Dieses Nichtwissen hält aber viele nicht davon ab, ihre halbfertige Meinung dem begierigen Publikum anzubieten. Hinzu kommt dann noch die Lobbyarbeit derjenigen, die viel Geld verlieren werden, wenn wir das ernst nehmen, was die Wissenschaftler uns aufgeschrieben haben. Deshalb existiert noch so viel Verwirrung in den Köpfen der Menschen.
Wie gezielte Desinformation von Lobbyverbänden aussehen kann, will ich nur an einem einzigen Beispiel zeigen. 1993 starteten die großen deutschen Energieerzeuger eine Annoncenkampagne, in der es unter anderem hieß: „Regenerative Energien wie Sonne, Wasser und Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“ Wie Sie wissen, haben wir heute fast 14 % erreicht. Es ist kein Wunder, dass viele Menschen – Politiker sollen ja auch dazu gehören – heute noch glauben, dass es die erneuerbaren Energien in absehbarer Zeit nicht schaffen könnten, die fossilen Kraftwerke abzulösen.
Lieber Herr Kollege Gerlach, teilen Sie die gerade von Kollegen Heinz geäußerte Auffassung, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei, sondern auf natürlichen Ursachen beruhe, und das gerade vor dem Hintergrund der von Ihnen zutreffend beschriebenen Arbeitsweise des IPCC?
Diese Meinung teile ich nicht, weil Herr Heinz hier aus meiner Sicht eine unglückliche Verknüpfung mit der erdgeschichtlichen Entwicklung gemacht hat. Wenn wir einmal 300 Millionen Jahre zurückgehen, so weiß man aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass damals der Meeresspiegel etwa 25 Meter höher war. Nur gab es damals weder ein Umweltministerium noch waren Menschen auf der Erde, und die Erde sah auch ganz anders aus. Wir hatten auch schon einmal eine komplette Vereisung. Nur das, was wichtig ist – darauf zielt Ihre Frage –, ist, dass wir in den letzten zehn- bis elftausend Jahren relativ konstante Klimaverhältnisse
mit kleinen Aufweichungen haben. Grönlands Küste war einmal eisfrei – auf Englisch heißt es deshalb Greenland –; so etwas gab es. Aber das ändert nichts daran, dass sich alle Wissenschaftler, die in diesem Bereich mitarbeiten, einig sind – ich bringe dann noch die Beispiele –, dass das, was wir heute erleben, von uns als Menschen verursacht wurde.
Vielen Dank, Herr Gerlach. – Teilen Sie die Auffassung, dass in den letzten 650 000 Jahren der CO2-Gehalt in der Atmosphäre niemals über 300 ppm bestanden hat, während er sich derzeit bei 380 ppm befindet, Tendenz stark ansteigend, sodass wir festzustellen haben, dass wir in den letzten 650 000 Jahren zu keinem einzigen Zeitpunkt einen dermaßen hohen Stand von CO2 in der Atmosphäre hatten?
Die Eisbohrungen in Grönland und in der Antarktis sagen uns genau dieses Ergebnis. Auch die Sedimentuntersuchungen, die man dazu als Vergleichswerte nimmt, deuten genau auf dieses Ergebnis. Für die, die es nicht wissen: Dieses ppm sind Teile von Millionen. Das ist der Wert, der in diesen Bereichen immer unter 0,3 % lag. Es gab vorher – da gehen wir aber jetzt in die Millionen Jahre zurück – sehr viel höhere und sehr viel niedrigere Werte. Aber was die 600 000 Jahre betrifft, da gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es so war.
Zurück zu dem, was ich Ihnen sagen wollte. Obwohl vielen Wissenschaftlern die Klimamillionenjahre bekannt sind und auch die Fakten, die eben Herr Lichdi nachgefragt hat, haben sie ohne Einspruch Folgendes formuliert: Menschliche Aktivitäten können heute für alle größeren Kontinente als Ursache globaler Erwärmung nachgewiesen werden. Die Folgen sind bereits nachweisbar und weit verbreitet. Es wird eine Zunahme von Trockenheit, Hitzewellen und Hochwasser und ihre negativen Einflüsse vorausgesagt.
Ich vereinfache das einmal mit meinen Worten. Es ist doch ganz klar: Wenn im System Erde mehr Energie enthalten ist – das ist Physik –, dann wird sich das irgendwo entladen. Es entlädt sich in Gewittern, in Stürmen, in Platzregen und in Ähnlichem.
