Protocol of the Session on May 25, 2011

Ich sage ganz klar: nach menschlichem Ermessen, nicht nach dramatisch konstruierten und theoretischen Unfallszenarien. Niemand kann hundertprozentig ausschließen, dass ein Terrorist ein Flugzeug in ein Hochhaus lenkt. Niemand kann hundertprozentig ausschließen, dass ein Attentäter einen Anschlag auf ein Atomkraftwerk versucht. Eine hundertprozentige Absicherung gegen Risiken gibt es nie.

Wenn ich mir beispielsweise vorstelle, welche Auswirkungen ein Anschlag auf eine Chemieanlage, auf ein Chemiewerk haben könnte, dann weiß ich, dass das auch dramatisch sein kann, und trotzdem würde niemand von uns auf die Idee kommen, die chemische Industrie in Deutschland abzuschaffen.

Viele Formen der Energieerzeugung bergen Restrisiken; der Unterschied liegt eben nur darin, dass bestimmte Risiken gesellschaftlich akzeptiert scheinen, andere nicht. Oder thematisiert irgendjemand in diesem Raum noch heute in der Debatte beispielsweise die vielen Opfer, die durch Dammbrüche, durch die Nutzung von Wasserkraft laut Münchner Rückversicherung seit 1950 zu beklagen sind? Seit 1950, also dem Jahr, in dem die Kernkraft begonnen wurde, gab es rund einhundert folgenschwere Dammbrüche in der Welt. Wenn ich allein an 1974 denke und an den Dammbruch am chinesischen Huai-Fluss, wo in einigen Quellen von über 200 000 Todesopfern die Rede ist, dann nehmen wir das einfach so hin; niemand spricht darüber.

Es spricht auch niemand über die vielen Opfer, die es jährlich immer noch im Bergbau überall auf der Welt gibt. Diese regen hier niemanden auf; sie sind offensichtlich auch von Ihnen gesellschaftlich akzeptiert, und genau das ist das Verwerfliche.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Steffen Flath, CDU)

Ich werbe ausdrücklich für ein Ende der Hysterie und für den Wiedereinzug von Vernunft und Rationalität in die Debatte. Wenn wir das tun, dann muss uns klar sein, dass der Umstieg von der Kernkraft hin zu regenerativen Energien, die wir wollen, nur Zug um Zug erfolgen kann; wir zunächst stärker auf unsere eigene heimische Braunkohle setzen müssen und wir uns auch mit der Frage der Bezahlbarkeit und der Verfügbarkeit von Energie beschäftigen müssen. Es mag ja sein, dass die Frage der Bezahlbarkeit von Energie für den einen oder anderen zu reich gewordenen Wohlstandsgrünen keine Frage ist – für uns ist es das aber.

(Andreas Storr, NPD: Man könnte ja die Stromsteuer mal senken, Herr Zastrow!)

Energie darf nun einmal kein Luxusgut für einige Wenige werden – genauso übrigens, wie auch das Autofahren kein Luxusgut werden darf.

Es mag sein, dass die Versorgungssicherheit für den einen oder anderen, der bestimmt jetzt am 28. Mai mit ein paar Bongotrommeln in der Hand bei einer „Großdemonstration“ – sagenhafte 2 500 Menschen werden erwartet – durch Dresden zieht, keine Frage ist. Für uns als FDP und auch für die gesamte sächsische Landesregierung bleibt die Frage der Versorgungssicherheit bestehen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Ich hoffe, dass Sie die Demonstration dafür nutzen, diesen Menschen mitzuteilen – weil folgende Erkenntnis wahrscheinlich für sie neu ist –: Der Strom kommt nicht einfach nur aus der Steckdose.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Was? – Weitere Zurufe)

Nein, das haben Sie noch nicht gewusst, und deswegen bitte ich Sie darüber nachzudenken.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Solange wir leistungsfähige Speichertechnologien nicht haben, müssen wir uns darüber Gedanken machen, was wir eigentlich tun, wenn der Wind mal nicht weht und es Nacht ist in Deutschland.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Dann pusten Sie, Herr Zastrow! – Weitere Zurufe und Unruhe bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Leichte Heiterkeit)

Und, liebe vereinigte Linke, wir sollten uns natürlich auch Gedanken machen, wie der Strom von A nach B kommt, wie er also von der Quelle zum Verbraucher kommt. Spätestens an dieser Stelle scheitert ja die Energiewende, wenn sie von Ihren drei Fraktionen gemacht werden würde. Gott sei Dank ist das nicht der Fall. Denn ich bin mir sicher, dass sich stets und überall irgendein Grüner oder ein Linker finden wird, Frau Klepsch, der sich an die

Spitze einer Bürgerbewegung stellt, sich einbetoniert, irgendetwas schottert, irgendwo raufklettert oder irgendwo ankettet, um eine Hochspannungsleitung oder alternativ ein Erdkabel in seiner Wohnungsnähe zu vermeiden.

