Positiv ist allerdings auch hier der Trend zu weniger Straftaten von ausländischen Mitbürgern; aber immerhin liegt die Anzahl der Straftaten noch doppelt so hoch wie bei Einheimischen.
Integration kennt zwei Seiten, so Frau de Haas: Zuwanderer wie Aufnahmegesellschaft. Ignoranz und Fremdenfeindlichkeit sind Gift für jegliche Integrationsbemühungen. Ich denke, dass ich mit den meisten Mitgliedern des Hohen Hauses einer Meinung bin, wenn ich sage: Unser Sachsen ist ein weltoffenes Land. Wir werden allen rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Tendenzen mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegenübertreten.
(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Andreas Storr, NPD: Hurra, hurra! Kampf gegen Rechts, Kampf gegen das eigene Volk!)
Stichwort Zuwanderung: Alle Ausländer, die sich gesetzestreu und rechtmäßig hier aufhalten, die sich einbringen und mitarbeiten, sind herzlich willkommen, oder, um es mit einer anderen Stimme als mit der meinen zu beschreiben, nämlich mit der von Angela Merkel im „Spiegel“Interview vom 30. Oktober: „In einem Integrationsland sind alle Menschen fremder Herkunft willkommen, die bereit sind, auf der Basis der Rechts- und Werteordnung als Mitbürger zu leben oder sogar deutscher Staatsbürger zu werden.“
Und gerade diese Bereitwilligkeit, deutscher Staatsbürger zu werden, führte zu einer bemerkenswerten Initiative unseres ehemaligen Ausländerbeauftragten Heiner Sandig, eine Initiative, die bis heute weitergeführt wird und sich jedes Jahr wiederholt, zuletzt am 5. Juni 2010. Die Initiative heißt Einbürgerungsfest, und dieses findet seit 2004 jährlich einmal hier im Plenarsaal
statt. Dabei werden die neuen deutschen – und somit sächsischen Staatsbürger – auch von unserem Innenminister willkommen geheißen und auf den neuen Lebensabschnitt mit allen Rechten und Pflichten eines Mitbürgers vorbereitet. Das ist eine besonders gelungene und lobenswerte Art des Willkommens, das mittlerweile auch von anderen Bundesländern übernommen wurde.
Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird kein Weg an der gewollten Zuwanderung von hoch qualifizierten Fachkräften vorbeiführen. Ich möchte aber dennoch betonen, dass zuerst alle Potenziale der schon jetzt in Sachsen vorhandenen Arbeitskräfte genutzt werden müssen, bevor sich Industrie und Handwerk auf die Suche nach qualifiziertem Personal ins Ausland begeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von uns 4,2 Millionen Sachsen waren im Jahre 2008 115 000 Ausländer, so das Bundesamt für Migration und Ausländer in Nürnberg, das heißt lediglich etwa 2,5 % der Gesamtbevölkerung. Das ist vergleichsweise sehr wenig, aber immer noch genügend Arbeit für unseren neuen Ausländerbeauftragten Martin Gillo. Wir als Abgeordnete werden uns im Innenausschuss diesen Aufgaben ebenfalls stellen und uns beispielsweise mit den Fragen der Anerkennung der Abschlüsse von ausländischen Mitbürgern befassen.
Ich möchte mich namens meiner Fraktion nochmals bei der Verfasserin des Jahresberichts 2009, Frau de Haas, für Ihre Arbeit recht herzlich bedanken und wünsche Martin Gillo eine ebenso erfolgreiche Arbeit.
(Beifall bei der CDU 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr Seidel. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Klinger; Sie haben das Wort Freya-Maria Klinger, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An erster Stelle möchte auch ich mich in meinem und im Namen der Fraktion DIE LINKE bei Herrn Prof. Gillo bedanken. Auch wenn er betont hat, dass der Bericht, den wir heute hier behandeln, zu großen Teilen auf das Wir- ken seiner Vorgängerin zurückzuführen ist: Auch er hat seinen Teil dazu beigetragen, und ich möchte Herrn Prof. Gillo an dieser Stelle auch allgemein Danke sagen für sein Engagement, mit dem er das Amt seit gut einem Jahr ausfüllt, und für seinen persönlichen Einsatz für Menschen, die nicht so oft im Licht der Öffentlichkeit stehen wie Asylsuchende und Flüchtlinge. (Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)
Nachdem Herr Prof. Gillo auf einige Punkte des Berichtes eingegangen ist, möchte auch ich ein paar Aspekte aus der Sicht der LINKEN hervorheben. Zum Ersten das Thema Bleiberecht. Im Freistaat Sachsen leben derzeit circa 2 500 Menschen, die im Besitz einer Duldung sind. Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern eine Bescheinigung, dass die Abschiebung ausgesetzt ist. Sie wird im Regelfall alle drei bis sechs Monate verlängert.
Ungefähr die Hälfte der Betroffenen lebt nun schon seit über sechs Jahren hier. Geduldete haben in der Regel nur einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Einerseits unterliegen sie der Vorrangprüfung, andererseits der Residenzpflicht. Mit der Altfallregelung nach § 104a Aufenthaltsgesetz wollte der Bundesgesetzgeber – ich zitiere – „dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in Deutschland Rechnung tragen“. 2007 trat die gesetzliche Altfallregelung in Kraft.
Die Innenministerkonferenz hat am 4. Dezember 2009 eine Anschlussregelung beschlossen, mit der nun eine Verlängerung des Bleiberechtes um zwei Jahre ermöglicht wurde. Das heißt aber, das Problem der Kettenduldung besteht nach wie vor. Seit der letzten Regelung sind aber schon wieder drei Jahre vergangen. Inzwischen leben schon wieder mehr Menschen langjährig ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland und im Freistaat Sachsen. Eine Altfallregelung bietet nur dann eine wirkliche Lösung, wenn auch eine Vielzahl von Personen eine aufenthaltsrechtliche Perspektive erhält. Diese Auffassung findet sich auch im Bericht wieder.
Der Innenausschuss hat sich zu Beginn des Jahres mit dem Thema auseinandergesetzt. Es gab eine Anhörung. Die Fraktionen der LINKEN, der SPD und der GRÜNEN haben einen Antrag dazu vorgelegt, der angehört wurde, aber in der Konsequenz leider folgenlos blieb, obwohl nahezu alle Sachverständigen die Initiative für gut und notwendig erachtet hatten.
Wir bleiben weiterhin bei der Forderung: Wir brauchen eine eigenständige, unbefristet geltende Bleiberechtsregelung, mit der langjährig in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltstitels gewährt wird. Wir müssen einfach eine Perspektive für diese Menschen schaffen.
Das Thema Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Sachsen ist ebenfalls bereits von meinen Vorrednern angesprochen worden. Auch dieser Punkt wird als Tätigkeitsschwerpunkt im Bericht genannt. Herr Prof. Gillo – er ist selbst darauf eingegangen, dass auch im Jahresbericht 2010 sicher noch ausführlich über seine eigenen Aktivitäten berichtet wird; ich greife ihm da also nicht vor – hat geschildert, dass er die Gemeinschaftsunterkünfte in Sachsen aufgesucht und das Gespräch mit den Landräten und den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern gesucht hat.
Sachsen ist neben Thüringen und Bayern das Land mit dem höchsten Anteil an der zentralen Unterbringung in
Heimen bzw. Lagern, und da ist es natürlich wichtig hinzuschauen, wie die Menschen dort leben. Zugestanden werden ihnen 4,5 bis 6 Quadratmeter Wohnfläche pro Person. Küchen und Sanitäranlagen werden gemeinschaftlich genutzt. Hinzu kommen oftmals eine abgeschiedene Lage und weite Wege in die nächste Stadt, zum Arzt, in die Kita oder in die Schule. Diese Enge und gleichzeitige Isolation führen zur Unselbstständigkeit. Das ist für alle Menschen belastend, aber natürlich besonders für Minderjährige, für Frauen, für Ältere und chronisch Kranke. Hier gibt es entsprechende Möglichkeiten, wenigstens diese Personen dezentral – sprich: in eigenen Wohnungen – unterzubringen; denn diese Entscheidung obliegt den Kreisen und kreisfreien Städten.
