Wenn wir – Herr Rößler hat das angemerkt – von Mitschuld in unserer Themenstellung heute reden, dann gebe ich gern zu, dass wir die Koalitionsfraktionen expressis verbis im Thema hätten nennen müssen. Die eigentliche Mitschuld ist, dass wir nicht vieles im November schon diskutieren konnten – auch das, was Frau Staatsministerin gerade an Schwierigkeit eingewandt hat, die durchaus besteht, das sehe ich auch so –; das hat die Koalition verhindert, das kreiden wir ihr an. Das werden Sie auch nicht wegdiskutieren können.
Auch das zweite Problem hatte Herr Rößler und jetzt auch Frau Staatsministerin benannt. Ich bin sehr skeptisch,
wenn ich höre, ja, jetzt beschließen wir erst einmal dies und dann können wir uns in einer nächsten Verhandlungsrunde über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verständigen, was die Höhe des Bundeszuschusses betrifft. Hier bin ich sehr skeptisch und misstrauisch, ob das aufgeht.
Im Übrigen, Herr Rößler, Sie können sich doch nicht hier hinstellen und meinen – aber als Finanzer haben Sie eben keine Ahnung von Sozialpolitik, ansonsten wüssten Sie nämlich, dass wir gegenwärtig nur etwa 20 % Bundeszuschuss haben –, dass 15 % vielleicht sogar eine Verbesserung für die Kommunen wären. Bitte machen Sie sich vorher sachkundig!
Wir müssen darum kämpfen, dass zumindest diese 20 % Zuschuss bestehen bleiben. Schon das ist für die Kommunen eine Belastung insgesamt in relativer Höhe. Altersarmut droht. Das steckt ja dahinter. Meine Stadt Leipzig – das habe ich ausgerechnet – wird, wenn das so weitergeht, wenn der Zuschuss vielleicht sogar auf 7 % gesenkt wird, im Jahr 2020 mit einer dreistelligen MillionenSozialausgabenhöhe allein für Grundsicherung rechnen müssen. Insofern haben wir auch einen entsprechenden Antrag gestellt, den wir demnächst auf die Tagesordnung setzen müssen. Wir werden uns dieser Thematik nochmals gesondert zuwenden. Da können wir machen, was wir wollen. Ansonsten lassen wir die Kommunen im Regen stehen, insbesondere was die perspektivische Sicht betrifft.
Letzte Bemerkung: Man kann sich trefflich streiten, wie viel die Kommunen im nächsten Jahr aufgrund der Absenkung des Bundeszuschusses weniger erhalten. Ich habe recherchiert und komme auf 40 Millionen Euro. Da habe ich noch nicht einmal die zu erwartenden Preissteigerungen eingerechnet. Das müssen Sie ja einrechnen. Sie müssen ja davon ausgehen, was die Kommunen jetzt bezahlen und was sie künftig bezahlen werden, welchen Bundeszuschuss sie haben und welche prozentuale Absenkung es geben wird. Da sind 40 Millionen Euro eher an der unteren Grenze. Aber ich nehme an, wir werden uns in einem Jahr an dieser Stelle wieder sprechen, weil wir das Thema wieder aufrufen müssen, und dann können wir wetten, wer am Ende recht hatte. Ganz gleich, wie hoch die Absenkung ist: Zum Schaden der Kommunen ist sie auf jeden Fall.
Ich kann nun keinen weiteren Diskussionsbedarf erkennen und schließe damit die Debatte und zugleich den Tagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde“. Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns zur Fortsetzung der Beratung um 14:40 Uhr hier wieder einfinden und jetzt in die Mittagspause eintreten.
Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe und zur Förderung verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender bei der Wiedereingliederung und einer sozial verantwortlichen Lebensgestaltung (Sächsisches Jugendstrafvollzugs- und -fördergesetz – SächsJStrVollzFördG)
Gesetz zum Vollzug der Jugendstrafe im Freistaat Sachsen (Sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz – SächsJStVollzG)
Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe im Freistaat Sachsen – Sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz – (SächsJStVollzG)
Sächsisches Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz – SächsJStVollzG)
Wir beginnen mit der allgemeinen Aussprache. Die Reihenfolge ist diesmal eine andere. Wir beginnen mit der Linksfraktion; es folgen die GRÜNEN, die FDP, die CDU, die SPD, die NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Wir behandeln als Erstes die Drucksache 4/8622, den Gesetzentwurf der Linksfraktion. – Damit rufe ich den Sprecher der Linksfraktion auf; Herr Abg. Bartl, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal kurz vor Toresschluss schicken wir uns heute an, einen Auftrag an den Gesetzgeber zu erfüllen, den das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 31. Mai 2006 in den Verfahren 2 BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04 allerdings dem seinerzeit noch zuständigen Bundesgesetzgeber erteilt hat: „Bis zum 31.12.2007“ – so nämlich war die verfassungsgerichtliche Forderung – „sind eigenständige gesetzliche Regelungen zum Vollzug von Strafen gegenüber Jugendlichen und denen gleichgestellten Heranwachsenden zu treffen.“ Das erhaltene Mandat hierzu haben wir qua Föderalismusreform „geerbt“, die unter anderem die Gesetzgebungsbefugnisse für den Strafvoll
zug allgemein und mithin auch für den Jugendstrafvollzug auf die Länder – hier: auf den Freistaat Sachsen – übertragen hat.
Dass wir nun so spät zu Potte kommen, liegt an uns, an der Linksfraktion, nicht. Wir hatten als Erste bereits am 2. Mai 2007 unseren Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Jugendstrafe und zur Förderung verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender bei der Wiedereingliederung und einer sozial verantwortlichen Lebensgestaltung, kurz bezeichnet als Sächsisches Jugendstrafvollzugs- und -fördergesetz, in den Geschäftsgang des Landtags eingebracht.
Wir haben es sehr begrüßt, dass kurz danach die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Gesetzentwurf vom 30.05.2007 kam, dann am 19.07.2007 die FDP mit ihrem Gesetzentwurf und schließlich am 20.07.2007 auch die Staatsregierung einen entsprechenden Vorschlag zur Realisierung dieses bedeutsamen Gesetzesvorhabens unterbreitet hat.
Im Interesse eines möglichst produktiven Meinungsstreites über die jeweiligen Gesetzentwürfe haben wir unseren
Zeitvorsprung nicht ausgenutzt, sondern waren einverstanden, dass alle Gesetzentwürfe in einer Sondersitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses einer Sachverständigenanhörung unterzogen worden sind. Diese war dann auch tatsächlich sehr informativ. Unter den von den Fraktionen benannten insgesamt elf Sachverständigen waren ausgewiesene Wissenschaftler, die sich seit Langem mit dieser Materie intensiv befasst haben, ebenso vertreten wie erfahrene Leiter von Jugendstrafanstalten, Jugendstrafverteidiger wie auch Repräsentanten der einschlägigen Verbände, etwa der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. auf Bundes- wie auf Landesebene von Sachsen und Niedersachsen.
Wenn man den Tenor der mehrstündigen Anhörung zusammenfasst, wurde letztlich keinem der Gesetzentwürfe nachgesagt, dass er unqualifiziert oder gar verfassungsrechtlich bedenklich sei. Vielmehr gab es von den Experten viel Lob, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung der einzelnen Gesetze je nach dem Grundansatz der jeweiligen Sachverständigen.
Was unseren Gesetzentwurf zur Drucksache 4/8622 angeht, können wir in Anspruch nehmen, dass er so, wie er Ihnen vorliegt, völlig verfassungskonform ist, was für den der Staatsregierung nach unserer Auffassung eindeutig nicht mehr gilt. Dazu komme ich aber noch.
Wir können in Anspruch nehmen, dass der Gesetzentwurf der Linksfraktion vollständig und sinngerecht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006 nach Geist und Buchstaben umsetzt.
Wir legen dem Parlament zur 2. Lesung einen 72 Paragrafen umfassenden und damit im Verhältnis zu dem der Staatsregierung eher schlanken Gesetzentwurf vor, der schon aus seinem Titel erkennbar einen sehr originären Ansatz wählt, damit zugleich die Chance der Stunde nutzend, hier für den Freistaat Sachsen einen Normenkatalog für den Jugendstrafvollzug zu formulieren, der für die nächsten 15 bis 20 Jahre genügend Entwicklungsspielräume lässt.
Das Spezielle an unserem Gesetzentwurf ist dabei, dass er neben der sachgerechten Ausgestaltung aller Fragen des Vollzugs der Jugendstrafe selbst einen Regelungskatalog beinhaltet, der jenseits des Tages liegt, an dem sich für den betroffenen Jugendlichen oder Heranwachsenden die Anstaltstore öffnen und er wieder in die Freiheit, in das bürgerliche Leben entlassen wird.
