Protocol of the Session on May 20, 2010

Herr Kind, trotzdem muss ich zu dem, was Sie vorhin ausgeführt haben, sagen, dass Sie unrecht haben. Die Zahlen einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln legen einen anderen Schluss nahe. Dort heißt es: „38 % der Deutschen im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 15 und 64 Jahren, waren im Jahr 1998 abhängig unbefristet vollzeitbeschäftigt.“

Hätte nun die Zeitarbeit diese Stellen verdrängt, müsste heute ein kleinerer Anteil der Bundesbürger in dieser Art Beschäftigung zu finden sein. Das ist aber nicht der Fall. Zehn Jahre später waren immer noch 38 % der Deutschen

im erwerbsfähigen Alter in solchen normalen Jobs beschäftigt. Verdrängung sieht anders aus.

(Beifall bei der FDP)

Nun ist die Frage, was die vielen Zeitarbeiter denn vorher gemacht haben, da der Anteil derer, die in normalen Jobs arbeiten, nicht weniger geworden ist. Wieder ist ein Blick auf die Zahlen des DIW Köln aufschlussreich. 1998 waren 26 % der Deutschen im erwerbsfähigen Alter nicht erwerbstätig. Zehn Jahre später sind es nur noch 20 %. Mehr als 60 % der Zeitarbeiter waren zuvor arbeitslos. Klar ist, Zeitarbeit verdrängt keine Jobs. Zeitarbeit schafft Jobs. Dieses wirkungsvolle Instrument wollen wir weiter nutzen, ohne ihm die Wirkung zu nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Nun möchte ich nicht sagen, dass Zeitarbeit der Himmel auf Erden ist. Es sind Einzelfälle bekannt geworden, in denen Angestellten gekündigt wurde, um dann über eine konzerneigene Zeitarbeitsfirma zu ungünstigeren Konditionen an den vorherigen Arbeitgeber verliehen zu werden. Schlecker ging durch die Presse als schuftiger Brachialkapitalist. Glücklicherweise sind dies Einzelfälle. Aber ich möchte sie nicht wegreden, denn diese Exzesse sind nicht in Ordnung.

(Zuruf des Abg. Thomas Kind, Linksfraktion)

Gewerkschaften und Arbeitgeber haben sich bereits darauf verständigt, diesen Missstand anzugehen. Ich schlage also vor, bis Ende des Jahres abzuwarten, wie sich die neuen Tarifverträge, die in Kraft sind, bewähren. Gesetzgeber sollten erst dann eingreifen, wenn es den Tarifparteien eben nicht gelingt, sich zu einigen. Konkret heißt das, die drei großen Arbeitgeberverbände haben die konzerninterne Verleihung per eigenen Tarifvertrag ausgeschlossen. Das heißt, das Equal-Pay-Prinzip für konzerninterne Verleihung tritt hier voll in Kraft. Das würde jeglichen Anreiz für diesen Drehtüreffekt, von dem Sie sprachen, ad absurdum führen. Wir als Gesetzgeber sollten wirklich erst dann eingreifen, wenn es den Tarifparteien nicht gelingt, sich zu einigen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie sich jetzt hinstellen und höhere Löhne fordern, müssen Sie aber auch so ehrlich sein und sagen, für wen und zu welchem Preis. Denn nicht die Facharbeiter, die Ingenieure, die ausgebildeten Mitarbeiter, sind diejenigen, die betroffen sind, sondern die Einzigen, die von einem überhöhten gesetzlichen Mindestlohn betroffen wären, sind Helfer für die einfachsten Arbeiten. Die Wertschöpfung dieser kleinen Gruppe lässt höhere Lohnkosten kaum verkraften. Herr Brangs, Sie sprachen davon, dass jeder achte Leiharbeiter einen Zuschuss bekommt. Selbst wenn diese Zahl stimmen würde, muss man noch berücksichtigen, wie die persönliche Lebenssituation ist. Aber selbst Ihre Zahl zeigt, dass es nur ein ganz kleiner Anteil ist. Das heißt, der Preis für höhere Löhne ist, dass Leiharbeit für die Unternehmen unattraktiver wird.

(Thomas Kind, Linksfraktion: Das hat Ihre Regierung gesagt!)

