Herr Dr. Buttolo, in Ihrer Entgegnung am gestrigen Tage bei der Debatte zur Verwaltungsreform sprachen Sie davon, dass von der Regierung keinerlei Kungelpolitik betrieben werde. Doch was sind solche Bekundungen wert, wenn sogar Ihre eigene CDU-Basis, allen voran Landrat Gey, die Koalitionsvereinbarungen als schlechten politischen Stil und eine Fehlleistung ersten Ranges beschimpft? Dieser Bewertung kann die NPD-Fraktion nur zustimmen, und wir hoffen, dass sich der Muldentalkreis wie angekündigt in der Pflicht sieht, diese Entscheidung rechtlich prüfen zu lassen.
Für eine Fehlplanung der Staatsregierung halten wir auch, dass Döbeln der Region Chemnitz zugeordnet werden soll. Eine Umorientierung auf Strukturen im Chemnitzer Raum ist unseres Erachtens für das Gebiet mit einer erheblichen Schwächung der Wirtschaftskraft und einer Minderung der Anziehungskraft auf Investoren verbunden und daher äußerst abträglich. Diese Auffassung wird auch durch die Stellungnahme der IHK und der Handwerkskammer Leipzig unterstützt. Die intensiven wirtschaftlichen und institutionellen Verflechtungen mit den übrigen Kreisen des Regierungsbezirkes Leipzig sprechen zwingend für einen Verbleib Döbelns im Leipziger Raum.
Nicht zuletzt tritt die NPD-Fraktion gegen die Namenstilgung des bisherigen Niederschlesischen Oberlausitzkreises und die damit verbundene Auslöschung des Namens Schlesien im Zuge der Kreisgebietsreform ein. Dabei wäre die Beibehaltung des Namens sogar nach einer Kreisneubildung die ideale Lösung für einen größeren Landkreis, denn beide Wesenskerne der in Sachsen westlich der Neiße vorherrschenden landsmannschaftlichen Gemengelage, der auf Schlesien und der auf die Lausitz bezogene, würde eine harmonische, von den Bürgern akzeptierte Synthese darstellen. Die Landkreisbezeichnung Niederschlesischer Oberlausitzkreis ist der
letzte wirklich prägnante Hinweis auf die niederschlesische Identität des Landstrichs westlich der Neiße und sollte deshalb nach Überzeugung der NPD-Fraktion erhalten bleiben.
Unsere Grundsatzkritik richtet sich weiterhin gegen die Degradierung der Kommunen zu Erfüllungsgehilfen der Staatsverwaltung durch weisungsgebundene Übertragung von Aufgaben, die nichts mit kommunaler Selbstverwaltung zu tun haben; gegen die Tendenz, Staatsaufgaben, die wirklich von regionalem Belang sind und bisher relativ gemeindenah organisiert waren, zu zentralisieren und so ihren regionalen Bezug zu schwächen, und gegen die Gründung von Staatsbetrieben, die, wie erkennbar, einer späteren Privatisierung dienen soll.
Im Übrigen wäre zu prüfen, inwieweit die Kommunalisierung von Staatsaufgaben dazu führt, dass die Kommunen zu Vollstreckern von Maßnahmen werden, die gegen Interessen verstoßen, die sie andererseits selbst im eigenen Zuständigkeitsbereich zu vertreten haben. Das, meine Damen und Herren, könnte zum Beispiel im Bereich des Naturschutzes und der ländlichen Entwicklung der Fall sein. Hier ist insbesondere eine besondere Gefahr, dass die kommunale Selbstverwaltung und die Fähigkeit der Kommunen zur Wahrnehmung eigener regionaler Entwicklungsinteressen unter die Räder geraten. Jedenfalls heißt es im Entwurf der Drucksache 4/8810 ganz allgemein: „Auf kreisangehörige Städte und Gemeinden sollen je nach Größe, Lage, Funktion und Komplexität ihrer Ausstattung insbesondere Aufgaben verlagert werden, die in einem engen Sachzusammenhang mit Aufgaben stehen, die bereits auf der kreisangehörigen Ebene erfüllt werden.“
Meine Damen und Herren, diese Aufgaben, zum Beispiel wasserwirtschaftliche Aufgaben, nehmen aber die Gemeinden in Wahrnehmung ihrer regionalen Interessen als Gebietskörperschaften wahr. Diese mit staatlichen Hoheitsaufgaben oder gar mit der Ausführung von EUNaturschutzrichtlinien zu vermischen würde die Gefahr einer schleichenden Zurückdrängung der kommunalen Selbstverwaltung und der Interessenvertretung der Region in sich bergen. Gerade das, meine Damen und Herren, lehnt die NPD entschieden ab.
