Protocol of the Session on June 30, 2011

Eben, im Gegensatz zu anderen! – Nun gibt es DIE LINKE, und sie hat sich gehäutet. Ich weiß, das wollen Sie nicht hören, aber es ist so.

(Beifall bei den LINKEN)

Beobachten Sie doch unser Verhalten! Bedenken Sie, dass Menschen sich ändern können, und versuchen Sie doch die Zusammenarbeit! Gehen Sie doch dieses Risiko einmal ein und hören Sie mit dieser ewigen Heuchelei auf. Das glaubt Ihnen niemand mehr!

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Herr Prof. Besier für die Fraktion DIE LINKE. – Als Nächste in der Rednerrunde hat die SPD-Fraktion das Wort. Gibt es Redebedarf? – Nein. Die GRÜNEN? – Bitte, Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Am 11. November 1960 ging beim Ministerpräsidenten Grotewohl ein Brief von der Synode der Evangelischen Kirche der Union ein, in dem darauf hingewiesen wurde, dass viele Menschen aus allen Berufsgruppen flüchteten – ich zitiere –, „weil sie das Mindestmaß an Freiheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit vermissen, das für sie zu einem sinnvollen menschlichen Leben dazugehören.“

Offensichtlich wurde dieser Brief nicht ernst genommen, aber der Maßstab steht; denn der Maßstab ist die Menschenwürde. Dass Sie laut werden mussten, Herr Besier, ist beredt. Der Maßstab ist die Menschenwürde. Daran wird auch DIE LINKE gemessen werden. Genau diese Diskussion führen Sie auch. Das ist richtig. Wenn hier aber von der neoliberalen Seite gesagt wird, ich würde Sozialismus mit Demokratie vergleichen, dann ist das eine absurde Interpretation, aber sie entscheiden selbst, wer für Sie spricht.

Eines ist klar: Immer dort, wo andere Menschen regieren, steht am Ende die Frage nach der Menschenwürde, und zwar vor allen Dingen von denjenigen, die regiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Die Demokratie hat nun einmal den Vorteil, dass man ohne großes Blutvergießen auch eine andere Regierung wählen kann.

(Andreas Storr, NPD: Gott sei Dank!)

Dass Sie „Gott“ in den Mund nehmen, finde ich schwierig!

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Damit sind wir bei dem neoliberalen Freiheitsbegriff, der die letzten zwei Jahrzehnte drastisch geprägt hat: Freiheit von Werten und von Verantwortung für das Gemeinwesen. Freiheit heißt nicht unregulierte Wirtschaft. Deshalb denke ich, dass der Freiheitsbegriff neu diskutiert werden muss. Das, was nach der friedlichen Revolution als Pendelbewegung entstand, wird nicht 50 Jahre für eine Argumentation ausreichen. Das stimmt einfach nicht. Die Freiheit gemeinsam neu zu definieren, nachdem die ersten Wunden überwunden sind und man versucht, sich historisch mit dieser Epoche zu befassen – was ich richtig finde –, ist wichtig.

Die Menschen haben Angst. Sie haben Angst vor Risiken und sind lieber fürsorglich behütet. Die Mehrheit der Menschen ist so. Das kann man mögen oder nicht mögen, aber es ist eine Tatsache. Die Konservativen wissen sehr

genau, wovon ich spreche. Aber man muss diese Menschen doch ermutigen. Man darf sie nicht drangsalieren, und man darf sie nicht paternalisieren. Man darf sich auch nicht vor der Wahrheit drücken und sie nicht ausdiskutieren. Auch das geht nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Vertrauen ist eine sehr harte Währung in der Demokratie. Die Menschen machen es derzeit sehr stark an der Wirtschaft und den Finanzmärkten fest. Die Wirtschaft braucht Freiheit. Das unterschreibe ich Ihnen. Aber sie braucht nicht jede Freiheit und schon gar nicht braucht sie eine Freiheit von Werten und von Verantwortung für das Gemeinwesen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Diese neoliberale Freiheit, wie Sie sie interpretieren, meine Damen und Herren von der FDP, hat dazu geführt, dass sich viele Menschen erschrocken haben, erbost sind und sich jetzt wieder für unfreie Sicherheitsmodelle öffnen. Freiheit in Verantwortung ist auch Maß halten. Die DDR-Regierung hat das offensichtlich unterschätzt, obwohl sie sehr zügig mit dem Mauerbau begonnen hat. Der Kampf für Freiheit braucht meiner Meinung nach Toleranz – aktive Toleranz, glaube ich –, und dazu gehört auch, kritische Fragen stellen zu dürfen und dafür nicht dauernd diffamiert zu werden, sondern sie auszudiskutieren, und dann sind sie weg. Dazu gehört es auch, scheinbar Selbstverständliches in Abständen immer wieder infrage zu stellen und zu überprüfen. Auch das ist in Ordnung. Dann wird man manches bewahren, und manches wird man ändern.