Weniger Arbeiten würden entliehen und es würden weniger Menschen angestellt. Höhere Löhne ohne gleichzeitige Steigerung der Produktivität, und das ist bei Helfersarbeit fast unmöglich, führen zu Arbeitsplatzverlust. So viel Ehrlichkeit muss sein.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Thomas Kind, Linksfraktion)

Das Instrument der Zeitarbeit ist für Sachsen bedeutend. Es ermöglicht den Unternehmen, flexibel am Aufschwung teilzunehmen, und es schafft Arbeitsplätze. Weitsichtige Unternehmen haben in der Krise ihre Stammbelegschaft behalten und jetzt, da es einen leichten Aufschwung gibt, stellen Zeitarbeitsfirmen als Erste wieder Arbeitskräfte ein. Die Krise hat die Unternehmen verunsichert und gerade jetzt sind flexible Lösungen umso wichtiger.

Daher werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das war Herr Hauschild für die Fraktion der FDP. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Jennerjahn. Herr Jennerjahn, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Von der Finanz- und Wirtschaftskrise war die Leiharbeitsbranche in besonderem Maße betroffen. Bei den Verleihbetrieben standen im Juni 2009 bundesweit insgesamt circa 530 000 Leiharbeitnehmer unter Vertrag. Das sind rund ein Viertel weniger als noch im Sommer 2008. Der Rückgang der Zahl der Leiharbeitnehmer betraf dabei in erster Linie die Bereiche Metall und Elektro sowie Hilfstätigkeiten. Mehr als vier Fünftel des Beschäftigungsrückgangs gehen auf diese Bereiche zurück. Das ist auch – wenn man sich das anschaut – nicht unbedingt verwunderlich, denn die Zeitarbeit reagiert frühzeitig auf konjunkturelle Veränderungen. Daher waren dort eher als in anderen Branchen saisonbereinigte Beschäftigungsrückgänge zu verzeichnen.

Fungiert die Zeitarbeit im Aufschwung als Motor für den Beschäftigungsaufbau, so ist sie in einer Abschwungphase der Sektor, in dem die Wirtschaftskrise früh ihre Spuren hinterlässt. Vor der Entlassung der Stammbelegschaft wird in den Unternehmen die Inanspruchnahme von Zeitarbeit reduziert.

Meine Damen und Herren! Dieser Exkurs auf die Entwicklung der Branche ist notwendig, um noch einmal deutlich vor Augen zu führen, welche Bedeutung die Forderungen im Antrag der SPD sowie in unserem GRÜNEN-Änderungsantrag haben. Und noch etwas darf an dieser Stelle nicht unter den Tisch gekehrt werden: Die Zeitarbeit wurde in den vergangenen Jahren zunehmend

für Lohnabsenkung und den Abbau von Stammpersonal missbraucht.

Aktuelle Untersuchungen sprechen von Substitutionseffekten durch Zeitarbeit in mehr als einem Viertel der Unternehmen. Wer das leugnet, wird noch einmal die Quellen offenlegen müssen. Das viel zitierte Beispiel Schlecker werde ich jetzt nicht noch einmal anbringen. Es war schon mehrfach Gegenstand der Debatte, aber es ist das prägnanteste Beispiel für – wie gesagt – rund ein Viertel der Unternehmen. Die Folgen daraus sind sowohl für die Betroffenen als auch für den Staat fatal. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiten fast 10 % derjenigen, die trotz Vollzeitbeschäftigung zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen, in der Zeitarbeit. Diese machen eine große Gruppe in der Zahl der Aufstocker aus. Es gibt Lohnabstände von 30 bis 50 %, in einigen anderen Branchen sogar bis zu 60 % zu den Beschäftigten in der Stammbelegschaft.

Im Zeitraum zwischen Juni 2008 und Mai 2009 kostete dieses ergänzende Arbeitslosengeld II für Beschäftigte in der Zeitarbeit deutschlandweit 531 Millionen Euro. Mit dieser gewaltigen Summe subventioniert der Staat indirekt die niedrigen Löhne der Branche.

Meine Damen und Herren! Damit wir uns an dieser Stelle nicht falsch verstehen: Trotz dieser Probleme wollen wir Zeitarbeit natürlich nicht unmöglich machen. Sie bietet Flexibilitätsvorteile, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen unverzichtbar sind. Gerade die kleinen Unternehmen benötigen kurzfristig verfügbares Personal, um Auftragsspitzen zu bewältigen. Außerdem – auch das ist schon angeklungen – bietet die Zeitarbeit denjenigen eine Chance, die vorher keine Beschäftigung ausübten, also Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, Berufseinsteiger oder eben auch Berufsrückkehrer.

