Protocol of the Session on July 9, 2014

Der Umgang mit Demenzerkrankten ist keine rationale Angelegenheit. Egal ob Professioneller oder Laie, jeder benötigt hierzu Erfahrungen und den Erfahrungsaustausch. Nur wenn wir diesen Austausch anregen, unterstützen und fördern, kann das in die Gesellschaft hineinwachsen. Dann reden wir positiv von einem kulturellen Wandel.

Leider passen die dazu notwendigen Unterstützungsstrukturen nicht in die vorhandene aktuelle Förderlandschaft, die, wie wir wissen, von befristeten Projekten und nicht unbedingt von Nachhaltigkeit geprägt ist. Aber es wäre eine Chance, sich darauf einzulassen. Information, Aufklärung, Beratung über die individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten bewirken auch mehr gesellschaftliches und nachbarschaftliches Engagement, das wir so dringend brauchen, aber nicht im Sinne einer Förderrichtlinie, sondern als Menschen, die sich um ihre Mitmenschen kümmern.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wo Angst und Verzweiflung herrschen, lässt sich nicht gut leben, und wo Menschen mit Demenz der Status eines Kranken und Opfers eines unbarmherzigen Schicksals zugeschrieben wird, kann die Gemeinschaft im besten Fall Mitleid oder wohlwollende Fürsorge spenden. Das ist nicht das, was wir mit unserem Antrag wollen. Wir wollen dieses Schema durchbrechen. Uns geht es um das soziale Einbezogensein, das nicht Anpassung und Unterordnung bedeutet. Wir wollen die Akzeptanz der Andersartigkeit befördern.

Mit unserem Antrag machen wir dazu Vorschläge, wie man sich seitens der Landespolitik diesem weitergehenden und vielschichtigen Thema widmen kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir wollen auch nicht sagen, dass die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen allein diesen beschriebenen Wandel bewirken können. Das wäre tatsächlich eine Überforderung von Landespolitik. Jedoch ist es aus unserer Sicht auf der anderen Seite notwendig, eine Landesinitiative zum Thema Demenz anzugehen und nicht lapidar auf zwei lose Förderrichtlinien und ein Bundesmodellprojekt zu verweisen, wie es in der Stellungnahme heißt.

Wir wissen doch, dass die kommunalen Netzwerke mit der vorhandenen Ausstattung derzeit nicht in der Lage sind, die von mir beschriebenen gesellschaftspolitischen Herausforderung mit den entsprechenden vernetzten Hilfe- und Unterstützungsstrukturen zu untersetzen. Demenzfreundliche Kommunen und Gemeinden sind zwar das Ziel, das heißt aber nicht, dass das Land an der Stelle außen vor ist.

Warum sollte es nicht möglich sein, eine Landesinitiative – meinetwegen auch beginnend im Landespflegeausschuss – mit den Kommunen gemeinsam auf den Weg zu bringen und konkrete Verbesserungen, vor allem für Angehörige und Pflegende, zu bewirken? Man kann auch in Sachsen auf viele positive Beispiele zurückgreifen.

Mir wäre es wichtig, mit der heutigen Debatte aus dem Plenum heraus ein Zeichen zu setzen und den klaren Anspruch zu formulieren, dass wir als Landtag, als Landespolitik dieses Thema federführend bearbeiten und als eine wichtige Aufgabe angehen, damit die Menschen vor Ort, ob Angehörige, beruflich damit Beschäftigte oder auch Kommunalverantwortliche, das als positives Zeichen und als Unterstützung ihrer Arbeit vor Ort ansehen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Dietzschold.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Demenzerkrankungen sind eine große Herausforderung unserer alternden Gesellschaft. In den letzten Jahren ist vermehrt festzustellen, dass diesem Thema eine immer größer werdende Aufmerksamkeit zukommt.

Bereits im Jahr 2005 hat sich das Robert-Koch-Institut im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei wurde deutlich, dass die Demenz zu den häufigsten und folgereichsten psychiatrischen Erkrankungen im höherem Alter gehört. In Deutschland litten im Jahr 2005, bezogen auf die 65-Jährigen und Ältere, nahezu eine Millionen Menschen an einer Demenz. Die Anzahl der Neuerkrankungen betrug im Laufe eines Jahres fast 200 000. Aktuell ist von circa 1,4 Millionen Menschen auszugehen.

Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit demenzieller Erkrankungen stark an – von weniger als 2 % bei den 65- bis 69-Jährigen auf über 30 % bei den 90-Jährigen und älter. Dabei sind über zwei Drittel aller Demenzkranken Frauen. Fast die Hälfte der Pflegebedürftigen in Privathaushalten hat eine Demenz, wobei mit zunehmender Pflegestufe der Anteil stark ansteigt. Gleichzeitig ist die Demenz der mit Abstand wichtigste Grund für eine Heimaufnahme, und der Anteil demenzerkrankter Heimbewohner hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.

Meine Damen und Herren! Das sind erst einmal nur die reinen Zahlen, aber was ist das Schlimme an einer demenziellen Erkrankung? Demenz zeichnet sich bereits im frühen Erkrankungsstadium infolge kognitiver Einbußen durch die Einschränkung in der selbstständigen Lebensführung aus. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind generalisierte kognitive Funktionseinbußen feststellbar, die mit umfassender Pflegebedürftigkeit und Beaufsichti

gungsbedarf rund um die Uhr verbunden sind. Demenz führt neben einer Verschlechterung der Lebensqualität des Kranken zu erheblichen Belastungen für die Betreuenden.

Meine Damen und Herren! Hinter dieser allgemeinen Beschreibung und den eingangs genannten Zahlen steht das Schicksal eines Menschen, der sein Leben nicht mehr allein organisieren kann und ab einem gewissen Zeitpunkt auf fremde Hilfe angewiesen ist – angewiesen auf Hilfe von der Familie oder von Freunden, aber auch auf ein soziales Umfeld, das ihn auffängt und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift dieses auf und versucht mithilfe einer Landesinitiative Demenz nicht nur den Betroffenen und den Angehörigen zu helfen, sondern auch eine stärkere Sensibilisierung zu erreichen. Dies unterstützen wir ausdrücklich, sehen aber nicht die Notwendigkeit der Forderungen im vorliegenden Antrag. So ist durchaus festzustellen, dass das Thema Demenz immer mehr in der Öffentlichkeit angekommen ist, was auch medial in verschiedenen Sendungen von MDR und Rundfunk sowie Presseveröffentlichungen zum Ausdruck kommt.

Es ist vermehrt festzustellen, dass es im Familien-, Bekannten- oder Freundeskreis einen Betroffenen gibt, und das wirft einen neuen Blickwinkel auf die Krankheit und den Umgang damit.

Meine Damen und Herren! Seitens der Bundesebene wurden Leistungsverbesserungen im Rahmen des Pflegeneuausrichtungsgesetzes in Höhe von rund einer Milliarde Euro besonders für Demenzkranke bereitgestellt. Auch auf Landesebene sind in den vergangenen Jahren umfangreiche Anstrengungen unternommen worden, um den Betroffenen und deren Angehörigen zu helfen. Dies ist in der Antwort des Sozialministeriums zum Antrag dargestellt worden.

So sind an dieser Stelle beispielhaft das Geriatrie-Konzept, der 5. Bericht zur Lage von Menschen mit Behinderungen sowie der 2. Sächsische Landespsychiatrieplan zu nennen, welcher sich explizit im Kapitel zur Versorgung gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen auch mit dem Thema Demenz auseinandersetzt und viele Punkte, die der vorliegende Antrag fordert, ebenfalls benennt. Dies umfasst unter anderem die Schulung von pflegenden Angehörigen im Umgang mit Demenzkranken, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen von Hausärzten oder die Etablierung von Netzwerken.

An dieser Stelle sind auch die Nachbarschaftshelfer sowie die Betreuungsangebote nach § 45 SGB XI zu nennen, welche besonders im niedrigschwelligen Bereich eine große Entlastung und Unterstützung anbieten.