Der Meeresspiegel wird schon allein durch die thermische Ausdehnung ansteigen. Allen ist bekannt, dass Wasser, das erwärmt wird, sich ausdehnt. Wichtig ist, dass man
Die bisherigen Minderungsstudien berücksichtigen nicht die gesamte Bandbreite der Rückkopplungen zwischen dem Klima und dem Kohlenstoffkreislauf. Letzteres ist besonders für die dauerhaften Zweifler wichtig. Wir bewegen uns zwar im Wahrscheinlichkeitsbereich, dafür aber im unteren Wahrscheinlichkeitsbereich. Wenn gesagt wird, wir hätten noch genug Zeit für alles, so mag das im Einzelfall stimmen, für die politischen Entscheider gilt das nicht!
Noch einmal eine Anmerkung zum IPCC. Als er 1988 gegründet wurde, war Deutschland überhaupt noch nicht dabei. Nach der Arbeit der Enquetekommission im 14. Bundestag verabschiedete Rot-Grün 18 klimarelevante Maßnahmen, damals gegen die Opposition. Highlight dieser Zeit war das EEG, also das Erneuerbare-EnergienGesetz, das inzwischen in fast 50 Ländern dieser Erde kopiert wurde, mit Abweichungen.
Ich komme noch einmal auf die Berichte zurück. Weder Anpassung noch Minderung allein können gravierende Auswirkungen des Klimawandels verhindern. Darin gebe ich meinem Vorredner recht. Sie können sich jedoch ergänzen und so Risiken signifikant verringern. Dieser Bericht arbeitet ja mit Szenarien. Das IPCC-Szenario mit dem niedrigsten Stabilisierungsniveau, also unter 0,5 % CO2, was etwa zwei Grad Temperaturerhöhung entspricht, erfordert innerhalb von zehn Jahren – so sagen das die Leute – eine Trendwende bei den CO2-Emissionen. Für dieses Szenario müssten die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um 50 bis 85 % gegenüber dem Jahr 2000 gemindert werden. Dabei erwartet man durchschnittliche Wachstumsraten und die Verringerung des globalen Bruttoinlandsproduktes um jährlich weniger als 0,12 %.
Bei aller politischen Diskussion, in die wir uns mit diesem Koalitionsantrag ganz bewusst einmischen, dürfen wir eines nie vergessen: Die Klimaänderungen entwickeln sich nach den Gesetzen der Physik und lassen sich nicht durch Verhandlungen verändern. Wir können die Veränderungen „nur“ gestalten, bremsen oder auch verstärken. Was von uns heute verlangt wird, ist, dass wir bremsend einwirken, und dazu müssen wir uns das überhaupt erst einmal bewusst machen.
Eine gute Grundlage dafür sehe ich in unserem Klimaschutzbericht der sächsischen Koalitionsregierung von 2005. Hier knüpfen wir mit unserem Antrag an – was vielen schon schwer genug gefallen ist. Trotzdem wird das erst der Anfang dessen sein, was eine erfolgreiche Koalition tun muss.
Ich greife einen für Sachsen wesentlichen Punkt der Berliner Beschlüsse der letzten Woche heraus: die zukünftige Förderung der Erzeugungsanlagen in Kraft-WärmeKopplung. Neben der Förderung auch über die ZweiMegawatt-Grenze hinaus ist die zukünftige Förderung des Neu- und Ausbaues von Nah- und Fernwärmenetzen möglich. Dazu werden jährlich bis zu 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Damit können wir in solchen
Kommunen Fernwärmeversorgungsnetze neu- oder ausbauen, in denen sich die Auskopplung von vor Ort erzeugter Wärme, zum Beispiel aus Biogas, bisher nicht lohnte. Ich erwarte, dass sich auch im Klimaaktionsplan unseres Umweltministers ein entsprechender Passus finden wird.
Immer kommt es bei der Markteinführung neuer Technologien auf günstige nationale Rahmenbedingungen und auf Unternehmerinitiative an; aber die menschliche Überzeugungskraft ist unerlässlich. Deshalb sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir es schaffen, alle Entscheidungsträger über die vor uns stehenden Veränderungen zu informieren. Warum soll uns das, was wir jetzt mit dem Bildungsplan für unsere Kleinsten vorhaben, nicht auch mit den Kommunalpolitikern gelingen? Ob das eine Pflichtweiterbildung sein muss, mag ich heute nicht entscheiden, aber ohne äußeren Druck verlassen nur wenige eingefahrene Wege.
