Protocol of the Session on January 22, 2008

ihre regionale Sicht sehen und auch vertreten, denn schließlich seien wir ja von ihnen in den Landtag gewählt worden. Aber gerade diese Sicht ist falsch.

Wir erleben es des Öfteren, dass Abgeordnete als Interessenvertreter gegenüber dem und gegen den Freistaat betrachtet werden. Meine Damen und Herren, dann wären wir in der Tat Lobbyisten. Unsere Aufgabe ist es, an erster Stelle das Wohl des Landes zu sehen, auch gegen regionale Befindlichkeiten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das erfordert immer wieder Gewissensentscheidungen, die manchmal im Wahlkreis anders gesehen werden. Unsere Entscheidung für eine große Verwaltungs- und Kreisreform in Sachsen ist dafür ein Beispiel. Wir haben es in den vergangenen Monaten landesweit erlebt: Es gab viel Unverständnis und wenig Begeisterung. Die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben die Argumente der Regierung und der Fachleute abgewogen. Wir sind der Meinung, sie reichen weit in die Zukunft. Deshalb heute dieser Gesetzentwurf. Es ist durchaus der Opposition gestattet, eine andere Meinung zu vertreten, aber der Versuch, die Koalitionsfraktionen und die Regierung auseinanderzudividieren, wird nicht gelingen. Wir sind schon der Meinung, dass dieser Gesetzentwurf dem Wohl des Freistaates dient.

Nun zu einigen Streitpunkten in meinem Heimatkreis und der Frage des Kreissitzes, ob nun Grimma oder Borna. Die Lokalpolitiker von Grimma sagen: Grimma sei die stärkere Stadt mit dem größeren Verflechtungsgebiet, die dynamischere Stadt, Grimma sei die Stadt mit langjähriger Verwaltungstradition und nicht zuletzt auch die Stadt mit der zentraleren Lage.

Dazu, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Anmerkungen. Zunächst zur Stärke und Dynamik. Was ist das eigentlich konkret?

(Antje Hermenau, GRÜNE: Betriebsamkeit! Das kennen Sie nicht! – Heiterkeit des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Die Einwohnerzahlen von Grimma und Borna unterscheiden sich nicht. Allerdings hat Grimma bereits jetzt ein deutliches Plus an staatlichen Verwaltungsstellen, und zwar in erster Linie durch die Ansiedelung der Polizeidirektion Westsachsen, die die Staatsregierung nach Grimma verlegt hat. Wenn Sie so wollen, eine eindeutige Bevorzugung der Stadt.

(Jürgen Gansel, NPD: Das war ein Merbitz-Geschenk!)

Wenn, meine Damen und Herren, mit dynamischer Stadt ein aktiveres Bürgertum in Grimma gegenüber Borna gemeint sein soll, so will ich mich darüber nicht streiten und auch nicht grundsätzlich widersprechen. Fakt ist: Sicherlich ist Grimma stärker eine Stadt des Bürgertums und Borna eine Arbeiterstadt. Das hat viel mit unserer jüngsten Geschichte zu tun, besonders mit den Folgen der

DDR-Wirtschaftspolitik. Ich erspare es mir aus Zeitgründen, darauf einzugehen.

Ich stelle fest: Die unterschiedlichen Entwicklungen von Grimma und Borna rechtfertigen kein Werturteil – jedenfalls nicht bezüglich einer Einigung auf den Verwaltungssitz des neuen Kreises.

Bleiben die von Grimma behaupteten Vorteile aus der Tradition und aus der Lage. Richtig ist: Die historischen Gemeinsamkeiten sind sehr spärlich.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Aber das trifft auf die meisten neuen Kreisstädte ebenfalls zu. Frau Hermenau hat gerade ein Beispiel dazu genannt. Welche gemeinsame Geschichte haben etwa Delitzsch und Oschatz? Auch die bessere Zentralität im neuen Kreis ist nur auf der Landkarte mit Grimma scheinbar günstiger; denn Fakt ist, dass beide Städte auf das Oberzentrum Leipzig ausgerichtet sind. Das ist auch die historische Gemeinsamkeit: der Leipziger Kreis. Der neue Kreisname ist deshalb auch mit Bedacht gewählt worden. Vielleicht wird Borna in Zukunft als historisches Bindeglied – wenn wir schon über Geschichte sprechen – zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt wieder eine besondere Bedeutung erlangen. Ich würde es mir jedenfalls wünschen.

Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich noch sehr gut an die Kreisreform von 1994, als die Abgeordneten der Stadt Leipzig, und zwar aller Fraktionen hier im Hohen Hause, aus lokalpolitischem Interesse durchgesetzt haben, dass der Kreissitz des damals einwohnerstärksten und größten Kreises in der Stadt Leipzig und nicht im Landkreis bestimmt wurde.