Schlussendlich ist auch noch die wichtige Arbeit der Selbsthilfegruppen zu nennen, deren Mitgliedern ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Sie leisten eine sehr wichtige Aufgabe, um sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen helfend zur Seite zu stehen. Ebenso ist hier beispielhaft die Zusammenar

beit mit der Alzheimer-Gesellschaft in Sachsen zu erwähnen.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Die Versorgung von demenziell Erkrankten und die Unterstützung ihrer Angehörigen ist eine zunehmend wichtigere Aufgabe, die der Freistaat aber bereits erkannt und entsprechend darauf reagiert hat. Des vorliegenden Antrages bedarf es daher nicht. Wir werden den Antrag ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Herr Wehner für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dietzschold, ich finde es sehr schade, dass Sie den Antrag ablehnen. Den Antrag finden Sie sehr gut, sagen dann aber, dass es eines solchen Antrages nicht bedürfe. Das kann niemand verstehen. Wenigstens zum Ende der Legislaturperiode könnten Sie sich doch einmal durchringen, meine Damen und Herren von der Koalition, und einen Antrag der Opposition, der wirklich gut ist, zu unterstützen.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Frau Neukirch, ich bedanke mich ausdrücklich für diesen Antrag. Es ist ein wichtiger Antrag. Es bedarf auch einer entsprechenden Initiative. Sie haben Arno Geiger erwähnt. Ich möchte ihn auch gern zitieren: „Für uns alle ist die Welt verwirrend, und wenn man es nüchtern betrachtet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, das Verwirrende an der Oberfläche zu kaschieren. Darunter tobt das Chaos.“

Dieses Zitat stammt aus dem Buch „Der alte König in seinem Exil“ von dem bereits erwähnten Arno Geiger. Eines Tages müssen er und seine Geschwister feststellen, dass sein Vater, der schon immer ein wenig kauzig war, inzwischen nicht nur vergesslich, sondern ernsthaft krank ist. Sein Vater hat Alzheimer. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet.

Wie die übergroße Mehrheit der demenz- und alzheimererkrankten Menschen, wird auch dieser Vater so lange wie möglich zu Hause versorgt. Arno Geiger legt in seinem Buch das Augenmerk nicht auf die Situation der Angehörigen. Ich hingegen möchte das jetzt tun.

Menschen mit Demenz sind nicht einfach nur vergesslich. Sie lassen nicht einfach mal ihre Schlüssel liegen und erinnern sich dann nicht, wo sie sind, so wie wir das hin und wieder tun. Menschen mit Demenz verlernen im Laufe ihrer Krankheit die in unseren Augen einfachsten

Dinge. Sie verlieren die Orientierung, sie verlieren die Fähigkeit, sich anzuziehen, zur Toilette zu gehen, zu essen und zu trinken. Damit einher gehen Persönlichkeitsveränderungen. Der oder die Demenzkranke hat zunehmend Angst, wird unruhig, vielleicht sogar aggressiv.

Mit all diesen Dingen müssen sich pflegende Angehörige auseinandersetzen. Wie kommen sie damit zurecht? Wir wissen es nicht. Ja, wir wissen nicht einmal, wie viele Menschen es wirklich betrifft. Seit dem 1. Januar 2013, meine Damen und Herren, bekommen Personen ohne Pflegestufe Leistungen von der gesetzlichen Pflegeversicherung, wenn sie aufgrund ihrer geistigen Einschränkungen ihren Alltag nicht meistern können und einen hohen Betreuungsbedarf haben. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen beurteilt die Schwere der Einschränkungen der Alltagskompetenz anhand von 13 Kriterien, zum Beispiel das unkontrollierte Verlassen der Wohnung oder eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Je nach Schwere erhalten Demenzkranke ohne Pflegestufe 100 oder 200 Euro im Monat. Das Geld ist eine Kostenerstattung für Betreuungsleistungen, das heißt, dahinter steckt auch ein Problem: Die pflegenden Angehörigen müssen die Rechnungen bei der Kasse einreichen. Wird die Pflege allein durch Angehörige besorgt, gibt es möglicherweise keine Rechnung und folglich auch kein Geld.

