Protocol of the Session on November 3, 2010

Und – um weiter beim Bundesverfassungsgericht zu bleiben – ein Sachgrund ist – das sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich – weder das wirtschaftliche Interesse des Handels noch das Einkaufsinteresse der Bürgerinnen und Bürger. Beides rechtfertigt keine Sonntagsöffnung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die in Artikel 2 von der Staatsregierung vorgeschlagene Änderung des Gesetzes über Sonn- und Feiertage, also die Sonntagsöff

nung von Videotheken, die durch den Änderungsantrag der Koalition im Ausschuss noch um zwei Stunden erweitert wurde, sowie das ganztägige Öffnen von Autowaschanlagen ist aus unserer Sicht verfassungswidrig, da es mit dem Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe gemäß Artikel 140 Grundgesetz bzw. Artikel 109 in Verbindung mit Artikel 139 Grundgesetz nicht im Einklang steht, denn ein unabweisbares Bedürfnis für das Öffnen von Autowaschanlagen an Sonntagen lässt sich nicht erkennen. Beim Waschen von Autos handelt es sich um „eine typische werktägige Beschäftigung“, um noch einmal die Worte des Bundesverfassungsgerichtes zu gebrauchen.

(Zuruf von der FDP: Der Automat!)

Allein der Umstand, dass ein Waschen von Autos aus Zeitgründen – diesbezüglich gebe ich Ihnen recht – vielleicht an Sonntagen bequemer durchgeführt werden kann, macht das Autowaschen nicht zu einer typischen sonntäglichen Beschäftigung. Dementsprechend bedürfte es für die Zulässigkeit der Öffnung von Waschanlagen am Sonntag als Arbeit trotz Sonntag eines dem Sonntagsschutz mindestens gleichwertigen Rechts, was Sie hier benennen müssen. Aber das können Sie nicht und es lässt sich auch nicht erkennen. Das ist die Gesetzeslage, woran man sich orientiert.

Ich habe bereits angedeutet: Mit dem leidigen Thema Sonntagsschutz würden die Regelungen des Gesetzes ausgehebelt. Diesbezüglich hilft auch nicht der Verweis auf die anderen Bundesländer. Heute gilt es, in Sachsen etwas zu regeln.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil ich das immer wieder in der Debatte höre: Bei der Sonntagsregelung gibt es kein Gewohnheitsrecht. Es unterscheidet nach der Arbeit für den Sonntag und nach der Arbeit trotz des Sonntags. Das haben wir in der Anhörung sehr deutlich gehört. Arbeit für den Sonntag ist all das, was notwendig ist, um den Sonntag überhaupt erst möglich zu machen. Diejenigen, die in der Anhörung anwesend waren, werden sich sicherlich erinnern: Der Sachverständige Rechtsanwalt Dr. Kühn hat ein, wie ich finde, sehr treffendes Beispiel dafür gefunden. Er nannte die sonntäglich im Dienst stehenden Pfarrer und wies darauf hin, dass es am Sonntag dazu gehöre, dass man als ordentlicher Christ auch in die Kirche geht. Ich finde, das ist ein sehr schönes Beispiel für Arbeit am Sonntag, die im Sinne des Grundgesetzes geleistet werden muss und demzufolge zulässig ist.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Davon verstehen Sie wohl was, oder?)

Dann gibt es aber noch die Arbeit trotz des Sonntags, die geleistet werden muss. Da führte er als Beispiel die Arbeit in den Krankenhäusern an. Menschen – sagte er – sind nicht deshalb gesund, weil gerade Sonntag ist. Diese Arbeit muss auch geleistet werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Arbeit für den Sonntag ist zulässig, Arbeit trotz des Sonntags ist nicht zulässig. Wenn dafür ein gleichwertiges Grundrecht leidet, ist es zulässig und

bei der Arbeit im Krankenhaus – das begreift wohl jeder – ist es eben die Gesundheit. Das war ein kleiner Ausflug von Rechtsanwalt Dr. Kühn.

(Torsten Herbst, FDP: Ich werde gleich erwidern!)

Genau! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war geradezu erschreckend am Schluss der Sachverständigenanhörung, als ich die eifrigsten Streiter für die erweiterte Sonntagsöffnung fragte, warum sie denn nicht zukünftig den Sonnabend für den Ausbau ihres Eventshoppings nutzen wollten. Jeder Sonnabend steht bereits heute bis 22:00 Uhr zur Verfügung, um all die zusätzlichen Angebote zu machen für Familien, für Kultur, für Freizeit – alles, was die Zentren so anbieten. Das könnten sie jeden Sonnabend machen. Die Beschäftigten sind schon da und niemand würde auf die Idee kommen, dass zusätzliches Verkaufspersonal gebraucht, die Familienplanung zerstört oder vielleicht die werktägliche Grundversorgung in Gefahr geraten würde. Niemand würde auf die Idee kommen. Ich fragte: Warum nutzen Sie diesen Sonnabend nicht? – Totenstille bei der Anhörung. Nach Aufforderung des Ausschussvorsitzenden hat sich dann Herr Böhme, Chef des Landestourismusverbandes und Verbandsdirektor, zu Wort gemeldet – ich finde, das ist schon sehr bezeichnend. Er sagte – ich zitiere – „Das eine schließt das andere nicht aus. Sonnabend geht immer. Man kann aber, wenn man einmal den Aufwand hat, den Sonntag ebenfalls entsprechend nutzen. Das ist für mich eine reine Effektivitätsfrage.“ So weit das Zitat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie meinen Ausführungen entnehmen können, ist es für DIE LINKE mitnichten nur eine reine Effektivitätsfrage. Bei dem Gesetz geht es uns heute um die Einhaltung von Grundgesetz und Verfassung, um den Schutz von Familien, den kleinen Händler vor Ort und um den Schutz vor den übermächtigen Handelskonzernen, die das gern ändern wollen. Es geht um die Freiheit zur ungestörten Ausübung religiöser Traditionen, fernab vom Konsumrausch, der Marktliberalisierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus diesem Grund werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Die SPD-Fraktion, bitte; Herr Abg. Brangs.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat hätten Sie heute Morgen die Chance gehabt, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt abgesetzt hätten, dass wir zunächst zum eigentlichen Problem zurückgekommen wären und dass wir uns damit auseinandergesetzt hätten, dass ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes zu einem bestehenden Gesetz durchaus vergleichbare Züge zu den jetzt beabsichtigten Neuregelungen hat.

Dass Sie das alles nicht wollen, haben Sie heute Morgen eindrucksvoll dargelegt. Da Sie schon immer wissen, wie alles funktioniert, haben Sie auch schon eine Pressemitteilung um 15:18 Uhr veröffentlicht. Kollege Heidan, die Debatte hatte noch gar nicht stattgefunden, da wussten Sie schon, wie sie ausgeht; das ist interessant. Wie gesagt, 15:18 Uhr – wir sitzen jetzt hier und reden darüber – haben Sie kundgetan: Mit dem neuen Ladenöffnungsgesetz sind die Rechtsunsicherheiten des alten Gesetzes ausgeräumt.

Mitnichten ist das so, lieber Kollege. Mitnichten sind die Rechtsunsicherheiten ausgeräumt. Sehen Sie sich einmal genauer an, was das Oberverwaltungsgericht Bautzen gesagt hat zu dem, was vor zwei Tagen als Begründung kam. Das OVG hat gesagt, dass es im Kern der Auffassung ist, das derzeit gültige Gesetz sei verfassungswidrig. Jetzt kommt das Entscheidende: In der Passage, in der Gemeinden erlaubt wird, bis zu vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage festzulegen, sei das bestehende Gesetz zu unbestimmt und deshalb mit der Verfassung nicht vereinbar.

Unser Minister Morlok hat sofort die Lücke entdeckt und sich dann in der Presse mit den Worten zitieren lassen: „Wir werden künftig durch eine spezielle Begründung diese Lücke schließen. Ich gehe davon aus, dass damit das Problem gelöst ist.“ Herr Minister, ich denke, Sie sind das eigentliche Problem, weil Sie nicht verstehen, worum es hierbei im Kern geht.

(Beifall bei der SPD)

Es geht im Kern darum, dass mit diesem Zusatz einer Begründung nicht die Verfassungsmäßigkeit hergestellt werden kann, sondern dass wir auch in dem neuen Gesetz so viele Mängel haben, dass ich Ihnen garantieren kann – Kollege Heidan, egal ob Sie drei Stunden, bevor die Debatte losgeht, schon wieder alles wissen –: Sie werden mit diesem Gesetz vor dem Gericht wieder Niederlagen einstecken. Was mich besonders umtreibt, ist: Sie sind absolut resistent gegen jegliche Form von Beratungen. Ich frage mich wirklich, warum Sie bei Anhörungen eigentlich noch anwesend sind.

(Frank Heidan, CDU: Danke!)

Sie als Koalition können sich die Zeit wirklich sparen. In einer Anhörung bescheinigen Ihnen 13 von 14 Sachverständigen, dass dieses Gesetz entweder verfassungswidrig ist oder in großen Teilen Rechtsunsicherheiten schafft. Das waren 13 von 14! Eine Ausnahme war natürlich der Tankstellenbesitzer; dafür habe ich ein gewisses Verständnis.

(Heiterkeit der Abg. Martin Dulig, SPD, und Antje Hermenau, GRÜNE)

Der möchte natürlich seine Waschstraßen am Sonntag laufen lassen. Das ist mir schon klar. Vor allem hat er wahrscheinlich in irgendeiner Form direkt oder indirekt an der einen oder anderen Stelle mal die FDP unterstützt. Deshalb ist das für mich durchaus nachvollziehbar.

(Torsten Herbst, FDP: Ha, ha!)

Aber wenn 13 von 14 Sachverständigen sagen, Achtung, hier passiert etwas, und Sie sagen dann hier in der Debatte, Sie haben das alles ausgeräumt, weiß ich wirklich nicht, ob Sie künftig den Anhörungen lieber fernbleiben sollten. Es gibt eine Reihe von Expertisen außerhalb dieser Anhörung, die genau diese Rechtsunsicherheit in den Kern der Auseinandersetzungen stellen. Sie haben bis heute, denke ich, nicht verstanden, worin das Problem besteht. Wir wollten Ihnen heute Morgen weitere Niederlagen ersparen. Aber anscheinend brauchen Sie das, damit Sie hier weiter agieren können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber natürlich.

Herr Heidan, bitte.

Herr Kollege Brangs, nehmen Sie zur Kenntnis, dass zwischen der Einbringung des Gesetzentwurfes hier im Landtag und der Befassung im Ausschuss, auch in der Anhörung, etwas Zeit vergangen ist, und nicht nur das, sondern auch Veränderungen durchgeführt wurden? Nehmen Sie das zur Kenntnis?

Ich nehme vor allem zur Kenntnis, dass Ihr Abg. Alexander Krauß sich hat zitieren lassen: „Der Sonntagsschutz wird ausgehebelt und die Arbeitnehmerrechte werden eingeschränkt. Der Gesetzentwurf bringt den Gemeinden und Händlern keine Rechtssicherheit, weil Klagen Tür und Tor geöffnet wird. Im Koalitionsvertrag sei es lediglich um die Videotheken und Autowaschanlagen gegangen und nicht um einen zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntag. Dieser Gesetzentwurf wird den Landtag nicht so passieren, wie er eingereicht worden ist.“ Das nehme ich zur Kenntnis, aber von dieser Ankündigung ist nichts übrig geblieben.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Das stimmt ja gar nicht!)

Deshalb müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass wir uns noch einmal sehr genau angeschaut haben, was Sie eigentlich verändert haben. Als wir gemeinsam regiert haben und 2008 die Novelle durchführten, kann ich mich noch gut daran erinnern, dass damals unsere Koalitionskollegen der CDU gesagt haben, dass die teilweise Öffnung für Bäcker und für Gärtner das absolute Maß sei, was vertretbar wäre. Ich kann mich gut daran erinnern, dass damals jemand gesagt hat – er ist heute immer noch hier im Landtag –, dass nicht weitere Vertreter von Interessenverbänden mit den Hufen scharren sollten, denn es gebe mit der CDU keine Ausweitung auf Autohäuser, Waschanlagen, Videotheken und andere. Es wäre wichtiger bei diesem Gesetz, nicht über weitere Liberalisierungen zu reden, sondern darüber, dass Sonn- und Feiertage geschützt werden müssen. Das war die Auffassung der CDU zum damaligen Zeitpunkt.

Jetzt kann man sich überlegen, warum die CDU eingeknickt ist. Ich kann mir recht gut vorstellen, warum das so ist. Wenn man über den Parteitag der FDP vom Wochenende gelesen hat, wenn man die Äußerungen des Vorsitzenden Zastrow hört, dann stellt man fest, dass dies das Kernelement der FDP-Politik im letzten Jahr war.