Herr Dr. Jähnichen, kommen Sie bitte langsam zum Schluss!

Das ist schon eine Frage, die wir heute nicht wiederholen sollten. Ich möchte deshalb zwei Punkte zusammenfassend nennen.

Erstens. Der neue Kreis Leipziger Land hat gute Voraussetzungen für eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe mit der Stadt Leipzig.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Zweitens. Der Vorschlag der Staatsregierung für den Kreissitz in Borna ist gut begründet und zukunftsweisend.

Ich bitte deshalb, dass wir dem Vorschlag der Staatsregierung in der vorliegenden Fassung zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die Linksfraktion hat im Rahmen der allgemeinen Aussprache noch Redebedarf und auch noch Redezeit. – Frau Abg. Roth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Herrn Bandmann

sieht es so aus, als würde die Kreisgebietsreform anno 2008 als politisches Lehrstück der Arroganz der Macht in die Geschichte Sachsens eingehen, auch wenn heute noch hundertmal und mehr das Wort „ergebnisoffen“ tönt.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Quatsch!)

Ja, ein politisches Lehrstück der Arroganz der Macht; und als Beleg dafür wird nicht zuletzt der selbstherrliche Umgang mit dem Alternativkonzept „Vogtländischer Weg“ gelten.

Ich spreche zur „Prüfung von Alternativen“ und nicht, wie mein Vorredner gerade angemahnt hat, aus regionaler Sicht; denn das vogtländische Modell ist das einzige Alternativmodell, das von der Basis, von den Kommunen erarbeitet worden ist.

(Zuruf von der CDU: Stimmt ja gar nicht!)

Meine Damen und Herren! Sie wissen, dass der Vogtlandkreis und die kreisfreie Stadt Plauen ihr Verfassungsrecht der bürgerlich-demokratischen kommunalen Selbstverwaltung ergriffen und eine vernünftige, praktikable Alternative zur Einkreisung Plauens per Gesetz erarbeitet haben. Gemeinsam suchten und beschritten sie den Weg zu einer einheitlichen, effektiven, bürgerfreundlichen und zukunftsfähigen Verwaltung. Wir hörten heute bereits, dass dieses Konzept in der Anhörung von Sachverständigen hier im Sächsischen Landtag im September 2007 eine erhebliche Rolle gespielt hat. Einige Experten rieten in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Neugliederungsmaßnahme dringend zu einer Überprüfung der im Gesetzentwurf vorgesehenen Einkreisung der Kreisfreien Stadt Plauen in den neu zu bildenden Vogtlandkreis. Der Landtag wurde von ihnen zu einem Modellprojekt der institutionalisierten Form der kommunalen Kooperation zwischen dem Vogtlandkreis und der Kreisfreien Stadt Plauen mit anschließender Evaluierung ermuntert.

Auch das Landesverfassungsgericht MecklenburgVorpommern urteilte zum Gesetz der Funktional- und Kreisreform des Landes im Juli 2007, dass weniger einschneidende Alternativen als ein Gesetz geprüft werden müssen; und kein geringeres als das Bundesverfassungsgericht hebt stets hervor, dass es der demokratischen Teilhabe der Bürgerschaft an der Erledigung ihrer Aufgaben den Vorzug gegenüber ökonomischen Erwägungen gebe, dass eine zentralistisch organisierte Verwaltung rationeller und billiger arbeiten könne.

Der Vogtländische Weg ist ein von der kommunalen Basis entwickeltes und vom Kreistag und vom Stadtrat Plauen beschlossenes alternatives Konzept einer interkommunalen Zusammenarbeit. Wir, also meine Fraktion, sind überzeugt, dass mit ihm die von der Staatsregierung angestrebten Reformziele mindestens ebenso gut wie mit einer Einkreisung Plauens in einen neu zu bildenden Vogtlandkreis erreicht werden könnten.

(Einzelbeifall bei der Linksfraktion)

Kooperationsmodelle stellen jedoch einen weniger belastenden Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht dar als von oben angeordnete Voll-Fusionen. Wir fragen uns: Wie gehen die Sächsische Union und die SPD eigentlich mit kommunaler Selbstverwaltung um? Was treibt sie, das kommunale Votum, den kommunalen Willen der vom Volk gewählten Vertreter zu missachten, gering zu schätzen und nicht in die eigenen Überlegungen einzubeziehen? – Gerade unter Beachtung der Leitsätze des Urteils des Verfassungsgerichtes von Mecklenburg-Vorpommern zur dortigen Kreisgebietsreform ist es angeraten, im Interesse einer kraftvollen Selbstverwaltung und einer nachhaltigen Sicherung der Ehrenamtlichkeit der Kreisräte das sogenannte Alternativkonzept in einem überschaubaren Landesteil zu erproben und einer Evaluierung zu unterziehen.

