Protocol of the Session on May 25, 2011

Im Dezember letzten Jahres unterzeichnete das Kultusministerium eine Kooperationsvereinbarung mit dem Wehrbereichskommando III der Bundeswehr bezüglich der Zusammenarbeit an sächsischen Schulen. Danach können Schulen freiwillig das Angebot der Bundeswehr nutzen, Jugendoffiziere in den Unterricht einzuladen, um beispielsweise Fragen zur aktuellen Sicherheitspolitik zu diskutieren.

Die Fraktionen SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wir haben es gerade gehört – sehen mit diesem Kooperationsvertrag zwischen dem sächsischen Kultusministerium und der Bundeswehr die Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses gefährdet. Insbesondere wird befürchtet, dass das darin enthaltene Überwältigungsverbot verletzt werden könnte.

Fakt ist, dass der Beutelsbacher Konsens drei grundsätzliche Aussagen trifft.

Erstens gilt das Überwältigungsverbot. Das heißt, es ist nicht erlaubt, den Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern.

Zweitens gilt das Gebot der Kontroversität. Das heißt, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers sein. Letztlich dürfen unterschiedliche Standpunkte nicht unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden oder Alternativen unerörtert bleiben.

Drittens gilt das Prinzip der Schülerorientierung. Das heißt, der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.

Mit den Prinzipien Überwältigungsverbot und Kontroversität sind zwei zentrale und unverzichtbare didaktische Prinzipien benannt, die nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen können. Am Ende des Unterrichts müssen mehrere Lösungen für ein politisches Problem stehen. Die Wahl des besten Weges kann und soll dem Schüler nicht abgenommen werden, sondern muss seinem eigenen Urteil überlassen bleiben. Diesem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.

Die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses überlappen und ergänzen sich gegenseitig. Sie sind eng miteinander verknüpft. Je nach Themenstellung und Adressaten stehen andere Prinzipien im Vordergrund. Kein Unterricht kann allen gleichermaßen gerecht werden.

Als Vorsitzender des Kuratoriums der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung war es mir wichtig, diese grundsätzlichen Ausführungen zum Beutelsbacher Konsens an den Anfang meiner Rede zu stellen. Wir sind hier zwar beim Thema Schule, aber der Beutelsbacher Konsens hat sehr intensiv etwas mit der politischen Bildung im Land zu tun. Die Landeszentralen setzen ihn in der Bundesrepublik Deutschland um. In Sachsen ist es natürlich die sächsische Landeszentrale.

In Bezug auf die von der Opposition kritisierte Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium und der Bundeswehr werden diese Prinzipien nach meiner Auffassung nicht verletzt. Die Kritik der Opposition nehme ich als überzogen wahr. Nicht zuletzt verpflichten sich die Jungoffiziere in der Vereinbarung ausdrücklich auf die Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsenses.

Darüber hinaus wurde die Landeszentrale für politische Bildung im Rahmen ihrer Zuständigkeit für politische Bildung in die Kooperation zwischen Kultusministerium und Bundeswehr einbezogen. Ob externe Experten in den Unterricht eingeladen werden, obliegt letztendlich dem unterrichtenden Lehrer, da bei diesem nach dem Sächsischen Schulgesetz die pädagogische Eigenverantwortung liegt. Wir können uns also sehr gut vorstellen, dass neben einem Jungoffizier auch Vertreter der Kirchen oder von Friedensinitiativen oder anderen Institutionen am Unterricht teilnehmen und sich daran aktiv beteiligen. Das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich als jemand, der nicht in der Bundeswehr gedient hat.

Ich habe, wie vielleicht manche wissen, Zivildienst geleistet und in der DDR natürlich ein anderes System des Wehrunterrichtes, der Wehrkunde und des Wehrlagers erlebt. Das war in der Tat auf Überwältigung angelegt. Ich stelle fest, dass die Sorge um den Missbrauch der Vereinbarung, die in der heutigen Debatte unterschwellig mitschwingt, in keiner Weise begründet wird. Es findet keine Überwältigung statt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Frau Herrmann.

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Rohwer, Sie haben eben gesagt, dass es durchaus möglich ist, dass in gleicher Weise wie die Bundeswehr auch andere Friedensinitiativen in die Schulen eingeladen werden können. Gibt es irgendwelche Vorstellungen, wie die Finanzierung erfolgen soll? Denn die Bundeswehrsoldaten werden ja sicher während ihrer Arbeitszeit dort erscheinen. Das ist unter Umständen für jemanden, der einem Beruf nachgeht und tagsüber in der Schule tätig wird, eine andere Situation. Diese Probleme müssen in gleicher Weise geregelt werden, wenn Sie das wirklich ernsthaft ins Auge fassen wollen.

Frau Kollegin, vielen Dank für die Frage; aber sie ist natürlich zu kurz gesprungen, denn die Bundeswehr bekommt ja kein Geld dafür, dass ein Jugendoffizier in den Unterricht geht, sondern das ist Sache der Bundeswehr, und ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ein Pfarrer –

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Können Sie kurz zuhören, Kollegen?

in den Unterricht eingeladen werden würde, dann würde er natürlich auch kein Geld dafür bekommen, sondern er ist bei der Kirche angestellt oder ein Mitarbeiter der Friedensinitiative. Insofern denke ich, dass hierfür keine Regelung herbeigeführt werden muss, wie Sie gerade sagten; das ist eine herbeigeführte Diskussion von Ihnen.