(Zurufe der Abg. Tino Günther, FDP, und Alexander Delle, NPD)

Es war das wichtigste Vorhaben, dieses Ladenöffnungsgesetz umzusetzen. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut – das muss man von dieser Stelle aus den Menschen im Land immer wieder sagen – und sieht, wie viele Zeilen die FDP über die Ladenöffnung und wie wenige Zeilen sie für den Arbeitsmarktbereich dort hineingeschrieben hat, dann ist mir klar, welche Prioritäten sie setzt. Das sind die falschen Prioritäten. Sie betreiben eine Klientelpolitik, die Sie auch schon zu Oppositionszeiten immer wieder versucht haben. Es geht Ihnen darum, Ihre Klientel zu bedienen; das ist allen klar.

Aber im Kern geht es darum, dass wir ein Gesetz brauchen, das rechtssicher ist und dem Arbeitnehmerschutz Rechnung trägt. Wir brauchen ein Gesetz, das auf die Bedingungen im Freistaat abgestellt ist. Dieses Gesetz hatten und haben wir auch noch. Wir haben ein gutes Gesetz. Dieses Gesetz muss nachgebessert werden mit den Regelungen, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, und nichts weiter. Alle Partner, die mit uns in diesem Kontext Gespräche geführt haben, sagen: Das bestehende Gesetz ist ausreichend und gut, wir brauchen kein neues Ladenöffnungsgesetz.

Ich denke, dass Sie etwas suggerieren wollen und müssen; das ist bei Ihren Umfragewerten ja klar und vollkommen verständlich. Dass der Druck innerhalb Ihrer Partei ständig zunimmt, ist mir auch klar.

(Tino Günther, FDP: Oh!)

Sie müssen jetzt suggerieren: Wir bewegen etwas, wir entbürokratisieren etwas. Wir sind die Partei, die uns voranbringt. Sie glauben eben, dass das Heil dieses Landes davon abhängig ist, ob man sonntags einkaufen kann oder nicht. Ich sage Ihnen, dass es davon nicht abhängig ist. Es ist abhängig davon, ob wir Beschäftigung schaffen.

(Zuruf des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Es ist abhängig davon, ob wir Perspektiven für die Menschen in diesem Land schaffen. Es ist abhängig davon, dass wir Einkommen schaffen, von denen Menschen leben können. Das alles findet in einem Ladenöffnungsgesetz nicht statt, sondern genau das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Zuruf des Abg. Frank Heidan, CDU)

Sie versuchen hier, über dieses Gesetz zu suggerieren, Sie hätten damit Beschäftigungssicherheit geschaffen. Wenn Sie sich diese Zahlen anschauen – Kollege Tischendorf

hat das teilweise schon ausgeführt; ich will das nicht wiederholen –, stellen Sie fest, dass die Entwicklung eindeutig ist. Reden Sie mit Betriebsräten, mit Verkäuferinnen und Verkäufern und denen, die in den Einrichtungen tätig sind, über die Arbeitsbedingungen! Diese sind teilweise katastrophal. Das sind Minijobs und geringfügige Beschäftigungen. Im Wesentlichen entsteht kein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz. Wenn Sie mit den Verkäufern reden, dann wird Ihnen gesagt, dass diese teilweise Vor- und Nacharbeitszeiten zu erfüllen haben, die gar nicht mit ihrem Lohn abgedeckt sind. Dafür bekommen sie nicht mehr Lohn, sondern das wird einfach so hingenommen.

Jeder, der am Sonntag arbeiten muss, wird dazu herangezogen, dass er natürlich für Montag das Geschäft vorrichtet und dass er das neue Sortiment einräumt. Es ist auch kein Einzelfall, dass dort Kolleginnen und Kollegen um 24 Uhr nach Hause kommen. Das ist Ihre Vorstellung. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Derjenige, der am Sonnabend nicht einkaufen kann oder will, wird es auch noch bis Montag schaffen, und der Vergleich mit dem Gesundheitswesen hinkt, und er zeigt, dass Sie das Kernproblem nicht verstanden haben.

Es geht im Kern beim Gesundheitswesen darum, dass jeder in diesem Land eine Versorgung für einen Krankheitsfall haben möchte. Aber wir müssen doch nicht ernsthaft unser Seelenheil davon abhängig machen, ob wir Sonntag das Brötchen oder die Wurst einkaufen, die wir auch hätten samstags kaufen können. Das ist doch der Unterschied. Das heißt, wir haben bestimmte Dinge, die wir vorhalten müssen, die gemacht werden müssen, und wir haben Dinge, die wir einfach nicht brauchen, auch nicht brauchen in unserem Kulturkreis, und dazu gehört es, den Sonntag zu einem beliebigen Arbeitstag zu machen.

(Torsten Herbst, FDP: Unfug!)