Das kann man als Klassenkampf interpretieren – das finde ich absurd –, das kann man als Entwicklung einer Zivilisation interpretieren – das finde ich gut –, und ich sage Ihnen: Ich bin ein freier Mensch, ich trage freiwillig Verantwortung, und ich lebe in Würde.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU sowie vereinzelt bei den LINKEN und der Staatsregierung)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war das Frau Kollegin Hermenau. Als Nächstes wäre die NPD-Fraktion an der Reihe. – Es gibt keinen Redebedarf. Ich sehe auch keinen Redebedarf bei der Staatsregierung. Wir können also in eine dritte Runde eintreten und erneut hat die CDUFraktion als Einbringerin das Wort. Es spricht Herr Kollege Schowtka.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hatte ich zwei 9. Klassen aus der Mittelschule meiner Heimatstadt im Landtag zu Besuch. In der Fragestunde wurde ich gefragt, wann ich wieder einmal im Landtag sprechen würde. Darauf antwortete ich: morgen, und zwar zum Thema „50 Jahre Mauerbau“. Darauf sagte einer der Jugendlichen: „Warum

reden Sie über ein solches Thema? Das war doch vor 50 Jahren. Wen interessiert das heute noch?“

Darauf antwortete ich ihm mit einem Spruch von Elie Wiesel, dem jüdischen Friedensnobelpreisträger und Überlebenden der Konzentrationslager von Auschwitz und Buchenwald:

(Lachen bei der NPD)

„Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber wenn wir uns erinnern, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten!“

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich denke, dieser Spruch von einem, der Unfreiheit auf extreme Weise erlebt hat, sollte uns weiterhin helfen, unsere Geschichte zu betrachten und aus ihr zu lernen. Deswegen bin ich etwas traurig, dass die politische Bildung an unseren Schulen nicht so erfolgreich ist, wie sie es sein sollte, und insbesondere den jungen Menschen nicht vermittelt, was in der Vergangenheit gewesen ist, damit sie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mehr schätzen. Von daher muss mehr getan werden. Ich schließe mich auch der Kritik des Vorsitzenden der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, an, der sagte: „Hier ist noch mehr zu tun!“

Deswegen kann ich es überhaupt nicht verstehen, dass das Hannah-Arendt-Institut, dessen Gründungsväter sich vorgenommen hatten, die Geschichte der beiden deutschen Diktaturen zu studieren und zu durchleuchten, bzw. seine Leitung jetzt der Meinung ist, dass zur DDR genug gesagt worden sei und man sich jetzt wieder der Geschichte des Nationalsozialismus widme.

(Andreas Storr, NPD: Die Geschichtspolitik von heute bezieht sich ja auf das Dritte Reich!)

Ich will das überhaupt nicht gegeneinander ausspielen. Beide Diktaturen sind schlimme Diktaturen, die Deutschlands Vergangenheit geprägt haben. Ich glaube, 45 Jahre SED-Diktatur bzw. sowjetische Besatzungszeit sind noch nicht ausreichend untersucht und studiert worden. Hier ist noch viel mehr zu tun,

(Beifall bei der CDU und der FDP)

auch wenn wir schon weiter sind als unser Nachbarland Brandenburg, in dem man bekannterweise heute noch große Probleme hat, weil man diese Vergangenheitsbewältigung lange Zeit aufgeschoben hat.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Bitte, Herr Kollege Jurk.

Ich wollte jetzt nichts zu Brandenburg sagen, sehr geehrter Herr Kollege Schowtka, son

dern ich suche auch immer das Einigende in einer solchen Debatte.

Das verbindet uns!

Sind wir uns einig in der Beurteilung, dass es das Thema Mauerbau so nicht gegeben hätte, wenn die NSDAP Deutschland nicht in den Zweiten Weltkrieg geführt hätte mit all den Konsequenzen, die daraus erwachsen sind?

Ich bin völlig Ihrer Meinung, Herr Jurk. Das betrifft im Übrigen auch das Schicksal der Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Osten Deutschlands, aus den Gebieten, die heute nicht mehr zu Deutschland gehören, sondern zu Polen und zu Tschechien. Diese furchtbaren Flüchtlingsschicksale sind letztlich auch eine Folge dessen,

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

was die Nationalsozialisten im Jahr 1933 begonnen und 1945 zu einem schlimmen Ende geführt haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte noch einmal auf unser Nachbarland Brandenburg zu sprechen kommen, weil ich von der politischen Bildung gesprochen habe. Sachsen ist natürlich schon einen großen Schritt weiter. In Brandenburg beginnt Ulrike Poppe als Stasi-Beauftragte erst jetzt damit, dieses Problem zu klären.

Es ist dann auch nicht gut, wenn der Ministerpräsident dieses Landes meint, die Aufarbeitung der DDRVergangenheit könnte abgeschlossen werden, weil es nur die Leute gegenseitig aufbringt. Ich meine, wenn man Verhältnisse und Geschehnisse unter den Teppich kehrt, dann kommen sie irgendwann einmal wieder ans Tageslicht und schlagen schlimme Wunden.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das gilt für alle!)

Deswegen sollten wir nicht nationalsozialistische Geschichte und Geschichte des Kommunismus oder Sozialismus oder der sowjetischen Besatzung gegen sie ausspielen. Beides ist wichtig, und es sollte weiter studiert werden. Deswegen sollte auch das Hannah-Arendt-Institut dem Auftrag seiner Gründungsväter weiterhin folgen, die Geschichte der deutschen Diktaturen aufzuarbeiten und letztlich auch miteinander zu vergleichen, ohne sie gleichzusetzen.

Ich danke Ihnen.