Protocol of the Session on July 9, 2014

Wichtig finden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Weiterentwicklung des Blickfeldes auf die sowjetische Besatzungszeit. Meines Erachtens ist das auch unter dem Titel „SED-Diktatur“ möglich. Deswegen haben wir mit dem Titel nicht so große Probleme. Die Zeitzeugen aus diesem düsteren Kapitel werden langsam rar. Es wird höchste Zeit, den Fokus auf diese oftmals sehr gewalttätige Phase der frühen Nachkriegszeit zu rücken.

Es gibt aus der Zeit der SBZ viele vergessene Schicksale. Ein Schicksal ist das des Sozialdemokraten Willy Jesse. Er wurde nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED zum Funktionär in der SED erhoben, dann aber wegen seiner fortdauernden sozialdemokratischen Gesinnung 1946 verhaftet und vier Jahre in Untersuchungshaft festgehalten. Es folgten zehn Jahre Gulag. Danach zog Willy Jesse in die Bundesrepublik. Er war noch einige Jahre für die SPD Lübeck tätig, bevor er sich das Leben nahm. Solche Biografien sind kaum bekannt und könnten durch eine Erweiterung des Fokus besser bearbeitet werden.

Eine weitere Neuerung besteht darin, dass der Beauftragte den Opferverbänden hilfreich zur Seite stehen soll. Hierin sehen wir eine sehr wichtige und eine sehr umsichtige Festlegung. In den Opferverbänden arbeiten oftmals hochtraumatisierte Menschen, bei denen politische Repressionen des SED-Regimes tiefe Spuren hinterlassen haben. Diese Menschen brauchen in ihrer ehrenamtlichen Arbeit Unterstützung, wie etwa beim Schreiben von Förderanträgen, beim Ausrichten von Großveranstaltungen und Ähnlichem. Es ist gut, dass sie nicht allein bleiben sollen.

Kurzum: Wir begrüßen die Initiative ausdrücklich und stimmen in allen Punkten zu. Wir bedauern sehr, dass die CDU-Fraktion das nicht tun kann. Die Argumente für die Ablehnung sind eher dünn bzw. gab es ein Hauptargument, was speziell mit der FDP bezeichnet wurde. An dieser Stelle kann ich nur an die FDP-Fraktion gerichtet sagen: Wer in Sachsen auch in Zukunft noch Verantwortung übernehmen möchte, der sollte wissen, wie er mit der Vergangenheit Sachsens umgeht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Am Wochenende, sehr verehrte Damen und Herren, gab es ein sehr interessantes Interview auf „Deutschlandradio Kultur“ mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für Stasiunterlagen. Ich empfehle Ihnen, dieses Interview nachzuhören, weil er viele Aspekte der heutigen Disskussion aufgreift. Ich möchte meine Rede mit einem Satz von Roland Jahn aus diesem Gespräch beenden: „Der Blick in die Diktatur schärft unsere Sinne, um zu erkennen, wo Freiheit auch heute in Gefahr ist.“

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Biesok, bitte, für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Gerstenberg, ich bedauere es außerordentlich, dass Sie politische Schärfe in diese Diskussion gebracht haben, zu der wir eine politische Auseinandersetzung um die Sache hätten führen müssen.

Wir als FDP-Fraktion haben uns sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, wie es mit dem Stasiunterlagenbeauftragten weitergehen soll. Es ist keineswegs so, dass wir uns gegen eine Veränderung verwehren. Wir sind in der Analyse auch weitgehend mit Ihnen einig. Wir haben gesehen, wie häufig der Stasiunterlagenbeauftragte in der Vergangenheit kontaktiert wurde. Er hatte bislang mindestens 1 250 Gespräche geführt, meistens mit Betroffenen, die selbst Opfer von Stasimachenschaften geworden sind. Er hat sie beraten, er war für sie da.