Deshalb fordere ich noch einmal alle Kommunalpolitikerinnen und -politiker auf, in ihren Parlamenten damit zu beginnen, Beschlüsse auf den Weg zu bringen, die ihre kommunalen Angestellten zwingen, alle zukünftigen Kommunalvorhaben auf ihre Klimawirksamkeit zu überprüfen.
Ich habe nicht die Absicht, in die Vor-Ort-Politik hineinzuregieren, aber auffordern kann und muss ich Sie, wenn ich das, was ich hier vortrage, auch nur einigermaßen ernst nehme. Beispiele wie Zschadraß und Oederan zeigen uns und Ihnen, dass sich das auch unmittelbar positiv für die Gemeindekasse und die Bewohner auszahlt.
Ich will wenige Beispiele nennen, was Kommunen tun können und was wir als Land dabei unterstützend begleiten sollten:
im Bereich Energieerzeugung und -nutzung: Verpflichtung eigener Stadtwerke auf den Klimaschutz als Unternehmensziel; nur energetisch hochwertige Sanierung von städtischen Gebäuden und Einrichtungen und Einsatz erneuerbarer Energien; Bereitstellung von Dachflächen kommunaler Gebäude für eigene und Bürgersolaranlagen, Chemnitz geht gerade mit gutem Beispiel voran;
im Bereich Verkehr: Erstellung von Verkehrskonzepten, die dem Umweltverbund eindeutig Vorrang einräumen, zum Beispiel im Bereich Verkehrsberuhigung; verkehrsvermeidende Siedlungsplanung;
im Bereich Stadtplanung: ökologisch sinnvolle Auswahl von Baugebieten im Hinblick auf die Nutzung von Son
Herr Gerlach, geben Sie mir recht, dass für all das, was Sie gerade sehr sinnvoll und sehr richtig für die kommunale Ebene vorgeschlagen und auch ein bisschen gefordert haben, eine gewisse Vorbildwirkung und vielleicht auch finanzielle Unterstützung vom Freistaat notwendig wäre?
Ich hatte in einem Nebensatz bei meinen Vorschlägen gesagt – man kann ja noch sehr viel mehr machen –, dass ich der Meinung bin, dass sie vom Freistaat unterstützt werden müssen. Ich kenne auch eine ganze Menge Beispiele, bei denen der Freistaat das unterstützt.
Ich möchte an dieser Stelle lobend erwähnen, dass der Staatshochbau im Oktober dazu eine eigene Verwaltungsvorschrift erlassen hat.
Genau diese Problematik, die wir hier berechtigterweise immer kritisiert haben – auch als Koalition –, dass die Bereiche Energieeffizienz und erneuerbare Energien noch nicht im ausreichenden Maße gewürdigt wurden – und in der wir ihnen pro Jahr 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben –, wurde jetzt in Form einer Vorschrift umgesetzt, und ich hoffe und wünsche, dass sich das in täglicher Politik umsetzt. – In dieser Weise gebe ich Ihnen recht.
Ich war bei der Stadtplanung; dort wären noch zu nennen: die Nah- und Fernwärmeversorgung, ein ökologisches Beschaffungswesen; im Abfall- und Abwasserbereich: Verwendung von Deponiegasen zur Strom- und Wärmeversorgung in Blockheizkraftwerken und die Beteiligung an Biogasanlagen – das wird noch nicht überall gemacht; in der Öffentlichkeitsarbeit: die Einbindung der Bevölkerung im Rahmen von Arbeitskreisen, Projekten und Kampagnen; die Einrichtung von Klima- und Energiestammtischen sowie Energieberatungsstellen und Aktionswochen, von denen ich mir wünsche, dass nicht nur – wie es bei mir in LimbachOberfrohna ist – die schönste Hausfassade prämiert wird, sondern auch einmal das energiesparendste Haus. Warum darf das nicht auch mal sein?
Wie das Beispiel des Bürgermeisters von Zschadraß, Herrn Schmiedel, zeigt, ist das persönliche Engagement oft der ausschlaggebende Faktor. Solche Personen in politisch verantwortliche Ämter zu bringen obliegt allerdings den Wählerinnen und Wählern und nicht den Politikern. Letzteren aber Entscheidungsgrundlagen und das nötige Wissen bereitzustellen ist sehr wohl unsere Aufgabe als Freistaat. Das stellt auch keinerlei Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar.