Integrationsfragen sind Bürokratiefragen. Das merken wir immer wieder bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen, der Handhabung von Einbürgerungsverfahren, der Frage der Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft. Natürlich ist es wichtig, ein Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß zu gestalten. Aber man muss aufpassen, dass man beim ordnungsgemäßen Gestalten eines Verwaltungsverfahrens nicht so weit über das Ziel hinausschießt, dass die Lebensbedingungen von Betroffenen hinter den bürokratischen Fragen zurücktreten.
Dass diese Lebensbedingungen manchmal zurücktreten, merken wir bei den Themen, die bereits angesprochen worden sind: bei den Gemeinschaftsunterkünften, bei der Residenzpflicht, der Bargeldauszahlung oder der Anerkennung von Bildungsabschlüssen, aber auch bei höheren Arbeitslosigkeit, die im Bericht erwähnt ist. Der Arbeitslosenanteil beträgt 36 %. Dieser Anteil ist höher als bei der deutschen Bevölkerung. Nicht zuletzt ist die fehlende Anerkennung von Bildungsabschlüssen ein wichtiger Punkt.
Wir müssen das sächsische Integrationskonzept, was im Entstehen ist – es ist schon angesprochen worden – am Ende daran messen, wie es mit ihm gelingt, konkret zu werden und die Fragen der Lebensbedingungen und der konkreten Situation der Menschen nicht hinter den allgemeinen Dingen zurücktreten zu lassen.
Gestern war, glaube ich, der 5. oder 6. Integrationsgipfel der Bundesregierung. Es gab im Jahr 2007 einen Integrationsgipfel. Damals hat man sich auf einen nationalen Integrationsplan mit Maßnahmen und Selbstverpflichtungen verständigt. Drei Jahre später ist das Ergebnis des Gipfels: Man verständigt sich nunmehr auf einen nationalen Aktionsplan, um aufzuschreiben, wie man den Integrationsplan umsetzen will. Ich glaube, sehr viel Konkretes hat sich in der Lebenswirklichkeit der betroffenen Menschen noch nicht verändert.
Oh! „Kann ja auch nicht!“, ist ein gutes Stichwort. – Herr Seidel, Sie haben vorhin beim Blick in den Bericht festgestellt: Die Integration in Sachsen gelingt bemerkenswert gut. Da gebe ich Ihnen recht für alles, was den frühkindlichen, den schulischen Bereich betrifft. Sie haben selbst die Beispiele genannt. Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen bei Migrantinnen und Migranten, die schon älter sind, die in einem Alter herkommen, in dem sie keinen Kindergarten und keine
Sprache ist ein sehr wichtiger Schlüssel zur Integration. Wir haben auf Bundesebene die Situation, dass bereits heute die Plätze in den Integrationskursen nicht ausreichen und ellenlange Wartelisten existieren. Zudem ist nicht jeder dazu berechtigt, an diesen Kursen teilnehmen zu können. Deshalb wünsche ich mir letztendlich ein sächsisches Integrationskonzept, das besagt: Wir gehen als Sachsen selbstbewusst voran. Wir gehen einen eigenen sächsischen Weg und sagen, bei uns soll jeder die Chance haben, die deutsche Sprache zu lernen – unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus und seinen finanziellen Möglichkeiten. Wir sagen: Jeder, der die deutsche Sprache erlernen will, bekommt bei uns die Möglichkeit und ein entsprechendes Angebot.
Das wäre mehr als das, was die Bundeskanzlerin heute verkünden konnte. Sie sagte: Wir werden in fünf bis sieben Jahren jedem, der Interesse an einem Integrationskurs hat, ein Angebot unterbreiten. Das dauert einfach viel zu lange.
Der wichtigste Punkt aber ist folgender – dieser ist vor allem Herrn Gillo zu verdanken –: In dem Bericht steht der schöne Satz „Integration braucht Vertrauen.“ Das, was ich vorhin mit den Bürokratiefragen meinte, ist eben nur die halbe Miete. Die Verfahren, die man ansetzt, um Menschen in eine Gesellschaft zu integrieren, sind nur die eine Hälfte. Die andere Hälfte – das ist wichtig – ist die Frage der Willkommenskultur, die wir in unserem Land haben.
In dieser Angelegenheit sind Integrationsfragen vor allem Kulturfragen. Diese Willkommenskultur muss sich an alle richten. Da waren die Sarrazins und Seehofers dieser Welt wenig hilfreich. Sie haben viel an Willkommenskultur zerstört.