Was wir brauchen, ist keine Schwächung, sondern eine Stärkung der regionalen Interessengemeinschaften zum Schutz der Widerstandskräfte der Regionen und gegen einen weiteren schleichenden Rückbau unseres Landes.
Für diese regionalen Widerstandskräfte, die es zu schützen gilt, möchte ich nur ein einziges, aber bezeichnendes Beispiel nennen. Die höchste Geburtenrate in Sachsen hat der derzeit strukturell schwache Landkreis AnnabergBuchholz, die niedrigste das Ballungszentrum Chemnitz. In Sachsens Regionen stecken also noch viel Kraft und viel Potenzial für die Zukunft. Wir sind aber in einen
Teufelskreis der strukturellen Schwächung geraten, den es aufzuhalten gilt. Das kann man, indem man die demokratischen Strukturen, das regionale Engagement der Menschen und ihre Teilnahme an Entscheidungen vor Ort schwächt, sicherlich nicht tun. Genau zu einer solchen Schwächung führen aber die geplante Neugliederung der Landkreise und die entsprechende Reduzierung der kommunalen Selbstbestimmungsstrukturen um die Hälfte. Die NPD wird diesen Kahlschlag mit allen politischen Mitteln bekämpfen.
Gerade in den sogenannten strukturschwachen Gebieten brauchen wir unsere Landkreise und Gemeinden, damit sich engagierte Bürger dort für eine Wiederbelebung starkmachen können. Wenn die Staatsregierung diesen Prozess unterstützt, wird auch das Leben dort zurückkehren, und wenn das Leben zurückkehrt, dann, meine Damen und Herren, wird auch das sozioökonomische Netzwerk wieder funktionieren.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß ja, liebe Kollegen von der CDU und der SPD, auch wenn nicht mehr viele hier im Saal die Debatte verfolgen, dass die Kreisgebietsreform für Sie die Mutter aller Reformen ist. Das ist ein ganz großer Wurf. Natürlich ist das alles auch der Zukunft zugewandt. Aber ich sage Ihnen: Mutter wäre nicht stolz auf Sie! Seien Sie sicher: Diese Kreisgebietsreform, so wie Sie sie angepackt und gemacht haben, braucht in diesem Land kein Mensch!
Das, was Sie mit dieser Reform anrichten, zeigt Ihr wahres Gesicht, zeigt, wie wenig es Ihnen um die Sache geht und wie wenig Sie inzwischen noch von diesem Land Sachsen verstehen, meine Damen und Herren.
Landsmannschaftliche Bindungen, historisch gewachsene Strukturen, Wegebeziehungen, touristische Gegebenheiten und wirtschaftliche Potenziale ignorieren Sie in ganz vielen Fällen genauso wie die Meinung der Mehrheit der Bürger, der Kreisräte und der Wirtschaft vor Ort. Diese Reform ist eine Reform über die Köpfe der Bürger hinweg. Das ist für uns als FDP und für die gesamte Opposition nicht akzeptabel.
Ich frage Sie ernsthaft, wer sich eigentlich all das ausgedacht hat. Ich wäre froh, Herr Buttolo, wenn Sie mir ein paar Namen nennen.
Mittelsachsen, Nordsachsen, Borna statt Grimma, da komme ich zu dem Schluss, das kann kein Sachse gewesen sein.
Das kann nur irgendjemand gewesen sein, der in einem grauen Hinterzimmer des Dresdner Innenministeriums wohnt und ansonsten mit Sicherheit keine Freunde hat.
Hätten Sie die Bürger gefragt, meine Damen und Herren, wären Sie in den allermeisten Fällen zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Aber dazu fehlt der CDU und der SPD leider der Schneid.
Sie haben Angst vor den Bürgern. Sie haben Angst davor, dass der Bürger erkennt, dass diese Kreisgebietsreform nichts anderes als ein Spielball im Ringen um politische Einflusssphären, um Ämter ist, meine Damen und Herren.
Schauen wir uns die Gebietsreform noch einmal im Detail an. Ich beschränke mich auf ganz wenige Punkte. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, Herr Buttolo, Freiberg im Erzgebirge verwaltungstechnisch aus dem Erzgebirge herauszulösen? Ist das Ihre Auffassung von Tradition? Ist das Ihre Auffassung von Heimat?