Meine Damen und Herren von CDU und SPD! Wenn Sie heute gegen das einzige von der kommunalen Basis erarbeitete Alternativkonzept stimmen, wenn Sie gegen den Vogtländischen Weg stimmen, dann machen Sie kommunale Selbstverwaltung zur Farce und Sie lassen auch die kommunalen Abgeordneten Ihrer eigenen Parteien im Regen stehen. Sie werden dafür bei den Kreistagswahlen die Quittung bekommen. Wir werden diese Wahl zur Volksabstimmung über die Kreisreform machen.

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Thomas Colditz, CDU, Holger Zastrow, FDP und Antje Hermenau, GRÜNE,)

Nun kann im Prinzip nur noch die Linksfraktion in die Debatte eingreifen. – Frau Abg. Köditz, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal zu der Frage der Kreissitze kommen, ohne speziell einen Kreissitz thematisieren zu wollen. In der Begründung des Gesetzes finden sich Kriterien für die Kreissitzentscheidung. Im Ausschuss wurde bekanntermaßen wegen der großen Bedeutung dieses Gesetzeswerkes sogar die Begründung beschlossen; dem Plenum bleibt dies heute erspart.

Meine Damen und Herren! Im Abschnitt 7.2 „Bestimmung des Sitzes des Landratsamtes des neuen Landkreises“ heißt es auf Seite 77: „Der Abwägungsentscheidung sollen dabei landesplanerische, historische und wirtschaftliche Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden.“ Auf Seite 78 heißt es: „Im Interesse der ausgewogenen Landesentwicklung muss auf die Erhaltung eines leistungsfähigen zentralörtlichen Systems in Sachsen durch“ – bitte genau zuhören! – „die Konzentration auf die Leistungsträger besonderes Augenmerk gerichtet werden.“

In den Diskussionen mit der Staatsregierung wurde im Ausschuss recht schnell klar: Landesplanerische Gesichtspunkte stehen dabei vornan. Wirtschaftliche und historische Aspekte sind zu berücksichtigen. Die zentralen Orte wurden nach ihrer Rangliste sortiert, und entspre

chend wurde die Höherrangigkeit als Maßstab der Entscheidung zugrunde gelegt.

Das heißt zum Beispiel im Fall A, wenn es ein Oberzentrum und ein Mittelzentrum gibt, nehmen wir das Oberzentrum; im Fall B, wenn es ein Mittelzentrum und einen mittelzentralen Städteverbund gibt, nehmen wir das originäre Mittelzentrum, denn der mittelzentrale Städteverbund ist einem ordentlichen Mittelzentrum nachrangig; im Fall C mit zwei Mittelzentren nehmen wir das Mittelzentrum, welches jetzt und wahrscheinlich auch zukünftig Schwierigkeiten haben wird, alle Anforderungen eines Mittelzentrums zu erfüllen.

Meine Damen und Herren, im Fall A haben wir uns somit für den Stärkeren entschieden, im Fall B auch, wobei wir eigentlich nicht den zukunftsorientierten Weg ins Auge gefasst haben, aus dem Städteverbund vielleicht eine ordentliche Stadt zu machen, und im Fall C vergeben wir den Kreissitz an den, der ihn im Landesinteresse am nötigsten hat. Wo bleiben da eigentlich die Kreisinteressen?

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN sowie des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Im Fall A interessiert uns nicht, was aus dem Mittelzentrum wird. Es wird sogar argumentiert, da passiere eigentlich gar nichts weiter. Dagegen soll im Fall C durch die Kreissitzvergabe die Zukunft eines Mittelzentrums gesichert werden.

Meine Damen und Herren, es wird immer wieder auf den Landesentwicklungsplan 2003 Bezug genommen. Dort heißt es: „Die Ausweisung von Delitzsch, Borna und Weißwasser als Mittelzentrum ist durch ihre Lage am Rande des Freistaates Sachsen bzw. in wirtschaftlichen Problemgebieten begründet, obwohl sie zum Beispiel das Kriterium der Arbeitsplatzbedeutung nicht erfüllen.“

Ich erwähnte gerade Delitzsch. Delitzsch bekommt aber den Kreissitz nicht, weil Torgau unter anderem die Stadt der historischen Begegnung der amerikanischen und der sowjetischen Armee zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist. Bei anderen derartigen Fällen streitet man sich um historische Gesichtspunkte, um Jahreszahlen für Amtshauptmannschaften. Da hilft kein Seume, kein Paul Gerhardt, keine Katharina von Bora und auch kein Göschen.

Meine Damen und Herren, zentrale Orte stehen im Landesentwicklungsplan Mittelzentren. Wenn wir die Zukunft unserer Mittelzentren sichern wollen, müssen wir über anderes reden als über die Festlegung des Sitzes des Landratsamtes.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Holger Zastrow, FDP, und Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)