Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schiemann, ich bedanke mich für Ihren Beitrag, vor allen Dingen für den zweiten Teil. Ich komme dann noch einmal darauf zurück.
Das macht es uns wesentlich leichter, mit diesem Gesetzentwurf umzugehen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist an sich nicht sonderlich spektakulär. Er ist für sich genommen auch nicht problematisch.
Kollege Schiemann hat es bereits geschildert. Es ist durch diese Bundesgesetzregelung nun einmal eingeführt gewesen, dass diese entsprechenden Sachen im Berufsrecht der Anwälte, der Notare – Bundesrechtsanwaltsordnung, Schlichtungsstelle, jetzt diese Widerspruchsinstanz – eingebaut worden sind. Nebenbei bemerkt: Im Nachhinein ist nicht verständlich, warum der Bundesgesetzgeber auf die vielen Hinweise aus den Berufsverbänden, teilweise aus den Ländern, auch aus dem Freistaat Sachsen, nicht reagiert hat und es von vornherein nicht so regelte, dass es weggelassen worden wäre. Insofern ist in diesem Fall die Gebrauchmachung von der Öffnungsklausel nach § 68 Abs. 1, die den Ländern die Möglichkeit gibt, bei bestimmten Verfahrensgegenständen ein Widerspruchsverfahren nicht stattfinden zu lassen, hier sachgerecht, ein Widerspruchsverfahren durchaus entbehrlich.
Wir sind der Auffassung, dass man diesem Gesetzentwurf unter dem Aspekt durchaus zustimmen kann. Das ist durchweg auch der Tenor in den Stellungnahmen der Kammern, also der Notarkammer und der Anwaltskammer, der berufsständischen Vereinigungen und Vertretungen, in denen ganz klar erklärt wurde, man begrüßt diesen Gesetzesvorschlag und bittet aus Sicht der Praxis, diesem auch zu entsprechen.
Was wir – das will ich noch einmal an die Bemerkungen von Kollegen Schiemann anschließen – an Bedenken mit dem Gesetzentwurf im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss hatten, war die Äußerung meines verehrten Kollegen Biesok. Er hatte dort klipp und klar erklärt, dass dieser Gesetzentwurf mehr oder weniger der Einstieg sein soll in einen Weg, fernerhin praktisch unter regelmäßiger Heranziehung des § 68 in aller Regel das Widerspruchsverfahren im Streit der Bürger mit den Verwaltungen etc. pp. abzuschaffen respektive die Widerspruchsinstanz zur Ausnahme zu machen.
Das wäre, wenn es die Einzelmeinung von Kollegen Biesok wäre, noch hinnehmbar, weil natürlich jeder in diesem Haus mit der Frage, was Modernisierung und Effektivierung betrifft, individuelle Vorstellungen verbindet. Aber, Kollege Schiemann, die Sache ist schon etwas weiter gereift. Es gibt mit Schreiben vom 17. Dezember 2010 den vom Staatsministerium des Innern, Referat 21, versandten Entwurf für ein „Gesetz zur Erleichterung des Verwaltungsverfahrens im Freistaat Sachsen und zur Änderung anderer Gesetze“, der derzeit zur informellen Anhörung an Behörden, Verbände, Kammern, Kirchen und andere Interessenvertreter ausgereicht ist.
Nach diesem Gesetzentwurf sollen alle Bereiche des öffentlichen Rechts auf den Prüfstand gestellt und die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens auf wenige besondere Verfahrensarten beschränkt werden. Wörtlich heißt es in diesem Gesetzentwurf, der zur informellen Anhörung draußen ist: „Das Regel-Ausnahme-Verhältnis
des § 68 VWGO, nach dem grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen ist, soll dabei umgekehrt werden.“
Dass dieses Vorhaben zu gravierenden nachteiligen Konsequenzen im Sinne von Rechteabbau für Bürgerinnen und Bürger, auch im Sinne von Mehrbelastung für die Verwaltungsgerichte, im Sinne von Kostenerhöhungen, im Sinne von Verfahrensverlängerungen, von Abbau weiterer durchaus sinngebender rechtsstaatlicher Erwägungen, zum Beispiel die Problematik der Eigenkontrolle der entsprechenden Verwaltungsbehörden, die den Beschluss setzen, führt, hat Kollege Schiemann hier deutlich gemacht. Ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf, wie man so schön sagt, auch in der Koalition noch nicht bis zu Ende den Segen aller Beteiligten hat. Heute geht es hier um einen konkreten Gesetzentwurf, und die Fraktion kann diesem Fall der Gebrauchnahme von § 68 zustimmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir halten den derzeit vorgelegten Gesetzentwurf im konkreten Einzelfall für zustimmungswürdig. Die Gründe dafür sind bereits genannt worden. Auch ich bin Herrn Kollegen Schiemann sehr dankbar für das, was er im zweiten Teil seiner Rede gesagt hat. Wir halten es tatsächlich für schwerwiegend falsch, das Widerspruchsverfahren generell infrage zu stellen.