Im Bericht wird angemahnt, alternative Unterbringungsmöglichkeiten zu prüfen und abgelegene und abgewohnte Unterkünfte zu schließen. Es gibt also Handlungsspielräume, um etwas für die Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation dieser Menschen zu tun. Sorgen wir endlich dafür, dass diese Spielräume auch entsprechend ausgenutzt werden!
Zur Isolation trägt neben der Heimunterbringung auch bei, dass die Asylsuchenden und Geduldeten in Sachsen einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf den Zuständigkeitsbereich der entsprechenden Ausländerbehörde unterliegen. Das, was hier so verklausuliert ist, wird umgangssprachlich „Residenzpflicht“ genannt. Das heißt, sie dürfen ihre Stadt bzw. ihren Landkreis nicht ohne eine Verlassenserlaubnis, einen sogenannten Urlaubsschein, der durch die Ausländerbehörde ausgestellt wird, auf Antrag verlassen.
Dies stellt einen schwerwiegenden Eingriff und eine schwerwiegende Einschränkung sozialer, kultureller und politischer Menschenrechte dar. Die Religionsausübung und die Pflege familiärer und sozialer Kontakte werden dabei maßgeblich behindert. Eine derart umfassende Beschränkung der Freiheitsrechte von Flüchtlingen, wie sie in Deutschland herrscht, ist in der Europäischen Union einmalig. Wir wollen die Bewegungsfreiheit der Menschen zumindest auf das gesamte Gebiet des Freistaates Sachsen erweitern und lehnen die Residenzpflicht entschieden ab.
Ein dritter Punkt, der mir wichtig ist, sind die kommunalen Ausländerbeauftragten. Im Bericht heißt es – ich zitiere –: „Integration gelingt oder scheitert vor Ort, der nationale Integrationsplan betont den Beitrag der Kommunen.“ – Und weiter heißt es: „Sie“ – also die Kommunen – „leisten diesen Beitrag insbesondere durch eigene kommunale Ausländerbeauftragte.“
Die Vergrößerung der Landkreise seit der Kreisgebietsreform im Jahr 2008 bedeutet aber eine Erhöhung der Zahl der im Landkreis lebenden Migrantinnen und Migranten
und somit weitere Wege für die kommunalen Ausländerbeauftragten. Leider ist es so, dass in Sachsen zivilgesellschaftliche Strukturen immer noch weniger stark ausgeprägt sind als zum Beispiel in den alten Bundesländern. Auch hier erfüllen die kommunalen Ausländerbeauftragten eine wichtige Funktion: Sie schließen Lücken, die sonst vielleicht entstehen würden, oder lassen es gar nicht erst dazu kommen.
Kommunale Ausländerbeauftragte nehmen darüber hinaus Querschnittsaufgaben wahr. Sie sind Vermittler. Der Bericht spricht von „Schnittstellen“ zwischen Zuwandernden und Einheimischen, zwischen Verbänden und Vereinen. Sie sind Initiatorinnen und Initiatoren der interkulturellen Wochen. Sie werben durch Öffentlichkeitsarbeit für Vielfalt, für Weltoffenheit, für Toleranz und leisten so einen entscheidenden Beitrag gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
Meine Damen und Herren! Sie sehen, das Spektrum der Aufgaben ist vielfältig. Deshalb ist es unmöglich, dass diese Aufgaben vor allem in den Flächenlandkreisen lediglich ehrenamtlich erfüllt werden. Das sind engagierte Menschen, die oftmals noch aus der eigenen Tasche draufzahlen, wenn es zum Beispiel um Fahrtkosten geht, um eine solide und gute Arbeit machen zu können. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb schließen wir uns den Empfehlungen des Berichts an, hauptamtliche Stellen in diesem Bereich zu schaffen. Diese Ämter müssen dringend aufgewertet werden, wenn Sie es mit der Integration ernst meinen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, auch weil wir uns derzeit in den Haushaltsverhandlungen befinden. Es geht um den Integrationspreis. Herr Prof. Gillo hat es bereits erwähnt. Bisher wurde ein Teil des Preisgeldes vom Ministerium für Soziales und Verbraucherschutz beigesteuert. Das Sozialministerium – das Ministerium, bei dem die Integration federführend angesiedelt ist – gibt keine Mittel mehr zu diesem Preis dazu. Auf entsprechende Nachfragen im Sozialausschuss wurde auf die Ergänzungsvorlage verwiesen. Diese liegt seit Anfang der Woche vor. Darin findet sich leider nichts über den Integrationspreis.
