Protocol of the Session on September 2, 2010

Erstens. Wir müssen die Gefahren, die uns aus der Aufarbeitung der Finanz- und Wirtschaftskrise drohen, realistisch einschätzen: Wie wird sich die Konjunktur mittel- und langfristig entwickeln? Welche Auswirkungen hat die internationale Rekordverschuldung? Welche Struktur wird die Weltwirtschaft in Zukunft haben, und – das ist besonders wichtig – welche Position wird Deutschland und damit auch Sachsen einnehmen?

Zweitens. Wir müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Was muss sich in den internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen ändern? Wurden die Regeln ausreichend geändert oder machen wir weiter wie bisher?

Drittens. Wir müssen ausreichend Vorsorge treffen, um für unvorhersehbare Ereignisse gewappnet zu sein. Schon jetzt möchte ich deutlich sagen: Die Auswirkungen der Finanzkrise sind noch nicht abgearbeitet. Das bedeutet: Wir dürfen den sächsischen Haushalt nicht auf konjunkturpolitischem Sand bauen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die zweite grundlegende Rahmenbedingung ist der Rückgang der Transferleistungen. Dieser vollzieht sich einerseits direkt durch das stufenweise Auslaufen der Solidarpaktmittel. Ab dem Jahr 2020 werden wir aus dem Korb 1 bekanntlich nichts mehr bekommen, andererseits verläuft er indirekt und schleichend durch die Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Zu berücksichtigen sind außerdem die absehbaren Entwicklungen der Steuereinnahmen sowie die Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen.

Wir stehen einerseits vor der Aufgabe, mittelfristig bis 2019 einen stufenweisen Anpassungsprozess zu gestalten, andererseits müssen wir immer wieder mit unvorhersehbaren Einnahmenschwankungen rechnen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns wieder einmal daran erinnert, dass nicht alles im Leben planbar ist. Durch den Rückgang der Solidarpaktmittel wird der finanzielle Rahmen der sächsischen Haushalte Jahr für Jahr um rund 200 Millionen Euro kleiner. Die neuen Länder haben zurzeit durch zusätzliche Mittel des Solidarpakts II und von der Europäischen Union eine im Vergleich zu den alten Ländern überdurchschnittliche Finanzausstattung. Sie nutzen diese Mittel verantwortungsvoll für den Aufbau des Landes.

Im jüngsten Fortschrittsbericht konnten wir nachweisen, dass im Jahre 2009 die Solidarpaktmittel nicht nur vollständig für Investitionen eingesetzt wurden, sondern dass das Land zusätzlich eigene Mittel aufgewendet hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Nachweisquote von 128 % belegt, dass wir mit diesen Investitionen – ich betone das – gemeinsam mit den Kommunen auch einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise geleistet haben. Wir haben dann investiert, als es notwendig war. Wir haben investiert, als die Konjunktur einbrach, und damit die Wirtschaft wirkungsvoll unterstützt.

Bis zum Jahre 2020 schmilzt nun die überproportionale Mittelausstattung. Diese Mittel müssen daher so weit wie möglich für einen Aufholprozess eingesetzt werden. Damit ich die Dimension dieser Aufgabe deutlich machen kann, möchte ich es wiederholen: Nach Auslaufen der Osttransfers wird Sachsen über 3 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben.

Indirekte Auswirkungen auf die Transferleistungen hat vor allem die demografische Entwicklung. Bis zum Ende dieser Dekade werden in Sachsen nur noch rund 3,9 Millionen Menschen leben. Heute sind es rund 4,2 Millionen. Oder, um es bildlich auszudrücken: Wir

werden Einwohner in der Größenordnung einer Stadt wie Chemnitz verlieren – mit allen Menschen, allen Betrieben, allen Behörden und, und, und. Durch den Rückgang der Bevölkerung verliert der Freistaat Ansprüche auf Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich. Er wird jedes Jahr neu berechnet, deshalb ändert er sich ein klein wenig. Zurzeit sind das pro Einwohner rund 2 600 Euro; multipliziert mit 300 000 Menschen – jeder kann sich ausrechnen, wie viel Geld das dann weniger sein wird.

Eine schrumpfende und alternde Bevölkerung hat aber auch Auswirkungen auf das Erwerbsverhalten und damit auf die Steuereinnahmen. Außerdem kommt es durch die demografischen Veränderungen zu strukturellem Anpassungsbedarf. Wir müssen die Struktur der Verwaltung diesem Prozess anpassen.