Ein Beispiel aus meiner Heimatstadt: Die Landeshauptstadt Dresden erhält im Jahr ungefähr 33 000 bis 35 000 Widersprüche. Über 30 000 Bürgerinnen und Bürger werden von einem Verwaltungsakt belastet und sagen: Bitte, prüft diesen Verwaltungsakt noch einmal nach. In nicht jedem dieser Fälle kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren. In vielen Fällen kann Widersprüchen tatsächlich ganz oder teilweise abgeholfen werden. Deswegen ist das Widerspruchsverfahren ein kostenfreies, bürgerfreundliches Instrument des ersten Rechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger. Wir halten es wirklich für wichtig, dass es in vielen Bereichen beibehalten wird und tatsächlich nur in Ausnahmefällen wie dem vorliegenden zugunsten eines schnelleren Verfahrensganges darauf verzichtet wird.
Wir stimmen deshalb diesem Gesetzentwurf zu, teilen aber gleichzeitig mit, dass es bei künftigen Vorhaben sehr genau zu prüfen sein wird und wir dem generellen Abschaffen eine Absage erteilen.
gebungsvorhaben schon vorgestellt und darauf hingewiesen, dass die Abschaffung in diesen anwaltschaftlichen und notariellen berufsständischen Angelegenheiten eine sinnvolle Angelegenheit ist, die zum Bürokratieabbau beiträgt und die sowohl von der Rechtsanwalts- als auch von der Notarkammer als sinnvoll und angemessen dargestellt wird.
Ich möchte Ihnen anhand eines konkreten Beispiels einmal verdeutlichen, wie unsinnig das Widerspruchsverfahren ist. Das Widerspruchsverfahren in diesen Angelegenheiten wurde erst ab 1. September 2009 eingeführt. In dieser Zeit sind 47 Widersprüche in diesen berufsständischen Verfahren durchgeführt worden. In lediglich einem Verfahren wurde der Ausgangsbescheid geändert, nicht, weil die Verwaltung das Recht falsch angewendet hat, sondern weil sich die Tatsachengrundlage verändert hat. Deshalb ist es für meine Fraktion sehr wichtig, dass wir uns das Widerspruchsverfahren genau ansehen, weil das Widerspruchsverfahren, so wie es derzeit ausgestaltet ist, sehr bürokratisch ist und seinem Zweck nicht mehr genügt.
Bei einem Widerspruchsverfahren muss die Rechtsbehelfsfrist von der Verwaltung überwacht werden. Es muss der Widerspruch geprüft werden, es muss eine Beschlussvorlage, insbesondere in Selbstverwaltungsangelegenheiten, gefertigt werden. Wenn es einen ablehnenden Widerspruchsbescheid geben soll, muss zuvor der Betroffene wieder angehört werden. Der Widerspruchsbescheid muss beschlossen und zugestellt werden.
Das ist ausgesprochen bürokratisch. Der Sinn und Zweck des Verfahrens rechtfertigt meines Erachtens in den allermeisten Fällen dieses bürokratische Verfahren nicht.
Herr Kollege Bartl, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, ich habe es im Ausschuss gesagt und meiner Fraktion ist da sehr klar und eindeutig: Wir haben im Koalitionsvertrag eine entsprechende Festlegung. Darin ist vereinbart worden, dass das Widerspruchsverfahren auf wenige besondere Verfahrensarten und Verfahrensgegenstände beschränkt werden soll. Wir werden diesen Koalitionsvertrag einhalten. Ich gehe davon aus, dass auch die CDUFraktion den Koalitionsvertrag an diesem Punkt einhält.
Diesen Passus, den die FDP-Fraktion in den Koalitionsvertrag eingebracht hat, haben wir nicht ohne Grund hineingenommen. Andere Bundesländer haben nämlich sehr positive Erfahrungen mit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens gemacht. Ich möchte hier nur auf Niedersachsen verweisen. In Niedersachsen wurde zum 1. Januar 2005 das landesrechtliche Widerspruchsverfahren grundsätzlich abgeschafft.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Biesok. – Vielleicht hätte ich erst abwarten sollen, auf wen Sie sich von Niedersachsen beziehen. Denn ich hätte Sie jetzt fragen wollen, ob Ihnen der Beitrag des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts des Landes Niedersachsen bekannt ist, der veröffentlicht wurde in den Niedersächsischen Verwaltungsblättern Heft 2/2007, in dem sich der Präsident des Oberverwaltungsgerichts von Niedersachsen vehement gegen die Abschaffung der Widerspruchsinstanz als Regelfall ausspricht und anhand von konkreten Zahlen die Konsequenzen für die Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellt. Wenn es einen Kenner und Experten auf diesem Gebiet gibt, dürfte es doch wohl der Herr Präsident dieses Oberverwaltungsgerichtes sein.