Herr Gillo hat sich auf Nachfrage so geäußert, dass er den Preis auch weiterhin ausloben will – es sei ihm gedankt –, nur dann entsprechend geringer dotiert. Schade, dass es vonseiten der sächsischen Regierung nicht einmal für solche kleinen Symbole reicht, denn es handelt sich um eine Summe von gerade einmal 1 500 Euro.
(Staatsministerin Christine Clauß: Die Summe ist eingestellt, Frau Kollegin! Die ist drin! Lesen Sie mal nach!)
Ich habe sie nicht gefunden. Gut, dann nehme ich das zurück und freue mich natürlich sehr, dass doch wenigstens dieser symbolische Beitrag geleistet wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten Wochen waren auf Bundesebene von einer Pseudodebatte um Integration geprägt, die an den tatsächlichen gesellschaftlichen Herausforderungen vorbeigeht und schädlich ist. Sächsische Politiker haben sich da – jedenfalls, was die demokratischen Parteien und Fraktionen angeht – zurückgehalten. Aber es gibt viel zu tun. Integration und Migration sind mehr als ein Standortfaktor im globalen Wettbewerb, und eine reine Verwertungslogik, die an Menschen angelegt wird, lehnen wir ab.
Lassen Sie uns zum Thema Integration endlich konkret werden. Verständigen wir uns darüber, was wir unter Integration tatsächlich verstehen. Diese Debatte darf nicht abstrakt geführt werden, sondern muss aus der Sicht der LINKEN zu den Themen Chancengerechtigkeit, Teilhabe, Anerkennung und Antidiskriminierung geführt werden.
Ich möchte die Staatsregierung aufzufordern, endlich ein Integrationskonzept vorzulegen, das genau auf diese Punkte eingeht, das mit den Betroffenen zusammen erarbeitet wird und das mit einem entsprechenden Maßnahmenplan untersetzt ist.
Am Anfang meiner Rede, meine sehr geehrten Damen und Herren, habe ich Herrn Gillo gedankt, am Ende meiner Rede möchte ich ihm Kraft wünschen für die kommenden Aufgaben und Mut, die Dinge weiterhin so klar und direkt anzusprechen und konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Ich wünsche ihm und uns allen, dass diese Vorschläge auch gehört und aufgegriffen werden.
Vielen Dank, Frau Klinger. – Für die Fraktion der SPD spricht die Abg. Frau Friedel. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch im Namen der SPDFraktion der früheren Ausländerbeauftragten Frau de Haas, aber auch dem gesamten Team der Geschäftsstelle sowie allen, die sich in Migrantenvereinen, in Organisationen, aber auch in öffentlichen Behörden für das Thema Integration ehrlich und mit Leidenschaft engagieren, sehr herzlich danken.
Oh, das ist nicht unangemessen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Integrationsfragen werden in Deutschland oft als Bürokratiefragen behandelt. Das merken wir zum Beispiel bei der aktuellen Diskussion zur Anerkennung
von Bildungsabschlüssen. Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen fällt nicht zuletzt deshalb so schwer, weil die bürokratischen Verfahren dazu sehr kompliziert sind. Das Sozialministerium hat vor wenigen Wochen die ANSA-Studie vorgelegt, eine Studie zur Anerkennung von Bildungsabschlüssen in Sachsen. Dabei kommen am Ende genau diese Empfehlungen heraus. Die Verfahren müssen einfacher, effizienter und effektiver werden. Es gibt zu viele und zum Teil zu widersprüchliche Regelungen und es gibt vor allem ein riesiges Informationsdefizit.
Integrationsfragen sind Bürokratiefragen. Das merken wir immer wieder bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen, der Handhabung von Einbürgerungsverfahren, der Frage der Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft. Natürlich ist es wichtig, ein Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß zu gestalten. Aber man muss aufpassen, dass man beim ordnungsgemäßen Gestalten eines Verwaltungsverfahrens nicht so weit über das Ziel hinausschießt, dass die Lebensbedingungen von Betroffenen hinter den bürokratischen Fragen zurücktreten.