Protocol of the Session on December 12, 2007

Sechstens. Er orientiert auf die Aufstellung individueller Förderpläne und darauf ausgerichteter Angebote für Jugendliche und heranwachsende Strafgefangene, die auch abrechenbar gestaltet sein müssen bis hin zur vereinbarten Mitwirkungshandlung des betroffenen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden selbst.

Siebentens. Er strebt den offenen Vollzug als Regelvollzug für Jugendliche bzw. für Jugendstrafe an.

Achtens. Er schreibt zwingend die Einrichtung und Vorhaltung eigenständiger Jugendstrafanstalten vor, in denen ausschließlich Jugendstrafe vollzogen wird, also keine Vermischung mit irgendwelchen Formen des Erwachsenenvollzugs, der Abschiebehaft oder Ähnliches mehr.

Neuntens. Er implementiert ein an den Fähigkeiten und Kompetenzen jugendlicher und heranwachsender Strafgefangener orientiertes System des effektiven Rechtsschutzes für die Gefangenen gegen beschwerende Vollzugsmaßnahmen.

Zehntens. Unser Gesetzentwurf bestimmt den Vorrang von interner Konfliktregelung vor der Verhängung von Disziplinar- oder sonstigen repressiven Maßnahmen.

Elftens. Er regelt die Beteiligung der jugendlichen und heranwachsenden Strafgefangenen an der Vollzugsgestaltung in Gestalt des Instituts der Jugendstrafgefangenmitbestimmung.

Zwölftens. Schließlich verankert unser Gesetzentwurf die Wirkungsforschung und die Vollzugsevaluation durch geeignete externe kriminologische Institute, Lehrstühle oder Wissenschaftler.

Mit seinem Regelungsgehalt setzt dieses Sächsische Jugendstrafvollzugs- und -fördergesetz der Linksfraktion uneingeschränkt die 23 Mindeststandards um, die sich aus der gemeinsamen Erklärung der Fachverbände, nämlich der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V., des DBH-Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, der Bundesarbeitsgemeinschaft Soziale Arbeit im Justizvollzug, der ADB Arbeitsgemeinschaft deutscher Bewährungshelferinnen, ergeben. Selbige 23 Standards wiederum – das zu betonen scheint uns sehr wichtig – leiten sich unmittelbar aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Mai 2006 her und stützen sich auf dessen legislative Umsetzung, sodass nach unserer Umsetzung alle Gesetzentwürfe, die diese 23 Standards nicht erbringen, hinter der Anspruchsgrundlage des Bundesverfassungsgerichtes, mithin dessen Vorgaben, zurückbleiben.

Prof. Dr. Frieder Dünkel, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, erklärte in der Anhörung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 31. August 2007, bezogen auf den Gesetzentwurf der Linksfraktion – ich zitiere –: „Der Entwurf der Linksfraktion entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und ist als Modell einer modernen, sachlich ausgewogenen Gesetzgebung anzusehen. Er entspricht in seiner Orientierung stark den Entwürfen des Bundesjustizministeriums von 2004 bis 2006. Der Entwurf versucht in konsequenter Weise die von der GVJJ und anderen Fachverbänden als Mindeststandards für Jugendstrafvollzug entwickelten Grundsätze legislativ umzusetzen.“

Dass wir dennoch keine Chance hatten, mit unserem Entwurf im federführenden bzw. in den mitberatenden Ausschüssen Gehör zu finden, respektive Mehrheiten, überraschte nach der leidigen Praxis deutscher Parlamente, dass nicht das Richtige oder Beste zur Annahme empfohlen wird, sondern das, was die regierungstragende Mehrheit für richtig hält, nicht. Zumindest aber hat die frühzeitige Einbringung unseres Gesetzentwurfes, die dann gegebenenfalls auch gleich die nachfolgende Vorlage des Gesetzentwurfes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP, bewirkt, dass sich die Staatsregierung von ihrem ursprünglichen Vorhaben verabschiedete, von dem Entwurf, wie er in dem Jugendstrafvollzugsgesetzentwurf von anderen neuen Bundesländern, der über die Justizministerkonferenz vorabgestimmt war, abzuweichen und das Jugendstrafvollzugsrecht als Teilkomplex eines Gesamtstrafvollzugsgesetzes für den Freistaat Sachsen zu regeln, quasi als ein Kapitel unter anderen.