Wir sehen die Veränderung, die sich daraus ergibt, dass die Generation, die selbst von der Stasidiktatur betroffen war, älter wird, sich irgendwann nicht mehr mit ihren eigenen Anliegen an den Beauftragten wenden kann und an die Stelle dessen ein höherer Bildungsauftrag gelten muss, um das, was gewesen ist, an die Generation zu vermitteln, die es nicht mehr aus eigenem Erleben beurteilen kann.

Wir müssen überlegen, wie wir mit dieser Situation umgehen und wo man den Stasiunterlagenbeauftragten ansiedelt. Das ist die institutionelle Frage. Ferner müssen wir uns fragen, was er inhaltlich machen soll. Auch in der inhaltlichen Analyse sind wir uns weitestgehend einig. Auch wir sind der Auffassung, dass sich der Stasiunterlagenbeauftragte breiter aufstellen soll und sich nicht allein auf die Stasimachenschaften beziehen sollte, sondern auf all das, was zu dem Repressionssystem in der ehemaligen DDR dazugehört hat, unter dem die Menschen gelitten haben, unter dem sie ihrer Freiheit beraubt worden sind und von dem sie heute noch traumatisiert sind.

Das will ich nicht nur an der Stasi festmachen. Wir sind uns auch einig, dass wir diese Inhalte an junge Generationen vermitteln müssen, damit dieses Wissen nicht verloren geht und dies nicht nur ein Punkt im Geschichtsbuch ist, den man einfach mal auswendig lernt nach dem Motto „Da gab‘s mal was!“, sondern dass man damit authentisch

etwas verbinden kann. Diesbezüglich haben wir in den neuen Bundesländern eine ganz besondere Verantwortung. Dort, wo es auseinandergeht, ist die Frage: Sollte man den Stasiunterlagenbeauftragten verselbstständigen? Sollte man ihn höher ansiedeln als er es jetzt ist, oder sollte man eine besondere, eine neue Konstellation suchen?

Wir halten es für falsch, dem Stasiunterlagenbeauftragten die gleiche Position zuzuweisen wie sie der Datenschutzbeauftragte hat. Das ist der einzige Dissens, den wir haben. Herr Dr. Gerstenberg, wenn Sie glauben, dass man sich bei einer solchen Frage politisch profilieren kann und dass es für uns eine Frage der Profilierung ist, wie wir in der Öffentlichkeit auftreten, dann haben Sie nichts, aber auch gar nichts kapiert. Uns geht es darum: Wie kommen wir bei diesem sehr sensiblen Thema, über das wir im Landtag schon häufig diskutiert haben, zu einer bestmöglichen Lösung, und wie gehen wir damit für die Zukunft sachgerecht um? Das ist unser Anliegen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Prof. Besier hat zitiert, was ich im Ausschuss gesagt habe. Ich sage das gern noch einmal: Wir müssen uns überlegen, wie man die Funktion des Stasiunterlagenbeauftragten mit einem erweiterten Spektrum der Zuständigkeit, mit einem erhöhtem Bildungsauftrag am besten einordnet. Meines Erachtens: nicht dort. Man muss sich überlegen, ob er nicht vielleicht bei der Landeszentrale für politische Bildung gut aufgehoben ist, und zwar mit einer herausgehobenen Funktion – nicht als Referent –, mit der eine deutliche Aufwertung seiner Aufgaben erfolgt, er aber auch die Möglichkeiten hat, seine Bildungsarbeit, besonders für junge Menschen, gut zu machen.

Junge Menschen kommen nicht in den Landtag, um mit dem Stasiunterlagenbeauftragten zu sprechen, aber die Landeszentrale für politische Bildung hat erhebliche Möglichkeiten, politische Bildung im Freistaat Sachsen zu machen. Das wäre meiner Ansicht nach eine gute Ansiedlung.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Auch wenn im Moment der Stasiunterlagenbeauftragte von einem FDP-geführten Ministerium ressortiert – daran hängen wir nicht. Wir möchten, dass die Informationsvermittlung und die Arbeit gut funktionieren. Dafür möchten wir die richtige Lösung suchen.