In den sächsischen Ministerien macht man sich intensiv Gedanken, wie die Aufgaben und Strukturen den durch die demografischen Veränderungen gewandelten Anforderungen angepasst werden können. Ich kann hier leider nicht im Einzelnen darauf eingehen. Fest steht: Wir können uns bei weniger Einwohnern nicht den gleichen Verwaltungsaufwand leisten.

Im Verantwortungsbereich des sächsischen Finanzministeriums werden wir die Oberfinanzdirektion Chemnitz und das Landesamt für Finanzen zu einer Behörde, dem Landesamt für Steuern und Finanzen, zusammenlegen. Auch die Anzahl der Finanzämter werden wir spürbar reduzieren. Derzeit sind im Freistaat Sachsen 29 Finanzämter eingerichtet. Bereits in den nächsten zwei Jahren werden die Finanzämter Zwickau-Stadt und -Land sowie Dresden II und III zusammengelegt. Bisherige Überlegungen sehen langfristig noch 16 bis 18 Finanzämter vor.

Mittel- und langfristig ist weiterhin von einem rückläufigen Einnahmenniveau auszugehen. Dabei beeinflussen drei Haupteffekte die Entwicklung der Einnahmen: der Osttransfereffekt, der Bevölkerungseffekt und der Wachstumseffekt. Am Ende der Dekade – deshalb nenne ich diese Dekade auch gerne Transformationsdekade – müssen wir mit realen Gesamteinnahmen des Freistaates zu Preisen des Jahres 2010 von 12 bis 13 Milliarden Euro rechnen. Das bedeutet für Sachsen, dass wir bis zum Auslaufen der Solidarpaktmittel im Jahr 2020 den Anschluss an die bundesdeutsche Normalität geschafft haben müssen und mit einem Normalmaß an Einnahmen eines finanzschwachen westdeutschen Landes auskommen müssen.

Bereits im vorliegenden Entwurf des Doppelhaushaltes 2011/2012 müssen wir mit deutlich sinkenden Steuereinnahmen rechnen. Ich möchte unsere Berechnung hier noch einmal kurz erklären, um für die anstehenden Beratungen eine möglichst große Transparenz herzustellen.

Im Regierungsentwurf sind für die Jahre 2011 und 2012 deutlich weniger Steuereinnahmen unterstellt als im Soll 2010. Der Rückgang von 2010 auf 2011 beträgt 671 Millionen Euro. Diese Zahl wird später noch einmal eine Rolle spielen, wenn wir über die Kommunalfinanzen

sprechen werden. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass die Mai-Steuerschätzung Mehreinnahmen gegenüber der November-Steuerschätzung erbracht hat. Den Mehreinnahmen auf Landesebene im Vergleich zur Mai-Steuerschätzung gegenüber der November-Steuerschätzung stehen Mindereinnahmen auf kommunaler Ebene von rund 60 Millionen Euro pro Jahr im Vergleich zu den FAG-Ansätzen zum Stand November 2009 gegenüber. Daraus resultieren höhere Zahlungen der Landesebene an die kommunale Ebene im Rahmen des kommunalen Finanzausgleiches in Höhe von 201 Millionen Euro im Jahr 2011 und 174 Millionen Euro im Jahr 2012. Das heißt, der im Sächsischen Finanzausgleichsgesetz verankerte Gleichmäßigkeitsgrundsatz kompensiert in diesem Fall den Einnahmenrückgang auf der Gemeindeebene. Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz hat sich auch in der Krise bewährt. Er schafft Stabilität und Planungssicherheit für die Kommunen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das bedeutet gleichzeitig allerdings, dass zur Finanzierung von Landesaufgaben nur geringfügige Steuermehreinnahmen verbleiben.

Meine Damen und Herren! Im November dieses Jahres wird uns die nächste Steuerschätzung vorliegen. Wir werden sie ebenso gründlich und zuverlässig auswerten wie bisher. Wir werden dabei Zahlen und belastbare Prognosen zugrunde legen und uns nicht auf Vermutungen und Wunschdenken einlassen. Eine solide Finanzpolitik braucht eine realistische Zahlenbasis. Niemandem ist geholfen, wenn er sich auf zu optimistische Konjunkturprognosen einlässt und dann im Haushaltsvollzug die fehlenden Steuereinnahmen durch Haushaltssperren wieder hereinholen muss.