Man hätte alles machen können. Man hätte vielleicht darüber nachdenken können, einen einzigen Erzgebirgskreis zu bilden. Man hätte auch darüber nachdenken können, einen Ost- und einen West-Erzgebirgskreis zu schaffen. Das hätte vielleicht auch die Diskussion um Aue und Annaberg in eine ganz neue Richtung geführt. Aber auf die Idee, Freiberg quasi der „Leipziger Tieflandbucht“ zuzuordnen, muss man erst mal kommen.
(Lachen bei der FDP – Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion)
Döbeln gehört ganz gewiss nicht zum Erzgebirge, sondern natürlich in die Region Leipzig, ins Burgenland.
Da wir als FDP grundsätzlich gegen Regierungspräsidien sind, ist es vielleicht gar nicht so sinnvoll, über das Herauslösen von Döbeln aus dem Regierungsbezirk Leipzig zu sprechen. Viel interessanter ist aber ein anderer Effekt, den Sie mit Ihrer Verwaltungsreform erreichen. Sie leisten sich ein einziges Regierungspräsidium, nämlich das Regierungspräsidium Leipzig, für gerade einmal noch zwei Landkreise und die Stadt Leipzig. Das ist Ihre Auffassung von Entbürokratisierung. Das ist Ihre Auffassung von Verwaltungsreform. Ich nenne das pure Verschwendung von Ressourcen und pure Verschwendung von Steuergeldern.
Während die Regierung Milbradt allerorts ehrenamtliche Kreisräte in deutlich verkleinerten Kreistagen dazu zwingt, ein viel größeres Gebiet bedienen zu müssen,
pumpen Sie, wie man es beim Regierungspräsidium Leipzig sieht, die Verwaltung auf und füttern sie kugelrund. Während Sie die kommunale Selbstverwaltung an vielen Stellen in Sachsen abbauen, rüsten Sie die Verwaltung auf. Das ist Ihre Verwaltungsreform. Wir lehnen das als FDP mit Sicherheit ab.
Noch heftiger zeigt sich der Charakter Ihrer Reform aber in der Frage des Kreissitzes natürlich im Leipziger Süden. Wir haben großen Respekt vor der Entwicklung der Stadt Borna. Die Bornaer können ganz genauso wie die Grimmaer stolz auf ihre Stadt sein. Aber Grundsätze sind dafür da, dass man sie einhält. Wenn die Politik einmal festgelegte Regeln – Sie haben sie selbst festgelegt – heute einmal so und morgen wieder so auslegt, verliert sie die Glaubwürdigkeit. Eines ist klar: Politik muss verlässlich sein, wenn die Leute ihr vertrauen sollen.
Genau um diese Verlässlichkeit geht es bei der Frage Grimma oder Borna. Die Staatsregierung hat in ihrer Reform eindeutige Kriterien festgelegt, die für die Bestimmung des Kreissitzes entscheidend sind. Kreissitz soll die Stadt werden, die dank ihrer Wirtschaftskraft, dank ihrer Lage, dank ihrer Dynamik, ihres Lebenswertes und auch Bekanntheitsgrades und ihres Renommees weit ausstrahlt und eine ganze Region, also den gesamten Landkreis, an die Spitze mitziehen kann.
Wenn die Staatsregierung sich an ihre eigenen Maßstäbe hält, muss, meine Damen und Herren, Grimma Kreissitz im Leipziger Süden sein.
Mit der gleichen Begründung, wie Sie heute Borna anstatt Grimma zur Kreishauptstadt machen wollen, können sie genauso Weißwasser anstatt Görlitz – das würde Herrn Jurk vielleicht freuen – oder Hoyerswerda anstatt Bautzen nehmen. Die Entscheidung gegen Grimma, meine Damen und Herren, ist ungerecht. Sie ist falsch und sie stellt – das werden Sie vor Gericht sehen – die gesamte Reform infrage.
Ich persönlich bin dem Ministerpräsidenten sehr dankbar – und Herr Friedrich von der Linksfraktion hat es vorhin schon angesprochen –, dass er kürzlich in der „Leipziger Volkszeitung“ endlich die Katze aus dem Sack gelassen hat. Er sagte – das muss ich allerdings dazusagen, etwas, das alle in diesem Raum schon längst wussten –: nämlich, dass Borna einzig und allein ein Zugeständnis an die SPD ist. „Zugeständnis“ halte ich für ein viel zu nettes Wort. Ich würde sagen: Es ist ein Deal gewesen.
Das ist genau das, was bei dieser Reform zählt. Bei dieser Reform geht es CDU und SPD nicht um die Entwicklungschancen von Regionen, nicht um Bürgerfreundlichkeit, nicht um die Senkung von Verwaltungsausgaben, sondern einzig und allein um Posten, Ämter und Karrieren, meine Damen und Herren.