Wenn es Konsens zwischen den anderen Fraktionen war zu sagen, wir möchten den Stasiunterlagenbeauftragten als Beauftragten des Landtages in die gleiche Funktion heben wie den Datenschutzbeauftragten, dann halte ich es für legitim für eine demokratisch gewählte Fraktion zu sagen: Wir teilen die Analyse, aber wir ziehen andere Konsequenzen daraus, und deshalb wollen wir diesen Weg nicht mitgehen.

Marko Schiemann sagte, dass es eine der vordringlichsten Aufgaben ist, uns in der nächsten Legislaturperiode damit zu beschäftigen. Vielleicht braucht es auch noch etwas

Zeit. Vielleicht ist diese Konstellation, die wir jetzt haben, immer noch das geeignete Medium, die geeignete Position und die geeignete Aufgabenstellung, um besonders für die Betroffenen da zu sein, um ihnen ein entsprechender Ansprechpartner zu sein. Vielleicht dauert es aber auch noch ein paar Jahre, bevor man den Wechsel weg von der Beratung der Opfer hin zu einem deutlich verstärkten Bildungsauftrag vollziehen kann.

Diese Zeit sollten wir uns nehmen und ohne parteipolitische Häme und den Vorhalten von Profilierungssüchtigen uns darüber unterhalten, was der richtige Weg ist, wohin wir gehen sollten und was dabei die beste Lösung für den Freistaat Sachsen, um mit diesem sensiblen Thema umzugehen, ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Abschließend spricht in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache Herr Löffler für die NPD-Fraktion.

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Es gibt noch eine Kurzintervention. Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Danke, Herr Präsident. Werter Kollege Biesok, Sie haben mir vorgeworfen, dass ich Schärfe in die Diskussion gebracht habe. Ich habe mit meiner Fraktion drei Jahre geschwiegen und auf Vermittlung und Konsens gesetzt. Nach diesen drei Jahren ist es nun auch einmal angebracht, Klarheit in die Diskussion zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Man kann nicht länger verschweigen, dass alle demokratischen Fraktionen auf unser wiederholtes Ersuchen, unsere Vorschläge und Briefe geantwortet haben – mit Ausnahme der FDP-Fraktion. Sie waren die einzigen, die geschwiegen haben. Sie haben sich erstmals positioniert, als es nicht mehr anders ging, nämlich im Verfassungs- und Rechtsausschuss, als dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch lag.

Das, was Sie jetzt an Diskussionsbedarf anmelden, zum Beispiel den Grad der Unabhängigkeit, den Ort der Ansiedlung, genau das hätte in einer gemeinsamen interfraktionellen Arbeitsgruppe diskutiert werden können. Dieser haben Sie sich aber verweigert, und das bedauere ich sehr. Das ist für mich auch eine persönliche politische Enttäuschung.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Zu Ihrem Vorschlag, den Landesbeauftragten eventuell bei der Landeszentrale für politische Bildung anzusiedeln – wir können diese Diskussion in der Kurzintervention nicht führen –, will ich nur sagen: Das wäre eine deutliche

Schwächung dieses Amtes. Ich halte dies für keinen klugen Vorschlag. Sie können diesen Vorschlag mit keiner Aufarbeitungsinitiative, mit keinem Verfolgtenverband und erst recht nicht mit dem sächsischen Landesbeauftragten Lutz Rathenow diskutiert haben.

Eine solche Schwächung dieses wichtigen Amtes wäre ein Zeichen, dass wir die Beratungsaufgaben, die Aufgaben der Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten hinten anstellen, und das alles jetzt noch einmal zeitlich zu verschieben, nachdem wir drei Jahre im Sächsischen Landtag verloren haben, ist keine gute Entscheidung. Darin bin ich mit Herrn Schiemann einig. Das gehört zum Arbeitsprogramm des 6. Sächsischen Landtages, und zwar gleich zu Beginn.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Biesok, Sie möchten darauf antworten.

