Protocol of the Session on June 16, 2010

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD – Zurufe der Abg. Thomas Jurk und Stefan Brangs, SPD)

Nun die FDPFraktion; Herr Abg. Herbst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der SPD ist die Vorfreude groß. Das kann ich auch verstehen.

(Zurufe der Abg. Thomas Jurk und Stephan Brangs, SPD)

Weniger verstehen kann ich das Sinnieren über Umfragewerte; denn wenn ich mich an die letzten beiden Landtagswahlen erinnere, dann war die SPD in den Umfragen immer ganz gut und zur Landtagswahl gab es jeweils den Reinfall.

(Zurufe der Abg. Sabine Friedel und Thomas Jurk, SPD)

Ich weiß nicht, ob es deutschlandweit noch eine SPDLandtagsfraktion gibt, die die gleiche Anzahl an Sitzen wie die FDP hat.

(Beifall bei der FDP – Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Das geht mitunter ganz schnell! – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Es ist schön, dass Sie über Bürgerarbeit diskutieren wollen, aber wenn Sie in der Hälfte Ihrer Rede den Wirtschaftsminister beschimpfen, trägt das nicht zu einer sachlichen Debatte bei.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Was Sie hier zum Thema Bürgerarbeit verkaufen wollen, ist eine Illusion. Es ist eine Illusion, dass Bürgerarbeit echte Arbeitsplätze schafft. Es ist auch eine Illusion, dass Bürgerarbeit dazu beiträgt, Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, und es ist erst recht eine Illusion, dass sich Bürgerarbeit am Ende für den Freistaat lohnt.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Also lassen wir es! – Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Wer sich die bisherigen Projekte anschaut, wird feststellen, dass diese Illusion wie eine Seifenblase zerplatzt ist. Es gibt zwar temporäre Erfolge, aber nachhaltig sind diese nicht.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Also lassen wir es!)

Das betrifft auch Bad Schmiedeberg, den wohl bekanntesten Ort, in dem das Modell Bürgerarbeit ausprobiert wurde. Dort stellt selbst eine Studie des IAB im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit fest, dass der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Bundestrend lag und dass die Statistik am Ende deshalb besser aussieht, weil die Bürgerarbeiter herausgefallen sind. Das ist doch keine wirkliche Reduzierung von Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Man kann natürlich sagen: Wir reduzieren die Arbeitslosigkeit dadurch, dass wir jeden in einem öffentlichen Beschäftigungsverhältnis anstellen. Aber das ist statisti

sche Augenwischerei, die in Wahrheit niemandem weiterhilft, auch nicht den Betroffenen.

Wenn man sich anschaut, wo noch Bürgerarbeit ausprobiert wurde und zu welchen Ergebnissen sie geführt hat, dann muss man feststellen, dass die Gesamtergebnisse umso ernüchternder sind. Schauen wir nach Weiden, nach Hof oder nach Coburg. Die Arbeitslosenquoten gingen überall kurzfristig zurück und stiegen im Verlauf der Projekte wieder an. Nachhaltig war nichts von alledem.

Einen Stundenlohn von 7,50 Euro sollen Bürgerarbeiter jetzt erhalten. Ich weiß nicht, ob Sie das Lohnniveau in Sachsen kennen und ob Sie gelegentlich in Unternehmen sind, zum Beispiel im Erzgebirge. Nicht alle unserer Unternehmen in Sachsen können diesen Stundenlohn zahlen.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Schlimm genug!)

Es gibt Wirtschaftswissenschaftler wie Prof. Ronny Schoeb von der FU Berlin oder Prof. Marcel Thum vom Ifo-Institut, die davor warnen, dass die Einführung eines Stundenlohnes von 7,50 Euro den Markt verzerren und zulasten der Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt gehen würde. Das kann doch auch die SPD nicht wollen, meine Damen und Herren.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Der freie Markt...)

Ich zitiere aus einer Studie des Ifo-Instituts Dresden: „Der Verdrängungseffekt der Bürgerarbeit darf nicht unterschätzt werden. Bei der Bürgerarbeit wird ein Bruttostundenlohn gezahlt, der über den Bruttostundenlöhnen für einfache Tätigkeiten in einigen ostdeutschen Branchen liegt. Über kurz oder lang wird sich eine Verlagerung von regulärer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt hin zu den staatlich finanzierten Tätigkeiten der Bürgerarbeit ergeben mit erheblichen Folgen für Arbeitsmarkt und Fiskus“, und zwar negative Folgen, meine Damen und Herren.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Führen Sie doch den Mindestlohn ein, dann ist die Sache klar!)

Wir brauchen andere Ideen und nicht die aufgewärmten Modelle aus der Mottenkiste. Daher, meine Damen und Herren, finde ich es gut, dass das Wirtschaftsministerium angekündigt hat, neue Schwerpunkte bei der Beförderung von Arbeitslosen und Benachteiligten zu setzen, und zwar dort, wo wir Landesmittel in die Hand nehmen. Es geht darum, den Menschen, die keinen Berufsabschluss haben, zu einem Berufsabschluss zu verhelfen.