Das zumindest haben wir erreicht, haben wir erzwungen, schreiben wir uns deshalb auch auf unsere Fahnen. Vielleicht, Kollege Bräunig von der SPD, könnten Sie sich Ähnlichen rühmen, wenn die SPD-Fraktion etwas kecker gewesen wäre und nicht nur den neuen Ländergesetzentwurf als sächsische sozialdemokratische Initiative ins Internet gestellt hätte, sondern einen eigenen fünften Gesetzentwurf vorgelegt hätte.

(Enrico Bräunig, SPD: Das war ein eigener!)

Das wäre durchaus spannend und eine Bereicherung gewesen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nicht so spöttisch, Kollege!)

Den Ritualen des Landtages folgend, war dann in der abschließenden Beratung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses am 26.11.2007 rasch klar, dass die Oppositionsgesetzentwürfe keine Chance haben würden und sich die Opposition mal wieder damit zu bescheiden hat, sich zum Entwurf der Staatsregierung zu äußern, womit die Koalition im Übrigen den wohlgemeinten Hinweis verschiedener Sachverständiger aus der Anhörung, etwa wieder des Kriminologen Prof. Dr. Dünkel, in der Anhörungsstellungnahme ignorierte. Zitat: „Der Entwurf der Linksfraktion ist eine gute Diskussionsgrund

lage zur Optimierung des von der Staatsregierung vorgelegten Entwurfs.“ Herr Staatsminister, man kann sich ja ausnahmsweise auch einmal an einem solchen Entwurf orientieren und das eine oder andere daraus entnehmen, was praktikabel und handhabbar ist. Das ist nicht erfolgt.

Wir hätten es auch noch hingenommen, wenn wenigstens bei der Koalition in anderer Weise Meinungen ausgewiesener Experten, die sich in der Anhörung oder in Zuschriften an den Ausschuss äußerten, auf Gehör gestoßen wären und dies zur Bereitschaft bei der Koalition geführt hätte, den Gesetzentwurf der Staatsregierung tatsächlich noch ein wenig zu optimieren.

Stattdessen hat sich zumindest die abschließende Beratung des Gesetzentwurfes, die eigentlich im Oktober vorgesehen war, um einen Monat verschoben. Man wollte im Oktober die Gesetzentwürfe im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss beraten. Das wurde um einen Monat mit der Begründung verschoben, die Koalition hätte noch grundsätzlichen Beratungsbedarf. Das wäre noch verständlich gewesen und ist so auch in den mitberatenden Ausschüssen erklärt worden. Als dann aber in der abschließenden Behandlung am 26.11.2007 die Koalition erklärte, dass das eine abschließende Beratung ist, also kein Vorratsbeschluss gefasst wird und es überhaupt nicht mehr darauf ankommt, ob oder was mitberatende Ausschüsse von sich aus einbringen, war das nach unserer Auffassung wenn nicht rechtswidrig, dann mindestens grob sittenwidrig im Rahmen der Parlamentsgepflogenheiten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es ist eine ungeheuerliche Ungezogenheit, wenn man zum Beispiel dem Sozialausschuss und dessen Vorsitzenden vorher sagt, dass die Gesetzentwürfe nicht auf die Tagesordnung genommen werden können, weil die Koalition Beratungsbedarf hat, woraufhin sich der Sozialausschuss zu den vielfältigen Fragen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, nicht verständigen kann, und man dann aber dem Sozialausschuss, der zeitlich nach dem Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss tagt, verkündet: „Ihr kommt schon zu spät. Der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss hat abschließend beschlossen.“

Das ist keine Art des Umgangs untereinander und überhaupt keine Art zu zeigen, dass man überhaupt eine Anstrengung unternimmt, einen optimalen Weg zu finden, mit der Kompetenz der verschiedenen Fachpolitiker bei solchen wichtigen Gesetzentwürfen das Richtige zu beschließen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Bei vier vorliegenden Gesetzentwürfen zu dieser Materie sowie der Reichweite der zu fassenden Entscheidungen hätte allemal auch Zeit für eine Sondersitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses sein müssen, um das in der heutigen Sitzung in 2. und 3. Lesung eingebrachte Gesetz noch rechtzeitig unter Dach und Fach zu bringen. Wir rügen diese Ignoranz deshalb ausdrücklich

und bitten darum, dass das Präsidium Vorkehrungen trifft, dass sich so etwas nicht wiederholt.