Aber: Zeitarbeit muss wieder zu einem verträglichen Instrument für die Wirtschaft und die Beschäftigten gemacht werden. Die Forderungen aus dem vorliegenden Antrag der SPD sind meines Erachtens dazu geeignet, zusammen mit unserem GRÜNEN-Änderungsantrag die Voraussetzungen dafür zu schaffen, auch die jetzt schon verantwortlich agierenden Unternehmen der Branche zu stärken und eben denen Einhalt zu gebieten, die den Ruf der Zeitarbeitsbranche beschädigt haben. Darum werden wir dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen und bitten natürlich auch unsererseits um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte noch einige Worte zur Stellungnahme der Staatsregierung. Auf die hatte ich mit besonderer Spannung gewartet und ich bin auch diesmal nicht wirklich enttäuscht worden. Sie ist wiederum ein weiteres Meisterstück aus der Kategorie: Es gibt zwar keine dummen Fragen, aber dumme Antworten. In Forderung eins ging es um den begrenzten Einsatz von Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern in Unternehmen und nicht um eine Begrenzung der Beschäftigung bei Zeitarbeitsunternehmen. Niemand will, dass Beschäftigte nur

für die Dauer des Einsatzes bei einem Verleihbetrieb beschäftigt werden dürfen. Darum geht es hier auch gar nicht. Nebulös ist auch die Antwort auf Ziffer 5. Schließlich gibt es durchaus Doppelzuständigkeiten zwischen den Betriebsräten von Verleih- und Entleihunternehmen. Auch der Betriebsrat im Entleihunternehmen ist teilweise zuständig für Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter. Deswegen ist die Forderung, dass Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter bei der Berechnung der Größe des Betriebsrates des Entleihunternehmens mitgezählt werden, absolut berechtigt.

Sehr geehrter Herr Staatsminister Morlok! Ich bitte Sie inständig, nehmen Sie endlich auch die Arbeitsmarktpolitik als Schwerpunkt Ihres Ministeriums zur Kenntnis.

(Beifall des Abg. Karl-Friedrich Zais, Linksfraktion)

Die anderen Staatsministerien können Ihnen schließlich nicht alle Themen abnehmen, denen Sie sich nicht gewachsen fühlen.

Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Jennerjahn. – Für die Fraktion der NPD spricht Herr Abg. Delle. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Branche der Zeit- und Leiharbeit boomt. Für uns als Nationaldemokraten bedeutet dieser Aufschwung keinerlei Freude. Er bedeutet im Wesentlichen nämlich zweierlei. Die Bundesagentur für Arbeit kann ihre Arbeitslosenstatistik schönen und die frohe Kunde „sinkende Arbeitslosenzahlen“ verkünden. De facto werden aber feste, sichere, reguläre und anständig bezahlte Arbeitsplätze zugunsten von Beschäftigungsformen vernichtet, die man getrost als modernen Sklavenhandel bezeichnen kann.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der Leiharbeiter innerhalb von zwölf Jahren von 180 000 auf nunmehr rund 750 000 vervierfacht. Immer häufiger gehen Firmen dazu über – das ist der eigentliche Skandal in der Sache –, fest angestellte Arbeitnehmer durch Leiharbeiter zu ersetzen. Nicht selten werden dabei ehemalige Festangestellte, denen gekündigt wurde, als Leiharbeiter angestellt – natürlich zu deutlich schlechteren Konditionen.

Diesen schleichenden Austausch von tariflich bezahlten, sozial und arbeitsrechtlich voll abgesicherten Arbeitskräften durch Not leidende, den Zwängen des neoliberalen Wirtschaftssystems hilf- und schutzlos ausgelieferte Arbeitsnomaden kann man nur noch als arbeitsmarktpolitischen Skandal bezeichnen.

Auch wenn es heute schon häufig genannt wurde, möchte ich trotzdem noch kurz das Beispiel von Schlecker erwähnen und vielleicht noch ein paar ausführlichere Sätze dazu machen, weil es wirklich so pervers ist, dass man es

den Menschen hier im Land noch einmal vergegenwärtigen muss.