Herr Storr, wenn Sie jetzt so reden, da fällt mir ein: Wenn Herr Seidel sagt, Integration gelingt in Sachsen bemerkenswert gut, dann muss man feststellen, dass wir schon ein Problem mit Integrationsverweigerung haben. Wir haben ein gravierendes Problem mit Menschen, die nicht bereit sind, die Grundwerte unseres Zusammenlebens zu teilen und Toleranz, Demokratie, Respekt und die Anerkennung von Vielfalt wirklich ernst zu nehmen. Das sind Werte unserer Gesellschaft. Die Integrationsverweigerer in Sachsen sind Sie und Ihre Partei, die NPD!
Ich möchte mich sehr herzlich, auch im Namen meiner Fraktion, bei Herrn Gillo bedanken und ihm viel Kraft wünschen. Ich bin mir sicher, Sie haben diese Kraft. Sie haben eine sehr originelle Art, uns immer wieder die Kulturfragen, diese Integrationsnotwendigkeiten vor Augen zu führen.
(Jürgen Gansel, NPD: Reichen Sie Herrn Gillo doch Ihr sozialdemokratisches Poesiealbum! – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)
Kurz zum Entschließungsantrag der LINKEN. Herr Gillo, Sie haben sehr viel Richtiges zum parlamentarischen Prozess gesagt. Das ist so. Aber wenn man das zu Ende denkt – –
Wenn man das zu Ende denkt, dann dürfte die Opposition nie wieder Anträge stellen. Das macht wahrscheinlich auch keinen Sinn. Wir glauben schon, dass es Aufgabe der Opposition ist, mit Anträgen immer wieder die Gelegenheit zu bieten, über Integrationsfragen zu reden. Deshalb bringen wir selbst Anträge ein.
Aber Sie haben recht. Heute ist die Gelegenheit dazu, nämlich der Bericht des Ausländerbeauftragten. Deshalb bedarf es keines weiteren Antrages, auch wenn wir die inhaltlichen Ziele teilen. Wir werden uns daher bei dem Entschließungsantrag enthalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Sehr vieles, was meine Vorredner bereits dargestellt haben, kann ich im Namen meiner Fraktion nur von Herzen unterstützen. Gerade die Ausführungen, die meine Kollegin Frau Friedel – auch wenn sie schon im Gehen begriffen ist – getätigt hat,
Zunächst möchte auch ich im Namen unserer Fraktion Frau de Haas und Herrn Prof. Gillo sowie allen Mitarbeitern des Sächsischen Ausländerbeauftragten recht herzlich danken.
Der Großteil des Berichtes fällt noch in die Amtszeit von Frau de Haas. Auch darauf ist schon mehrfach eingegangen worden. Als einen besonders herausragenden Punkt erachte ich die Gründung und die Arbeit der sächsischen
Härtefallkommission. Seit ihrem Bestehen haben durch diese Einrichtung über 150 Personen eine Aufenthaltserlaubnis erlangt, hauptsächlich Ehepaare und Familien mit Kindern. Die Sächsische Ausländerbeauftragte hat als Vorsitzende der Härtefallkommission maßgeblich an diesem Erfolg mitgewirkt. Auch darauf sind die Vorredner schon eingegangen.
Zurück zum Bericht. Die ständige Überfremdungsangst, die vom rechten Rand geschürt wird, ist in Sachsen de facto völlig fehl am Platz. Wir haben hier einen Ausländeranteil von 2,7 %
bei einem bundesdeutschen Durchschnitt von 8,8 %. Die stärksten Gruppen sind – auch das hat Herr Seidel bereits angesprochen – Vietnamesen, Staatsangehörige der Russischen Föderation, Ukrainer, Polen und Türken. Wir brauchen diese Menschen in unserem Land.
Ein Beispiel dafür ist der mehrfach angesprochene Ärztemangel. In Sachsen sind 1 147 ausländische Ärzte aus 82 Nationen gemeldet. Auf diese können wir nicht verzichten. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung unserer Bevölkerung.
Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich letztens nachts in der Situation war, selbst einen Kinderarzt in der Notfallklinik zu benötigen, war es mir völlig egal, wer es war. Ich war froh, dass jemand da war, und ich kann Ihnen nur versichern, dass der Arzt, der aus Syrien stammte, sehr kompetent und fachlich hervorragend die Kinder versorgt hat. Das ist Integration!
Beim Rückblick auf das Jahr 2009 möchte ich dennoch an ein tragisches Ereignis erinnern. Am 1. Juli 2009 wurde Marwa El-Sherbini in Dresden während einer Strafverhandlung im Landgericht, zu der sie als Zeugin geladen war, vom Angeklagten aus ausländerfeindlichen Motiven erstochen.