Protocol of the Session on May 20, 2010

tat es, wurde gewählt und hat – jetzt kommt das Beispiel – auf scheinbare Kleinigkeiten hingewiesen, die auch ich – Entschuldigung! – als Nichtbehinderter einfach nicht gesehen habe: Ein Auto parkt vor einem Geschäft und fährt dazu auf den Fußweg, weil der Fahrer den flüssigen Verkehr nicht mehr als nötig behindern will.

Herr Krasselt, ich bitte, dann zum Schluss zu kommen.

Das Ergebnis muss ich Ihnen nicht nennen: Die Frau mit Kinderwagen kann noch vorbei, er konnte nicht vorbei.

Trauen Sie bitte – das habe ich gestern schon gesagt – den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zu, dass sie vor Ort Regelungen finden, die das Leben der behinderten Menschen deutlich verbessern.

Herr Krasselt, Sie haben dann noch eine zweite Runde.

Allein mit Gesetzen und mit Aktionsplänen erreichen wir das nicht.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Als nächster Redner spricht der Abg. Wehner, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Herrmann, vielen herzlichen Dank an Sie und Ihre Fraktion, dass Sie diese Aktuelle Debatte für heute gewählt haben.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Sie haben darauf hingewiesen, dass die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung seit über einem Jahr in Deutschland völkerrechtlich verbindlich ist, und Ihre Debatte ist auch unter das Thema gestellt: „UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen – Landesaktionsplan jetzt initiieren“. Das möchte ich ausdrücklich unterstreichen und Herrn Krasselt diesbezüglich widersprechen. Wir halten einen solchen Aktionsplan für dringend erforderlich.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Denken Sie allein an die Veranstaltung, die wir gestern hatten, also an den Antrag von CDU und FDP, als es um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ging! Denken Sie an die Regierungserklärung, die wir heute zur Entwicklung des ländlichen Raumes gehört haben! Haben Sie da irgendetwas davon gehört, dass es auch um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und die Schaffung von Barrierefreiheit in diesem Raum geht? – Ich habe es nicht vernommen.

Ich glaube, es ist dringend erforderlich, dass wir uns sensibilisieren, sowohl hier im Haus – Herr Krasselt, Sie genauso wie ich – als auch alle anderen. Es geht nicht darum, einfach zu postulieren: Wir haben die Menschen im Blick. – Das reicht bei Weitem nicht, denn wir müssen Augenmerk auf die Fragen legen: Was müssen wir in diesem Land verändern, damit die Inklusion tatsächlich möglich wird? – Das macht Ihr gestriger Antrag nicht.

Es geht auch nicht, dass sich in der Staatsregierung der Bereich für Soziales und Verbraucherschutz allein verantwortlich sieht und Initiativen ergreift. Da müssen alle im Kabinett mitwirken, sowohl Kultus als auch der Bereich Umwelt und Landwirtschaft als auch der Bereich Wirtschaft und Arbeit, ja, der Ministerpräsident an allererster Stelle.

Meine Damen und Herren, es gibt einige Dinge, die mich richtig aufregen. Wir haben im Herbst vergangenen Jahres eine Initiative erlebt, die vom sächsischen Sozialministerium und den Beauftragten für die Belange der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen ausging. Dazu hat es eine Fachtagung zum Thema „Barrierefreier Tourismus“ gegeben, eine tolle Sache. Es waren in der Koordinierungsgruppe sehr viele beteiligt: Vertreter sowohl vom Wirtschafts- und Arbeitsministerium als auch aus dem Sozialministerium sowie die Behindertenverbände. Die Tagung hat stattgefunden.

Wer dort aber gefehlt hat, das waren ausreichend Vertreter aus dem kommunalen Bereich und das Hotel- und Beherbergungsgewerk. Vertreter von dort haben nur in minimaler Anzahl teilgenommen, obwohl sie ebenfalls dafür sensibilisiert werden sollten, dass Sachsen touristisch auch für Menschen mit Behinderungen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Europa zu erschließen ist. Da verschlafen wir ein paar Dinge. Das kann doch so nicht sein.

Wenn Sie dann einfach sagen: „Wir brauchen keinen Aktionsplan“, dann frage ich: Welche Instrumentarien wollen Sie denn dann wählen, wenn Sie nicht Schritt für Schritt an die Umsetzung dieser Konvention denken?

Zustimmen möchte ich Ihnen darin, dass Sie sagen: Okay, wir müssen die Bestandsaufnahme machen, wir müssen eine Bewertung der vorhandenen Dinge vornehmen. – Dazu brauchen Sie aber auch den Aktionsplan. Schauen Sie beispielsweise die Bildung an. Die Bildung geht über alle Lebensabschnitte, es beginnt im Vorschulalter. Wir haben integrative Kindertagesstätten, aber die Umsetzung des Bildungsplanes gilt nicht umfassend für die Menschen mit Behinderungen im Kindesalter. Auch da müssen wir doch ansetzen, damit sich dort etwas verändert.

Aus den integrativen Kindertagesstätten geht es in den schulischen Bereich hinein. Ja, welche Schule, welche Regelschule ist denn im Freistaat Sachsen überhaupt barrierefrei? Wenn Sie über Sanierung und über Fördermittel sprechen, denken Sie auch nicht immer daran, dass die Schulen barrierefrei werden sollen. Es gibt auch Tricks, um Gelder zu bekommen. Da wird einfach ein

WC in der ersten Etage untergebracht, aber in die Schule kommt man nicht hinein, weil dort Treppen sind.