Wie gesagt, ich möchte dieses Thema nicht zu einer politischen Diskussion machen. Ich möchte nur so viel sagen: Wenn die Einladung zu einer gemeinsamen Beratung ausgesprochen wird, sich im Wesentlichen alle schon einig sind und dann noch einer mit ins Boot genommen wird, ist das schwierig.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn man dieses Thema jetzt nicht politisieren will, dann frage ich mich: Warum wird in der vorletzten Sitzung des Landtages ein Antrag, der schon so alt ist, auf das Trapez gehoben?

(Gisela Kallenbach, GRÜNE: Weil er immer noch aktuell ist!)

Wenn es wirklich um die Diskussion in der Öffentlichkeit gegangen wäre, wenn man gemerkt hätte, dass man unter den demokratischen Fraktionen dieses Landtages keinen Konsens erzielen kann, ist doch die Frage: Warum bringt man den Antrag nicht dann ins Plenum, wenn die Situation so ist, um hier eine offene Diskussion zu führen und die Argumente abzuwägen?

Herr Dr. Gerstenberg, ich habe nicht gesagt, dass ich den Stasiunterlagenbeauftragten in der Landeszentrale für politische Bildung „versenken“ möchte, sondern ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich ihn dort mit einer herausgehobenen Funktion versehen möchte, damit er seine Arbeit wirksam umsetzen kann. Ich denke, das ist ein Vorschlag, der nicht dazu führt, seine Position zu schwächen, sondern das ist ein Vorschlag, seine Position zu stärken.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE)

Jetzt hat Herr Abg. Löffler das Wort; bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 25 Jahre nach dem Ende der DDR ist es wirklich

an der Zeit, nicht nur über Denkmalsentwürfe zu debattieren, sondern auch unser Verhältnis zur sogenannten Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte in Sachsen neu zu definieren. In der vergangenen Woche wurde ja bereits in Berlin die Verlagerung der immer noch am besten unter dem Namen Gauck bekannten Behörde ins Bundesarchiv debattiert, da die Zahl der Antragsteller zur Einsichtnahme deutlich zurückgegangen ist.

Dieser Gesetzentwurf der GRÜNEN ist ein sehr vernünftiger Versuch, eine Erweiterung der Perspektive von den Ausführungsorganen der kommunistischen Diktatur, der Stasi, auf die eigentlichen Machthaber, die Auftraggeber, die Funktionäre der SED und damit auf die Politik vorzunehmen, das Machtsystem selbst, die geschickte oder brachiale Anwendung von Druck, Drohung und Belohnung, die Ausgrenzung, die Gestaltung des Alltags, die Privilegierung der Mitmacher und Mitläufer, die unter dem Begriff der Blockparteien bekannten Pseudoparteien, die eine Wahlalternative suggerieren sollten usw. All das ist es durchaus wert, erforscht zu werden.

Nachvollziehbar ist auch, den Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen durch Absteckung eines neuen Aufgabenfeldes und eine Veränderung der Amtsbezeichnung mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dass in diesem Zusammenhang die Grundlagen für die Rechtsstellung des Landesbeauftragten ebenfalls verändert werden sollen, ist zwar nicht zwingend, erscheint der NPD aber durchaus debattenfähig. Auch der im Gesetzentwurf unterbreitete Lösungsansatz, den Landesbeauftragten sowohl bei Vorschlag als auch bei seiner Wahl vor parteipolitischen Interessen und Klientelismus zu schützen und diesen daher durch den Landtag wählen zu lassen, ist vernünftig, und selbst der seit 24 Jahren regierenden CDU täte es gut, wenn die eine oder andere Personalentscheidung mal nicht mit einem Geschmäckle versehen wäre.

Ob das erweiterte und auch als Bildungsauftrag verstandene Aufgabenfeld so weit gefasst werden kann, dass die gesamte Alltagsgeschichte der DDR vor dem Hintergrund ihrer politischen Gestaltung und Lenkung durch die SED einbezogen werden kann, erscheint mir angesichts des Stellenplans allerdings äußerst ambitioniert oder – ehrlicher gesagt – eher illusionär. Sie wollen damit verhindern, dass die DDR retrospektiv von so manchem als ein Wohlfühlstaat oder als eine Wohlfühldiktatur wahrgenommen wird.