In der Sitzung am 26.11.2007 legten CDU und SPD mit dem Informationsmaterial Nr. 507 vom 23. November 2007 einen Änderungsantrag vor, der neben nahezu durchgängig nur redaktionellen Änderungen im Grunde einen böswilligen Anschlag auf den bis dahin noch halbwegs erträglichen Entwurf der Staatsregierung zum Sächsischen Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe darstellt, indem der Änderungsantrag nämlich begehrte, im § 3 des Gesetzentwurfes der Staatsregierung überschrieben mit „Erziehungsauftrag und Vollzugsgestaltung“ den Abs. 1 um einen Satz 2 zu ergänzen, sodass die Bestimmung – jeder kann das in der jetzt vorliegenden Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses, Drucksache 4/10473, nachlesen – nun lautet:

(Marko Schiemann, CDU: Das kann jeder nachlesen!)

Satz 1. „Die Gefangenen sind zur Einsicht in die beim Opfer verursachten Tatfolgen zu erziehen.“

(Marko Schiemann, CDU: Richtig!)

Das ist völlig in Ordnung. Das begrüßen wir und stehen voll dahinter.

Satz 2. „Sie“ – die Gefangenen – „sind zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zu Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zu Heimatliebe,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Heimatliebe!)

zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein, zu Gerechtigkeit, zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu beruflichem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlich-demokratischer Haltung zu erziehen.“

(Enrico Bräunig, SPD: So steht es in der Verfassung! – Johannes Lichdi, GRÜNE: Da fehlt doch noch was!)

Als wir diesen Änderungsantrag lasen, Herr Hähle – damit Sie überhaupt einmal darüber nachdenken, warum wir hier sind –, und dann in der Sitzung feststellten, dass das keine Nachwehe des 11.11., 11:11 Uhr war, sondern Sie allen Ernstes in das Jugendstrafvollzugsgesetz des Freistaates Sachsen, das Jugendliche bis 17 Jahre, Heranwachsende zwischen 18 und 21 und diejenigen betrifft, die zum Zeitpunkt der Verurteilung zwischen 14 und 21 Jahren waren, aber inzwischen längst volljährig, also zum Beispiel zwischen 24 und 26 Jahre alt sind, aus dem Artikel 101 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung die Erziehungsziele für Kinder und Jugendliche eins zu eins übernehmen – also aus dem Artikelbereich Volksbildung –, fiel uns dazu einfach nichts mehr ein.

(Marko Schiemann, CDU: Für manch einen Erwachsenen könnte das auch gelten!)

Das geschieht relativ selten.

(Zuruf von der CDU: Dann halt die Klappe!)

Aber ich gebe zu, dass ich dafür keine Gleichnisse in der bisherigen Parlamentspraxis gefunden habe. So viel Einfalt und Realitätsferne kann man normalerweise beim allerbesten Willen und bei allergrößtem Misstrauen in die Denk- und Handlungsfähigkeit der regierungstragenden Mehrheit einfach nicht erwarten.

Das Jugendstrafvollzugsgesetz ist doch weder die Spielwiese für herumtollende konservative Bildungspolitiker und ihnen nahestehende modernitätsferne Sozialdemokraten noch ein Wünsch-dir-was-Katalog für Hypermoralisten unterschiedlicher Konfessionsbereiche. Das geht einfach im Strafvollzugsrecht nicht.