(Zurufe der Abg. Stephan Brangs und Thomas Jurk, SPD)

Das ist schon einmal die Mindestqualifikation, um überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Ferner ist es wichtig, dass wir gezielt weiterqualifizieren, und zwar entsprechend der individuellen Fähigkeit maßge

schneidert unterstützen und keine Wolkenkuckucksheime in die Welt setzen, die am Ende den Betroffenen nicht helfen.

Es gibt sicherlich einzelne Fälle, in denen Menschen ihren Job verlieren und nur noch drei, vier Jahre bis zur Rente haben. Aber wenn wir ehrlich sind: Hier hilft auch kein arbeitsmarktpolitisches Instrument mehr, hier brauchen wir soziale Integration und keine Placeboprogramme, die viel Geld kosten, aber wenig bringen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Zurufe der Abg. Stephan Brangs und Thomas Jurk, SPD)

All das, was wir in Sachen Bürgerarbeit bisher gesehen und erlebt haben, hat die Praxistauglichkeit nicht bestanden.

(Karl-Friedrich Zais, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Wenn wir uns anschauen, welche Veränderungen es auf dem Arbeitsmarkt gibt – Stichwort demografischer Wandel, auch die zunehmende Nachfrage nach älteren Beschäftigten –, dann brauchen wir uns in einigen Jahren über den zweiten Arbeitsmarkt keine Gedanken mehr zu machen. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, den Fachkräftebedarf unserer Unternehmen zu sichern, damit wir in Sachsen keinen Standortnachteil erleiden?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Bitte schön, Herr Zais.

Herr Herbst, bevor wir uns weiter agitieren – Placebo hatten Sie gesagt –, hätte ich zwei Fragen. Die Statistik kann jeder so auslegen, wie er es möchte. Eine Statistik lässt das meistens zu.

Sind Sie der Meinung, dass trotz geschaffener Arbeitsplätze während der Konjunktur – diese sind auch nicht zurückgegangen, dazu könnte der Minister vielleicht noch etwas sagen – die Bedürftigkeit der in Arbeit Befindlichen zugenommen hat? Das ist meine erste Frage.

Die zweite Frage betrifft noch einmal den Antrag: Hat die FDP-Fraktion den Minister aufgefordert, eine Interessensbekundung für dieses Bürgerarbeitsprojekt von Frau von der Leyen abzugeben? Das interessiert mich nun sehr.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Diese Frage kann ich Ihnen ganz einfach beantworten: Nein, wir haben den Wirtschaftsminister nicht aufgefordert, eine Interessensbekundung abzugeben. Ich denke, dass der Wirtschaftsminister im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik und seiner Neuorientierung im Rahmen der Förderung Benachteiligter die richtige Politik macht. Dahinter stehen wir als FDPFraktion und die Koalition insgesamt.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Steffen Flath, CDU)

Zum Ersten. Natürlich widerspiegelt der Arbeitsmarkt die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen. Dass wir es trotz der schwierigen Zeiten, trotz der Auftragseinbrüche, trotz des Rückgangs des Bruttoinlandsproduktes um 5 % geschafft haben, dass die Arbeitslosigkeit nicht gestiegen ist, ist ein Verdienst der Unternehmen gemeinsam mit den Beschäftigten. Ich denke, wenn wir in die Zukunft schauen, werden wir erleben, dass sich Sachsen positiver als andere Bundesländer entwickelt, dass wir mehr Beschäftigungschancen schaffen und dass die Löhne in dem Maße steigen, wie sächsische Unternehmen erfolgreich sind und ihre Produktivität steigern.

Deshalb ist es unser Ansatz, den Arbeitsuchenden zu helfen, wieder Fuß im ersten Arbeitsmarkt zu fassen. Dafür wollen wir die Mittel, die wir haben, einsetzen. Sie sind begrenzt. Wir wissen, dass die Haushaltsmittel zukünftig weiter zurückgehen. Dieser Einsatz für den ersten Arbeitsmarkt, für neue Chancen, für Qualifizierung ist uns wichtiger als eine Neuauflage gescheiterer ABMModelle, auch wenn sie jetzt Bürgerarbeit heißen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Fraktion GRÜNE, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist im Großen und Ganzen schon eine recht erstaunliche Interessenvielfalt, die sich beim Thema Bürgerarbeit offenbart.

Auf der einen Seite haben wir die SPD als Antragstellerin, der das Konzept der Bürgerarbeit in der Vergangenheit nicht weit genug ging und die deshalb unseren Antrag, Drucksache 4/7724, aus dem Jahr 2007 mit dem Titel „Modellprojekt Bürgerarbeit für Sachsen in Anlehnung an das Modell von Bad Schmiedeberg“ ablehnte. Immerhin hat die SPD kurz darauf mit dem Kommunal-Kombi ein Programm vorgelegt,

(Unruhe bei der SPD und der FDP)

das von der Bürgerarbeit gar nicht so weit entfernt war. Leider aber hat das Programm Kommunal-Kombi die Zeit der SPD-Regierungsbeteiligung nur wenige Wochen überdauert. Das hat Kollege Brangs bereits angesprochen. Das Aus kam mit der Regierungsbeteiligung der FDP.