Neben der konjunkturellen Entwicklung wird das Steuereinnahmenniveau durch Änderungen des Steuerrechts beeinflusst. Ein aktuelles Beispiel ist das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für das häusliche Arbeitszimmer. Das Bundesverfassungsgericht hält die beschränkte Absetzbarkeit ab dem Jahr 2007 für nicht verfassungsgemäß. Die betroffenen Steuerpflichtigen erhalten demnach Steuerrückzahlungen. Bei der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2011 und 2012 haben wir dieses Risiko bereits berücksichtigt. Das Beispiel zeigt, dass es richtig war und ist, bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen dem Vorsichtsprinzip zu folgen, und daran werden wir auch weiterhin festhalten.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Haushalt verfolgt die Staatsregierung vier politische Ziele für Sachsen. Ich wiederhole:

Erstens – die Handlungsfähigkeit des Freistaates erhalten und, damit verbunden,

zweitens – strukturelle Maßnahmen einleiten,

drittens – für Generationengerechtigkeit zu sorgen und

viertens – die Innovationsfähigkeit Sachsens zu sichern.

Beleuchten wir zunächst einmal die Handlungsfähigkeit. Sachsen hält am Grundsatz seiner seit 20 Jahren erfolgreichen Haushaltspolitik fest, nämlich: Die Einnahmen bestimmen die Ausgaben, und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn aber die Einnahmen so außerordentlich zurückgehen wie in den nächsten Jahren, dann kommt es entscheidend darauf an, die Handlungsfähigkeit des Freistaates sicherzustellen. Aufgrund unserer vorsorgenden Haushaltspolitik haben wir dafür gute Voraussetzungen. Insgesamt sind im Regierungsentwurf zum Doppelhaushalt 2011/2012 rund 1,2 Milliarden und 1,4 Milliarden Euro weniger Einnahmen eingestellt als noch im Jahr 2010, das heißt 15,26 Milliarden Euro im Jahr 2011 und 15,1 Milliarden Euro in 2012.

Nach der Steuerschätzung im November 2009 sind wir noch von Mindereinnahmen von rund 1,7 Milliarden Euro ausgegangen. Die Einnahmenseite hat sich somit um 500 Millionen Euro verbessert. Dafür gibt es zwei Ursachen:

Zum einen gab es die schon erwähnte Erholung bei den Steuereinnahmen, und zum anderen haben wir dem Regierungsentwurf Einnahmen aus Rücklagen unterstellt. In beiden Jahren wurden zum Haushaltsausgleich Rücklagen verwendet, vor allem die Haushaltsausgleichsrücklage. Diese wurde in den Jahren 2007 und 2008 aus Steuermehreinnahmen gebildet und verfügt nach derzeitigen Prognosen noch über 250 Millionen Euro für die Jahre 2011 und 2012. Die Staatsregierung hatte sich dafür entschieden, die Haushaltsausgleichsrücklage nicht vollständig für den Vollzug 2009/2010 einzusetzen, sondern auch für den Doppelhaushalt, den wir jetzt beraten, nämlich 2011/2012.

Einnahmen aus Rücklagen sind jedoch grundsätzlich Einmaleffekte. Das bedeutet, dass wir einen Teil der dauerhaften laufenden Ausgaben mit Einmaleffekten finanzieren. Fällt diese vorübergehende Finanzierung in den Folgejahren weg – das wird so sein –, werden weitere Einsparungen notwendig sein.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch den beabsichtigten Garantiefonds für die ehemalige Sachsen LB ansprechen. Die Krise der Sachsen LB machte deren Veräußerung notwendig. Diese Veräußerung gelang allerdings nur, weil der Freistaat eine Garantie für einen Teil der Geschäftsrisiken in Höhe von 2,75 Milliarden Euro übernahm. Hierdurch wurde ein deutlich höheres Risiko abgewendet. Im Vergleich zu anderen Ländern ist Sachsen damit im Unglück recht glimpflich davongekommen.

Fakt ist, dass die Sachsen-LB-Garantie finanziell abgesichert werden muss. Die bisher zu verzeichnenden Ausfälle in Höhe von rund 34,5 Millionen Euro sind im Vergleich zur Gesamtgarantie moderat. Wir müssen aber von einem deutlichen Anstieg der Ausfälle ausgehen. Allerdings ist weder die Höhe noch der Zeitpunkt weiterer Zahlungsausfälle auch nur einigermaßen sicher prognosti

zierbar, denn letztlich kann eben niemand voraussehen, wie sich der US-Häusermarkt, der Euro-DollarWechselkurs oder auch die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln werden.