Aber kommen wir zum Antrag und zur Antwort der Staatsregierung. Der Antrag selbst lässt keine Wünsche offen. Alles, was nur möglich ist, soll unterstützt, vernetzt und gefördert werden. Maßnahmen sollen gebündelt und Konzepte gestärkt werden. Mit Pflegestützpunkten wäre das eventuell leistbar gewesen. Wenn dies jetzt Servicestelle Demenz heißen soll, dann ist das auch gut. Frau Dietzschold, es braucht diese Initiative.

(Zuruf der Staatsministerin Christine Clauß)

Aber der Name allein macht es natürlich nicht und damit sind wir auch schon beim Problem. Der Antrag zielt vor allem auf die Einbeziehung von ehrenamtlich pflegenden Angehörigen, Nachbarschaftshelfern und deren Selbsthilfeorganisationen ab. Da soll beraten, informiert, qualifiziert werden. So etwas kostet vor allem Zeit, die sich pflegende Angehörige vermutlich nicht so ohne Weiteres nehmen können, egal, wie wichtig und hilfreich derlei Angebote aller Wahrscheinlichkeit nach wären. Vergessen wir nicht: Schon die lokalen hauptamtlichen Partner arbeiten am Limit. Menschen, die ehrenamtlich einen demenzkranken Menschen pflegen, können nicht auch noch Netzwerkarbeit leisten, ohne sich hoffnungslos zu überfordern.

Damit kommen wir zu dem Punkt, was pflegende Angehörige wirklich brauchen: Sicher kein zusätzliches Ehrenamt in einem Netzwerk, sondern vielmehr brauchen sie personelle Unterstützung bei der Betreuung durch die ausgebildeten Fachkräfte. Um diese Hilfe zu bekommen, dürften selbst 200 Euro im Monat schwerlich ausreichen.

Damit sind wir beim nächsten Punkt: Wie sehen denn die Rahmenbedingungen in der Pflege generell aus? Bislang

greift die Ausbildungsoffensive nicht ausreichend. Das Thema Schulgeld in der Pflegeausbildung ist immer noch nicht vom Tisch, obwohl seit 2013 versprochen. Die Anzahl der Pflegefachkräfte soll um 10 % erhöht werden. Auch hier sind wir noch nicht weiter.

Meine Damen und Herren! Natürlich wissen wir, dass das Thema Demenz und Pflege wesentlich durch die Bundesebene bestimmt wird. Aber das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene zu den neuen Pflegestärkungsgesetzen zieht nicht. Seit Jahren kämpfen wir um Begrifflichkeiten. Zahlreiche Änderungsideen werden angekündigt, aber umgesetzt werden sie kaum. Immerhin fördert der Bund Projekte im Rahmen der lokalen Allianz für Menschen mit Demenz. Die lokalen Partner sollen auf kommunaler Ebene Einfluss nehmen. In Sachsen werden bislang sieben Projekte gefördert. Das ist gut, aber ich frage: Reicht das aus? Wir meinen, es reicht nicht aus.

Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass es meine Fraktion für völlig daneben hält, wenn wieder einmal nur die Kommunen und Ehrenamtlichen aufgefordert werden sollen, Leistungen zu erbringen, die einer hohen Fachkompetenz bedürfen und die damit zu Recht Geld kosten. Aber die Staatsregierung ist leider nicht bereit, weiterhin Geld dafür auszugeben.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Clauß, Ihr Projekt Nachbarschaftshelfer in allen Ehren, aber welche Dimensionen soll das denn bei prognostizierten 100 000 Demenzerkrankten im Jahr 2025 annehmen,

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

zumal diese qualifizierten Laien auch in anderen Bereichen eingesetzt werden wollen?

Demenz ist ein Thema, das uns in den kommenden Jahren noch viel mehr als bisher beschäftigen wird. Dieser Antrag ist ambitioniert und geht schon einen recht ordentlichen Schritt in die richtige Richtung. Der Antrag geht uns zwar noch nicht weit genug, dennoch werden wir uns diesem wichtigen Anliegen nicht verschließen und dem Antrag zustimmen. Frau Dietzschold, ich fordere Sie nochmals auf, darüber nachzudenken und Ihre Haltung zu ändern und dem Antrag ebenfalls zuzustimmen.

Vielen Dank.