, sondern auch – ich zitiere – „weil immer weniger lebenslange Partnerschaften bestehen“. Das ist ein weiterer Punkt, den Sie gern ausblenden, meine Damen und Herren, von der vereinigten Linken.
Es ist Ihnen vortrefflich gelungen, Ehe und Familie als Institution zu verunglimpfen, im fortgeschrittenen Maße zu zerstören und durch Beliebigkeit zu ersetzen. Da wundern Sie sich, wenn eben jene Institutionen nicht zur Pflege der eigenen Angehörigen zur Verfügung stehen? Sie sollten wirklich einmal darüber nachdenken.
Was mir gefallen hat, war Ihre Aussage – ich zitiere –: „Menschen wollen dort alt werden und gepflegt werden, wo sie schon immer gelebt haben.“ Das ist richtig und Sie spielen damit auf den Begriff „Heimat“ an, ohne ihn auszusprechen. Aber eines sollten Sie dabei bedenken: Heimat ist nicht nur der Ort, an dem jemand lange gelebt hat oder aufgewachsen ist, Heimat sind auch die Menschen, die jemandem nahestehen, sowohl im engeren familiären Sinn als auch in einem weiter gefassten Sinn, also die Menschen, die dem eigenen Kulturkreis ent
stammen und die die eigene Sprache sprechen. Auch das muss gerade bei der Frage der zu gewinnenden oder zu qualifizierenden Fachkräfte eine entscheidende Rolle spielen.
Zum Schluss muss ich anmerken, was bei jedem demografiebezogenen Antrag – egal, von welcher Fraktion er hier gestellt wird – immer wieder auffällt: Die demografische Entwicklung, das heißt das Ausbluten unseres Volkes, die Überalterung und die niedrigen Geburtenraten, die das Grundübel darstellen – diese Entwicklung wird von Ihnen wie auch von der Staatsregierung einfach hingenommen.
Kein noch so vorsichtiger Ansatz einer geburtenfördernden oder familienfreundlichen Bevölkerungspolitik zugunsten des eigenen Volkes findet sich bei Ihnen. Solange Sie nicht bereit sind, das Übel an der Wurzel zu packen, werden Sie scheitern, ob Staatsregierung, ob linke Opposition; da helfen Ihnen dann auch keine Pflegestützpunkte.
Dennoch stimmt die NPD-Fraktion dem vorliegenden Antrag zu, denn er enthält einige unabdingbare Maßnahmen, die mittelfristig umzusetzen wären. Der Dank der NPD-Fraktion gilt all denen, die tagtäglich die schwere Arbeit im Pflegebereich stemmen.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Besteht weiterer Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Frau Staatsministerin Clauß, bitte schön; Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sachsen ist bei dem Thema Pflege gut aufgestellt. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir damit zufrieden sind. Im Gegenteil: Vor uns liegt ein steiler Weg, vor allem aufgrund unseres demografischen Wandels. Positiv gesehen heißt das: Ein alter Menschheitstraum nimmt Gestalt an, wir werden immer älter und das bei guter Gesundheit. Aber lange leben, ohne alt zu werden, funktioniert nicht.
Weil das so ist, reicht es nicht, nach „Pflege braucht Pflege“ zu rufen, denn Pflege braucht engagierte Menschen, Pflege braucht Konzepte, die Pflege der Zukunft braucht Ideen, Diagnose, Therapie, Prävention, Reha und vor allen Dingen gesellschaftliche Empathie.
Hier hat die Staatsregierung Beachtliches vorzuweisen. Nur stichpunktartig werde ich einiges nennen.
Unser Geriatriekonzept: Wir sind dabei, ein Netz geriatrischer Versorgungszentren aufzubauen. Fünf Versorgungszentren gibt es bereits, weitere werden folgen. Für die geriatrischen Institutsambulanzen setzen wir uns auf
Unsere hohe Kofinanzierung der niedrigschwelligen Angebote nach § 45 SGB XI: Davon können andere Bundesländer nur träumen. Das sagen sie uns auch. Das ist ein weiterer wichtiger Baustein für die ambulante Versorgung demenziell Erkrankter und ihrer Angehörigen zur Entlastung.
Ferner die Förderung technisch altersgerechter Pflege: Auch hier haben wir die Förderrichtlinie vor circa drei Wochen erlassen. Alltagsbegleiter, die jetzt im zweiten Jahr vollständig gefördert werden, unterstützen hochbetagte Menschen, die zwar noch nicht pflegebedürftig, aber über jede Art der Unterstützung dankbar sind.
Das BeWoG: Im Sommer haben wir es im Kabinett verabschiedet und jetzt haben wir dazu eine Anhörung gehabt. Ich hätte mir sehr wohl gewünscht, es schon 2009 verabschieden zu können. Sie als damaliger Koalitionspartner wissen sehr wohl, dass es damals nicht so gekommen ist. Das sind weitere Bausteine, die wir selbstverständlich weiterentwickeln und zu denen andere hinzukommen werden und hinzukommen müssen.