Meine Frage ist: Kennen Sie diesen Beitrag, und wenn ja, Herr Kollege, worin irrt der Herr Präsident des OVG von Niedersachsen?
Sehr geehrter Herr Kollege Bartl, da Sie schon einmal aus diesem Artikel zitiert haben, kenne ich ihn. Es ist natürlich aus Sicht der Verwaltungsgerichte einfach zu sagen: Wir möchten das Widerspruchsverfahren als eine Vorbereitung für das verwaltungsprozessuale Verfahren aufrechterhalten. Deshalb messe ich diesem Bericht nicht so große Bedeutung zu.
Ich möchte mich lieber auf den Evaluationsbericht zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Niedersachsen stützen. Dort hat man 174 Bereiche untersucht, in denen das Widerspruchsverfahren abgeschafft worden ist. Man hat in diesen 174 Bereichen nur fünf gefunden, in denen es zu einer Zunahme an verwaltungsprozessualen Klagen gekommen ist. Das heißt, in 169 betrachteten Bereichen ist es nicht zu der beschriebenen Konsequenz gekommen, dass durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens die Verwaltungsgerichte belastet wurden. Deshalb, denke ich, hat sich dort die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bewährt.
Man muss genau prüfen, wo man das Widerspruchsverfahren belässt. Ich würde auch nicht ausschließen, dass wir das Widerspruchsverfahren vielleicht in einem Bereich einmal abschaffen und nach einigen Jahren merken, dass man es wieder einführen muss.
Ich nenne Ihnen ein paar Bereiche, in denen ich derzeit noch nicht abschaffen möchte. Das sind diejenigen, in denen wir sehr komplexe Regelungsmaterien haben und die Wahrscheinlichkeit von Prozessen sehr hoch ist. Das betrifft zum Beispiel den Umweltbereich, den Sozialbereich oder das Schulrecht. Dort ist es meiner Meinung nach im Moment nicht angebracht, das Widerspruchsverfahren abzuschaffen. Vielleicht sollte man es partiell probieren und sich ansehen, was dabei herauskommt.
Ich bin sehr dafür, einmal einen mutigen Schritt zu machen und nicht den alten Berufsbeamtengrundsatz „Das war so, das ist so und das bleibt so!“ zu zelebrieren.
Lassen Sie uns das einmal ausprobieren und dann sehen wir uns die Eingangszahlen im Verwaltungsgericht an. Wenn sich dann herausstellt, dass wir einen Fehler gemacht haben, korrigieren wir ihn. Aber ich möchte zumindest einmal versuchen, hier weniger Bürokratie zu haben.
2009 wurde es evaluiert und das Widerspruchsverfahren wurde 2005 abgeschafft. Wir haben also einen Beobachtungszeitraum von immerhin vier Jahren, bei dem ich denke, dass dann auch aussagekräftige Ergebnisse vorliegen.
Meine Damen und Herren! Es wird immer als Vorzug des Widerspruchsverfahrens angeführt, dass es der Selbstkontrolle der Verwaltung diene. Aus den Erfahrungen meiner anwaltlichen Praxis halte ich das für ein Gerücht. Es gibt eine Ausgangsbehörde, die einen Bescheid erteilt. Es gibt eine Widerspruchsstelle innerhalb der Behörde oder in der übergeordneten Behörde, die die Widerspruchsbescheide bearbeitet. Diese arbeiten meist ziemlich autonom ihre Akten vom Tisch. Das Problem beim Widerspruchsverfahren ist, dass sich die Verwaltung darauf verlassen kann, dass es eine weitere Instanz gibt, die das noch einmal überprüft. Das Widerspruchsverfahren führt dazu, dass die Ausgangsbescheide nicht nach dem Amtsermittlungsgrundsatz ordnungsgemäß ermittelt werden und diese Fehler anschließend im Widerspruchsverfahren sehr umständlich korrigiert werden. Deshalb ist die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens eine Gelegenheit, die ersten Bescheide deutlich besser auszugestalten und somit das Verwaltungshandeln zu verbessern.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie uns den Weg, den andere Bundesländer beschritten haben, um das Widerspruchsverfahren zu begrenzen, gehen. Ich denke, es sind positive Erfahrungen gemacht worden. Wir als FDP-Fraktion werden diesen Weg konsequent weiter beschreiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nur ganz kurz: Wir stimmen dem Gesetzentwurf ebenfalls zu, wie im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss bereits angekündigt. Die Beteiligten haben sich für die Abschaffung ausgesprochen, und sie sind als Anwälte und Notare außerordentlich rechtskundig. Daher ist es durchaus vertretbar, es abzuschaffen.