Die Drogeriekette Schlecker ist gerade dabei, kleinere Filialen zu schließen und sich auf sogenannte XL-Märkte zu konzentrieren. So weit, so gut. Allein im Jahr 2009 hat Schlecker rund 1 000 kleinere Niederlassungen dicht gemacht und dafür 250 XL-Märkte eröffnet. Jetzt kommt es aber: Für diese neuen Märkte besorgte sich Schlecker über die Zeitarbeitsfirma Meniar das Personal, das häufig schon zur alten Stammbelegschaft gehörte. Statt 12,70 Euro bekommen nun diese alten neuen Beschäftigten aber nur noch knapp die Hälfte, nämlich 6,78 Euro und selbstredend entfallen dabei natürlich auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Wenn das kein Skandal ist, meine Damen und Herren, dann frage ich mich, was dann einer sein soll. Den großen Reibach hingegen macht Meniar, die für die Leiharbeiter eine fette Vermittlungsprovision kassieren.

Nun wollen uns vor allem die CDU und die FDP weismachen, durch diese Masche würde es sich um ein Sprungbrett in die Arbeitswelt handeln. Fakt ist jedoch, dass 70 % aller Zeitarbeitnehmer weniger als drei Monate beschäftigt sind und rund 90 % eben nicht durch den jeweiligen Kunden in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Die unter Leiharbeitervertrag stehenden Arbeiter müssen sich im Gegensatz zu den verbliebenen fest angestellten Kolleginnen und Kollegen stattdessen mit einer erheblichen Beschneidung ihres Nettolohnes, der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge, des Urlaubsanspruches und des Kündigungsschutzes abfinden.

Nun ist es erfreulich, dass auch die SPD eingesehen hat, welche sozialen Probleme und zerbrochenen Erwerbsbiografien das grassierende Leiharbeiterunwesen mit sich bringt. Ob dies echter Überzeugung entspricht, sei einmal dahingestellt. Fakt ist nämlich, dass nicht etwa SchwarzGelb, sondern die frühere rot-grüne Regierung unter Schröder und Fischer das Einfallstor für die Leiharbeiterversklavung erst geschaffen haben.

Und wenn hierzu ein paar selbstkritische Worte von Herrn Brangs kamen, so möchte ich ihm folgende Ausführungen nicht ersparen. Das Perfide an der damals eingeführten Regelung sieht nämlich wie folgt aus: Zwar schreiben sowohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz als auch die EU-Leiharbeiterrichtlinie den Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitern mit dem Stammpersonal ausdrücklich vor, doch Rot-Grün baute im Interesse der großen Konzernlobby eine Ausnahmeklausel in das Gesetz, die sich jetzt in der Leiharbeiterrichtlinie der Europäischen Union wiederfindet. Danach gilt der Grundsatz der gleichen Bezahlung eben nicht, wenn in Tarifverträgen abweichende Vereinbarungen festgeschrieben wurden.

In der Praxis hat diese Ausnahmeklausel drastische Auswirkungen. Aus der Ausnahme wurde leider wieder einmal die Regel. Die große Mehrheit der Leiharbeiter wird nämlich nach einem solchen Sondertarif bezahlt und nicht gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Wir als NPD fordern deshalb schon seit Langem, dass der Lohn eines Zeitarbeiters bei gleicher Qualifikation und Ausbildung dem eines fest angestellten Kollegen anzugleichen ist. Wir fordern ebenso, dass es keine Unterschiede im Kündigungsschutz geben darf. Wir fordern eine gesetzlich festgeschriebene Übernahmeregelung für Leiharbeiter in eine Festanstellung nach angemessener Frist, und wir fordern eine Sondersteuer für Unternehmen, die regelmäßig für längere Zeiträume Leiharbeiter für sich arbeiten lassen. Zu guter Letzt fordern wir natürlich einen gesetzlichen Mindestlohn auch für Zeitarbeiter.

Nur durch eine massive Einschränkung des Leiharbeiterunwesens lässt sich diese Lohnsklaverei eindämmen. Wir werden dem Antrag und auch dem Änderungsantrag zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Die erste Runde der Stellungnahmen der Fraktionen zum SPD-Antrag ist beendet. Ich frage zunächst die Staatsregierung, ob sie jetzt schon sprechen möchte. – Das ist nicht der Fall.