Herr Wehner, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, vielleicht müssen wir darüber noch einmal reden. Ich glaube, die Bestandsaufnahme ist nur über einen solchen Aktionsplan möglich, und da sollten auch Sie von der Koalition mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Als nächste Rednerin spricht die Abg. Frau Kliese für die SPD-Fraktion.

Frau Kliese, bevor Sie zu sprechen beginnen: Ich habe gesehen, dass Sie ein ausgearbeitetes Redemanuskript mit kompletten Sätzen haben.

Das stelle ich Ihnen gern zur Verfügung, dann können Sie es sich später noch einmal durchlesen.

Ich möchte mir das nicht durchlesen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen, dass die von den Abgeordneten gegebene Geschäftordnung es nicht zulässt, in der Aktuellen Debatte mit ausgearbeiteten Schriftsätzen zu agieren. Ich freue mich sehr, dass Sie Ihre Rede jetzt frei halten werden, und bin auch sehr gespannt, was Sie uns berichten werden. Sie haben das Wort.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie den Begriff Menschenrechtsverletzung hören, woran denken Sie? Sie denken vielleicht an Tibet, vielleicht an Kolumbien, vielleicht an den Iran. Ich denke aber manchmal auch an Wladimir Putin – schade, dass Herr Tillich jetzt nicht da ist. Auf jeden Fall denken Sie nicht in erster Linie an Sachsen. Dabei finden in Sachsen Menschenrechtsverletzungen statt, und das jeden Tag. Ich spreche hier von der Verletzung von Rechten von Menschen mit Behinderungen. Auf welche Art und Weise geschieht das? Rechte von Menschen mit Behinderungen werden verletzt, indem wir zum Beispiel Kinder mit Behinderungen gesondert beschulen, weil es in dem Wohngebiet, in dem sie leben, oder in ihrer Gegend keine barrierefreien Schulen gibt. Überlegen Sie sich doch einmal, wie viele Grund- und Mittelschulen in Ihrem Wahlkreis rollstuhlgerecht oder barrierefrei sind.

Das geschieht zum Beispiel auch dadurch, dass wir nicht ausreichend barrierefreie Verkehrsmittel, nicht ausreichend behindertengerechte Wohnungen zur Verfügung

stellen oder indem wir durch mangelnde ambulante Betreuungsangebote Menschen mit Behinderung geradezu zwingen, in eine Heimbetreuung zu gehen. Das alles sind Menschenrechtsverletzungen, und das sollten wir uns bewusst machen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die UN-Behindertenrechtskonvention entstand in einem beispielgebenden Prozess unter fortwährender Beteiligung der Organisationen und Verbände. Das Motto „Nichts über uns ohne uns“ wurde auf vorbildliche Weise umgesetzt. Es ist nun an uns, diese Arbeit fortzusetzen. Ich sage ganz bewusst „an uns“, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, denn ein gesellschaftlicher Wandel braucht weitaus mehr als parlamentarische Mehrheiten. Er lässt sich nicht politisch diktieren, doch er kann in jedem Fall politische Inspirationen erhalten.

Eine solche Inspiration, einen solchen Anstoß hat zum Beispiel das Land Rheinland-Pfalz gegeben, indem es einen vorbildlichen Maßnahmenplan verfügt hat, der eine Umsetzung der UN-Konvention für das Land RheinlandPfalz in kurzer Zeit möglich machen wird. Einen solchen Plan brauchen wir auch in Sachsen, und wir können es uns nicht leisten, darauf zu verzichten.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ich bedaure übrigens sehr, dass nicht alle Minister zu diesem wichtigen Punkt anwesend sind, denn das Thema Politik für und mit Menschen mit Behinderungen beschränkt sich nicht auf Sozialpolitik. Politik für und mit Menschen mit Behinderungen umfasst alle Bereiche des Lebens. Wenn Sie die Konvention gelesen und verinnerlicht haben, dann werden Sie wissen, was ich meine. Menschen mit Behinderungen sind keine Patientinnen und Patienten. Sie sind Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind nicht für ihre Defizite zu bedauern. Sie sind Quell der Bereicherung für unsere Gesellschaft.

Für diejenigen hier im Raum, die die Konvention nicht gelesen haben, möchte ich ein paar praktische Fragen stellen, damit sie den Geist der Konvention ein bisschen besser verstehen können und die Diskussion nicht so abstrakt verläuft.

Überlegen Sie sich einmal, wie viele Menschen Ihr letztes Wahlprogramm nicht lesen konnten, weil Sie es nicht in Brailleschrift oder als Hördokument verfasst haben.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Haben wir gemacht!)

Denken Sie einmal darüber nach, wie viele Menschen diese für sie sehr wichtige Debatte heute nicht verfolgen können, weil neben mir kein Gebärdensprachdolmetscher steht. Denken Sie einmal darüber nach, wie viele Veranstaltungen Sie nicht für alle Menschen zugänglich machen, indem Sie diese nicht in barrierefreien Räumen stattfinden lassen. Überlegen Sie sich einmal, wie viele

Menschen die politischen Inhalte auf Ihrer Website nicht verstehen können, weil Sie sie nicht in leichter Sprache verfasst haben.

Das alles sind Fragen, die Sie sich häufiger in Ihrer politischen Arbeit stellen sollten. Ich habe eine gute Nachricht an die Staatsregierung: Dieser Prozess des Umdenkens kostet uns keinen Cent.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion spricht die Abg. Frau Jonas.