Wir haben zur Absicherung der Risiken in früheren Jahren bereits Vorsorge in Höhe von rund 958 Millionen Euro geschaffen. Die Staatsregierung verfolgt durch die Schaffung eines Garantiefonds zwei wesentliche Ziele: erstens größtmögliche Transparenz und zweitens Schutz des Haushaltes vor Überlastung. Wenn wir Garantieleistungen erbringen müssen, arbeiten wir damit – ich betone das jetzt – eine Rechtsverpflichtung ab, auf die weder der Landtag noch die Staatsregierung Einfluss haben.

Durch den Garantiefonds trennen wir diese Zahlung vom normalen Haushaltsvollzug, strukturieren die Zahlungsströme und machen die Belastung für den Freistaat langfristig planbar. Die im Haushalt verankerten Politikbereiche werden auf diese Weise vor kurzfristigen und unerwartet eintretenden Einflüssen geschützt. Sie erhalten damit Planungssicherheit. Gleichzeitig schaffen wir größtmögliche Transparenz, indem der Landtag über umfangreiche Informationsrechte verfügen wird.

Kommen wir nun zu den strukturellen Maßnahmen. Mit der Anpassung der Ausgaben an das verminderte Einnahmenniveau haben wir mit dem vorliegenden Regierungsentwurf begonnen. Die Einsparvorschläge sind schmerzhaft und werden in den nächsten Jahren weitergeführt werden müssen. Wir haben uns in all den Jahren an die Transferzahlungen gewöhnt. Nun müssen wir lernen, ohne diese auszukommen. Der sächsische Haushalt ist sozusagen auf Entzug.

Da alle Politikbereiche von den hohen Transferleistungen profitiert haben, ist es folgerichtig, dass die Einsparungen auch in allen Bereichen erfolgen. Um den Haushalt anzupassen, kommen zwei große Positionen als Ansatzpunkte infrage:

erstens die laufenden Ausgaben und hier vor allem die Personalkosten. Sie reagieren leider hauptsächlich zeitlich versetzt, das heißt, sie können nur mittel- und langfristig im Wege des Personalabbaus angepasst werden.

Zweitens Investitionen. Hier kann schnell reagiert werden, drastisch ausgedrückt durch einen Baustopp beispielsweise. Aber eine Senkung der Investitionsquote ist auf Dauer nicht nachhaltig.

Zunächst zum Personalabbau. Die Sächsische Staatsregierung betreibt seit jeher einen konsequenten Stellenabbau. So sank die Zahl der Stellen von über 117 000 im Jahr 1994 auf derzeit rund 87 000 Stellen. Dabei hat der Freistaat bereits rund 30 000 Stellen abgebaut. Diesen Weg wird die Staatsregierung weiter konsequent beschreiten. Ziel ist es, die Zahl der Landesbediensteten bis zum Jahr 2020 auf das Niveau der westdeutschen Flächenländer abzusenken. Das werden dann rund 70 000 Stellen sein. Dieses Ziel ist kein Selbstzweck.

Im Jahr 2020 wird Sachsen nach Auslaufen des Solidarpaktes lediglich über die Finanzkraft eines finanzschwa

chen westlichen Landes verfügen. Jeder Euro, der durch zu viel Personal gebunden wird, steht dann nicht mehr für andere Aufgabenzwecke zur Verfügung.

Mit dem Entwurf zum Doppelhaushalt haben wir bereits große Schritte auf dem Weg zur Anpassung an die Flächenländer West bis zum Jahr 2020 zurückgelegt; denn über dem bisher schon im Stellenabbau verankerten Stellenabbau haben wir in dem Haushaltsentwurf einen zusätzlichen Stellenabbau veranschlagt. Insgesamt sind im Doppelhaushaltsentwurf über 10 000 kw-Vermerke ausgebracht, und zwar für die nächsten zehn Jahre, davon rund 1 500 in den nächsten beiden Jahren.

Der im Doppelhaushalt verankerte neue Stellenabbau fällt nicht leicht. Er verlangt viel von den Bediensteten des Freistaates, aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Viele traditionelle Aufgaben und Dienstleistungen des Staates müssen kritisch hinterfragt werden. Zudem ist immer wieder und von Neuem eine höhere Effizienz und Effektivität anzustreben.

Trotz des Stellenabbaus besteht für alle Bereiche die Möglichkeit, in einem gewissen Umfang junge Menschen in die Verwaltung einzustellen, um deren Potenzial zu nutzen und einer Überalterung des Personals entgegenzuwirken.

(Beifall bei der CDU)