Der Begriff „Fördergesetz“ ist deshalb gewählt, weil in unserem Gesetzentwurf auch der nachsorgenden Betreuung respektive der entsprechenden Fortwirkung der Resozialisierungsbemühungen der Gesellschaft nach der Entlassung erhebliche Bedeutung und erheblicher Regelungsraum beigemessen wird.
Dieser Ansatz ist keineswegs linksutopisch, denn bereits Ende der Achtzigerjahre wurde im Bundestag in einer Stellungnahme der SPD-Bundestagsfraktion, Arbeitskreis Rechtswesen, zum Entwurf eines „Gesetzes zur Wieder
eingliederung Straffälliger durch nicht freiheitsentziehende Maßnahmen“ – damals abgekürzt „Bundesresozialisierungsgesetz“ – im Gesetzgebungsraum darüber debattiert, die Resozialisierungshilfen nach dem Strafvollzug auszuweiten und der Wiedereingliederung Gefangener, speziell Jugendlicher und Heranwachsender bzw. jungen straffällig Gewordenen, in den nachfolgenden Lebensjahren größere Aufmerksamkeit zu widmen.
Es ist dieses das entsprechende Aufgreifen eines auch aus international vergleichbarer Sicht kriminalpolitischen Anliegens, nämlich alternative Sanktionen zulasten der Freiheitsstrafe auszuweiten und dafür zu sorgen, dass straffällig gewordene, inhaftierte junge Menschen auf einen möglichst günstig vorbereiteten sozialen Empfangsraum treffen, eingeschlossen die Versorgung mit Wohnung, mit Arbeit bzw. mit Arbeitsförderungsmaßnahmen und sonstigen Anreizen für ein künftig uneingeschränktes, straffreies und normgerechtes Leben.
Diese zeitliche und sachliche Erstreckung der Gesetzesregelungen über den Zeitpunkt der Strafverfolgung hinaus steht so in keinem anderen Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf, er ist nach unserer Auffassung überhaupt nicht hinreichend im Ansatz im Entwurf der Staatsregierung.
Das birgt das Risiko und den Nachteil in sich, dass – als gegeben unterstellt – intensive Anstrengungen von Vollzugsbediensteten und mit ihnen zusammenwirkender Träger der Straffälligenhilfe während des Vollzugs dadurch wieder ins Leere laufen bzw. versanden, dass der entlassene junge vormalige Strafgefangene auf derart ungünstige Umfeldbedingungen stößt, dass er wieder in die Spirale der verwickelnden Straftaten oder sonstigen rechtswidrigen Handlungsweisen gerät, rückfällig wird und mithin ein erneuter Fall für Kriminalisten, für Staatsanwälte und für Richter sowie dann logischerweise auch für Vollzugsbedienstete ist.
Unser Gesetzentwurf – dies darf ich kurz zusammenfassen – hat im Übrigen folgende Wesenszüge in seiner Ausregelung:
Erstens. Er bestimmt die Wiedereingliederung des Jugendstrafgefangenen in die Gesellschaft als das vorrangige Ziel des Vollzugs der Jugendstrafe – dies in Übereinstimmung mit dem Regelungsgehalt des § 91 des geltenden Jugendgerichtsgesetzes.
Zweitens. Er gewährleistet eine Ausgestaltung der Lebensverhältnisse der jugendlichen und heranwachsenden Gefangenen im Vollzug und in der Straffälligenbetreuung, die sich an Alter, an Strafart und an Strafzeit orientiert und spezifiziert.
Drittens. Der Gesetzentwurf sichert einen dementsprechend differenzierten Vollzug in Wohngruppen überschaubarer Größen, von uns in Übereinstimmung mit Fachverbänden auf acht Personen bemessen unter Wahrung des Anspruchs auf Einzelunterbringung.
Viertens. Er führt den Vorrang von Aus- und Schulbildung bei der Gestaltung des Vollzugsalltags ein. Mithin orien
Fünftens. Er gewährleistet die Einbeziehung der Personensorgeberechtigten von jugendlichen Strafgefangenen, also vornehmlich der Eltern, und der Jugendämter bei der Planung und Gestaltung des Vollzugs bis hin zu Fragen der Mitwirkung an der Vollzugsplankonferenz.