Ich würde gern fortfahren.

Mit dem Kooperationsabkommen wird die bisher schon bestehende Praxis, – –

(Elke Herrmann, GRÜNE, meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Nein, ich würde gern fortfahren.

Nein.

– Jungoffiziere zu sicherheitspolitischen Fragen in den Unterricht einzuladen, auf eine gesicherte organisatorische Grundlage für alle Beteiligten gestellt. Allein die Annahme, die Jungoffiziere könnten aufgrund der Art der militärischen Ausbildung keine unpolitische Position einnehmen, ist schlichtweg falsch.

Mit Blick auf eine Weiterentwicklung der Bundeswehr hin zu einer Berufsarmee wird auch die Frage des Nachwuchses mehr und mehr zu einem zentralen Thema der Weiterentwicklung. Im Rahmen von Berufs- und Studienorientierung muss es möglich sein, die Schüler über den Beruf des Soldaten zu informieren und deren Möglichkeiten und Perspektiven aufzuzeigen. Es geht eben nicht, Frau Kollegin Giegengack, um die richtige Haltung zur

Bundeswehr, sondern um die Auseinandersetzung mit der Rolle und Bedeutung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. Dies umfasst auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Bundeswehr.

Damit wir uns nicht völlig falsch verstehen: Es muss nicht als Bestandteil des Pflichtunterrichtes verstanden werden. Die Freiwilligkeit der Teilnahme kann im Rahmen einer berufsorientierenden Maßnahme sichergestellt werden. Aber auch im Unterricht kann sie stattfinden, beispielsweise, wenn weitere Referenten eingeladen werden, wovon ich gerade gesprochen habe. Es obliegt letztendlich der Entscheidung des Lehrers, wie er seinen Unterricht gestaltet.

Grundsätzlich muss ich jedoch festhalten, dass der Bundeswehr eine andere Bedeutung zukommt als irgendeinem Wirtschaftsunternehmen in unserem Land. Die Bundeswehr ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert und mit der Verteidigung unseres Landes beauftragt. Das ist eine ganz besondere, herausragende Aufgabe. Ich kann nur betonen, dass wir es hier nicht mit dem Wehrunterricht aus der ehemaligen DDR zu tun haben. Diesen habe ich selbst noch leidlich erfahren müssen, und ich denke, all dies ist glücklicherweise Schnee von gestern.

Die Bundesrepublik Deutschland hat als Soldaten „Staatsbürger in Uniform“, welche für die demokratische Grundordnung unseres Landes einstehen und das Recht und die Freiheit unserer Bürger verteidigen.

Haben Sie denn schon einmal ein Gespräch mit einem Jugendoffizier geführt?

(Kathrin Kagelmann, DIE LINKE, signalisiert Zustimmung.)

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich Ihnen bestätigen, dass die meisten über ein durchaus kritisches Verständnis gegenüber der Bundeswehr verfügen, aber auf keinen Fall sind sie Rekrutierungsbeauftragte oder gar Kriegstreiber.

Aus diesen Gründen, denke ich, kann man die Anträge der Fraktionen der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN mit gutem Gewissen ablehnen. Wir als CDU-Fraktion werden dies tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Eine Kurzintervention? – Frau Herrmann, bitte.

Ja. Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte dieses Mittel wählen, da Herr Rohwer keine weitere Nachfrage zugelassen hat.

Ich denke, wenn man das 2. Gebot – was kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden – wirklich mit Leben erfüllen will, dann muss man alle Akteure in die Lage versetzen, in gleicher Weise Zugang zur Schule zu bekommen. Das kann man entweder, wie

wir es vorschlagen, mit einer Kooperationsvereinbarung, auch mit anderen, tun; aber man muss auf alle Fälle dafür sorgen, dass diejenigen dies tatsächlich auch tun können.

Ich spreche als Mitglied des Christlichen Friedensseminars Königswalde. Ich war auch schon zu DDR-Zeiten dort Mitglied, und wir haben uns auch damals schon öffentlich gegen den Wehrkundeunterricht geäußert und Veranstaltungen mit Eltern durchgeführt. Dieses Friedensseminar hat schon im Herbst letzten Jahres, als die Kooperationsvereinbarung publik geworden ist, einen Brief geschrieben, unter anderem auch an den Staatsminister. In unserem Vorbereitungskreis des Christlichen Friedensseminars ist zwar ein Pfarrer, dieser ist als geborenes Mitglied der Sitzgemeinde des Friedensseminars in diesem Vorbereitungskreis. Alle anderen Mitglieder gehen einem Beruf nach bzw. sind Rentner.

(Andreas Storr, NPD: Oder Landtagsabgeordnete!)

Das heißt, alle anderen Mitglieder sind darauf angewiesen, dass sie für den Besuch in der Schule von der Arbeit freigestellt bzw. dass zum Beispiel die Fahrtkosten übernommen werden.

Ich habe der Rede von Herrn Rohwer nicht entnehmen können, dass das in gleicher Weise vorgesehen ist. Also bleibe ich dabei: Das Gebot 2 – nur über dieses spreche ich an dieser Stelle –, dass eine kontroverse Darstellung auch in der Schule möglich sein muss, ist mit der derzeitigen Regelung nicht sichergestellt.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Rohwer, möchten Sie darauf reagieren?

(Lars Rohwer, CDU: Nein!)

Gut. – Damit rufe ich nun die FDP-Fraktion auf; Herr Bläsner, bitte.