Wenn ein solcher Erziehungsauftrag mit einem solchen Gesetzesbefehl zur Vollzugsgestaltung im Gesetz steht, sind die Kriterien von der Erziehung zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein die Wertungskriterien dafür, ob der betreffende Gefangene nun schon hinreichend politisch-moralisch oder sittlich entwickelt ist, damit er im Maßstab Ihres christlich-sozial geprägten Bildungsmenschen Lockerungen bekommen kann. Das ist doch der Anwendungsmaßstab dafür, ob der Betreffende Lockerungen, Bewährungsaussetzungen, Freigang oder Urlaub bekommt. In diesen Maßstäben bemisst sich das dann bei der Bescheidserteilung.

Sie müssen einmal überlegen, welchen Ausbildungsstand dann das Personal im Strafvollzug haben muss, um solche Bemessungskriterien anzuerziehen. Wir brauchen Personal, das willens und in der Lage ist, jedem einsitzenden Jugendlichen und Heranwachsenden nicht nur die „Ehrfurcht vor allem Lebendigen“ und selbstverständlich die „Erhaltung der Umwelt“ in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, sondern ihm zum Beispiel auch sächsische „Heimatliebe“ zu vermitteln.

Wenn es im Bericht des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses – unterzeichnet durch dessen Vorsitzenden Prof. Dr. Schneider und den Berichterstatter, Herrn Schowtka – in Bezug auf die harsche Kritik von Linksfraktion und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie FDP in § 3 Abs. 1 Satz 2 heißt, der genannte Erziehungsauftrag sei wichtig für die Erziehung jugendlicher Strafgefangener und verfassungsrechtliche Bedenken würden nicht gesehen, wird sich jeder Beamte und Bedienstete im allgemeinen Vollzugsdienst des Freistaates an den Kopf greifen und Hilfe heischend umherschauen, wer ihn denn zum Werteerzieher qualifiziert. Denn wenn Sie die Kommentierung zu Artikel 101 der Sächsischen Verfassung, also der für die Jugend vorgegebenen hehren Erziehungsziele, im entsprechenden Kommentar von Kunzmann, Haas und Baumann-Hasske zum Beispiel zum Begriff Heimatliebe nachlesen, finden Sie folgenden Kommentierungstext: „Heimatliebe steht im Zusammenhang mit dem Recht auf Heimat, Artikel 5 Abs. 1 der Verfassung, und meint die auf Kenntnissen fußende Verbundenheit mit landsmannschaftlichen und gebietlichen Besonderheiten des Freistaates Sachsen.“

Das ist also der Erziehungsmaßstab für Strafgefangene, die in Sachsen einsitzen. Da bin ich aber gespannt, wann Sie endlich den Nachtrag zum Justizpersonalhaushalt vorlegen, damit wir allen Bediensteten, die dort hingestellt werden, die Möglichkeit verschaffen bzw. sie in die Lage versetzen, einem einsitzenden afghanischen Jugendstrafgefangenen, einem einsitzenden Iraki, einem aus Mecklenburg-Vorpommern, einem aus Berlin/Brandenburg nun das sächsische Brauchtum anzuerziehen. Das ist letztendlich tatsächlich – ich lasse mich wieder hinreißen, das zu sagen, aber vielleicht habe ich jenseits von September 2009 Zeit, irgendwo in Regis-Breitingen das Fach Sächsische Mundart oder Erzgebirgische Mundart zu geben –

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

alles unvorstellbar. Ich weiß nicht, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, ob Sie das, was Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer maßgeblich mit vorschlagen, begreifen. Es tut mir leid.

(Stefan Brangs, SPD: Irgendjemand muss es ja verstehen!)

Ernsthaft, wenn Sie dann –.– Es ist nun einmal so, dass in ein paar ostdeutschen Parlamenten noch einige Abgeordnete sitzen, die nicht nur rheinländisch sprechen. Das haben Sie nicht ganz geschafft, dass Sie die Parlamente im Osten nun ganz und gar mit Ihrem Dialekt übernehmen konnten.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das ist jetzt Rassismus!)

Wenn Sie im Freistaat Sachsen – Herr Hähle, überlegen Sie doch mal – Erziehungsziele für Schule und Knast nicht unterscheiden, dann kann doch minimal der Standard auf einer der beiden Seiten nicht stimmen.

(Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)