Sie würden es nie hinbekommen, meine Damen und Herren, lassen Sie sich das sagen!

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Ohne neue Trassen – man spricht in Deutschland von rund 4 000 Kilometern; das macht Ihnen Angst, Herr Lichdi, das sehe ich – werden wir auch den gesündesten Strom nicht nutzen können. Dann drehen sich zwar die Windräder in Offshore-Parks an der Nordsee und der Ostsee, aber in Bayern bleibt es dunkel. Mit der Kerze in der Hand, liebe Kollegen von den GRÜNEN, von der SPD und den LINKEN, wird das mit dem technischen Fortschritt in Deutschland nichts; dessen bin ich mir sicher.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Es wird aber noch wilder, wenn ich so Ihre Verlautbarungen der letzten Tage und Wochen höre; da träumen ja einige aus Ihren Fraktionen davon, dass Sachsen irgendwann autark sich selbst mit Energie versorgen kann, und zwar ausschließlich aus regenerativen Ideen.

(Unruhe und Zurufe von den GRÜNEN)

Diese Trendwende ist angesichts der globalisierten Welt schon ein sehr mutiger Gedanke. Das zeigt nur, wie weit weg Sie von der Realität inzwischen sind.

Man kann nicht gegen alles sein. Es wird nicht funktionieren, dass man gegen die Kernenergie ist, dass man gegen die Braunkohle ist, dass man gegen Trassen ist. Schreiben Sie es sich auf: Der Strom kommt nicht einfach nur aus der Steckdose.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung – Zurufe)

Ich finde es auch ziemlich verlogen, wenn der schnelle Ausstieg dadurch gewährleistet werden soll, dass wir unter Umständen Atomstrom aus Frankreich oder aus Tschechien importieren.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das hat niemand gefordert!)

Diese Art ist nicht ganz untypisch für bestimmte linksgrüne Politikercharaktere; denn Sie alle zeigen immer sehr gern mit dem Finger auf andere. Sie sind demnach die Einzigen, die wissen, wie es geht. Die anderen, auch die anderen in Europa, machen alles falsch. Es hat sonst – außer Sie – in Deutschland keiner Ahnung. Alle anderen täuschen sich; nur Sie haben die Wahrheit gepachtet.

(Heiterkeit bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von den LINKEN und den GRÜNEN: „Außer Ihnen“! – Johannes Lichdi, GRÜNE: Er ist außer sich!)

Beruhigen Sie sich doch einfach wieder! – Aber was passiert dann, wenn wir nach aller entrüstet vorgebrachten Gutmenschlichkeit und Besserwisserei irgendwann doch feststellen müssen, dass manches von dem, was Sie zum Beispiel jetzt in Wahlkämpfen fordern und was Sie auch in der heutigen Debatte gesagt haben, einem Praxistest niemals standhalten würde? Was machen Sie denn dann klammheimlich? Dann wird die „Dreckschleuder“, wie Sie es selbst gesagt haben, liebe Kollegin von den GRÜNEN, in Hamburg-Moorburg plötzlich doch zugelassen! Ups, die GRÜNEN stimmen dann doch dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks zu.

(Christian Piwarz, CDU: Unter großer Empörung selbstverständlich! – Torsten Herbst, FDP: Mit der Faust in der Tasche!)

Genauso wie Sie in Rheinland-Pfalz plötzlich doch der Moselbrücke zustimmen und genauso wie Sie am Ende „Stuttgart 21“ bauen werden. So ist es doch! Auf Ihr Wort ist doch kein Verlass.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ein übereilter Atomausstieg Deutschlands ist nichts anderes als eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke in unseren Nachbarländern. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Wenn ich mir dann überlege, dass unter Umständen in unseren Nachbarländern – ohne deutschen Einfluss! – Kraftwerke, die nicht den hohen deutschen Sicherheitsstandards entsprechen, weiterexistieren, mache ich mir ernsthaft Sorgen. Da wir alle wissen, dass Temelin in Tschechien näher an Sachsen dran ist als manches Kernkraftwerk, das in Bayern oder Baden-Württemberg abgeschaltet werden soll, wissen wir auch alle, wo unser Problem liegt. Wenn wir ferner wissen, dass allein Polen im Moment sechs neue Kernkraftwerke bauen möchte – von denen sind einige sicherlich auch näher als die westdeutschen Kernkraftwerke an Sachsen dran –, dann werden auch Sie sehen, dass ein Alleingang Deutschlands in Europa der falsche Weg ist.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Angst bringt Stimmen; das haben wir bei den jüngsten Wahlen gesehen. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn es um die energiepolitischen Herausforderungen unserer Zeit geht. Ein deutscher Alleingang ist falsch und gefährlich. Anstatt übereilt auszusteigen, sollten wir als Bundesrepublik lieber dafür kämpfen, dass sich die hohen deutschen Sicherheitsstandards überall in Europa durchsetzen und dass es endlich überhaupt einheitliche Sicherheitsstandards in Europa gibt. Ich wundere mich sehr, dass wir in Europa zentral den Ausstieg aus der Glühbirne beschließen, aber es noch nicht geschafft haben, einheitliche Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke zu entwickeln. Das ist ein Versäumnis.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Angesichts von rund 195 Kernkraftwerken, die wir in Europa haben – die übrigens allesamt näher an uns dran

sind als Fukushima –, rate ich uns allen, keine neuen energiepolitischen Mauern zu errichten; denn im – unwahrscheinlichen – Ernstfall überwindet die Strahlung jede Mauer, egal, ob sie aus Beton ist oder ob es sich um eine ideologische Mauer handelt. Wir brauchen eine europäische Lösung. Ein deutscher Alleingang ist falsch.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Für die FDP-Fraktion sprach der Abg. Holger Zastrow. – Für die Fraktion der GRÜNEN spricht jetzt Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Als ich in der vergangenen Woche das Braunkohle-Papier, das Sie, Herr Tillich, mit Ihren Amtskollegen aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt als Brief an die Kanzlerin schickten, zur Kenntnis nehmen musste, habe ich für die heutige Debatte Allerschlimmstes befürchtet; das muss ich so offen sagen. Dieser Brief war etwas peinlich und oberflächlich. Er enthielt Fehler und war in wirtschaftlicher Hinsicht schlichtweg Unfug.

Das, was Sie heute gesagt haben, unterscheidet sich davon erheblich. Diese Einschätzung gilt auch für das, was Herr Kollege Flath gesagt hat. Deswegen sollte man die Debatte seriös entlang dessen, was Sie hier vorgeschlagen haben, weiterführen. Den Brief werde ich hinterher „verhackfrühstücken“.

Sie wollen überzeugt werden – das wollen wir auch. Also reden wir darüber!

Herr Flath, Sie sprachen davon, dass die Versorgungssicherheit nicht unterschätzt – Sie sprachen von „nicht unterbelichtet“ – werden solle und dass man „keine Experimente“ auf Kosten der Versorgungssicherheit eingehen dürfe. Ich meine, wenn man politisches Augenmaß nicht mit Lethargie verwechselt und das ernst meint, dann müssen wir gemeinsam gründlich daran arbeiten. Das ist ein längerer Prozess, der Detailarbeit erfordert. Wir haben den Prozess erst eröffnet. Eine gemeinsame Wertebasis dafür gibt es schon: die Verantwortung, die man hat, wenn man Politik ausübt. Das gilt auch für die Kosten und die Bezahlbarkeit. Auch hier ist die Frage nach der verantwortlichen Politik sicherlich richtig gestellt.

Wenn Sie flapsig davon sprechen, dass „Obergrüne“ auch flapsig behauptet hätten, auf ein paar Cent komme es nicht an, und dass die Bürger bezahlbare Energiepreise brauchten, dann kann ich nur entgegnen: Es ist auch verantwortlich, darüber nachzudenken, welche Investitionen in erneuerbare Energien sich zwar noch nicht heute, aber vielleicht in zehn Jahren rechnen. Die Einkommen der Bürger in Sachsen werden in den nächsten Dekaden nicht sprunghaft ansteigen; das wissen auch Sie. Also ist die Frage ernsthaft aufzugreifen, ob nicht doch heute ein paar Cent mehr, zum Beispiel im Netzausbau, vernünftig angelegt sind, weil sie im Ergebnis einer Steigerung des

Anteils der erneuerbaren Energien mittelfristig zu stabilen und sogar sinkenden Energiepreisen führen. Ich halte es für wichtig, dass diese Diskussion geführt wird.

Hier ist gefordert worden, die GRÜNEN sollten einmal belegen, dass sie in der Energiefrage auch sozial denken. Es war – jedenfalls nach meiner historischen Kenntnis – Joschka Fischer, der sagte, der Energiepreis sei der Brotpreis der Moderne. Das wurde in weiteren Wahlkämpfen von anderen Kollegen nachgesprochen. Unabhängig davon, meine Damen und Herren von der CDU: Wir haben morgen einen Antrag auf der Tagesordnung, in dem es genau um einen sozialen Aspekt der Energiefrage geht. Wir reden nämlich über die Steuerschätzung und über ein Landesprogramm Sachsens zur Gebäudesanierung. Der Bund hat seines gerade verdoppelt, wenn auch mit einigen Auflagen, die ich nicht sehr schlüssig finde; aber ich lasse das mal so stehen. Sie haben die Chance, die Lösung solcher Fragen in Angriff zu nehmen.