Am Beispiel des Pflegenetzes können Sie sehr gut sehen, wie sich Knoten für Knoten die vernetzte Pflegeberatung im Freistaat etabliert hat. Sie findet in hoher Qualität an vielen Orten statt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, nicht nur nach Chemnitz zu schauen – dort wird es hervorragend praktiziert –, sondern schauen Sie auch in die Landkreise und lassen Sie sich die Arbeit erläutern. Inzwischen gibt es in allen Landkreisen regionale Netzwerke.
Die 3. Landesweite Netzwerkkonferenz wird im Vogtland stattfinden. Das regionale Netzwerk Dresden wird sich im November etablieren. Bis auf eine große Stadt in Sachsen – das ist Leipzig – haben wir überall regionale Netzwerke installiert.
Besonders möchte ich das prämierte Pflegenetzwerk „Scheibenberg“ nennen. Das ist ein wunderbares Beispiel für vernetzte Pflegeberatung, das beim Altershilfepreis einige von Ihnen haben in der Jury gesessen – für den ersten Preis ausgelobt worden ist.
Wir haben selbstverständlich in Sachsen Pflegestützpunkte. Deswegen müssen wir uns nicht immer wieder darüber unterhalten, was die besseren Strukturen sind.
Zum wiederholten Male möchte ich unser Internetportal „PflegeN“ erwähnen. Das ist eine Ergänzung der vernetzten Pflegeberatung vor Ort. Es kann, will und darf diese nicht ersetzen. Das Internetportal „PflegeN“ ist ein Angebot, bei dem uns inzwischen auch andere Bundesländer folgen. Dass die Kommunen und die Landkreise Interesse signalisiert haben, daran intensiver mitzuwirken, verstehe ich als Hinweis darauf, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Idee der Opposition, dem Freistaat Sachsen ein Landespflegege
setz zu verordnen, in welchem – ich zitiere – „unter anderem die Grundlage für eine partizipativ orientierte lokale und kommunale Planung zur Gestaltung der künftigen Sorgeaufgaben für ältere und alte Menschen aufgeschrieben sein sollen“, lässt tief blicken.
Welches Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung haben Sie eigentlich? Halten Sie unsere Landräte, unsere Bürgermeister, unsere Stadt- und Gemeinderäte für derartig betreuungsbedürftig?
Ich bin der festen Überzeugung, dass angesichts der regional sehr unterschiedlichen Entwicklung in Sachsen vor Ort, in der Gemeinde, in der Kommune und im Landkreis, entschieden werden muss, wie die Versorgungsstruktur alter und pflegebedürftiger Menschen ausgestaltet werden soll. Dies bedeutet keineswegs, dass sich der Freistaat zurückzieht. Das Gegenteil ist richtig. Mit den Alltagsbegleitern, mit den niedrigschwelligen Angeboten, vor allem für die an Demenz Erkrankten, leisten wir häufig Unterstützungsstrukturen und diese werden wir weiter auf- und ausbauen; denn nur gemeinsam werden wir das schaffen.
Sicherlich – und das betone ich auch – kann man sich wünschen, dass die Zahl dieser Angebote schneller steigen soll. Auch dazu bin ich mit den Landräten, mit dem Städte- und Gemeindetag und dem Landkreistag im Gespräch. Von ihnen weiß ich aber auch, dass das nicht von heute auf morgen umsetzbar ist. Der Aufbau dieser Unterstützungsstrukturen braucht Zeit, aber sicher kein Gesetz.
damit wir dem Wunsch – neun von zehn Bundesbürgern wollen in ihrer gewohnten Umgebung alt werden – gerecht werden können. Damit meine ich nicht nur Sessel, Sofa und Schrankwand, sondern auch soziale Teilhabe unserer Betagten.
Die Frage lautet: Welche Strategien brauchen wir, damit wir diesen Wunsch erfüllen können? Damit sind wir in hohem Maße nicht nur auf die ambulanten Pflegedienste, sondern vor allem auch auf die Angehörigen angewiesen. Sie sind es nämlich, die mit der Pflege oft über lange Zeit hinweg eine schwere Last übernehmen.
Genau an dieser Stelle müssen wir mit der Reform der Pflegeversicherung ansetzen, denn allein ambulant vor stationär zu postulieren reicht nicht. Wir brauchen belastbare Strukturen. Darauf können die Pflegebedürftigen und vor allem die Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz nicht länger warten. Also bitte jetzt!
Als Vorsitzende der ASMK setze ich mich mit Nachdruck dafür ein, dass zeitnah die Leistungen für an Demenz Erkrankte im SGB XI deutlich verbessert werden. Darin
bin ich mir auch mit den anderen Mitgliedern der ASMK einig. Genauso wichtig ist es mir, dass unsere Pflegeversicherung solide, solidarisch und sozial bleibt.